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Die Notwendigkeit einer präoperativen Aufklärung des Patienten durch den Chirurgen kann mittlerweile zum Basiswissen im Klinikalltag gezählt werden. In jahrzehntelanger Rechtsprechung hat der Bundesgerichtshof die Anforderungen an die ärztliche Aufklärungspflicht herausgearbeitet. Mag sie auch mitunter als Last betrachtet werden, so darf doch ihre haftungsrechtliche Bedeutung nicht unterschätzt werden.

Eine unzureichende Aufklärung kann alleiniger Anknüpfungspunkt für Schadenersatz- und Schmerzensgeldansprüche sein, selbst wenn die Behandlung unter medizinischen Gesichtspunkten bestens erfolgt ist. Aus haftungspräventiver Sicht ist es deshalb unumgänglich, dass der Chirurg die Anforderungen an die ärztliche Aufklärungspflicht kennt.

Die Aufklärungspflicht ist Thema einer zweiteiligen Serie. Der vorliegende erste Teil befasst sich mit den Grundzügen der chirurgischen Aufklärung. Im zweiten Teil wird es um ihre Besonderheiten gehen.

Aufklärung – warum?

Aus juristischer Sicht leitet sich die Aufklärungspflicht aus dem Charakter medizinischer Eingriffe her:

Jeder Schnitt mit dem Skalpell, jeder Stich mit einer Injektionsnadel, sogar jede Verabreichung eines Medikamentes werden von der Rechtsprechung als Körperverletzung angesehen, auch wenn die Handlungen letztlich der Heilung des Patienten dienen sollen.

Die notwendigerweise zum Klinikalltag gehörenden Körperverletzungen sind nur dann gerechtfertigt und damit sanktionslos, wenn eine wirksame Einwilligung der Patientin/des Patienten vorliegt. Eine freie und selbstbestimmte Entscheidung, dem vorgesehenen Eingriff zuzustimmen oder nicht, kann die Patientin/der Patient aber nur in Kenntnis darüber treffen, worein sie/er einwilligt. Diese Kenntnisse sollen – als Grundlage für eine wirksame Einwilligung – durch die Aufklärung vermittelt werden. Der Patient soll nicht Objekt, sondern Subjekt der Behandlung sein.

Das Aufklärungsgespräch sollte nicht als bloße Last angesehen werden. Vielmehr bietet es die Chance auf eine gute Kommunikation und trägt damit dazu bei, ein Vertrauensverhältnis zwischen Patient/in und Behandler/in aufzubauen. Ein solches wiederum reduziert die Gefahr, dass die Patientin/der Patient bei einem von ihren/seinen Vorstellungen abweichenden Behandlungsverlauf Ansprüche geltend macht.

Aufklärung – worüber?

Die Frage, worüber aufzuklären ist, lässt sich am besten beantworten, indem man sich vor Augen führt, dass der Patientin/dem Patienten vermittelt werden soll, in was sie/er einwilligt. Hieraus ergeben sich allgemein folgende notwendige Inhalte einer ärztlichen Aufklärung:

  • Ergebnis von Untersuchungen, Diagnose, Auswirkungen der Erkrankung
  • Geplante Behandlungsmaßnahme, Zustand nach Behandlung, Alternativen, Erfolgsaussicht
  • Art, Umfang, Dringlichkeit, Schwere, Risiken, Folgen, mögliche Nebenwirkungen des geplanten Eingriffs und Folgen der Nichtbehandlung

Die konkrete Frage, über welche mit dem geplanten Eingriff verbundenen Risiken aufzuklären ist, lässt sich mit den von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien klären.

Es ist über Risiken aufzuklären,

  • die mit dem Eingriff spezifisch verbunden sind und
  • die auch für den verständigen Laien überraschend sind und
  • deren Eintritt sich auf die beruflichen und privaten Lebensumstände der Patientin/des Patienten besonders belastend auswirken würde.

Sind diese drei Kriterien erfüllt, gilt die Aufklärungspflicht auch für, statistisch gesehen, äußerst unwahrscheinliche Risiken.

