Der Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt hat es gezeigt: Kliniken und Ärzte sind hierzulande auf einen Terroranschlag mit vielen Schwerverletzten nur unzureichend vorbereitet. Denn: Neue Gefahren erfordern neue Strategien im Gesundheitswesen.
„Was wir jetzt sehen ist das Kernstück der Traumaversorgung in dieser Notaufnahme, das ist ein traumaspezifischer Schockraum. Das heißt, hier kommen nur schwer- oder schwerstverletzte Patienten hinein.“ Ein Beatmungsgerät, Röntgen- und Ultraschallgeräte stehen bereit. Nach wenigen Handgriffen ist die Patientenliege ein OP-Tisch.
Im Klinikum Ludwigsburg ist man auf den Extremfall vorbereitet. Der Schockraum ist Teil einer bundesweit einmaligen Notfallambulanz. Bereits bei der Planung des Gebäudekomplexes war Professor Oliver Hautmann (BDC-Mitglied) mit dabei, heute leitet er die gesamte Einheit mit rund 70 Mitarbeitern.
In sieben hochspezialisierten Räumen können Schwerverletzte gleichzeitig behandelt werden: „Normalerweise halten große Kliniken nur ein oder zwei vor. Und die sieben haben wir deswegen, weil wir im Katastrophenfall eben dann an sieben Stellen, mit großen Teams, die auch von außen dazu kommen, mindestens sieben Schwerverletzte gleichzeitig bedienen können. Das könnten wir im Normalfall personell gar nicht abbilden, aber im Katastrophenfall haben wir Pläne vorgesehen, die dann so viel Personal hierher bringen, dass wir das bestücken können.“
Terror ist kein Tabuthema mehr
Das Wort Terroranschlag ist hier kein Tabu. Kommunikation ist alles, gerade in besonderen Lagen. An den Wänden der Spezialräume hängen Monitore, die mit den Rettungswagen vernetzt sind. Der Zustand auf dem Weg befindlichen Patienten wird angezeigt und stichwortartig beschrieben. So können sich auch die Teams in der Ambulanz entsprechend einstellen.
„Diese zwei oberen sind gerade auf dem Weg hierher. Kardioangel ist jemand mit einem Herzinfarkt, und der oben drüber ist umgefallen, bei nicht ganz klarer Situation, warum das so ist.“
Auf dem Monitor nebenan ist ganz Baden-Württemberg zu sehen. Grüne Fähnchen zeigen die aktuelle Position von Rettungshubschraubern: „Das ist der Großraum Stuttgart, momentan gibt es zwei Hubschrauber im Meldegebiet, der eine sitzt gerade in Leonberg. Die anderen sind momentan alle ausgeflogen. Außer Christoph 43, der da drüben auf der Autobahn 5, nehme ich mal an, im Einsatz aktiv ist. Wenn sie einen Katastrophenfall haben, dann sind diese ganzen Rettungsmittel immer mit An- und Abflug beschäftigt. Die Sie da rechter Hand sehen, verstehbar kommen die gerade zu uns, selbst wenn es im Katastrophenfall einmal mit der Kommunikation nicht so gut geht, dann wissen wir, wann wer kommt.“
Über 20 Jahre lang war der Mediziner im Ausland tätig: USA, Südafrika, Asien. Dort wurde er zum Traumachirurg ausgebildet und hat in dem Fachgebiet viel Praxis gesammelt. Eine Fachrichtung, die es in Europa nicht gibt. Noch nicht.
Verletzungen wie im Krieg
Als sogenannter Kriegschirurg war Hautmann außerdem mit der Hilfsorganisation Cap Anamur in Westafrika im Einsatz. Sein Wissen ist nun auch in Deutschland gefragt. Inzwischen bereitet sich die Medizin auf viele Schwerverletzte mit bislang hierzulande unbekannten Verletzungsarten vor, die gleichzeitig versorgt werden müssen.
