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Umgang mit Self-Tracking-Daten

Derzeit werden rund 100.000 Gesundheits-Apps für Smartphones, Wearables und Fitness-Tracker angeboten. Ob und wie die hierüber generierten Daten in die Gesundheitsversorgung eingehen können, ist bisher umstritten. Eine vom Bundesgesundheitsministerium geförderte Studie bietet nun eine Bestandsaufnahme und leitet Handlungsmöglichkeiten ab.

Das Institut für medizinische Informatik (PLRI) hat eine vom Bundesgesundheitsministerium (BMG) geförderte Studie zur Bedeutung von Gesundheits-Apps in der Gesundheitsversorgung vorgestellt. Neben einer Bestandsaufnahme der aktuellen Apps geht die Studie mit dem Namen “CHARISMHA” auf qualitative und datenschutzrechtliche Aspekte ein, die einem Dialog zwischen App-Herstellern, Medizinern, Datenschützern und Krankenkassen dienen sollen. Ziel ist es, hieraus konkrete Maßnahmen und Selbstverpflichtungen abzuleiten.

Gröhe will Apps in Versorgung einbeziehen

“Für viele sind Apps heute schon ein Ansporn, sich mehr zu bewegen, sich gesünder zu ernähren – und sie unterstützen z. B. auch bei der regelmäßigen Einnahme von Medikamenten … Doch bei mehr als 100.000 Gesundheits-Apps ist es für Bürger, aber auch für Ärzte nicht einfach, zwischen guten und schlechten Angeboten zu unterscheiden”, sagte Gesundheitsminister Herman Gröhe im Rahmen der Veröffentlichung der Studie. Nötig seien klare Qualitäts- und Sicherheitsstandards für Patienten, medizinisches Personal und App-Hersteller. Apps mit einem “wirklichen Nutzen” für Patienten, so Gröhe, sollten dann Teil der Versorgung werden.

Wichtige Ergebnisse der Studie:

  • Eine Marktanalyse hat ergeben, dass bei den gegenwärtig angebotenen Apps in den Kategorien “Medizin” und “Gesundheit und Wellness” Produkte mit diagnostischem oder therapeutischem Anspruch eher selten sind.
  • Medizinische Apps bieten zahlreiche Anwendungsmöglichkeiten, z. B. für Selbstmanagement und Therapietreue sowie Prävention und Gesundheitsförderung. Umfassende Belege für den Nutzen fehlten jedoch bisher. Allerdings gebe es einzelne Hinweise darauf, dass Apps eine positive Auswirkung auf die Zunahme der körperlichen Aktivität, die Anpassung der Ernährung und die Gewichtskontrolle haben könnten. Die Studie empfiehlt, die weitergehende wissenschaftliche Evaluation von Präventions-Apps sowie Apps zur Diagnostik und Therapie zu fördern, um mehr Evidenz zu schaffen.
  • Die ethische Diskussion zu den Folgen der neuen technologischen Möglichkeiten im Gesundheitsbereich, z.B. zur Abwägung von Privatheit und Transparenz, Autonomie und Kontrolle, müsse vertieft werden. Hier könnten ethische Richtlinien für die Entwicklung, Empfehlung und Nutzung von Gesundheits-Apps sowie Vorgaben, damit Nicht-Nutzern keine Nachteile entstehen, entwickelt werden.
  • Gesundheits-Apps halten die datenschutzrechtlichen Anforderungen häufig nicht ein. Bei der Datenschutzerklärung und der Einholung von Einwilligungen durch die Nutzer fehlt es oft an Transparenz. Soweit Daten im Ausland gespeichert würden, sei die Nutzung nicht dem deutschen Datenschutzrecht unterworfen. Daher empfehlen die Forscher, Datenschutzstandards weiterzuentwickeln und die Aufklärungspflichten zu erweitern.
  • Die bisher existierenden Orientierungshilfen zum Nachweis von Qualität und Vertrauenswürdigkeit konnten sich nicht durchsetzen. Die Studie empfiehlt, Qualitätskriterien zu entwickeln, auf deren Basis Orientierungshilfen für Nutzer erarbeitet werden können.
  • Auch professionelle Nutzer benötigen Orientierung. Leitlinien oder Empfehlungen sowie die Förderung von Strukturen, die es Ärzten, Krankenkassen und weiteren professionellen Nutzern ermöglichen, geeignete Apps auszuwählen, einzusetzen und zu empfehlen, könnten hier helfen.
  • Die bisher vorhandenen Orientierungshilfen für Hersteller sollten im Sinne des Medizinproduktebereichs weitere Informationen zur qualitätsgesicherten Entwicklung und zum Zulassungsverfahren bereitstellen.
  • Die Abgrenzung, welche Apps dem Medizinprodukterecht unterliegen und welche nicht, erweist sich in der Praxis noch als schwierig. Hier weitere Abgrenzungskriterien und eine Verpflichtung der Hersteller zur deutlichen Herausstellung der Zweckbestimmung einer App erarbeitet werden.
  • Es müsse überprüft werden, ob und ggf. wie Apps in die Regelversorgung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) aufgenommen werden sollen. Hierzu sollte auch geklärt werden, ob die Wirksamkeit von Apps in den heute üblichen klinischen Studien evaluiert werden kann oder spezielle Anforderungen formuliert werden müssten.