Beispiel:

„Die Notwendigkeit zur Aufklärung über die Gefahr, dass der Impfling aufgrund der Impfung mit lebenden Polio-Viren an einer spinalen Kinderlähmung erkrankt, entfällt nicht deshalb, weil es sich um eine äußerst seltene Folge der Impfung handelt (1 : 4,4 Mio.)“ (Bundesgerichtshof vom 15.02.2000, VI ZR 48/99, VersR 2000, 725).

Beispiele zu aufklärungspflichtigen Risiken:

  • Parese des Nervus recurrens bei einer Schilddrüsenoperation
  • Lähmung des Nervus accessorius mit Lähmung der Schultermuskulatur bei einer Lymphknotenexstirpation
  • Bleibende Inkontinenz bei einer Analfistelentfernung

Aufklärung – wie?

Die Patientin/der Patient soll ein allgemeines Bild von der Schwere und Beschaffenheit der konkreten Risiken erhalten. Ausreichend ist eine Aufklärung „im Großen und Ganzen“. Deshalb muss kein medizinisches Detailwissen vermittelt werden. Ausreichend ist eine allgemeine Vorstellung von dem Schweregrad des bevorstehenden Eingriffs, von den Belastungen und von den Risiken, denen sich die Patientin/der Patient bei der Behandlung ausgesetzt sieht. Auf der anderen Seite dürfen die Risiken durch unangemessene Formulierungen nicht verharmlost werden.

Beispiel: Vor einer offenen Biopsie des Brustwirbelkörpers war der Patient über die Risiken von „Nervschädigungen“, „Muskelfunktionsstörungen“ und „Gefühlsstörungen“ aufgeklärt worden. In der Folge des Eingriffs erlitt der Patient eine schlaffe Lähmung. Nach Ansicht des Gerichts war die ärztliche Aufklärung unzureichend, da sie verharmlosend und bagatellisierend formuliert gewesen sei. Die bei der Aufklärung konkret verwandten Begriffe hätten eine weit geringere Signalwirkung als der Begriff „Lähmung“, der den Patienten eher hätte aufhorchen lassen und der ihn eher veranlasst hätte nachzudenken und gegebenenfalls nachzufragen (OLG Naumburg vom 21.05.2007 – MDR 2008, 26).

Die Aufklärung hat in einem vertrauensvollen Gespräch, also mündlich, zu erfolgen. Eine ausschließlich schriftliche Aufklärung ist unzureichend. Die Anforderungen an die Aufklärung sind umso höher, je weniger dringlich ein Eingriff ist. Bei einem Eingriff aus ästhetischen Gründen ohne medizinische Indikation sind die Anforderungen demnach am höchsten. Die Aufklärung hat dann „schonungslos“ zu erfolgen.

Aufklärung – wann?

Der Zeitraum zwischen Aufklärung und Eingriff darf nicht so kurz sein, dass bei der Patientin/dem Patienten der Eindruck entstehen kann, sie/er könne sich aus dem in Gang gesetzten Geschehensablauf nicht mehr lösen. Die Patientin/der Patient muss den Entschluss zur Operation in Ruhe überdenken können und darf mit dem Problem nicht „überfallen“ werden. Sie/er muss noch Gelegenheit haben, zwischen Aufklärung und Eingriff das Für und Wider des ärztlichen Vorgehens zu erfassen.

Ambulante Eingriffe:

Bei „normalen ambulanten Eingriffen“ wird die Aufklärung am Tag des Eingriffs grundsätzlich als ausreichend erachtet (z.B. bei einer Myelographie oder einer Karpaltunnelsyndrom-Operation; nicht aber bei einer ambulanten Sterilisation). Auch hier muss die Patientin/der Patient noch ausreichend Gelegenheit zum Überlegen und zur Entscheidung haben.

Stationäre Eingriffe:

Wird die Entscheidung zur Operation mit entsprechender Terminvergabe bereits anlässlich eines Termins vor der stationären Aufnahme getroffen, hat die Aufklärung ebenfalls zu diesem Zeitpunkt zu erfolgen. Befindet sich die Patientin/der Patient bereits auf Station, darf die Aufklärung grundsätzlich nicht später als am Tage vor dem Eingriff erfolgen.

