Zurück zur Übersicht
© iStock/wakila

Am 11.05.2019 ist das Terminservice- und Versorgungsgesetz (BVG) in Kraft getreten. Entgegen der Ablehnung der Ärzteschaft und auch des BDC beinhaltet dieses Spahn´sche Gesetzeswerk auch zahlreiche Eingriffe in die Gestaltung der Sprechstunden und damit in die freiberufliche Gestaltungshoheit. Die Aussichten auf eine Verfassungsbeschwerde beurteilt unser Justiziar allerdings als ungünstig (s. a. Beitrag von Dr. Heberer in dieser Ausgabe der PASSION CHIRURGIE).

Es ist nun die Aufgabe der ärztlichen Selbstverwaltung und der Berufsverbände, das Beste aus den Vorgaben zu machen. Der BDC möchte Sie dazu auf dem Laufenden halten und Ihnen Tipps geben, wie aus dem massiven Eingriff in die Autonomie der Praxen vielleicht wenigstens ein gewisser ökonomischer Nutzen gezogen werden kann.

Die Umsetzung der Gesetzesvorgaben erfordert im Detail zahlreiche Vereinbarungen zwischen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) und dem Spitzenverband der Krankenkassen. Ein wichtiger Teil davon ist bereits im Bewertungsausschuss zwischen KBV und Kassen vereinbart worden. Einige weitere wichtige Definitionen kommen aber erst Ende August, z. B. was alles unter „Sprechstunden“ (ab sofort 25 Stunden statt 20 Stunden) fällt und was unter „offenen Sprechstunden“ (Plicht ab 01.09.2019) zu verstehen ist.

Festgelegt wurden bereits die Regelungen zur Budget-Befreiung und zu den Zuschlägen im EBM:

Wirksam mit Veröffentlichung des Gesetzes seit 11. Mai 2019: Budget-Befreiung für alle über die Terminservice-Stelle (TSS) vermittelten Fälle

Im manchen Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) war dies bisher schon der Fall, jetzt gilt es bundesweit: Alle von der TSS vermittelten Fälle werden komplett (also für das gesamte Quartal) extrabudgetär vergütet. Dazu kennzeichnen Sie den Fall in Ihrem Praxis-Verwaltungssystem (PVS) als TSS-Fall.

Wirksam zum 01.09.2019: Zuschläge für rasche Terminvergabe

Über die Budget-Befreiung hinaus werden Zuschläge für die in der Tabelle 1 aufgeführten raschen Terminvermittlungen ausgelobt. Dazu muss lediglich eine der hier aufgeführten Gebührenordnungspositionen (GOP) angesetzt werden. Das PVS wird dann automatisch den je nach Lebensalter gestaffelten Zuschlag zur Grund- bzw. Konsiliar-Pauschale ausrechnen und ansetzen. Auch hier muss der Fall im PVS entsprechend gekennzeichnet werden.

TSS Fall Suffix Zuschlag zur Grund- bzw. Konsiliarpauschale GOP Kapitel 7 GOP Kapitel 18 Bemerkungen
TSS-Akutfall

(Behandlung spätestens am Tag nach der Kontaktaufnahme des Versicherten bei der TSS)

A 50 % 07228A 18228A Nur nach vorheriger Erst-Einschätzung als „Akutfall“ durch die TSS nach dem SmED*-Verfahren, Start frühestens 01.01.2020
TSS-Terminfall 1.-8. Tag B 50 % 07228B 18228B Ab 01.09.2019
TSS-Terminfall 9.-14. Tag C 30 % 07228C 18228C Ab 01.09.2019
TSS-Terminfall 15.-35. Tag D 20 % 07228D 18228D Ab 01.09.2019

Tab. 1: Übersicht über die Aufschläge für rasche Terminvermittlung (ab 01.09.2019). Die TSS wird in Zukunft bei der Terminvermittlung den Tag der Kontaktaufnahme der Versicherten mitteilen, damit die Frist bis zum Termin berechnet und die korrekte GOP angesetzt werden kann.

Das praktische Vorgehen soll an zwei Bespielen erläutert werden:

  1. Ein 40-jähriger Patient erhält über die TSS einen Termin bei einem Chirurgen. Zwischen der Kontaktaufnahme bei der TSS und der Behandlung beim Chirurgen liegen 12 Tage. Der Chirurg rechnet am Behandlungstag die Grundpauschale 07211 in Höhe von 221 Punkten sowie alle weiteren Leistungen extrabudgetär ab. Zusätzlich gibt er für die Behandlung aufgrund der TSS-Vermittlung die GOP 07228C (Zusatzpauschale TSS-Terminvermittlung) an. Der Buchstabe „C“ steht hier für einen „TSS-Terminfall“ mit einer Vermittlungsfrist von 9 bis 14 Tagen. Das PVS setzt die durch den Arzt abgerechnete GOP 07228C automatisch in die altersspezifische GOP 07911C (Zusatzpauschale TSS-Terminvermittlung 6.-59. Lebensjahr) mit einer Bewertung von 30 Prozent der Grundpauschale (66 Punkte) um und überträgt diese in die Abrechnung mit der KV. Hinweis: Fallkennzeichnung im PVS nicht vergessen.
  2. Ein vierjähriges Kind wird von der TSS innerhalb von drei Tagen an einen Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie vermittelt, der im Kapitel 18 des EBM abrechnet. Für die Behandlung wird die Grundpauschale 18210 (175 Punkte) angesetzt. Der Zuschlag heißt in diesem Fall 18228B und beläuft sich auf 50 Prozent der Grundpauschale (87 Punkte). Das PVS setzt die GOP 18228B automatisch in die altersspezifisch zutreffende GOP 18910B um.