Abb. 1: Traumaspezifischer Schockraum im Klinikum Ludwigsburg
Allerdings hake es noch an vielen Stellen, wissen Hautmann und viele seiner Kollegen. Zwar gebe es für den Notfall überall Katastrophenpläne, doch so gut wie keine Übungen. Das gelte auch für den Großraum Stuttgart: „Es gibt die, aber man muss ganz ehrlich sagen, dass ist nur auf dem Papier oder im Gehirn der Leute, die sich darum kümmern, vernetzt. Hat noch nie einer ausprobiert, ob das wirklich funktioniert.“
Herausforderung: Im Notfall müssen viele verschiedene Stellen zusammenarbeiten
„Wenn sie das zum ersten Mal im Ernstfall ausprobieren, ist das keine gute Idee. Weil diese Schnittstellen, die dann harmonieren sollen, wie der Rettungsdienst in Deutschland, der standardisiert funktioniert, habe ich größte Bedenken, dass das reibungslos funktioniert.“
Viele Kollegen teilen Hautmanns Bedenken. Auch Tim Pohlemann, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie sieht Nachbesserungsbedarf. Bei einem Treffen von Notfallmediziner in Ludwigsburg betonte Pohlemann, er sehe auch die Politik in der Pflicht: „Wir müssen uns auf diese besonderen Lagen, auch mit unserer besonderen Situation einstellen. Wir haben ein föderales System, wir haben 16 Bundesländer, wir haben 17 Ärztekammern, wir haben 16 Innenministerien. Hier braucht es eher eine zentrale, politische Direktive, wie wir vor Ort mit diesen Sachen umgehen können. Es kann nicht sein, dass man die Forderung nach Übung, nach Vorbereitung, komplett auf die Krankenhäuser abwälzt.“
Ärzte haben mit derartigen Verletzungen kaum Erfahrungen
Die veränderte Sicherheitslage stellt auch die Mediziner selbst vor Herausforderung. Medizinische Eingriffe werden heute so geplant, dass möglichst nur kleine Wunden zu versorgen sind. Mit schweren Verletzungen, wie sie etwas bei Terroranschlägen vorkommen, hätten deutsche Ärzte so gut wie keine Erfahrung.
„Das ist natürlich in derartigen Fällen, wo es um Kriegsverletzungen geht, ganz anders. Da sind keine Erfahrungen im zivilen Bereich mehr vorhanden, allenfalls in großen Städten noch sehr, sehr wenige, die dort Erfahrung haben. Hier brauchen wir einfach in den medizinischen Skills, in den chirurgischen Fähigkeiten ein Umdenken.“
Abb. 2: Ein Patient wird ins Klinikum Ludwigsburg eingeliefert
Abb. 3: Klinikum Ludwigsburg
Zurück im Klinikum Ludwigsburg. Traumachirurg Hautmann steht mittlerweile im Außenbereich des Klinikum. „Zentrale Notaufnahme – Emergency“ ist auf einem Schild über dem Eingang zu lesen. Ein Rettungswagen fährt vor und bringt einen Verletzten. Gleich daneben wird noch gebaut:
„Momentan wird hier für den Katastrophenfall dieses Stück Baugrund bearbeitet, da kommen Stellplätze hin für Rettungsfahrzeuge und so wie sie es gerade sehen, können zehn Rettungswagen nebeneinander stehen und ausladen. Dort drüben wären jetzt für Selbstanreisende Parkplätze, wo die Leute parken können. Und wenn wir hier oben drüber schauen, ist das der dritte Weg, der momentan hier begangen wird, das ist die Hubschrauberlandefläche, die genau auf der Notaufnahme oben drauf ist.“
Im Klinikum Ludwigsburg könnten im Katastrophenfall bis zu 50 Schwerverletzte versorgt werden. Bundesweit setzt dieser traumachirurgische Schwerpunkt, dessen Konzept eng an außereuropäische Ambulanzen angelehnt ist, schon jetzt Maßstäbe bei der Versorgung von Schwerverletzten.
Artikel veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung vom Deutschlandfunk Kultur – Länderreport, erschienen am 19.12.2017.
Goetz U: Trauma-Chirurgie – Gut vorbereitet für den Katastrophenfall? Passion Chirurgie. 2018 Februar, 8(02): Artikel 03_03.
Die Frage nach der richtigen Strategie zur Bewältigung der Pandemie bestimmt nach wie vor die gegenwärtige gesellschaftliche Debatte, und noch immer scheint kein Licht am Ende des Tunnels sichtbar. Tiefgreifende Veränderungen, welche die Pandemie wohl überdauern, sind jedoch jetzt schon auf allen sozialen, gesundheitspolitischen und ökonomischen Ebenen unverkennbar zu spüren.
Professor Peter Philipp Grimminger (Mainz) und Professor Omar Yusef Kudsi (Boston) legen unter Springer-Nature einen Bildatlas zur robotischen Chirurgie des oberen Gastrointestinaltrakts vor.
Auf Nachfrage, in welchen Bereichen sich die Medizin in den letzten zehn Jahren am meisten entwickelt hat, könnte man mit sehr guten Argumenten antworten: Die Vakzination, die Antikörper und die robotisch-assistierte Chirurgie.
Vom 6. bis 8. April 2022 findet unter dem Motto „Identität bewahren, Wissen mehren und Wandel gestalten“ in Leipzig der 139. Deutsche Chirurgenkongress (DCK) statt.
Spätestens seit der Neuregelung für klinisches Risikomanagement, die seit Anfang diesen Jahres gewisse Mindeststandards für Krankenhäuser und ambulante Einrichtungen festlegt, ist es Zeit, die „Operation Patientensicherheit” in Angriff zu nehmen. Dies ist ein langer, komplexer Prozess mit weitreichenden Folgen für alle Fachdisziplinen, besonders aber für das „High-Risk”-Fachgebiet Chirurgie.