Aufklärung – Beweislast

Begehrt eine Patientin/ein Patient Schadenersatz aufgrund eines ärztlichen Behandlungsfehlers, hat sie/er alle Voraussetzungen für diesen Anspruch zu beweisen. Anders verhält es sich bei der Frage der ordnungsgemäßen Aufklärung. Ob die Patienteneinwilligung auf einer ausreichenden Aufklärung beruht, hat die Ärztin/der Arzt zu beweisen. Dies ist mit ein Grund dafür, warum Einwände wegen unzureichender Aufklärung insbesondere von anwaltlich vertretenen Patienten immer öfter erhoben werden.

Bewiesen werden muss stets, dass ein Aufklärungsgespräch stattgefunden hat und welchen Inhalt dieses hatte. Ein unterschriebener Aufklärungsbogen allein ist noch kein sicherer Beweis, dass auch ein Gespräch stattgefunden hat. Aus dem Aufklärungsbogen sollten sich deshalb noch weitere Indizien für eine Gesprächsführung ergeben.

Einige Tipps:

  • Formular nur als Checkliste für das Gespräch nutzen,
  • besondere Risiken handschriftlich ergänzen,
  • im Formular enthaltene Grafiken nutzen bzw. ergänzen,
  • gegebenenfalls selbst Zeichnungen anfertigen,
  • Uhrzeiten vom Anfang und vom Ende des Gesprächs notieren,
  • individuelle Besonderheiten des Patienten notieren.
  • Bei derart genutzten Aufklärungsbögen dürfte einer/einem beklagten Ärztin/Arzt der Beweis gelingen, wie das nachfolgende Urteil zeigt.

„Gerade die Tatsache, dass die allgemein gehaltenen vorgedruckten Hinweise des Aufklärungsbogens durch die von der Beklagten gefertigten handschriftlichen Zusätze ergänzt worden sind und der Operationsverlauf anhand von Zeichnungen erläutert wurde, spricht für eine Aufklärung des Patienten über die aufgeführten Risiken.

… für die Behauptung der Klägerin, ein Gespräch über etwaige Risiken oder die Gefährlichkeit der Operation habe nicht stattgefunden, gibt es keine Anhaltspunkte“ (OLG Nürnberg vom 29.05.2000, VersR 2000, 29).

Unterlassene Aufklärung – Folge?

Eine unzureichende Aufklärung allein führt noch nicht zur Haftung. Erst wenn der ohne wirksame Einwilligung erfolgte Eingriff zusätzliche Gesundheitsschäden hervorruft, kann ein Anspruch des Patienten auf Schadenersatz und Schmerzensgeld bestehen.

Risikomanagement

Es gehört zu den Organisationspflichten im Medizinbetrieb, für eine Struktur zu sorgen, die das Vornehmen einer ordnungsgemäßen Aufklärung sicherstellt. Dabei ist u.a. auf Folgendes zu achten:

  • Die Ärzte haben Kenntnis über die Grundzüge der ärztlichen Aufklärungspflicht.
  • Es ist sichergestellt, dass die Aufklärung in einem Gespräch erfolgt.
  • Die Verwendung von vorgefertigten Aufklärungsbögen ist sinnvoll. Liegen für alle Eingriffe aktuelle Versionen vor?
  • Werden selbsterstellte Bögen verwendet, müssen alle spezifisch mit dem Eingriff verbundenen Risiken darin aufgeführt werden.
  • Zwischen Aufklärung und Eingriff ist ein ausreichender zeitlicher Abstand zu gewährleisten. Die Uhrzeit der Aufklärung wird dokumentiert.
  • Vor einer Operation überprüft der Operateur immer, ob eine Aufklärung erfolgt ist.

Jaklin J. Safety Clip: Chirurgische Aufklärung: Teil 1. Passion Chirurgie. 2012 Oktober; 2(10): Artikel 03_04.

Autor des Artikels

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Johannes Jaklin

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