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Die ambulante Durchführung ausgewählter Operationen gehört mittlerweile zum Standard jeder kinderchirurgischen Einrichtung, gleich ob Klinik oder Praxis. Gerade die Kinderchirurgie, mit einer hohen Zahl an Operationen mit kurzer OP-Dauer, praktisch keinem Blutverlust und einer geringen Komplikationsrate bietet ideale Voraussetzungen für die ambulante Durchführung dieser Eingriffe. Während die ambulante Kinderchirurgie bis in die späten 1980er Jahre mit „tagesstationärer“ Chirurgie am Krankenhaus gleichzusetzen war, wird sie heute neben den kinderchirurgischen Kliniken/Abteilungen auch in der breiten Fläche von niedergelassenen KinderchirurgInnen bundesweit angeboten.

Die Entwicklung begann Ende der 1970er Jahre, als u. a. am Dr. von Haunerschen Kinderspital der Universität München (damaliger Direktor Prof. Dr. W. Ch. Hecker) begonnen wurde, tagesstationäre Eingriffe durchzuführen. Diese Entwicklung wurde von einigen Direktoren kinderchirurgischer Kliniken mit Argwohn betrachtet und als Gefahr für die Zukunft der Kliniken verschrien. Doch der Trend konnte nicht aufgehalten werden, denn vieles sprach sowohl aus Sicht der Kinder als auch deren Eltern dafür. Es hat dann aber noch einige Jahre gedauert, bis sich die ersten „Mutigen“ – meist aus Oberarztpositionen heraus – in die Selbstständigkeit gewagt haben und die ersten Praxen für Kinderchirurgie gründeten, nicht immer zur Freude und mit Zustimmung ihrer jeweiligen Chefs. Nach Ballungsräumen wie Berlin, Hamburg und München folgten rasch weitere Praxisgründungen – nach der Wende verstärkt auch in den östlichen Bundesländern – sodass heute in 15 Bundesländern 87 niedergelassene und sechs angestellte KinderchirurgInnen an der ambulanten – teilweise auch an der stationären – Versorgung von Kindern und Jugendlichen beteiligt sind (Die Zahlen beziehen sich nur auf die Mitglieder des BNKD).

Die Entwicklung der vergangenen 20 Jahre hat – durchaus gesundheitspolitisch gewollt – zu einer erheblichen Verlagerung von Operationen aus dem stationären in den ambulanten Bereich geführt. Angesichts dieser Entwicklung erscheint es umso wichtiger, Qualitätsstandards zu definieren, um das ambulante Operieren im Kindesalter so sicher wie möglich zu gestalten.

Das ambulante Operieren – im Krankenhaus wie in der niedergelassenen Praxis – wird im §115b Abs.1 des SGB V – dem sogenannten AOP-Vertrag – geregelt. Den Vertrag haben der GKV-Spitzenverband, die Deutsche Krankenhausgesellschaft und die Kassenärztliche Bundesvereinigung geschlossen und er soll dazu dienen, einheitliche Rahmenbedingungen zur Durchführung ambulanter Operationen und sonstiger stationsersetzender Eingriffe im niedergelassenen Bereich und im Krankenhaus zu schaffen und die Zusammenarbeit zwischen niedergelassenen Vertragsärzten und Krankenhäusern zu fördern. Dies umfasst auch die nach dem Vertragsarztrechtsänderungsgesetz und dem GKV-Versorgungsstrukturgesetz zulässigen neuen Kooperationsmöglichkeiten. Ganz wesentlich ist die Regelung der Qualitätssicherung, wonach Leistungen des Katalogs nach § 115 b SGB V, für die Qualitätssicherungsmaßnahmen im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung nach § 135 SGB V existieren, auch unter den gleichen Maßgaben im stationären Bereich zu erbringen sind. Umgekehrt gilt auch, dass für Operationen in der niedergelassenen Praxis die gleichen Qualitätskriterien gelten müssen, wie bei der Erbringung der gleichen Leistung im Krankenhaus. Es darf keine Qualitätsunterschiede je nach Erbringungsort einer Leistung geben. Deswegen ist es wichtig, klare Eingangs- und Ausschlusskriterien zu definieren, deren strikte Einhaltung Grundvoraussetzung ist. Die Kriterien lassen sich in allgemeine und patientenbezogene Kriterien unterteilen.

