01.04.2023 Gesetzgebungsverfahren
Offener Brief – Den Deutschen Irrweg in der Organspendepolitik beenden
Katastrophale Bilanz nach drei Jahren neuer Gesetzgebung
Laut dem Bündnis ProTransplant sind drei Jahre nach Abstimmung des Bundestages über die neue Gesetzgebung weitere 3.000 Menschen verstorben, die mit einer Organspende hätten gerettet werden können. Statt der erhofften Verdopplung der Organspendezahlen gebe es einen schlimmeren Einsturz als je zuvor. Jetzt hat das Bündnis sich in einem offenen Brief am 01. März 2023 an den Bundesgesundheitsminister Professor Karl Lauterbach gewandt und in fünf Punkten seine Forderungen formuliert.
Das Bündnis ProTransplant ist ein Zusammenschluss von Patientenverbänden und Selbsthilfegruppen. Die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie e.V. (DGCH) und die Deutsche Gesellschaft für Kinderchirurgie e.V. (DGKCH) unterstützen seine Initiativen.
Sehr geehrter Herr Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach,
sehr geehrte Damen und Herren Gesundheitsminister:innen der Bundesländer,
sehr geehrte Damen und Herren Bundestagsabgeordnete!
Laut Grundgesetz Artikel 2 hat jeder Mensch das Recht auf Leben. Dies gilt offenbar nicht für die Patient:innen auf der Warteliste für eine Organspende. Drei Jahre nach Abstimmung des Bundestages über die neue Gesetzgebung beklagen wir weitere 3.000 Verstorbene, die mit einer Organspende hätten gerettet werden können. Statt der erhofften Verdopplung der Organspendezahlen erleben wir einen schlimmeren Absturz als je zuvor. In einem der reichsten Länder der Welt gelingt es nicht, die betroffenen Patient:innen medizinisch angemessen zu versorgen. Der deutsche Irrweg in der Organspendepolitik ist endgültig in eine Sackgasse geraten.
Wir fordern eine radikale Umkehr mit folgenden Maßnahmen:
- Doppelte Widerspruchsregelung
Viele Expert:innen haben 2020 vor einem verkappten „Weiter so“ in Form der Entscheidungsregelung gewarnt – sie wurden nicht gehört. Übergangen wurden die Bevölkerung und die Anhänger:innen aller demokratischen Parteien, die mehrheitlich hinter einer Widerspruchsregelung (WSR) stehen. Ein Opt-out-Modell ist kostengünstig, stärkt die Patient:innenautonomie und entlastet die Angehörigen. In 29 von 35 europäischen Ländern gilt es bereits oder wird eingeführt [1]. Neu ist, dass Bündnis 90/Die Grünen auf ihrem Bundesparteitag im Oktober 2022 beschlossen haben, die WSR endlich auch in Deutschland einzuführen [2]. Die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) spricht sich angesichts der katastrophalen Situation ebenso dafür aus wie der Bundesverband Niere e.V. [3]. Auch von allen relevanten medizinischen Fachgesellschaften und dem Nationalen Ethikrat wird die WSR befürwortet [4]. Deutschland „importiert“ hunderte Organe/Jahr aus den Eurotransplant-Partnerländern; in all diesen Ländern gilt die WSR [5]. - Reform der Organisations-Strukturen und Prozesse in der Organspende
Die zentralen Probleme des deutschen Gesundheitssystems wirken sich auch auf die Organ- und Gewebespende aus. Aus Sicht der Transplantationsbeauftragten stehen Personalmangel in der Pflege und bei den Ärzt:innen sowie fehlende Kapazitäten an Intensivbetten ganz oben auf der Liste der Ursachen der Missstände [6]. Diese Defizite sind so gravierend, dass nicht immer die Möglichkeit einer Organspende geklärt wird, eine infauste Prognose zur vorzeitigen Therapielimitierung führt und die verbesserte Vergütung von Organentnahmen nicht greift. Die Erkennung möglicher Spender:innen mithilfe digitaler Tools (z. B. das DETECT-Programm) muss Teil der Routineversorgung werden. - Organspende nach Kreislauftod
In Deutschland sind Organspenden nur nach Hirntod möglich. In den meisten anderen europäischen Ländern kann auch nach Kreislauftod (Donation after circulatory Death; DCD) gespendet werden, was dort zu mehr Organspenden geführt hat [6, 7]. Daraus ergibt sich eine paradoxe Situation: Organe von Menschen, die aufgrund von Kreislaufversagen gestorben sind, dürfen deutschen Wartepatient:innen von Eurotransplant nicht vermittelt werden. DCD gilt bereits in 17 europäischen Ländern, in acht Ländern ist die Einführung geplant – warum nicht in Deutschland? [6] - Crossover- und Ketten-Lebendspende
Auch die Crossover-Lebendspende muss – wie in den europäischen Nachbarstaaten – endlich in Deutschland etabliert werden. Wenn eine Lebendorganspende zwischen Personen, die Organe spenden dürfen, aus medizinischen Gründen nicht infrage kommt, soll es ermöglicht werden, ein solches Spender:innen-Empfänger:innen-Paar mit weiteren geeigneten Paaren anonym zusammenzubringen und Lebendorganspenden kreuz- und kettenweise durchzuführen. - Altruistische Organspende
Lebendspenden einer Niere sind in Deutschland auf einen eng gefassten familiären oder Freundes-Empfängerkreis beschränkt. Bei einer altruistischen Spende wäre es möglich, dass eine Person eine Niere freiwillig und unentgeltlich an eine unbekannte Person spendet.
