01.05.2014 Qualitätssicherung
Patientensicherheit im Fokus

Als Chirurg und als Chirurgin hat man das Privileg der besonderen Nähe zum Patienten und der Unmittelbarkeit des eigenen Wirkens. Bei Erfolg und beim Misslingen einer Operation lassen sich Täter, Tatort und Tatzeit eindeutig definieren. Insoweit unterstehen alle operativen Fächer einer besonderen Beobachtung. Dies ist im Grunde nach nichts Neues und wir üben diesen Beruf gerade aufgrund dieser Verantwortung so gerne aus und stellen uns den Herausforderungen täglich neu. Diese haben sich in den letzten 15 bis 20 Jahren entscheidend gewandelt.
- Die Medizin hat sich geändert.
Aufgrund neuer medizinischer Verfahren, wie beispielsweise die minimal-invasive Chirurgie aber auch im Bereich Pharmakotherapie, können wir Krankheiten behandeln, die noch vor wenigen Jahren ein sicheres Todesurteil gewesen sind. Insbesondere bei Eingriffen an älteren Patienten und Risikopatienten kommt das zum Tragen. Für die innere Medizin sei die Behandlung von Diabetes mellitus genannt. Halle Berry zum Beispiel wurde zur „Sexiest-Woman-Alive“ ernannt, ist u. a. Oscarpreisträgerin und hat als 42-jährige erstmalig ein Kind zur Welt gebracht – ein erfolgreiches Leben, das sie mit der insulinpflichtigen Krankheit Diabetes Typ 1 führen kann! Für uns ist das mittlerweile selbstverständlich, vor wenigen Jahrzehnten war das noch undenkbar. - Die Patienten haben sich verändert.
Mit der Leistungsfähigkeit der Medizin können wir Patientengruppen behandeln, die früher das Trauma eines Eingriffes oder auch eine intensivmedizinische Behandlung nicht überstanden hätten. Die Großmutter des Verfassers ist in den 70iger Jahren an einer damals nicht operablen Schenkelhalsfraktur als über 80-jährige gestorben. Ihr Ehemann, mit dem sie mehr als 60 Jahre lang verheiratet war, wollte ohne sie auch nicht mehr leben und starb eine Stunde früher als seine Ehefrau zu Hause. Mittlerweile gehört die Hüftgelenksendoprothese bei Schenkelhalsfraktur zu einer der häufigsten unfallchirurgischen Eingriffe. - Die Rahmenbedingungen haben sich verändert.
Nach 40 Jahren Kostendämpfungspolitik und Bürokratisierung der Patientenversorgung ist diese für den Versicherten teurer geworden. Die Versichertenbeiträge sind gestiegen. Die Versorgungsbedingungen haben sich verschlechtert. Fachkräftemangel und Überfrachtung ärztlichen und pflegerischen Alltags sind mittlerweile Alltag in Deutschland.
Im Ergebnis steht unsere hochleistungsfähige Medizin einerseits komplexer werdenden Strukturen und Prozessen der Patientenbehandlung gegenüber. Andererseits kippt das Verhältnis von medizinischer Leistungsfähigkeit und den zur Verfügung stehenden Ressourcen: Immer mehr soll mit immer weniger Mitteln erbracht werden. Dass sich das auch auf die Patientensicherheit auswirkt, dürfte klar sein.
Die frohe Botschaft ist: Wir sind nicht wehrlose Opfer widriger Umstände, sondern wir alle können etwas tun, sogar mit vergleichsweise wenig Aufwand. Um Patientinnen und Patienten sicherer versorgen zu können, braucht es – wie bei allen anderen Herausforderungen in der Medizin – das richtige Wissen und eine sicherheitssensible Haltung.
Wir wissen, dass sich über 80 Prozent aller unerwünschten Ereignisse auf Organisations- und Kommunikationsmängel zurückführen lassen und nicht dem individuellen Versagen eines einzelnen Arztes oder einer einzelnen Pflegekraft geschuldet sind. Die Frage „WER war schuld?“, gibt uns deshalb nur einen kleinen Anteil der Antworten preis, die wir brauchen um Versorgung sicherer zu gestalten. Zu fragen „WAS war schuld?“ ist ausschlaggebend und führt uns zu den Aspekten und Ursachenzusammenhängen, die das Versorgungsgeschehen heute ausmachen. Wo sind die Schwachpunkte beim Übergang von einem Behandlungssetting in den nächsten? Wie können Schnittstellen sicherer gestaltet, Informationstransfers optimiert werden? Welche Faktoren steigern die Compliance bei der Händehygiene? Wie motiviere ich meine Kollegen und Mitarbeiter über suboptimale Abläufe zu sprechen und aktiv zur Verbesserung beizutragen?