Die allgemeinen Kriterien umfassen die fachliche, personelle, räumliche, technische und hygienische Ausstattung der operierenden Einrichtung, aber auch den Faktor „Eltern“ und „Kinderarzt/Hausarzt“. Die patientenbezogenen Kriterien beinhalten u. a. die Indikation zur Operation, die Patientenselektion aber auch die sogenannten „K.O.-Kriterien“, die eine ambulante Durchführung einer Operation aus medizinisch-fachlicher Sicht verbieten. All die genannten Faktoren greifen ineinander über und müssen daher stets gemeinsam betrachtet werden.

Gesetzlich klar definiert sind die personellen (Facharztstandard, qualifiziertes Pflegepersonal) und räumlich-technischen Voraussetzungen. Diese müssen von allen Einrichtungen, die ambulante Operationen durchführen, eingehalten werden. Weniger klar definiert sind die patientenbezogenen Eingangskriterien. Die meisten von Ihnen sind Empfehlungen, die auf Erfahrungswerten beruhen, nur die wenigsten sind wissenschaftlich belegt oder gar evidenzbasiert. Viele der Empfehlungen leiten sich aus der persönlichen Erfahrung der jeweiligen ambulanten Operateure/Anästhesisten ab und hängen zudem auch von den strukturellen Besonderheiten der operierenden Einrichtung ab. Besonders wichtig sind die sozialen Aspekte und die Umgebung, in die das ambulant operierte Kind entlassen wird. Sprachverständnis, Kenntnis über die erfolgte Operation sowie mögliche Frühzeichen einer sich anbahnenden Komplikation, Kompetenz der Eltern in der Versorgung ihrer Kinder (Schmerzmanagement, Verband etc.) sind nur einige Punkte, die berücksichtigt werden müssen und den Erfolg einer ambulanten Operation entscheidend beeinflussen können.

Parallel mit der Zunahme ambulanter Operationen hat auch die Erfahrung der Operateure und Anästhesisten zugenommen, sodass immer mehr Leistungen ambulant angeboten werden können. Das Spektrum reicht heute von der Operation einfacher oberflächlicher Neubildungen (Nävi, Hautanhängsel etc.) über die Hernienchirurgie bis hin zur Korrektur distaler Hypospadieformen
und anderen komplexeren Operationen. Jeder ambulante Operateur muss für sich – zusammen mit dem beteiligten Anästhesisten – entscheiden, welche Eingriffe ambulant durchgeführt werden können. Von Seiten der Kostenträger besteht ein erheblicher Druck, möglichst viele Operationen ambulant vorzunehmen. Auch der Wunsch der Eltern geht in diese Richtung und so kommt letztlich den Ärzten die Aufgabe zu, eine sorgfältige Indikationsabwägung vorzunehmen. Der Gedanke des „Fast Track“ hat auch die Kinderchirurgie erreicht und der Druck nimmt zu, auch komplexere Eingriffe mit immer kürzerer Liegedauer anzubieten. Zweifellos kommt das dem Gedanken einer kindgerechten chirurgischen Behandlung entgegen, sofern die Ergebnisse zeigen, dass eine für das Kind sichere Durchführung auch unter ambulanten Bedingungen realisierbar ist.