In dieser Ausgabe legen unsere Autoren im Detail dar, wie wir als Chirurginnen und Chirurgen die Sicherheit für unsere Patienten verbessern können, um tragische Schicksale zu vermeiden, Kosten zu senken und nicht zuletzt auch den verschärften Anforderungen der Versicherungswirtschaft entsprechen zu können.
Wir präsentieren Ihnen mit „Operation Patientensicherheit” einen Leitfaden, um die richtigen Instrumente, Methoden und Verfahren zur Förderung der Patientensicherheit richtig, bedarfs- und zielgerecht einzusetzen. Besonderer Dank gilt Herrn Kollege Gausmann von der Firma GRB, der als Herausgeber großen Anteil am Gelingen dieser Ausgabe hat.
Die April-Ausgabe der Passion Chirurgie befasst sich dieses Mal ausführlich mit dem Thema Hernienchirurgie. Als eine der am häufigsten durchgeführten Operationen zeichnet sich die Hernienchirurgie durch eine Vielfalt von Verfahren aus. Viele Varianten haben ihre Berechtigung und Indikationen, die es immer wieder zu hinterfragen und mit aktuellen Studienergebnissen abzugleichen gilt.
Neu ist ein maßgeschneiderter, individualisierter Ansatz – der sogenannate tailored approach -, der jedoch ebenso abhängig von guten randomisierten Studien im Sinne der evidenzbasierten Medizin ist. Da diese Studien z. T. noch fehlen, liegt es im Moment bei den einzelnen Chirurginnen und Chirurgen, sich über die besten Verfahren für jeden Einzelfall zu informieren und eine individuelle Therapieempfehlung zu geben.
In detaillierten Artikeln stellen Ihnen unsere Autoren den aktuellen Stand der verschiedenen Techniken und Materialien der Hernienchirurgie vor. Der CME-Weiterbildungsartikel beschäftigt sich mit der bildgebenden Diagnostik in der Behandlung von Leistenbeschwerden und Hernien.
Evidenzbasierte Medizin (EbM) ist ein abstrakter, theoretischer Begriff, den wir Ihnen in dieser neuen Ausgabe der Passion Chirurgie näher bringen und für Sie mit praktischem Wissen verbinden wollen.
Die EbM ist ein unabdingbarer Begleiter zur optimalen Betreuung unserer Patienten und hilft uns, Indikationsstellung und Therapie transparent zu machen. Therapien oder Eingriffe, die heute noch modern und angebracht erscheinen, können schon morgen durch neue Verfahren ersetzt werden. Täglich erscheinen hunderte neuer Studien zu allen Aspekten der Medizin. Die EbM ist ein hilfreiches Werkzeug für den praktizierenden Chirurgen, um durch all diese Entwicklungen sicher zu navigieren.
Daher hoffen wir, Ihnen mit dieser Ausgabe Einblicke in den praktischen Nutzen von EbM liefern zu können. Neben einer Einführung in die Grundbegriffe in Form eines CME-zertifizierten Fortbildungsartikels präsentieren wir zwei Praxisbeispiele, anhand derer die Anwendung der EbM sowie der entsprechenden Quellen erläutert werden. Unsere Autoren geben außerdem Einblick in die praktische Nutzung von EbM in Deutschland und England und zeigen auf, welche Hürden noch zu nehmen sind.
Zentrales Thema unserer Februar-Ausgabe ist die Chirurgie im Kindesalter. Dieses Schwerpunktheft bringen wir in enger Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Kinderchirurgie heraus und danken Prof. Schmittenbecher aus Karlsruhe und Prof. Ure aus Hannover für ihre aktive Mitarbeit als Herausgeber dieser Ausgabe von PASSION CHIRUGIE.
Die chirurgische Behandlung von Kindern findet traditionell nicht nur bei Kinderchirurgen, sondern auch in nahezu allen anderen chirurgischen Disziplinen statt. In diesem Heft wollen wir deshalb nicht nur über neueste Entwicklungen in der Kinderchirurgie berichten, sondern Alltagsfragestellungen und Indikationen zur Chirurgie im Kindesalter beleuchten, die beispielsweise für Allgemein-, Viszeral- und Unfallchirurgen von Bedeutung sind.
Zunächst ergänzen wir unseren bereits im vergangenen Jahr erschienen Artikel zur Appendizitis durch den spezifisch kinderchirurgischen Blickwinkel. In einem weiteren Artikel gehen wir auf die distale metaphysäre Unteramfraktur ein, die häufigste Fraktur im Kindesalter. Im CME-Artikel geht es um die Leistenhernie im Kindesalter, deren drei wichtigste Therapieoptionen besprochen und verglichen werden.