01.09.2023 BDC|News
Angemessene Summen in der Haftpflichtversicherung

Mit dem Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz (GVWG), das am 20. Juli 2021 in Kraft getreten ist, hat der Gesetzgeber eine Versicherungspflicht für Vertragsärztinnen und -ärzte festgeschrieben. Wer also mit den Kassen abrechnet, muss nachweisen, dass sie oder er gegen die Haftpflichtgefahren aus der Berufsausübung ausreichend versichert ist.
Was „ausreichend“ aus Sicht des Staates heißt, liefert das Gesetz gleich mit: Für Vertragsärztinnen und -ärzte wird eine Mindestsumme pro Versicherungsfall von 3 Millionen Euro bzw. 6 Millionen Euro für alle Versicherungsfälle innerhalb eines Jahres vorgeschrieben. Für Medizinische Versorgungszentren sowie für Vertragsärzte und Berufsausübungsgemeinschaften mit angestellten Ärzten liegt die Mindestversicherungssumme bei fünf Millionen Euro pro Versicherungsfall bzw. 15 Millionen Euro für alle Versicherungsfälle innerhalb eines Jahres.
Aber es ist ein wenig wie in der Schule. „Ausreichend“ ist und bleibt eben eine „Vier“, es ist nicht befriedigend und schon gar nicht gut oder sehr gut. Also stellt sich die Frage: Reicht diese Versicherungssumme wirklich aus? Die Antwort aus der Sicht des auf das ambulante Heilwesen spezialisierten Versicherungsmaklers Ecclesia MED lautet: Nein.
Diese Standardsummen sind in der Regel zu gering angesetzt, insbesondere in invasiven Disziplinen der Medizin wie der Chirurgie. Je nach individuellem Risikoprofil muss die Versicherungssumme der Betriebs- oder Berufshaftpflichtversicherung ein Vielfaches betragen. Ecclesia MED empfiehlt Summen zwischen 7,5 und 15 Millionen Euro.
Diese Diskrepanz ist einigen Punkten geschuldet, die für die Heilwesenhaftpflichtversicherung besonders prägend sind: Rein rechnerisch entwickelt sich von 100 Heilwesenschäden nur einer zu einem Großschaden. Aber dieses eine Prozent aller Heilwesenschäden ist für 65 Prozent der Schadenkosten verantwortlich.
Wie kommt das? Der medizinische Fortschritt und die sich stetig weiterentwickelnden Möglichkeiten der modernen Pflege führen dazu, dass die Lebenserwartung von Menschen steigt, die einen schweren geistigen oder körperlichen Schaden erlitten haben. Beispiele aus der Anästhesie oder der Geburtshilfe verdeutlichen das sehr gut: Ging man vor etwa 30 Jahren noch davon aus, dass die Lebenserwartung geistig und körperlich infolge einer Sauerstoffunterversorgung geschädigter Kinder maximal eine Dekade betrug, so können heute Lebenserwartungen angenommen werden, die nahe an denen gesunder Menschen liegen.
Das ist natürlich grundsätzlich eine positive Entwicklung. Sie zieht aber einiges nach sich: Im Fall einer Haftung nach einem Behandlungsfehler wird der Erwerbsausfall auf Basis eines normalen Berufslebens berechnet und steigt damit an. Pflege und medizinische Aufwendungen erstrecken sich über einen längeren Zeitraum als früher, der Fortschritt auf beiden Gebieten und die allgemeinen Inflationsentwicklungen verteuern die Leistungen zusätzlich, Regressansprüche der Sozialversicherungsträger und möglicherweise Unterhaltsansprüche von Angehörigen kommen hinzu. Über Jahrzehnte gerechnet, kann eine schwere Schädigung zu zweistelligen Millionenbeträgen bei den Kompensationsaufwendungen führen. Mitgedacht werden sollte zudem, dass die Haftung des Schädigers entgegen den Versicherungssummen nach dem Gesetz unbegrenzt ist. Es erfolgt auch keine Begrenzung des Schadenersatzes. Den die vereinbarte Haftpflicht-Versicherungssumme übersteigenden Teil trägt also der Schädiger selbst. Der Versicherungsnehmer kann an den Zahlungen dabei schon beteiligt werden, wenn abzusehen ist, dass der Schadenfall die Versicherungssumme übersteigt, nicht erst, wenn die Summe erschöpft ist. Das birgt persönliche und für medizinische Einrichtungen auch bilanzielle Risiken, denn für drohende Aufwendungen aus sogenannten „Über-Limit-Schäden“ müssen dann bilanzielle Rückstellungen gebildet werden.