Der 1999 gegründete BNKD (Berufsverband der niedergelassenen Kinderchirurgen Deutschlands e.V.), in dem nahezu alle niedergelassenen KinderchirurgInnen Mitglied sind, unterstützt neben dem BDC seine Mitglieder dabei, das Ziel einer patientenorientierten, nach Qualitätsstandards ausgerichteten ambulanten Kinderchirurgie auf hohem Niveau zu erreichen. Hierzu werden auf den Jahrestagungen auch gemeinsame Sitzungen mit den beteiligten Anästhesisten veranstaltet. Als ein wesentlicher Teil der gemeinsamen Qualitätskontrolle führt der BNKD seit seiner Gründung vor 18 Jahren – inzwischen mit online Dateneingabe – eine Operations- und Komplikationsstatistik, die auf der Jahrestagung den Mitgliedern vorgestellt und mit diesen kritisch diskutiert wird. Die Anonymität bleibt dabei gewahrt, jedes Mitglied kann nur seine eigenen Daten einsehen.

Die ambulante Kinderchirurgie ist seit den 1970er Jahren auf ständigem Vormarsch und das zum Wohle unserer Patienten und deren Eltern. Dennoch liegen die Zahlen deutlich unter denen aus anderen hochentwickelten Ländern, vor allem aus den USA und Canada. Die Gründe hierfür sind sicherlich sehr vielfältig, einige von ihnen auch nicht unumstritten. Der ökonomische Aspekt ist dabei ein wichtiger Faktor. Trotz unbestrittener Verbesserungen in den vergangenen Jahrzehnten ist die ambulante Kinderchirurgie – wie auch andere Disziplinen mit ambulanten Operationen – immer noch unterfinanziert und viele der Standardoperationen im Kindesalter sind nicht kostendeckend zu erbringen. Besonders deutlich wird dieser Umstand bei den endoskopisch-minimal invasiven Eingriffen, die mit sehr hohen Investitionskosten verbunden sind. Krankenkassen, die über viele Jahre ambulante Operationen im Rahmen von Sonderprogrammen finanziell unterstützt haben, tun dies nicht mehr. Aus deren Sicht hat die Verlagerung von Operationen in den ambulanten Sektor nicht die erhofften Einsparungen im stationären Sektor gebracht. Auf der anderen Seite haben einige Kostenträger – durchaus innovativ – Verträge zur integrierten Versorgung auch mit ambulant operierenden Kinderchirurgen geschlossen, die aber nur ein schmales Spektrum abdecken. Die Entwicklung des ambulanten Operierens in der Kinderchirurgie belegt zwar eindrucksvoll eine hohe Patienten- und Elternzufriedenheit, aber solange eine stationär operierte Leistenhernie wesentlich mehr Erlös bringt als die gleiche Operation unter ambulanter Durchführung, wird für Krankenhäuser auch weiterhin der Anreiz fehlen diese Operation in den ambulanten Sektor zu verlagern. Die Qualitätsanforderungen an das ambulante Operieren (Zertifizierung, Qualitätsmanagement, Hygiene, Validierung etc.) nehmen stetig zu, was zweifellos den Patienten zugutekommt, aber auch mit zunehmenden Kosten verbunden sind. Weder der einheitliche Bewertungsmaßstab (EBM), noch die GOÄ nehmen darauf Rücksicht. Während Krankenhäuser das ambulante Operieren z. T. aus dem stationären Bereich quersubventionieren können, fehlt dem Niedergelassenen diese Möglichkeit.

Trotz der sehr positiven Entwicklung der ambulanten Kinderchirurgie ist die über mehr als zwei Jahrzehnte andauernde „Euphorie“ deutlich abgeflaut. Die Zahl der Neugründungen stagniert weitgehend und es wird zunehmend schwierig Nachfolger – auch für langjährig etablierte Praxen – zu finden. Die Gründe hierfür sind ebenso naheliegend wie vielfältig. Neben sinkender „Risikobereitschaft“, in der eigenen Praxis Verantwortung – auch finanziell – zu übernehmen, spielt sicherlich auch ein verändertes (besseres?) Verständnis des „Work-Life-Balance“ eine Rolle. Auch die Unsicherheit angesichts der sich ständig ändernden gesetzlichen Vorgaben, die stringente Budgetierung, die unbegrenzte Leistung aus begrenzten Mitteln verspricht und eine Leistungshonorierung, die der Personal- und Materialkosten stets hinterherhinkt, tragen zu einer zunehmenden Skepsis bei.