Wenn Sie dies alles furchtbar bürokratisch finden, kann ich Ihnen nur zustimmen und betonen, dass Ihr Berufsverband dafür nicht verantwortlich ist, sondern sich im Gegenteil grundsätzlich für die Stärkung der Freiberuflichkeit einsetzt. Immerhin jedoch können die Entwicklungen als Einstieg in die Entbudgetierung gewertet werden. Zudem ergeben sich für Chirurgen neben der Budgetbefreiung Zuschläge bis zu 13,80 €/Fall. Dafür ist in Kauf zu nehmen, dass man bei der TSS-Vermittlung keinen Einfluss auf die vermittelten Fälle hat. Darüber hinaus haben die bisherigen Erfahrungen gezeigt, dass viele TSS-Patienten ihre Termine nicht wahrnehmen, ohne abzusagen.

Als weitaus attraktiver dürfte sich in der Zukunft der sogenannte „Hausarzt-Vermittlungsfall“ entwickeln.

Hausarzt-Vermittlungsfall (gilt ab 11. Mai 2019 für den aufnehmenden Facharzt)

Alle Leistungen im Quartal bei einem vom Hausarzt als dringend bewerteten und an den Facharzt vermittelten Fall werden extrabudgetär vergütet. Diese Regelung ist schon jetzt gültig. Die Fälle müssen im PVS entsprechend gekennzeichnet werden. Ab dem 01.09.2019 erhalten die Hausärzte auch einen Honorarzuschlag von 93 Punkten (10,07€) für die erfolgreiche Vermittlung eines Facharzt-Termins binnen vier Kalendertagen. Durch die Frist von vier Tagen ist die Dringlichkeit definiert. Eine Ausweitung der Fallzahl wird durch eine Plausibilitätsschwelle von 15 Prozent der Fälle (beim Hausarzt) definiert. „Erfolgreich“ ist die Vermittlung, wenn es eine Terminvereinbarung gibt, unabhängig davon, ob der Patient den Termin wahrnimmt. Dann kann der Hausarzt seine Pauschale auf jeden Fall abrechnen, der empfangende Chirurg den Fall aber leider nur dann extrabudgetär stellen, wenn der vermittelte Patient den Termin auch tatsächlich wahrnimmt. Es ist nicht festgelegt, wie die Terminvermittlung erfolgen muss. Zum Beispiel ist eine Delegation an eine Medizinische Fachangestellte (MFA) und auch eine (datenschutzrechtlich einwandfreie) Vermittlung über elektronische Medien möglich.

Die Attraktivität der resultierenden extrabudgetären Vergütung ist natürlich abhängig vom Umfang der aus Budget-Gründen nicht vergüteten Leistungen. Dies ist in den einzelnen Fachgruppen und von KV zu KV sehr unterschiedlich. Je höher die über das Regelleistungsvolumina (RLV) hinausgehende Honorar-Anforderung und je geringer die ausgezahlte Rest-Quote ist, desto lohnender ist es, extrabudgetäre Fälle zu generieren. Dazu sollten Sie Ihren Honorar-Bescheid prüfen und ggf. die Beratung Ihres BDC-Regionalvertreters suchen, der sich mit Ihrem KV-spezifischen Honorarverteilungsmaßstab gut auskennt.

 Neupatienten (ab 01.09.2019)

Als neue Patienten gelten alle Patienten, die entweder in der Praxis noch nicht behandelt wurden oder zwei Jahre nicht da waren. Ausnahmen gelten für Neupraxen und bei Gesellschafterwechseln sowie beim Kassenwechsel oder Wechsel aus einem Selektiv-Vertrag. Alle Leistungen im Quartal werden bei Neu-Patienten extrabudgetär vergütet.

 Offene Sprechstunden (ab 01.09.2019)

Jeder Chirurg (sei es auf einem chirurgischen oder einen orthopädischen Vertragsarztsitz) muss ab dem 01.09.2019 entsprechend seinem Versorgungsauftrag pro komplettem Sitz und pro Woche fünf offene Sprechstunden anbieten. Details dazu werden noch im Bundesmantelvertrag festgelegt und sind noch nicht bekannt. Es erfolgt eine Begrenzung auf maximal 17,5 Prozent der im entsprechenden Vorjahresquartal abgerechneten Fälle der Arztpraxis. Die Zeiten der offenen Sprechstunden müssen der zuständigen KV mitgeteilt und veröffentlicht werden. Alle Fälle in der offenen Sprechstunde werden extrabudgetär vergütet.

