Abb 1: Diese Tätigkeiten können sich Chirurgen nach dem Renteneintritt vorstellen
Mit 65 in Rente? Die Mehrzahl der Chirurgen würde gerne weiterarbeiten und ist auch offen für Veränderungen – doch nicht zu jedem Preis. Was sich „Silver Worker“ wünschen und welchen Mehrwert sie Kliniken bringen, weiß Prof. Dr. med. Dr. h.c. Hans-Joachim Meyer, Präsident des Berufsverbands der Deutschen Chirurgen.
Die Chirurgie hat – wie andere medizinischen Fachgebiete auch – ein Nachwuchsproblem. Silver Workern kommt daher eine wachsende Bedeutung zu. Nach der Ärztestatistik der Bundesärztekammer sind heute bereits 7 Prozent aller berufstätigen Ärzte älter als 65 Jahre, bei den Chirurgen sind es 6,6 Prozent. Dieser Anteil wird voraussichtlich weiter steigen. Eine Umfrage des Berufsverbands der Deutschen Chirurgen (BDC) unter 1.400 Mitgliedern aller Altersgruppen zeigt: Die Hauptmotivation nach dem Renteneintritt weiterzuarbeiten, ist für die große Mehrheit, den Selbstwert zu erhalten, Wertschätzung zu erfahren sowie das Gefühl, noch gebraucht zu werden.
Doch weiterarbeiten heißt nicht unbedingt, ab morgens um sieben für zwölf Stunden am OP-Tisch zu stehen. Wer 35 Chirurgenjahre auf dem Buckel hat, könnte auch ein wenig kürzertreten oder andere Tätigkeiten übernehmen, etwa in der Nachwuchsförderung. So können sich rund drei Viertel der befragten Chirurgen eine Lehrtätigkeit oder ein Mentoring nach dem Renteneintritt vorstellen und ebenso viele würden sich eine ärztliche Tätigkeit in Teilzeit wünschen.
Welchen Vorteil hat das für die Kliniken? „Kliniken können enorm von Silver Workern profitieren“, meint BDC-Präsident Prof. Dr. med. Dr. h.c. Hans-Joachim Meyer. Allerdings müssten sie ihren Chirurgen akzeptable Bedingungen bieten – und das sei noch nicht immer gegeben. Prof. Meyer ist selbst Silver Worker und vertritt neben dem Berufsverband auch die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie als Generalsekretär.
Abb. 2: Sind altersgemischte Teams erfolgreicher als andere Teamkonstellationen? Das denken…
„Silver Worker brauchen akzeptable Bedingungen“
Health Relations (HR): Herr Professor Meyer, was halten Sie davon, wenn ein 70-Jähriger noch operiert?
Meyer: Wenn jemand noch fit ist, spricht überhaupt nichts dagegen. Für die Generation der Babyboomer ist 65 doch kein Alter mehr. Klar gibt es individuelle Unterschiede, und ich rede nicht davon, dass jemand mit Gehhilfe am OP-Tisch steht. Aber viele von uns sind in so einer guten mentalen und körperlichen Verfassung, dass sie selbst noch mit 75 gute Arbeit leisten können. Bis zu diesem Alter ist eine chirurgische Tätigkeit meines Erachtens durchaus verantwortbar.
HR: Wie groß ist die Bereitschaft unter Ihren Kollegen, nach dem Renteneintrittsalter weiterzuarbeiten?
Meyer: Der Großteil wird mit 65 sicherlich nicht die Kelle fallen lassen. Ich glaube sogar, dass wird künftig eher die Ausnahme sein. Das zeigt ja auch unsere Umfrage ziemlich deutlich.
HR: Das sind doch gute Aussichten für Kliniken, die händeringend Nachwuchs suchen, oder?