Die Entwicklung der letzten Jahre zeigt deutlich – und nicht nur in der Kinderchirurgie -, dass die klassische Einzelpraxis auf dem Rückzug ist. Vielmehr sind Kooperationen gefragt, z. B. in Form von Gemeinschaftspraxen, Praxisgemeinschaften oder Anstellungen. Aktuell existieren deutschlandweit 48 Einzelpraxen, während die Zahl der Gemeinschaftspraxen – z. T. mit drei und mehr KinderchirurgInnen – auf 19 (mit insgesamt 39 KinderchirugInnen) zugenommen hat. Im Angestelltenverhältnis – vor wenigen Jahren noch unbekannt – befinden sich derzeit sechs KinderchirurgInnen (überwiegend in MVZs), sodass aktuell 87 Niedergelassene und sechs Angestellte in den Praxen tätig sind (BNKD 2016). Zur Förderung von sektorübergreifenden Kooperationsmodellen hat der Gesetzgeber Rahmenbedingungen geschaffen, die eine sehr vielfältige Zusammenarbeit zwischen Kollegen (auch anderer Disziplinen), aber auch zwischen Praxen und Krankenhäusern erlaubt. Auch eine Kooperation zwischen Kinderkliniken ohne eigene (Kinder)chirurgische Abteilung und niedergelassenen KinderchirurgInnen, z. B. im Rahmen von Belegarztverträgen ist ein guter Weg hin zu einer verbesserten Verzahnung zwischen ambulant und stationär. Auch andere Kooperationsverträge, wie z. B. eine Teilanstellung Niedergelassener an Kliniken ohne eigene kinderchirurgische Abteilung können ein Weg zu einer besseren sektorübergreifenden Versorgung sein, ebenso wie die MVZs. Derartige Kooperationen steigern einerseits die Fachkompetenz und helfen andererseits die Ressourcen besser zu nutzen. Das macht sich besonders im Bereich des sehr kostenintensiven ambulanten Operierens bemerkbar.

Neben all den finanziellen Aspekten hat aber eine solide Weiter- und Fortbildung die oberste Priorität, damit die hohen Qualitätsstandards einer modernen Kinderchirurgie – wie in den Kliniken – auch in der niedergelassenen Praxis umgesetzt werden können. Auch in der Weiterbildung ist eine Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen Klinik und Praxis vorstellbar und auch realisierbar, indem z. B. ein Teil der Weiterbildung in die ambulant operierende Praxis verlagert wird. So könnte man junge Kolleginnen/Kollegen frühzeitig für diesen wichtigen Teil der kinderchirurgischen Versorgung interessieren, klassische „Barrieren“ würden gar nicht erst entstehen und der Übergang von der Klinik in die Praxis wäre zu gegebener Zeit einfacher zu gestalten.

Die Entwicklung der vergangenen Jahre zeigt eindeutig, dass die Zukunftsprobleme der Kinderchirurgie nur unter Beteiligung aller an der Versorgung von Kindern Beteiligter zu lösen sind. Hier ist eine noch intensivere Kooperation der Fachgesellschaft mit den Berufsverbänden – BDC und BNKD – erforderlich, ein Weg, der bereits beschritten wurde.

Unter diesen Voraussetzungen ist zu hoffen, dass sich die ambulante Kinderchirurgie auch in den nächsten Jahren positiv weiterentwickeln wird.

Schmidt A. Ambulante Kinderchirurgie – aktueller Stand. Passion Chirurgie. 2017 Januar, 7(01): Artikel 05_01.

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