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Der Wert der ärztlichen Freiberuflichkeit ist vielen – auch Ärzten – nicht mehr präsent. Fragen von Werten und Ethik sind Kernaufgaben des Kammersystems. Was planen Sie konkret, um Grundlagen, Bedeutung und Notwendigkeit von ärztlicher Freiberuflichkeit bei allen Ärzten und in der Gesellschaft wieder stärker ins Bewusstsein zu rufen?

Reinhardt: Es ist die Freiberuflichkeit, die die Grundlage unserer beruflichen Unabhängigkeit im Sinne der Therapiefreiheit, des Arztgeheimnisses und des besonderen Schutzstatus des Arzt-Patienten-Verhältnisses darstellt. Auch das Privileg der ärztlichen Selbstverwaltung ist daran gebunden. Diese Zusammenhänge und deren Wert für uns, aber gerade auch für unsere Patienten haben wir in der berufspolitischen Arbeit in den vergangenen zwei Jahrzehnten zu wenig betont. Im gesellschaftlichen Diskurs zu dem Thema müssen wir unterstreichen, dass es der Status des Freiberuflers ist, der uns in die Lage versetzt, uns schützend vor unsere Patienten zu stellen, wann immer es erforderlich ist. Innerärztlich müssen wir die Vermittlung des Wissens um diese Zusammenhänge zum festen Bestandteil der ärztlichen Ausbildung machen. Es ist ein integraler Bestandteil der ärztlichen Kultur und unseres Selbstverständnisses.

Lundershausen: Die Definition ärztlicher Werte und die ethische Auffassung von Ärzten sind hervorragend in der modernen Überarbeitung des Eides des Hippokrates und der ärztlichen Berufsordnung verfasst. Hier bedarf es keiner Neudefinition. Vielmehr müssen diese Werte stärker vermittelt und gelebt werden. Die Bundesärztekammer muss sich dieser Aufgabe widmen und in einer modernen Sprache diese Werte an die Ärzteschaft weitergeben. Hier helfen unterschiedliche Auffassungen verschiedener Kammerbereiche nicht. Unsere medizinischen Wertevorstellungen können aber auch nur gelebt werden, soweit diese nicht durch zunehmenden Wirtschaftsdruck in Krankenhäusern und Praxen zunichte gemacht werden. Konkret heißt das, dass der ärztliche Einfluss wieder mehr Raum bekommen muss. Mit dem Leid von Menschen kann ebenso wenig Profit gemacht werden wie es keinen Wettbewerb um Krankheit geben kann. Der Sinn der Freiberuflichkeit liegt in freier Berufsausübung außerhalb eines Spannungsfeldes zwischen Ethik und starren wirtschaftlichen Vorgaben.

Gitter: Der Arztberuf ist ein Freier Beruf – in allen Arbeitsverhältnissen. Hierüber muss laufend inner- und außerärztlich informiert werden. Zudem müssen alle übergriffigen Regelungen, die in die Freiberuflichkeit und damit in das Patienten-Arztverhältnis eingreifen und auch solche, die in die ärztliche Selbstverwaltung insbesondere der Kammern eingreifen, deutlich als unzulässig adressiert werden. Um aber Übergriffe zukünftig zu minimieren, müssen proaktiv die wichtigsten Felder angegangen werden: Sektordurchlässige Behandlung ausschließlich nach dem Bedarf der Patienten muss unbürokratisch möglich werden, und zwar so, dass die verantwortlichen Fachärzte/innen unabhängig und möglichst auch wirtschaftlich freiberuflich agieren können. Wir haben mehrere Beschlusspapiere der Deutschen Ärztetage dazu, die dringend in konsensfähige Eckpunkte für neue Regelungen gegossen werden müssen. Nur wirklich unabhängige Ärztinnen und Ärzte können selbstbewusst und frei agieren zum Wohle ihrer Patienten. Dazu gehört auch eine entsprechende leistungsorientierte Vergütung ohne Fehlplatzierung des Morbiditätsrisikos bei den Ärztinnen und Ärzten. Wichtig sind auch die Themen Entlastung von unnötigen – vor allem bürokratischen – Aufgaben (Misstrauensbürokratie) und Qualitätssicherungsmaßnahmen die keine sind, sondern nur Mangel verwalten sollen oder unangemessene Kostenkontrollen steuern (besser Nutzung und Bündelung der vorhandenen Gremien der Ärzteschaft, die sich mit QS befassen), damit Ärztinnen und Ärzte wieder mehr Zeit für die Kommunikation und Zuwendung mit / zu ihren Patienten haben.

