01.12.2025 Qualitätssicherung
Safety Clip: Fit for Dienst!

Einarbeitung und Dienstfreigabe im Kontext des klinischen Risikomanagements
In Krankenhäusern arbeiten vielfältige Berufsgruppen mit unterschiedlichen Qualifikationen, Erfahrungen und Kompetenzen eng zusammen. Unabhängig von ihrer Vorerfahrung müssen alle neuen Mitarbeitenden in die Organisationsstrukturen, die Prozesse und Besonderheiten der jeweiligen Einrichtung eingearbeitet werden. Ziel einer erfolgreichen Einarbeitung ist die sichere Integration in das bestehende Dienstmodell. Voraussetzung dafür ist, dass definierte Kompetenzen zuverlässig beherrscht werden – erst dann kann die Führungskraft eine „Dienstfreigabe“ erteilen. Nur der dienstreife Arzt bzw. Nicht-Facharzt mit Facharztstand sollte am ärztlichen Dienst teilnehmen.
Der Einarbeitungsprozess sollte systematisch, strukturiert und nachvollziehbar gestaltet sein. So weiß die einzuarbeitende Person, worauf es ankommt, und die Führungskraft kann den Fortschritt transparent dokumentieren.
Üblicherweise existieren fachübergreifende Einarbeitungskonzepte, die allgemeine Informationen zur Einrichtung enthalten und die Kommunikation zwischen neuen Mitarbeitenden und Führungskräften – meist über die Dauer der Probezeit hinweg – strukturieren. Am Ende steht häufig die Entscheidung, ob die Probezeit erfolgreich absolviert wurde. Im ärztlichen Dienst wird zusätzlich der Ausbildungsstand in den persönlichen Logbüchern der Ärztekammern dokumentiert. Beide Modelle lassen jedoch zentrale Aspekte des klinischen Risikomanagements außer Acht, wie zum Beispiel:
- Ist die einzuarbeitende Person fachlich und organisatorisch in der Lage, Dienste zu übernehmen?
- Auf welcher Grundlage trifft die Führungskraft diese Einschätzung?
- Wie kann sie im Zweifel nachweisen, dass die Prüfung ausreichend erfolgt ist?
Um diese Fragen objektiv und gegebenenfalls auch retrospektiv beantworten zu können, empfiehlt sich die Entwicklung eines bereichsspezifischen Einarbeitungskonzepts. Darin sollten alle relevanten Kompetenzen und Tätigkeiten aufgeführt sein, die vor der Übernahme eines Ruf- bzw. Bereitschaftsdienstes sicher beherrscht oder bekannt sein müssen. Dazu zählen beispielsweise:
- Definition der Kernaufgaben,
- Spezifika der Arbeit und des Patientenspektrums der jeweiligen Abteilung,
- Personelle Strukturierung, Räumlichkeiten und Prozessmanagement (z. B. Flowmanagement einer Notaufnahme),
- Ablaufprozesse (z. B. Aufnahme, Diagnostik, Therapiemöglichkeiten, Entlassmanagement),
- Dienststruktur (u. a. Dienstplanmanagement),
- Fortbildungen, insbesondere Pflichtfortbildungen,
- Kenntnisse über medizinische und organisatorische Standvorgehensweisen, sogenannte SOPs,
- Einweisung in medizinische Geräte durch den Medizinproduktebeauftragten,
- Ausbildung in der Akutdiagnostik (u. a. Notfallsonografie, EKG- und Labordiagnostik),
- Teilnahme an Reanimations- oder Simulationstrainings,
- Strahlenschutzunterweisung und Belehrung.
Je nach Fachbereich und Dienstmodell (z. B. Normalstation versus Notaufnahme) variiert der Umfang dieser Anforderungen. In großen Abteilungen mit Facharztpräsenz im Schichtdienst ist der Katalog meist überschaubarer als in kleineren Einrichtungen mit Rufdienstregelungen.
Idealerweise erfolgt die Einarbeitung in den ersten Wochen – sogenannte Einarbeitungswochen – durch einen benannten fachärztlichen Mentor. Die Einarbeitung sollte idealerweise Checklisten-basiert dokumentiert werden. Dabei sollten praktische Handlungskompetenzen in einem dreistufigen Modell erlernt werden:
- Demonstration der Tätigkeit durch die Mentorin bzw. den Mentor,
- Durchführung unter Supervision,
- Selbstständige Ausführung.
Theoretische Kenntnisse bzw. kognitive Kompetenzen können zum Beispiel modular in Form von E-Learning Einheiten parallel zur praktischen Einweisung erworben werden. Die theoretische und praktische Einarbeitung in der jeweiligen Abteilung sollte dabei die Weiterbildungsinhalte des jeweiligen Fachgebietes berücksichtigen. Jede Kompetenz sollte durch Unterschrift der supervidierenden Person bestätigt werden. Diese strukturierte Vorgehensweise bietet der einzuarbeitenden Person eine klare Orientierung, welche Kompetenzen für die ersten Dienste besonders relevant sind. Gleichzeitig ermöglicht sie den Kollegen eine realistische Einschätzung, was die diensthabende Person leisten kann – und wo gegebenenfalls frühzeitig Unterstützung erforderlich ist, etwa in der Zentralen Notaufnahme.