Hinzu kommt ein weiteres Faktum: Insbesondere der Heilwesenbereich birgt ein hohes Spätschadenrisiko. Zum Ende eines Versicherungsjahrs sind im Durchschnitt erst 40 Prozent der angefallenen Schäden aus diesem Jahr bekannt. Manche Ansprüche werden erst Jahre nach dem eigentlichen Behandlungsfehler geltend gemacht.
Um jenseits der gesetzlich ausreichenden Absicherung bei einer guten oder sehr guten Versicherung zu landen, muss also eine für das Jahr 2023 vereinbarte Versicherungssumme ausreichen, um einen schweren Personenschaden unter Umständen über Jahrzehnte abzudecken.
Auf der anderen Seite steht aber auch der berechtigte Gedanke, Überversicherungen zu vermeiden. Grundsätzlich sollte immer in einer individuellen Versicherungs- und Risikoberatung ermittelt werden, wie der Versicherungsschutz anhand des jeweiligen Risikoprofils optimal gestaltet werden kann. Es ist deshalb sinnvoll, sich professionell von einem Partner beraten zu lassen, der ausschließlich die Interessen des Versicherungsnehmers im Blick hat und die besonderen Anforderungen des Gesundheitswesens genau kennt.
Speziell für die Mitglieder des BDC hat Ecclesia med entsprechende Lösungen geschaffen. Für Fragen und Lösungsmodelle stehen die Expertinnen und Experten des Maklers den BDC-Mitgliedern exklusiv zur Verfügung.
Bürger N: Angemessene Summen in der Haftpflichtversicherung. Passion Chirurgie. 2023 September; 13(09): Artikel 04_02.1
Autor des Artikels

Weitere aktuelle Artikel
05.03.2020 BDC|News
Für Babyboomer ist 65 doch kein Alter mehr
Unser Präsident, Prof. Dr. med. Dr. h.c. Hans-Joachim Meyer steht Rede und Antwort zum Thema „Silver Worker“
02.03.2020 BDC|News
Februarausgabe: Sektorenübergreifende Versorgung in Passion Chirurgie
In der Februarausgabe dreht sich alles um „Sektorenübergreifende Versorgung“. Wir beschäftigen uns mit dem Referentenentwurf zur Reform der Notfallversorgung, der ein neues System der integrierten Notfallversorgung mit einer telefonischen Lotsenfunktion und integrierten Notfallzentren an Krankenhäusern vorschlägt.
01.03.2020 BDC|News
Rechtsbeistand für BDC-Mitglieder
Nachdem im April 1960 der Berufsverband gegründet war, beschloss acht Jahre später der geschäftsführende Vorstand in Hamburg in seiner Sitzung am 10.02.1968 die Schaffung eines Justitiariats und gleichzeitig die Zusammenarbeit mit dem Justitiar, Prof. Dr. med. h.c. W. Weißauer. Professor Weißauer erklärte sich damals bereit, für die Beratung in grundsätzlichen rechtlichen Fragen, die mit der Berufspolitik zusammenhängen, zur Verfügung zu stehen und zwar in folgenden juristischen Bereichen: Arztrecht, Straf-, Zivil-, Verfassungs- und öffentliches Recht. 1968 hatte der BDC 1.433 Mitglieder, sein Kassenstand betrug 50.158,61 DM.
01.03.2020 BDC|News
60 Jahre BDC – eine Zeitreise
Die Gründung des Berufsverbandes der Deutschen Chirurgen e.V. erfolgte auf der 77. Tagung der DGCH am 23. April 1960 im Deutschen Museum in München mit der Wahl von Prof. Kilian als ersten Vorsitzenden. Er hatte die Notwendigkeit einer berufspolitischen Vertretung neben der damals rein wissenschaftlichen Orientierung der DGCH erkannt und formulierte: „Die schwere Katastrophe, welche Deutschland am Ende des Zweiten Weltkrieges getroffen hat, stellte alle medizinischen Organisationen vor gewaltige Schwierigkeiten und große Aufgaben. Auf den wissenschaftlichen Kongressen wurden die einschlägigen Themen abgehandelt, zu einem fruchtbaren Gedankenaustausch über die beruflichen Belange und auch die Not des Einzelnen kam es nicht. Es wurde immer wieder ein empfindlicher Mangel hinsichtlich der Vertretung chirurgischer Interessen in den entscheidenden Gremien großer ärztlicher Organisationen, wie auch den Regierungen, bemerkbar.
Lesen Sie PASSION CHIRURGIE!
Die Monatsausgaben der Mitgliederzeitschrift können Sie als eMagazin online lesen.