Meyer: Das Nachwuchsproblem wird durch die Silver Worker allein natürlich nicht gelöst. Aber sie können indirekt zu einer Lösung beitragen, indem sie junge Leute für das Fach begeistern, sei es durch Vorlesungen, Vorträge, Publikationen und – ganz wichtig – bei der Betreuung von Medizinstudenten im Praktischen Jahr. Hier werden die entscheidenden Weichen gestellt, ob jemand den Traumjob Chirurg ergreift oder eben nicht. ‘Silberlöwen’ wie ich haben in der Regel eine große Leidenschaft für ihren Beruf und einen riesigen Erfahrungsschatz: Es wäre nicht klug, dieses Potenzial zu verschenken. Übrigens zeigt auch unsere Umfrage, dass alle Generationen der Meinung sind, dass altersgemischte Teams erfolgreicher sind als andere Teamkonstellationen.
HR: Was müssen Kliniken denn tun, um ihre Silberlöwen zu halten?
Meyer: Es müssen akzeptable Bedingungen geboten werden. Wenn einer mit 65 zum Beispiel keinen Nachtdienst mehr machen möchte, ist das genauso nachvollziehbar, wie der Wunsch, unter den gleichen Konditionen wie bisher weiterzuarbeiten. Bedauerlicherweise zeigen sich viele Häuser da heute noch wenig flexibel. Es gibt jedoch einige Beispiele in Deutschland, wo Best Ager weiter in führenden Positionen sind oder Spezialaufgaben übernommen haben. Ich kenne Kollegen, die sind sogar noch mal an Universitätskliniken gewechselt, um dort spezielle Eingriffe vorzunehmen. Von solchen Arrangements profitieren beide Seiten enorm.
HR: Sie sagen, die Bedingungen müssen stimmen. Wie attraktiv ist es für einen Seniorkliniker, noch mal eigener Chef zu werden und sich in einer Praxis niederzulassen?
Meyer: Zahlen zu solchen Seitenwechslern haben wir leider nicht. Ich kann mir für die eigene Person aber ehrlich gesagt nicht vorstellen, dass die Niederlassung eine attraktive Alternative zur früheren Klinikwelt darstellen kann. Meiner Ansicht nach gibt es in Kliniken genügend Betätigungsfelder, auch außerhalb des OPs.
HR: Welche Aufgaben haben Sie konkret im Sinn?
Meyer: Silver Worker können Klinikteams beratend unterstützen, fachlich und im organisatorischen Bereich. Vorstellbar ist auch eine Doppelspitze der Klinikleitung für einen überschaubaren Zeitraum. Silver Worker können sich an akademischen Lehrkrankenhäusern in die Lehre einbringen und damit Operateure enorm entlasten und gleichzeitig etwas für den dringend benötigten Nachwuchs tun. Oder sie können jungen Forschern helfen, Forschungsanträge zu schreiben und bei Literaturrecherchen unterstützen. Warum sind wir Chirurgen denn forschungsmäßig im Vergleich zu den Neurowissenschaften so weit hinten? Weil wir den Großteil des Tages am OP-Tisch stehen!
HR: Ein Schlusswort?
Meyer: In Zeiten, wo wir über Ärztemangel, Wettbewerbsdruck und den Trend zur Spezialisierung reden, wären Kliniken gut beraten, ihren erfahrensten Mitarbeitern individuell passende Angebote zu machen. Denn mit jedem, der geht, geht auch eine „Goldgrube“ an Wissen und Fähigkeiten verloren.
Erstveröffentlichung in Health Relations, dem Online-Magazin des Deutschen Ärzteverlags für die Healthcare-Branche. Das Interview führte Beatrice Hamberger.
Meyer HJ: Für Babyboomer ist 65 doch kein Alter mehr. Passion Chirurgie. 2020 Februar, 10(02): Artikel 04_05.
