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Einfluss auf die Patientenzufriedenheit und Kundenbindung

Das Gesetz zur Stärkung der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-VSG) verpflichtet die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) ab Januar 2016 Terminvermittlungsstellen einzurichten. Hintergrund der Gesetzesnovelle ist es, Patienten innerhalb einer vierwöchigen Frist einen Facharzttermin zu garantieren und längere Wartezeiten zu vermeiden.

Im Folgenden berichten die Autoren von einer Studie (Befragung) zur Untersuchung von Online-Terminvergabesystemen in der Orthopädie und Unfallchirurgie (Krankenhäuser und Arztpraxen) unter besonderer Berücksichtigung der Akzeptanzlage aus Patienten- und Krankenhaus-Mitarbeitersicht, am Beispiel einer orthopädisch-unfallchirurgischen Klinik eines großen kommunalen Krankenhauses (465 Betten) in Rostock.

Online-Terminvergabe: Chance zur Kooperation und Patientenakquisition?

Mit der Verabschiedung des GKV-VSG (§75 SGB V) hat der Gesetzgeber die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) zum 23.01.2016 verpflichtet, Terminservicestellen (TSS) einzurichten. Die gesetzlich vorgeschriebene Frist für einen Facharzttermin beträgt maximal 4 Wochen. Versorgungslücken sollen dadurch geschlossen werden. Aktuell bekommen Patienten von den KVen Telefonnummern der TSS mitgeteilt. Die TSS muss dann binnen einer Woche einen Termin beim niedergelassenen Facharzt vermitteln. Gelingt dies nicht, muss die TSS auch Termine im Krankenhaus anbieten. Die Einführung moderner Online-Terminmanagementsysteme scheint konventionellen telefonischen Hotlines in Hinblick auf die permanente Verfügbarkeit (24/7), die optimale Weitergabe kurzfristig abgesagter Termine, mehr Transparenz und viel Potential zur Verbesserung einer sektor- und fachübergreifenden Vernetzung im deutschen Gesundheitswesen überlegen zu sein.

Verlauf der Rostock-Studie

Mit Hilfe einer aktuellen Literatur-Recherche der medizinisch- und betriebswirtschaftlichen Fachliteratur wurden Erfahrungen und marketingrelevante Aspekte von Online-Terminvergabesystemen evaluiert. Zusätzlich wurden fünf qualitative Einzelinterviews des administrativen Krankenhauspersonals und eine quantitative schriftliche Patientenumfrage (n=105) in 2015 durchgeführt.

Kernziele der Befragung waren:

1.) Die Stärken und Schwächen konventioneller Terminvergabeprozesse und

2.) die Erfahrungen und Patientenbereitschaft zur Nutzung eines Online-Terminvergabesystems genauer zu untersuchen.

Zielgruppen & Online-Trends

Online-Terminvergabesysteme haben sich in anderen Dienstleistungsbranchen (Tourismus, Hotel, Verkehr) längst flächendeckend durchgesetzt. Die Vorteile einer ortsungebundenen ständigen Verfügbarkeit, Vergleichsmöglichkeiten aktueller Preise und Verfügbarkeiten liegen auf der Hand und werden vom Kunden zunehmend genutzt. Die Voraussetzungen sind ein Internetzugang und das notwendige Wissen und Kenntnis im Umgang mit Internet-Suchmaschinen und Online-Anwendungen (Shops, Apps usw.). Mitarbeiter wiesen darauf hin, dass Markenbildung, Markenpflege und Kundenbindung [1] für Krankenhäuser zu strategischen Erfolgsfaktoren werden, die sich mit Hilfe von Online-Systemen gut transportieren und kommunizieren lassen [2].

Studienergebnisse

Die Befragung des Patientenklientels (n=105) in Krankenhäusern bzw. orthopädisch-unfallchirurgischen Spezialambulanzen zeigt, dass die Patienten (Kunden) aus zwei sehr heterogenen Subgruppen bestehen:

a) Internet-User, d. h., typsicherweise jüngere (

b) Internet-Ferne, d. h. vorwiegend ältere, nicht-berufstägige Patienten ohne Kenntnis oder Zugriffsmöglichkeit auf einen Computer, Laptop oder andere internet-fähige mobile Endgeräte (Tablet PC, Smartphone).