Diese und andere Fragen tragen nachhaltig zur Steigerung der Patientensicherheit bei, weil sie eine Wachheit gegenüber potentiellen bzw. tatsächlichen Fehlerquellen produzieren. Diese Bereitschaft, sich multifaktoriell mit Schwachstellen auseinanderzusetzen ist Kern einer Sicherheitskultur, die aufrichtig und offen mit den Dingen umgeht, die passieren können, eigentlich nicht hätten passieren sollen und sich nicht wiederholen dürfen.
Inzwischen haben wir konkrete Verfahren, Methoden und Instrumente um die Versorgung sicherer zu machen. Ein Beispiel sind Fehlerlernsysteme, neulateinisch CIRS (Critical Incident Reporting Systems) genannt. In fast allen Krankenhäusern gibt es Möglichkeiten, unerwünschte Ereignisse oder Fehler anonym zu melden und sie damit einer hausinternen, aber auch krankenhausübergreifenden Auswertung zur Verfügung zu stellen. Wichtig ist, dass nicht nur Beinahe-Schäden oder Fehler gemeldet werden, sondern vor allem zeitnah Maßnahmen getroffen werden, um Fehlerhandlungen zu vermeiden. Ein gutes Beispiel für so ein Lernsystem ist das CIRS-medical.de, ein internetbasiertes deutschlandweit erreichbares Angebot. Auch die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie ist aktiv mit einer eigenen Gruppe in diesem CIRS-Netzwerk vertreten (www.cirs-medical.de ).
Neben der Nutzung von Fehlerlernsystemen gibt es zahlreiche Maßnahmen und Schulungsmöglichkeiten, wie z. B. zur Root Cause Analysis, sowie spezifische Handlungsempfehlungen zur Steigerung der Patientensicherheit, die u. a. über die Homepage des Aktionsbündnisses Patientensicherheit e.V. (APS) heruntergeladen werden können (http://www.aktionsbuendnis-patientensicherheit.de). Adressiert werden z. B. die Themen „Vermeidung vergessener Fremdkörper im OP-Gebiet“, „sichere Patientenidentifikation“ und „OP-Checkliste zur Prävention von Eingriffsverwechslungen“. Letztere war zugleich die erste Handlungsempfehlung, die die das APS bereits im Jahr 2006 nach dem Vorbild der WHO-Checkliste veröffentlicht hat. Eine der vier Komponenten dieser Checkliste ist das sogenannte „Team-Time-out“ direkt vor Schnitt am OP-Tisch, also das Innehalten und Überprüfen ob tatsächlich am richtigen Patient die richtige OP durchgeführt wird.
Die OP-Checkliste ist ein Beispiel dafür, wie Prozesse mit einer praxisnahen Systematik hinterlegt werden können. Dies gelingt aber nur, wenn es eine Offenheit, eine „Kultur“ dafür gibt, dass solche Vorgehensweisen Eingang in die Handlungsroutine finden.
Patientensicherheit ist kein neues Thema, sondern seit jeher unserem ärztlichen Handeln immanent. Was uns bei der Umsetzung heute entlasten kann, sind adäquate, handliche Methoden und Instrumente, die konkret in den komplexen Versorgungssituationen ansetzen.
Zum Autor:
Als Autor dieser Zeilen habe ich zu Zeiten der Einführung von Fallpauschalen – später DRG’s – den Einstieg in die Gesundheitspolitik gefunden. Damals war ich Assistenzarzt in der Chirurgie und stellte fest, dass sich durch Entscheidungen am grünen Tisch die ärztlichen Arbeitsbedingungen deutlich verschlechtern. Der Arzt – nicht die Politik – wird zur Rechenschaft gezogen, wenn ihm ein Fehler unterläuft, der durch strukturelle Verschlechterungen mitverursacht wird. Die Motivation für mein politisches Engagement bis heute ist, den Blick auf das Konkrete zu richten und nach Lösungen zu suchen. Mit dem Thema Patientensicherheit kann man sehr viele Fragen an der richtigen Stelle aufwerfen und einen persönlichen Beitrag dazu leisten, dass es den Patienten, aber auch den Beschäftigten vor Ort besser geht. Anfangen ist wichtig. Besser machen kann man immer noch.
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