Autor des Artikels
Prof. Dr. med. Dr. h.c. Hans-Joachim Meyer
Präsident des Berufsverband der Deutschen Chirurgie e.V. (BDC)Referat Presse- & Öffentlichkeitsarbeit/WeiterbildungskommissionLuisenstr. 58/5910117Berlin kontaktieren
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jedoch, wird hierin noch klein – beziehungsweise selten – geschrieben. Doch worum geht es hier genau? Und welche Konsequenzen hat
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Zuerst einmal einen herzlichen Dank an den Hartmannbund und die weiteren Mitorganisationen, die uns zu diesem besonderen parlamentarischen Abend Jahr für Jahr einladen. Genauso schwierig wie eine Vorhersage des Wetters in diesem Sommer, also „rain or shine“, ist die Frage nach weiteren Gesetzesvorlagen im Gesundheitswesen durch den im Dezember 2021 noch als „Minister der Herzen“ bezeichneten Prof. Karl Lauterbach.
Wir freuen uns, Ihnen in der Juliausgabe der Passion Chirurgie die zweite Sonderausgabe der Safety Clips zu präsentieren, in dem praxisnah die unterschiedlichsten Ursachen von Behandlungsfehlern beschrieben werden, oft verdeutlicht durch Statistiken zu Schadenhäufigkeiten. Immer geht es auch um Strategien zur aktiven Fehlervermeidung. Kritische Ereignisse in der Patientenversorgung werden beschrieben, analysiert und bewertet, ergänzt durch juristische Stellungnahmen und praktische Hinweise zur Risikobewältigung.
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In dieser Ausgabe widmen wir uns direkt den wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen im Medizinsystem Deutschland, wie es für uns Chirurginnen und Chirurgen relevant ist. Unter dem Titel Monetarisierung des Patienten diskutieren unser Präsident und weitere Autoren über die Schnittstelle Ökonomie-Chirurgie auf verschiedensten Ebenen – vom Blick auf das Fachgebietsbranding über die Grenzen der wirtschaftlichen Analyse des Patienten bis hin zur Betrachtung der Zukunft des gesamten Gesundheitssystems.
In dieser Ausgabe der Passion Chirurgie mit dem Titel “Notfallmedizin – Fachkompetenz vs. Facharzt” geht es um die Rolle der Notfallmedizin im modernen chirurgischen Berufsleben. Notfälle begleiten uns ein berufliches Leben lang, nicht nur in der Notaufnahme, sondern auch auf der Station oder in der Praxis. Die Behandlung von Notfallpatienten ist Kernkompetenz chirurgischer Tätigkeit – trotz Spezialisierung sowie strukturellem und medizinischem Fortschritt.
Unsere Autoren gehen im Detail auf die Situation der Notfallmedizin in Deutschland ein und plädieren im Ergebnis für mehr Fachkompetenz, aber klar gegen eine neue Facharztqualifikation für Notfallmedizin. Die Notfallkompetenz muss weiterhin in den großen medizinischen Fachgebieten erhalten bleiben, darüber sind wir uns mit den Berufsverbänden der Internisten, Anästhesisten und vielen weiteren Gebieten einig.
Das Thema der vierten Ausgabe diesen Jahres ist Appendektomie in Deutschland, denn einerseits ist die Appendektomie mit jährlich über 120.000 Operationen der häufigste Notfalleingriff in der Chirurgie überhaupt und betrifft somit eine große Anzahl an Patienten und Ärzten, andererseits wird er in Kliniken aller Versorgungsstufen durchgeführt und muss flächendeckend jederzeit („24/7“) erfolgen können.
Wir haben dazu wieder eine Auswahl von analytischen und fundierten Artikeln – zum Beispiel Die Appendektomie 2011/2012 in Deutschland – Ergebnisse der bundesweiten Erhebung zur Technik der Appendektomie (BETA), eine Studie, die mit Unterstützung des BDC ins Leben gerufen wurde – und praktisch anwendbarer Weiterbildung – unter anderem Schau Dich schlau: Wichtigste Operationsschritte bei der offenen und der laparoskopischen Appendektomie für Sie zusammengestellt.
Auch einen CME-zertifizierten Weiterbildungsartikel finden Sie wieder in dieser Ausgabe, diesmal passend aus dem Lernpaket Laparoskopische Appendektomie.