Die Einzelinterviews (n=5) des administrativen Klinik-Personals ergaben, dass bisher 30 Prozent der Arbeitszeit für Telefonate im Zusammenhang mit organisatorischen Belangen in Sachen Terminvergabe benötigt werden. Andere Arbeitsprozesse werden dadurch ständig unterbrochen und gestört. Mehrfachtelefonate, Informationsverluste, zeitliche Verzögerungen und eine auf die Betriebs- und Öffnungszeiten eingeschränkte Erreichbarkeit sind über diesen Weg offensichtlich unvermeidbar. In Kenntnis der Tatsache, dass nicht nur die klassische Zielgruppe der „Ärzte“ bestmöglich bedient werden muss, sollten interne Strukturen und Arbeitsabläufe eines stationären Leistungserbringers (Krankenhäuser) auf zukünftig vier neu definierte Zielgruppen ausgerichtet werden, zu denen

Internet-User,

Internet-Ferne,

zuweisende Ärzte/Kooperationspartner und

Mitarbeiter des eigenen Unternehmens gleichermaßen gehören. (Abb. 1)

Abb. 1: Stationäre Leistungserbringer (Krankenhäuser) richten ihre internen Strukturen bei der Terminvergabe auf vier neu definierte Kundengruppen aus.

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Die zwei wesentlichen Implikationen zur Umgestaltung und Definition neuer Arbeitsprozesse für ein effektives Terminvergabeverfahren sind

a) eine Zentrale Terminvergabestelle (Callcenter/Hotline) und

b) ein ergänzendes Online-Terminmanagement System. Online-Terminvergabesysteme mit einer serviceorientierten Softwarearchitektur vernetzen und integrieren sich in bestehende IT-Krankenhausinformationssysteme [3, 4].

Die neuen Funktionen müssen an der Prozessqualität, dem Potential zur Kundenbindung und über eine Kosten-Nutzen-Analyse bewertet bzw. ausgerichtet werden.

Die Patientenumfrage zeigt, dass die Beurteilung und der Stellenwert unterschiedlicher Rahmenbedingungen als Voraussetzung zur Organisation des Terminmanagements im Krankenhaus vom Patientenalter, Geschlecht und Berufstätigkeit abhängen. Flexibilität, Transparenz, keine Wartezeiten und permanente Verfügbarkeit von Online-Terminvergabesystemen werden von den Befragten besonders geschätzt, als positiv bewertet und vom Patienten als Mehrwert erkannt. Das wird auch durch aktuelle Studien bestätigt [5].

Erarbeitung einer individuellen effizienten Lösung für das Klinikum Südstadt Rostock

Die Kontaktpunktanalyse des IST-Zustandes bei der Terminvergabe zeigt, die eingeschränkte Erreichbarkeit (Öffnungs- und Betriebszeiten) und eine nicht einheitliche Regelung zur Entgegennahme der Telefonate und Patientengespräche waren die häufigste Fehlerquelle und der Grund für Wartezeiten. Zur Lösung dieser Probleme wurde ein Service Blueprint (Prozessdiagramm) erstellt. (Abb. 2)

Zur Neustrukturierung der Terminvergabeprozesse mit Ergänzung wurde eine Online-Buchungsoption entworfen. Bisher wurde eine neue von den anderen Funktionsbereichen räumlich getrennte und gleichzeitig für Patienten, Mitarbeiter und Zuweiser gut erreichbare zentrale Anlaufstelle mit einer telefonischen Hotline eingerichtet und eine Applikation zur Online-Terminvergabe (www.T7-Rostock.de) entwickelt. Erste Erfahrungen damit wurden auf Arzt-Homepages (www.dr-reinhold.com) gesammelt und sollen in Kürze auch am Klinikum Südstadt Rostock eingesetzt werden.