Zur Studie

Die Studie “Chancen und Risiken von Gesundheits-Apps – CHARISMHA” wurde vom Peter L. Reichertz Institut für medizinische Informatik (PLRI) durchgeführt, einem regionalen Exzellenz-Cluster der Technischen Universität Braunschweig und der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH), an dem multidisziplinär zum Thema Gesundheits-Apps geforscht und publiziert wird. Insgesamt 18 Autoren waren beteiligt. Studienleiter war Dr. med. Urs-Vito Albrecht, stellvertretender Direktor des hannoverschen Standorts des PLRI und geschäftsführender Arzt der Ethikkommission der MHH. Er leitet die multidisziplinäre Forschergruppe PLRI MedAppLab, die sich mit den ethisch-rechtlichen Rahmenbedingungen des medizinischen Einsatzes von Gesundheits-Apps auseinandersetzt. Die Einrichtungen im Gesundheitswesen wurden im Rahmen einer Kommentierung einbezogen. Die Kommentare werden ebenso wie die Studie auf der Studien-Website im Internet (vgl. “Links zum Thema”) veröffentlicht.

Regeln zur Aufnahme in GKV-Regelversorgung

Mit dem E-Health-Gesetz wurde geregelt, dass digitale Anwendungen, die die Versorgung verbessern, auch besser von den Kassen erstattet werden sollen. Zudem werden laut BMG über einen Innovationsfonds Projekte und Forschung mit jährlich 300 Millionen Euro gefördert, die neue Wege in der Versorgung einschlagen. Um zu klaren Regeln für Nutzennachweise und Kostenerstattung für Versorgungsangebote rund um Gesundheits-Apps zu kommen, müsse der Dialog zwischen Herstellern und Krankenkassen nach Vorstellungen des BMG verstärkt werden. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte habe bereits für App-Entwickler eine Orientierungshilfe für die Zulassung von “Medical Apps” entwickelt. Es soll zu einer zentralen Anlaufstelle für Gründer und App-Entwickler in Deutschland weiterentwickelt werden.

Datenschutz und Solidarität bewahren

Laut BMG ist gerade beim Schutz persönlicher Patientendaten die internationale Zusammenarbeit wichtig, denn der Markt der Gesundheits- und Medizin-Apps sei international aufgestellt. Auf EU-Ebene werde hierzu an einem “Code of Conduct” gearbeitet, der sich zu einer Selbstverpflichtung der Hersteller von Gesundheits-Apps in Bezug auf Qualität und Datenschutz entwickeln soll. Zudem müsse sichergestellt werden, dass durch neue Technologien nicht die Solidarität zwischen gesunden und kranken, jungen und alten Menschen in Frage gestellt wird. Das BMG werde hierzu eine Forschungsförderung im Bereich Ethik und Digitalisierung im Gesundheitswesen ausschreiben.

Weiterführende Informationen
Studienbericht: Chancen und Risiken von Gesundheits-Apps (PDF, BMG)
Website zur Studie CHARISMHA
Selbstauskunft per Armband und App: Kassen wollen Daten verwalten
Wearables & Gesundheits-Apps: BMJV + Bitkom warnen vor Datentransfer
Zweifel an Daten aus Fitness-Apps: Kassenaufsicht kritisiert Bonusleistungen
YouGov Studie zum Self-Tracking und zur Datenweitergabe

Quelle: Krankenkassen direkt, Postfach 71 20, 53322 Bornheim, http://www.krankenkassen-direkt.de, 27.04.2016