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In der Vergangenheit und zum Teil bis heute sind viele deutsche Notaufnahmen monodisziplinär organisiert. Aber das Thema „Zentrale Notaufnahme“ ist inzwischen in aller Munde, spätestens seit der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) im April 2018 ein gestuftes System von Notfallstrukturen in Krankenhäusern beschlossen hat. [1] Mit dem G-BA-Beschluss kommt nun jedes Krankenhaus, das weiterhin in der Notfallversorgung mitwirken möchte, nicht mehr um die Implementierung einer interdisziplinären, zentralen Notaufnahme herum. Allerdings: Eine „Zentrale Notaufnahme“ ausgewiesen zu haben, bedeutet noch lange nicht, tatsächlich auch eine zentrale, interdisziplinäre Notaufnahme zu führen.

Eine Bestandsaufnahme zu Theorie, gelebter Praxis und Schritten zur möglichen Umsetzung.

Die Theorie – Begrifflichkeiten

Die monodisziplinäre Notaufnahme: Bei der monodisziplinären Form der Notaufnahme wird für jede medizinische Fachdisziplin eine eigene Notaufnahme vorgehalten. [2] Es gibt also einen Versorgungsbereich für die chirurgischen Notfälle, einen für die internistischen Notfälle und so weiter. Häufig sind diese Versorgungsbereiche in einem Krankenhaus nicht nur organisatorisch, sondern auch räumlich deutlich voneinander getrennt. So kann die internistische Notaufnahme an einem Ende des Krankenhauses sein und die chirurgische Notaufnahme am entgegengesetzten.

Die interdisziplinäre Notaufnahme: In der interdisziplinären Notaufnahme werden verschiedene medizinische Fachbereiche in einer zentral geführten und zusammengeschlossenen Einheit vorgehalten. [3] Es gibt in dieser Organisationsform eine zentrale Anlaufstelle, in der alle Patienten behandelt werden, egal zu welchem medizinischen Fachgebiet ihre Krankheit gehört. So arbeiten hier zum Beispiel die Internisten Hand in Hand mit den Chirurgen, Neurologen oder den Urologen. Die Zuordnung einer Patientin oder eines Patienten zu der entsprechenden medizinischen Fachdisziplin erfolgt ohne zeitverzögernde konsiliarische Untersuchungen. Ein weiterer Vorteil ist, dass das Krankenhaus in dieser Struktur nur einen Notaufnahmebereich vorweisen und nicht mehrere einzelne Notaufnahmen mit räumlichen, materiellen und personellen Ressourcen ausstatten muss. Das Krankenhaus kann seine technischen, personellen und materiellen Mittel optimiert in einem Bereich organisieren. Die Behandlung von multimorbiden Patienten läuft flüssiger und strukturierter ab. [4]

Die gelebte Praxis

Betrachten wir nun die gelebte Praxis, sieht diese wie folgt aus: Aus „zwei wurde eins“ gemacht. Chirurgische und konservative Notaufnahmebereiche wurden räumlich zusammengelegt und werden formell organisatorisch als eine gemeinsame Einheit geführt. Eine tatsächliche Interdisziplinarität ist jedoch selten vorzufinden. Zwar findet die Versorgung mittlerweile in gemeinsamen Räumlichkeiten statt, jedoch leben die bisherigen räumlichen Grenzen intern, als „Schattengrenzen“, weiter. In den meisten solcher „Zentralen Notaufnahmen“ gibt es immer noch eine chirurgische und eine internistische Aufteilung beim Personal und in den genutzten Behandlungsräumen.

Dies ist auch in vielen Fällen unvermeidlich. Gerade in der Pflege werden in einer echten Zentralen Notaufnahme oft die „Allrounder“ verlangt: die Pflegekräfte, die sowohl Patienten mit konservativen als auch mit chirurgischen Krankheitsbildern versorgen können. Da jedoch die Krankheitsbilder und entsprechend die Versorgungen immer komplexer werden, ist es nicht möglich, in allen Fachbereichen eine Expertise zu bilden. Im Einzelfall kann der Einsatz eines „Allrounders“ – aufgrund der gewünschten Quantität an breitem Fachwissen – zu einer verschlechterten Qualität in der Versorgung spezifischer Krankheitsbilder führen. Wichtig ist deshalb, Behandlungsprozesse interdisziplinär und interprofessionell zu organisieren. Dies kann zum Beispiel durch gemeinsam erstellte Standard Operating Procedures (SOPs) erfolgen, die eine ganzheitliche Betrachtung des Patienten ermöglichen. SOPs müssen zwischen den einzelnen Fachabteilungen und interprofessionell abgestimmt werden, damit die einzelnen Expertisen und Behandlungsschritte wie Zahnräder ineinandergreifen. Der Patient mit nur einer Erkrankung ist mittlerweile sehr selten geworden. Immer mehr multimorbide Patienten sind zu betreuen. Das macht eine allgemeine, fachabteilungsunabhängige, ganzheitliche Betrachtung des Patientenzustandes notwendig.