Zur Markierung der extrabudgetären Fälle muss die Vermittlungsart (Terminservice-Fall/Hausarzt-Vermittlungsfall/Neupatient/Offene Sprechstunde) im PVS hinterlegt werden. Dies wird Software-spezifisch unterschiedlich umgesetzt. Bei Fragen dazu wenden Sie sich bitte an Ihre Hotline.

Fallkonstellation Extrabudgetär Bereinigungs-Zeitraum (in Quartalen) Inkrafttreten Bemerkungen
TSS-Terminfall Ja, plus gestaffelte Zuschläge (s. Tabelle 1) 4/2019 – 3/2020 01.09.2019
TSS-Akutfall Ja, Zuschlag 50 % auf die Grund- und Konsiliarpauschale 1/2020 – 4/2020 Mit Einführung des SmED*, vorauss. ab 01.01.2020 *SmED= Strukturiertes medizinisches Ersteinschätzungs-Verfahren für Deutschland)
Hausarzt-Vermittlungsfall Ja 3/2019 – 2/2020 Mai 2019 im Arztgruppenfall**
Offene Sprechstunde Ja 4/2019 – 3/2020 01.09.2019 im Arztgruppenfall**
Neupatienten Ja 4/2019 – 3/2020 01.09.2019 Begrenzt auf zwei Arztgruppen**

Tab. 2: Übersicht über die Termin-Maßnahmen aus dem TSVG (*SmED = „Strukturiertes medizinisches Ersteinschätzungsverfahren für Deutschland; **Definition s. u.)

Arztgruppenfall – ein neuer Begriff im EBM

Wenn Sie dies schon sehr unübersichtlich und bürokratisch finden, muss ich Ihnen eine weitere Neuerung zumuten, wenn Sie in einer fachübergreifenden BAG tätig sind: Es gibt einen neuen Begriff in der Gebührenordnung, nämlich den „Arztgruppenfall“. Die Zuschläge des TSVG sind nämlich nur einmal im Arztgruppenfall abrechenbar. Der Arztgruppenfall umfasst alle Leistungen, die bei einer der möglichen TSVG-Konstellationen von derselben Arztgruppe in derselben Arztpraxis innerhalb desselben Quartals bei einem Versicherten ambulant zu Lasten derselben Krankenkasse durchgeführt wurden.

Erfolgt die Behandlung in der Arztpraxis durch mehrere Arztgruppen, werden grundsätzlich die Leistungen derjenigen Arztgruppe extrabudgetär vergütet, die den ersten Kontakt zum Versicherten hatte. Das dürfte die Attraktivität für größere Praxen deutlich einschränken. Die Regelung für Neupatienten ist darüber hinaus auf zwei Arztgruppen beschränkt. Weitere Erläuterungen zu den Neuerungen des TSVG finden Sie auch auf der Homepage der KBV.

Wie gewonnen, so zerronnen: Die Bereinigung

Darüber hinaus schwebt über der Budgetbefreiung auch noch das Menetekel der Bereinigung. Wie im Gesetz festgelegt werden für ein Jahr die Leistungen gegengerechnet, welche die Krankenkassen auch bisher schon in der begrenzten („morbiditätsbedingten“) Gesamtvergütung (MGV) bezahlt hatten. Die Bereinigung auf der Arztseite muss gemäß Vorgaben der KBV individuell erfolgen, was in manchen KVen Änderungen der Honorarverteilungs-Regeln erfordert. Details dazu können Ihnen Ihre BDC-Regionalvertreter und die KV-Bezirksstellen erläutern. Grundsätzlich sollten die Neuregelungen des TSVG mit Bedacht und sukzessive in die Praxis-Organisation eingeführt werden, um das Bereinigungsvolumen im ersten Jahr (unterschiedliche Festlegung der Jahresfrist, s. Tabelle 2) nicht zu groß werden zu lassen. Ab 2021 sind alle Steigerungen bei den extrabudgetären Fällen komplett von den Krankenkassen zu finanzieren.

Bei diesen komplizierten Regelungen dürfte sich die Begeisterung der Kolleginnen und Kollegen und der finanzielle Benefit in einem überschaubaren Rahmen halten. Trotzdem eröffnen vor allem die Hausarzt-Vermittlung und die Regelung zu Neu-Patienten Chancen auf zusätzliches Honorar, das man nicht liegen lassen sollte. Wer sich nicht beteiligt wird leider höchstwahrscheinlich zu den Verlierern der Reform gehören, denn das Honorar-Volumen für die Regelleistungsvolumina wird mit Sicherheit schrumpfen. Über die weiteren Entwicklungen werden wir Sie auf dem Laufenden halten.