Im Austausch mit der Führungskraft kann diese Dokumentation als Grundlage für die Dienstfreigabe dienen. Zusätzlich sollte ein fachlicher Austausch mit Fach-/Oberärzten erfolgen, um die organisatorische und fachliche Dienstreife der neuen Mitarbeitenden einzustufen (Tab. 1).
Tab. 1: Dienstreifefeststellung des Notfallzentrums der Barmherzigen Brüder Trier (in Anlehnung an das Reifegradmodell von Hersey und Blanchard, 1985)
|
Weiterbildungsassistent |
Fachärztlicher Weiterbilder |
Dienstreifeempfehlung |
|
•hat wenig bis fehlende Fachkompetenz •wenig bis fehlende Motivation •erkennt nicht seine Grenzen |
•muss kontinuierlich anleiten, um Erfolg der Arbeit zu gewährleisten •enge Leistungskontrolle |
Nicht dienstreif: eine Verlängerung der Einarbeitung soll erwogen werden; erneute Beurteilung nach weiteren 2-4 Wochen Einarbeitung |
|
•Motivation ist vorhanden •Kompetenz noch nicht ausreichend •erkennt noch nicht seine Grenzen |
•Meinung von Facharzt wird kontinuierlich eingeholt •notfallmedizinische Entscheidungen werden noch nicht selbständig getroffen |
Eingeschränkt dienstreif: eine Verlängerung der Einarbeitung oder ein Start im Tagdienst kann erwogen werden; erneute Beurteilung nach weiteren 2-4 Wochen Einarbeitung |
|
•vorhandene Fachkompetenz •kann Umsetzung der Aufgaben mitgestalten und eine effiziente fachliche Umsetzung gewähren •erkennt seine Grenzen |
•Assistenzarzt beteiligt sich an den medizinischen Konzepten •notfallmedizinische Entscheidungen werden selbständig getroffen |
Dienstreif: eine Beurteilung erfolgt im Zwischengespräch |
Bei Unsicherheiten kann auch die Einschätzung weiterer Berufsgruppen, zum Beispiel Pflegefachpersonen, hinzugezogen werden.
Sind alle notwendigen Kompetenzen erworben, Pflichtfortbildungen absolviert und die Fachexperten überzeugt, dass die Dienstfähigkeit gegeben ist, folgt ein abschließendes Gespräch mit der einzuarbeitenden Person. Dabei sollte auch ihre eigene Einschätzung zur Dienstübernahme erfragt werden. Besteht beiderseitige Zustimmung, kann die Dienstfreigabe erfolgen und somit die Dienstreife dokumentiert werden.
Der erforderliche Aufbau von Handlungs- und Methodenkompetenz (Abb. 1) für Weiterbildungsassistenten innerhalb des Einarbeitungszeitraums kann nachstehend systematisiert werden.

Abb. 1: Handlungs- und Methodenkompetenz
Im Rahmen der Einarbeitung stellen Honorar- und Belegärzte eine besondere Personengruppe dar. Honorarärzte sind in der Regel erfahrene Fachärzte, deren Einsatz mit höheren Kosten verbunden ist. Die jeweiligen Fachabteilungen legen fest, ob sie innerhalb oder außerhalb der Regelarbeitszeit tätig sind und welche Aufgaben sie übernehmen. Auf dieser Grundlage erfolgt ihre Einweisung in die spezifischen Organisationsstrukturen und Abläufe – eine Dokumentation dieser Einweisung ist empfehlenswert.
Zur Unterstützung bietet sich die Erstellung einer Checkliste an, auf der relevante Themen und Prozesse stichpunktartig aufgeführt sind. Diese dient als Gesprächsleitfaden im Einführungsgespräch und vor dem ersten Dienst. Nach vollständiger Durchsprache wird die Checkliste von beiden Seiten unterzeichnet und archiviert. So lässt sich sicherstellen, dass alle wesentlichen Punkte adressiert wurden und die Honorarkraft entsprechend informiert ist.
Belegärzte arbeiten eigenverantwortlich und nutzen die personellen sowie organisatorischen Ressourcen des Krankenhauses zur Versorgung ihrer Patienten. Sie unterliegen keiner Weisungsbefugnis durch Vorgesetzte. Im Sinne der Patientensicherheit und zur Gewährleistung reibungsloser Abläufe sollte auch hier eine strukturierte Einführung in die jeweiligen Organisationsbereiche und Prozesse erfolgen. Die Benennung eines Mentors oder einer Supervisorin kann dabei helfen, offene Fragen zu klären und Unsicherheiten zu beseitigen. Eine Checkliste kann gezielt auf die relevanten Aspekte hinweisen und lässt sich als Auszug aus einem übergeordneten Einarbeitungskonzept ableiten.