Die Umsetzung – praktische Schritte

Für viele stellt sich nun die Frage: „Wie schaffen wir es, eine funktionierende Zentrale Notaufnahme zu führen?“ Dies ist – neben der räumlichen Gestaltung eines zentralen Notaufnahmebereichs – durch verschiedene organisatorische und prozessuale Schritte möglich. Zunächst müssen, am besten mithilfe eines Organigramms, die Zuständigkeiten innerhalb der Notaufnahme geklärt werden.

Die Zentrale Notaufnahme ist der Bereich des Krankenhauses mit den meisten Schnittstellen: Jede Fachabteilung hat eine Verbindung mit der Notaufnahme und dementsprechend möchte auch jeder etwas zu sagen haben. Durch festgelegte Zuständigkeiten und Kompetenzen ist es möglich, dass es hier nicht zu einem „Kompetenzgerangel“ untereinander kommt.

Die Zentrale Notaufnahme benötigt eine eigenständige, fachlich unabhängige Leitung. [5] Dies ist nicht nur aufgrund der G-BA-Vorgaben wichtig, sondern stellt eine wichtige Komponente in der Interdisziplinarität dar. Bei der fachlich unabhängigen Leitung handelt es sich um eine Person, die nicht in einem Abhängigkeitsverhältnis mit einer Fachabteilung steht. Hierdurch ist die Person in der Lage, die Notaufnahme nach interdisziplinärem Modell zu organisieren, ohne zum Beispiel durch den Leiter ihrer Fachabteilung beeinflusst zu werden.

Weitere Schritte zu einer interdisziplinären Notaufnahme sind die bereits erwähnten interdisziplinären und interprofessionellen SOPs sowie eine „Belegungshoheit“ der Behandlungszimmer durch die Pflege. So kann gewährleistet werden, dass Patienten entsprechend der Behandlungsdringlichkeit und nicht wegen der fachlichen Zuteilung in die Behandlungszimmer verteilt werden. Weiterhin förderlich ist eine administrative Aufnahme des jeweiligen Patienten als „Notfallpatient“ und nicht als Patient einer Fachabteilung. So wird gewährleistet, dass der Patient während der Behandlung in der Notaufnahme nicht direkt als Patient einer bestimmten Fachabteilung angesehen wird. Das Personal der Notaufnahme ist hierdurch nicht verleitet, den Patienten nur mit dem „Tunnelblick“ einer Fachabteilung anzusehen, sondern es betrachtet den Patienten weiterhin ganzheitlich aufgrund einer fachlich ungebundenen Symptomlage. Nach der Versorgung in der Notaufnahme wird der jeweilige Patient dann der passenden Fachabteilung zugeordnet.

Dies sind nur wenige von vielen notwendigen Maßnahmen, um eine Zentrale Notaufnahme zu implementieren. Der Weg kann sich zunächst als sehr steinig erweisen. Der Benefit für die Patientenversorgung rechtfertig jedoch diese Mühen.

Fazit: Gefahren reduzieren sich

Patienten werden in dem Modell der Zentralen Notaufnahme ganzheitlich betrachtet und die Gefahr des „übersehenen“ Krankheitsbildes reduziert sich. Zusätzlich erreiche ich bei gut aufeinander abgestimmten Behandlungsprozessen eine optimierte, umfangreichere und trotzdem schnellere Patientenversorgung in der Notaufnahme. Zeitaufwändige Konsilanforderungen und unnötige Transporte der Patienten zwischen den Fachabteilungen gehören hier der Vergangenheit an. Eine zentrale Anlaufstelle für „fußläufige“ Patienten sowie den Rettungsdienst erleichtert es zudem, denjenigen schnelle Hilfe zukommen zu lassen, die schnelle Hilfe benötigen.

Festzuhalten ist: Eine zentrale Versorgungseinheit einzurichten, um die ganzheitliche Patientenversorgung in der Notaufnahme zu optimieren und sicherzustellen, ist der richtige Weg zu einer höheren Patientensicherheit. Jedoch muss dieser Weg auch bis zum Ende gegangen werden.

Literatur

[1] Beschluss vom 9. April 2018 gemäß § 136c Absatz 4 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V).

[2] Bonk, Siebert, Seekamp, Hoffmann, 2009, S. 445-454.

[3] Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin e.V., 2006, S. 5 ff.

[4] Schellein, Ludwig-Pistor, Bremerich, 2009, S. 163-170; Bonk, Siebert, Seekamp, Hoffmann, 2009, S. 445-454.

[5] G-BA-Beschluss zu einem gestuften System von Notfallstrukturen in Krankenhäusern gemäß § 136c Absatz 4 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V).

Meilwes F: Safety Clip: Aus Zwei mach Eins – Von der monodisziplinären Notaufnahme hin zur Zentralen Notaufnahme. Passion Chirurgie. 2019 Oktober, 9(10): Artikel 04_06.

Autor des Artikels

Profilbild von Frederik Meilwes

Frederik Meilwes

Master of Health Business Administration (MHBA)Master in Health and Medical Management (MHMM)Vertriebsleitung/Berater der GRB Gesellschaft für Risiko-Beratung mbHEcclesiastraße 1 – 432758Detmold kontaktieren

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