Abb. 2: Service Blueprint (Prozessdiagramm) „neu“ zur Neustrukturierung von Terminvergabeprozessen mit Ergänzung einer Online-Buchungsoption.

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Konsequenzen

In Einklang mit den Ergebnissen der Rostock-Studie und aktuellen empirischen Studien über zukünftige Trends des Nutzerverhaltens und Kundenservice-Managements [1] liegt folgender Schluss nahe. Online-Terminvergabesysteme werden deutlich zur Verbesserung innerbetrieblicher Arbeitsprozesse in Gesundheitsbetrieben beitragen, die Autonomie des Patienten (Selfservices) [6] fördern und zukünftig, ähnlich wie in anderen Dienstleistungsbranchen, eine ausschlaggebende Rolle bei der Patienten- bzw. Kundenbindung spielen.

Learnings, Tipps & erhoffte Marketing-Effekte

Ein Hauptproblem wurde bereits am Klinikum Südstadt Rostock durch die Einrichtung einer räumlich von den anderen Funktionsbereichen getrennten zentralen Terminvergabestelle (Callcenter) gelöst. Die Einführung des Online-Terminvergabesystems am Klinikum ist für 2016 vorgesehen, dadurch werden positive Effekte auf das Image des Klinikums im Spektrum der Kliniklandschaft erwartet. Weitere Informationen und detaillierte Ergebnisse der Befragungen sind bei den Autoren erhältlich.

Literatur

[1] Rennhak C. Herausforderung Kundenbindung. Rennhak C, editor. Wiesbaden: Deutscher Universitäts-Verlag; 2006.

[2] Kartte J, Neumann K. Der Gesundheitsmarkt. Roland Berger Stragegy Consultants; 2008 Jun pp. 1–48.

[3] Karastoyanova D, Leymann F. Service Oriented Architecture – Overview of Technologies and Standards. it – Information Technology. 2008 Feb; 50(2):83–5.

[4] Meyer J-A, Tirpitz A. Service-orientierte Architekturen (SOA) im Mittelstand. BoD Books on Demand; 2009. 1 p.

[5] Jameda. Umfrage: Online-Buchung von Arztterminen [Internet]. München: jameda; 2015 Apr pp. 1–8. Available from: http://www.jameda.de/presse/patientenstudien/_uploads/anhaenge/ergebnisprsentation_studie_digitale-gesundheit-4830.pdf

[6] Detecon Consulting, Munich Business School. Kundenservice der Zukunft. Mit Social Media und Self Services zur neuen Autonomie des Kunden. 2010 Sep pp. 1–48.

Reinhold M. / Schmidt J. / Rennhak C. / Fieber R. / Lindner W. Online-Terminvergabesysteme in Orthopädie und Unfallchirurgie. 2016 Mai, 6(05): Artikel 09_01.

Autoren des Artikels

Profilbild von Reinhold

PD Dr. med. Maximilian Reinhold

Ltd. OA WirbelsäulenchirurgieKlinikum Südstadt RostockKlinik für Orthopädie, Unfallchirurgie und HandchirurgieSüdring 8118059Rostock kontaktieren
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Jörg Schmidt

Dozent Munich Business SchoolUniversity of Applied Sciences MünchenZentnerstraße 3380798München
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Prof. Dr. oec. publ. Carsten Rennhak

Professor für Public Relations und MarketingUniversität der Bundeswehr MünchenFakultät für Betriebswirtschaftslehre und OrganisationskommunikationWerner-Heisenberg-Weg 3985577Neubiberg
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Dipl. oec. Renate Fieber

VerwaltungsdirektorinKlinikum Südstadt RostockSüdring 8118059Rostock
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PD Dr.-Ing. habil. Wolfgang Lindner

Geschäftsführer X-ServiceFriedrich-Alexander Universität Erlangen-NürnbergTechnische Fakultät, Lehrstuhl für Informatik 6 (Datenmanagement)Friedrich-Barnewitz-Str. 318119Rostock

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