Eine optimale Patientenversorgung setzt unter anderem eine funktionierende Teamarbeit voraus. Dafür ist es essenziell, dass alle Teammitglieder ihre eigenen Aufgaben- und Verantwortungsbereiche sowie die der Kollegen kennen und sicher umsetzen können. Dazu gehört auch, notwendige Kompetenzen zu beherrschen und im Zweifel Unterstützung einzuholen. Eine strukturierte Einarbeitung von Assistenzärzten, die diese Aspekte vermittelt, trägt wesentlich zur Sicherheit der Patienten, der Assistenzärzte und des gesamten Teams bei. Auch die gezielte Einführung von Honorar- und Belegärzten fördert reibungslose Abläufe und eine effektive Zusammenarbeit.
Eine strukturierte und kompetenzbasierte Einarbeitung neuer Mitarbeitender im ärztlichen Dienst ist essenziell für die Patientensicherheit und die Qualität der Versorgung. Die Dienstfreigabe darf erst erfolgen, wenn alle relevanten fachlichen, organisatorischen und praktischen Kompetenzen nachweislich beherrscht werden. Ein bereichsspezifisches Einarbeitungskonzept mit klar definierten Anforderungen, Checklisten und dokumentierten Lernschritten schafft Transparenz und Nachvollziehbarkeit für Führungskräfte und Mitarbeitende. Die Einbindung von Mentoren, interprofessionellen Einschätzungen und modularen Lernformaten unterstützt eine fundierte Bewertung der Dienstreife. Auch für Honorar- und Belegärzte ist eine strukturierte Einführung unerlässlich, um reibungslose Abläufe und Sicherheit im Klinikalltag zu gewährleisten. Insgesamt stärkt ein systematischer Einarbeitungsprozess das klinische Risikomanagement und fördert eine verantwortungsvolle Dienstübernahme.
Literatur
Hersey, Paul, und Kenneth H. Blanchard (1982): Management of Organizational Behavior: Utilizing Human Resources, 4. Auflage. New Jersey/Prentice Hall.

Prof. Dr. med. Guido Michels
Chefarzt des Notfallzentrums
Krankenhaus der Barmherzigen Brüder Trier
Nordallee 1
54292 Trier

Vera Triphaus
Risikoberaterin
GRB Gesellschaft für Risiko-Beratung mbH
Ecclesiastraße 1-4
32758 Detmold
Chirurgie+
Triphaus V, Michels G: Safety Clip: Fit for Dienst! Einarbeitung und Dienstfreigabe im Kontext des klinischen Risikomanagements. Passion Chirurgie. 2025 Dezember; 15(12/IV): Artikel 04_02.
Weitere Artikel zur Patientensicherheit finden Sie auf BDC|Online (www.bdc.de), Rubrik Wissen | Qualität & Patientensicherheit | Safety Clip.
Weitere aktuelle Artikel
16.08.2018 Recht&Versicherung
Kein Maulkorb für den Arzt! Kommunikation und Verhalten nach einem Schadenfall
Die Verunsicherung in der Ärzteschaft ist groß. Hat die Behandlung nicht den gewünschten Erfolg gebracht, hat sich eine Komplikation verwirklicht oder ist es gar zu einem ernsten Zwischenfall mit einem Schaden für den Patienten gekommen, stellt sich für den Arzt die Frage: Was ist jetzt das richtige Verhalten, ohne für mich persönlich, die Praxis oder das Krankenhaus Nachteile zu schaffen?
01.08.2018 Hygiene-Tipp
Hygiene-Tipp: Neue DIN 1946-4 erschienen – RLT-Anlagen
Im Juni 2018 ist die DIN 1946-4 neu erschienen. Sie stellt die grundlegende technische Regel für raumlufttechnische Anlagen in Gebäuden und Räumen des Gesundheitswesens dar.
01.08.2018 Hygiene
329 Millionen Euro für Hygieneprogramm an Kliniken
Die gesetzlichen Krankenkassen haben die Ausstattung von Kliniken mit Hygienepersonal im Zeitraum 2013 bis 2017 mit insgesamt rund 329 Millionen Euro finanziert, weist ein aktueller Bericht des GKV-Spitzenverbandes aus. Grundlage für diese zusätzlichen Gelder, die seit 2013 neben den von den Krankenkassen zu finanzierenden Betriebskosten fließen, ist das noch bis 2023 laufende Hygienesonderprogramm.
25.06.2018 Hygiene-Tipp
Hygiene-Tipp: Einmaltuchspendereimer
Vor 10 bis 15 Jahren wurden von der Industrie Einmaltuchspendereimer auf den Markt gedrückt, die offensichtlich unzureichend erprobt waren. Insbesondere von der Pflege wurden die Produkte begeistert aufgenommen und haben zwischenzeitlich praktisch überall das alte System (offener Eimer mit Desinfektionsmittellösung und Mehrwegtücher) ersetzt.
Lesen Sie PASSION CHIRURGIE!
Die Monatsausgaben der Mitgliederzeitschrift können Sie als eMagazin online lesen.