Wenker: Der Arztberuf ist seiner Natur nach ein freier Beruf und kein Gewerbe – diese Feststellung in der Bundesärzteordnung ist aktueller denn je. Einen freien Beruf auszuüben bedeutet mehr als freiberufliche Tätigkeit im Sinne des Steuerrechts. Auch angestellte Ärzte im Krankenhaus und in MVZ sind freiberuflich tätig. Charakteristika eines freien Berufs wie Professionalität, Gemeinwohlverpflichtung, Selbstkontrolle und Eigenverantwortlichkeit sind kein Selbstzweck, sondern dienen einer von Weisungen und Einflussnahmen Dritter unabhängigen Berufsausübung. Hierauf vertrauen Patienten und erwarten zu Recht eine persönliche Behandlung durch einen Arzt ihrer Wahl. Dies bedeutet konkret für den Vorstand der Bundesärztekammer, sich auch zukünftig in Gesetzgebungsvorhaben für eine unabhängige und freie Berufsausübung einzusetzen, wie beispielhaft in der Neufassung des § 135c SGB V geschehen mit Ausschluss rein ökonomischer Zielvereinbarungen in Verträgen mit leitenden Ärzten zur Sicherung der Unabhängigkeit medizinischer Entscheidungen. Ganz aktuell gilt es, unter dem Primat des Erhalts der ärztlichen Freiberuflichkeit die MVZ-Regelungen des TSVG konstruktiv-kritisch zu bewerten und Lösungsvorschläge zu erarbeiten, damit Privat Equity-Fonds keinen maßgeblichen Einfluss auf die ärztliche Tätigkeit als solche gewinnen.

Quitterer: Das ist richtig, dabei bedeutet der Begriff Freiberuflichkeit die Unabhängigkeit ärztlicher Entscheidung in der Gesundheitsversorgung unserer Patienten: frei nach medizinischen, ethischen und erfahrungsgebundenen Gesichtspunkten, frei von wirtschaftlichen und ökonomischen Interessen. Selbstverständlich ist es Aufgabe des ärztlichen Kammersystems unsere Profession und damit die Freiberuflichkeit des Arztes zu verteidigen. Unabhängig davon, wo wir tätig sind, denn auch der angestellte Arzt ist eine Freier Beruf und in seinen ärztlichen Entscheidungen weisungsfrei. Ich möchte unsere Profession wieder stärker ins Bewusstsein sowohl im eignen Berufsstand wie auch bei Bevölkerung und Politik bringen, indem ich die Profession selber lebe. In der Patientenversorgung, im öffentlichen Auftreten und in meiner Argumentation. Wir Ärzte sind die Versorger unserer Patienten, wir tragen die Verantwortung für Ihre Gesundheit und auch das Risiko, wenn Krankheit nicht mehr heilbar ist. Wir begleiten in allen Gesundheitsfragen bis hin zum Sterben.

Jonitz: Durch Aufklärung und politische Arbeit: Der freie Beruf des Arztes ist das Privileg der Patientinnen und Patienten. Diese haben einen Anspruch darauf, dass der behandelnde Arzt/die behandelnde Ärztin frei ist in seinen/ihren Entscheidungen und nur auf das Wohl des anvertrauten Patienten fokussiert. Die Freiberuflichkeit ist die effizienteste und effektivste Form ärztlich zu arbeiten. Menschen machen Menschen gesund, nicht Technologien. Das muss transparent gemacht werden. Freiberuflichkeit ist außerdem Wertschöpfung und schafft Arbeitsplätze im Inland und auch in strukturschwachen Regionen. Erträge aus Freiberuflichkeit bleiben ebenfalls im Inland. Auch das sollte besser dargelegt werden. Wir müssen unsere Rolle im 21. Jhdt. neu definieren. Unsere Medizin, unsere Patienten und unsere Rahmenbedingungen haben sich z. T. dramatisch verändert. Da können wir nicht einfach weitermachen wie bisher. An Beispielen aus der Schweiz, Großbritannien und den USA darf gelernt werden.
Unsere Selbstbestimmung müssen wir uns zurück erkämpfen. Die Ärzteschaft ist politisch in die Defensive geraten. Bürokratische Fremdbestimmung und sinnlose Vorgaben erschweren unsere Arbeit. Diese Hindernisse müssen transparent gemacht und es muss aufgezeigt werden, woher die meisten dieser Probleme kommen, nämlich von einer fehlgeleiteten Politik. Wir müssen den Spieß umdrehen.

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Quelle: NAV-Virchow-Bund, Verband der niedergelassenen Ärzte Deutschlands e.V., Chausseestraße 119b, 10115 Berlin, http://www.nav-virchowbund.de, 16.04.2019

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