Politischen Willen zeigen
In Deutschland fehlt es an einer Kultur der Organspende. Angesichts einer sehr hohen Organspende-Bereitschaft in der Bevölkerung erwarten wir von unseren Politikern Haltung [8]. Wer von Ethik spricht und gleichzeitig tatenlos zusieht, wie jeden Tag drei Patient:innen auf der Warteliste sterben, handelt nicht ethisch. Die Politik muss sich bekennen, indem sie das von der breiten Mehrheit der Bevölkerung und von allen Expert:innen erwünschte Verhalten zum Wohle aller durch die Umsetzung der o. g. Punkte 1 bis 5 gesetzgeberisch beschließt. Neben diesen Forderungen sollten Menschen, die postmortal Organe gespendet haben, besser gewürdigt werden, beispielsweise indem der Staat die Bestattungskosten übernimmt.
Setzen Sie die weltweit bekannten und bewährten Erfolgskonzepte endlich um!
Die Unterzeichner finden Sie HIER.
Literatur
[1] https://www.organspende-info.de/gesetzliche-grundlagen/entscheidungsloesung (Abruf am 26.11.2022); Mittlerweile wurde in Irland die WSR eingeführt und in der Schweiz die Einführung der WSR beschlossen.
[2] https://antraege.gruene.de/48bdk/widerspruchslosung-in-der-organspende-implementieren-19962 (Abruf am 29.11.2022)
[3] https://dso.de/SiteCollectionDocuments/Pressemeldungen%20PDFs%20und%20Anh%C3%A4nge/DSO%20Kongress%202022/PM_PK_DSO-Jahreskongress_2022_final.pdf (Abruf am 29.11.2022)[4] https://www.ethikrat.org/fileadmin/Publikationen/Stellungnahmen/Archiv/Stellungnahme_Organmangel.pdf
[5] https://www.eurotransplant.org (Abruf am 29.11.2022)
[6] DSO-Kongress 2022; Bericht des Vorstandes, 3.11.2022: https://www.dso.de/DSO-Kongress/Pages/R%C3%BCckblick.aspx
[7] de Jonge et al. [Organ donation after circulatory death]. Nervenarzt. 2016 Feb;87(2):150–6
[8] https://www.bzga.de/fileadmin/user_upload/PDF/pressemitteilungen/daten_und_fakten/BZgA_Infoblatt_Studie_Organspende_2022_final.pdf
HIER geht es zum offenen Brief auf der Webseite vom Bündnis ProTransplant.
BDC|AkademieBDC|Seminar – Viszeralchirurgie Kompakt: Kolorektale ChirurgieDas Seminar richtet sich an Chirurginnen und Chirurgen mit Erfahrung in der kolorektalen Chirurgie. Als zweitägiges interaktives Kompaktseminar bietet es aktuelles, theoretisches Wissen zu Behandlungsstrategien und operativen Techniken der Proktologie, bei entzündlichen Darmerkrankungen sowie kolorektalen Karzinomen und einen Tag mit Live-OPs, bei denen etablierte und neue Operationstechniken demonstriert und mit den Operateuren diskutiert werden können. Termin: 14.06. bis 15.06.2023 Veranstaltungsort: Berlin Referenten: Dr. med. Oliver Haase; Prof. Dr. med. Johann Pratschke; Prof. Dr. med. Katharina Beyer Informationen und Anmeldung über www.bdc.de (Rubrik BDC|Akademie, Fachgebiet Viszeralchirurgie) |
Bündnis ProTransplant
Bündnis von aktiven Selbsthilfevereinen
im Bereich Transplantation & Organspende
Kontakt:
Zazie Knepper
Mario Rosa-Bian
IG Niere NRW e.V.
Ute Opper
transplantiert e.V.
Gesundheitspolitik
Bündnis ProTransplant: Offener Brief – Den Deutschen Irrweg in der Organspendepolitik beenden. Passion Chirurgie. 2023 April; 13(04): Artikel 05_01.
Mehr Artikel zum Thema Organspende finden Sie auf BDC|Online unter der Rubrik Politik.
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