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Kaum etwas ist in den Führungsgremien der chirurgischen Verbände in den letzten beiden Jahren so nachhaltig und auch kontrovers diskutiert worden wie das so genannte Kruse-Gutachten zur Einheit der Deutschen Chirurgie. Auch den nicht unmittelbar mit der Materie befassten Mitgliedern dürfte nicht entgangen sein, dass hier ein seit Jahren immer wieder diskutierter Prozess offenbar ernsthaft ins Stocken geraten ist. Das hängt sicher auch damit zusammen, dass die konkreten Inhalte des Gutachtens bis dato nicht allen bekannt sind, weswegen wir dieses an dieser Stelle vollständig publizieren, bzw. wegen des Umfangs des Gutachten eine Zusammenfassung liefern mit dem Verweis auf die Fundstelle der vollständigen Dokumentation (Studienergebnisse als PDF-Datei am Ende des Artikels verfügbar).

Seit mehr als 20 Jahren wird immer wieder diskutiert, ob und in welchem Umfang die unterschiedlichen Verbände in der Vertretung chirurgischer Interessen gemeinsam agieren oder sich in Abgrenzung zueinander profilieren sollen. Diese Diskussionen namentlich zwischen BDC und DGCH haben in den letzten Jahren eine neue Dynamik und Intensität entwickelt und zu konkreten Verhandlungen auf der Vorstandsebene über eine Zusammenlegung einzelner Tätigkeitsbereiche (z. B. gemeinsame Mitgliederverwaltung, gemeinsame Pressestelle, gemeinsame Akademie etc.) geführt. Bedauerlicherweise sind die im Grunde positiven Ansätze dieser Gespräche nie umgesetzt worden. Das Projekt drohte ähnlich einer zur Erkundung neuer Welten ins All geschickten Raumsonde mangels Treibstoff zum Stillstand zu kommen.

Trotz interner Kritik im Vorstand des BDC wurde letztlich mehrheitlich beschlossen, dass der Berufsverband und die Fachgesellschaften unter ihren Mitgliedern eine Umfrage zum Projekt „Einheit in der deutschen Chirurgie“ durchführen, um zu prüfen, ob die Vorstellungen der Präsidien überhaupt im Einklang mit den Wünschen der Mitglieder stehen. Beauftragt war damit (für eine erhebliche Summe Geldes) die Agentur „nextpractice“ aus Bremen.

In zweistündigen Einzel-Interviews wurden 162 Mitglieder von BDC und DGCH, sowie 17 Nichtmitglieder befragt. Die Ergebnisse dieser Befragungen wurden in dreidimensionalen Aufarbeitungen visualisiert und analysiert. Wir empfehlen an dieser Stelle nochmals, diese durchaus interessanten Darstellungen in der PDF am Ende des Artikels anzusehen.

Eine Zusammenfassung der Ergebnisse ist nicht ganz einfach, weil nahezu jede dieser komplexen Folien aus dem Gutachten unterschiedliche Interpretationen zulässt. Daher an dieser Stelle eine knappe Darstellung aus der Sicht des BDC:

Studiendesign

  • Eine Erhebung/Berechnung der notwendigen Anzahl der zu befragenden Personen hinsichtlich Repräsentativität wurde nicht erstellt.
  • Im Falle einer Doppelmitgliedschaft der Befragten in BDC und DGCH resp. Fachgesellschaft ist eine solche nicht nachvollziehbar zugeordnet worden. Eine klare Zuordnung der Aussagen dieser Personen daher nicht möglich.

Ergebnis

  • Es besteht eine deutliche positive Wahrnehmung des BDC als Motor des Prozesses „Einheit“.
  • Um die „Einheit in der Chirurgie“ zu erreichen, ist aus „DGCH-Perspektive“ eine große Veränderungsnotwendigkeit der DGCH notwendig.
  • Aus „BDC-Perspektive“ werden die „Anforderungen an die Chirurgie heute“ durch den BDC bereits weitgehend erfüllt.
  • Die Befragung macht deutlich, dass offenbar ein großes Interesse der Befragten an kooperativer Gemeinsamkeit besteht, gleichzeitig und quasi im Gegensatz dazu werden als Zentralproblem interne Machtinteressen identifiziert.
  • Der BDC steht bezüglich seines Agierens sehr dicht an einer Idealvorstellung der Mitglieder.
  • Die Befragten geben den einzelnen Themen eine unterschiedliche Bedeutung: politische Gesamtvertretung versus medizinische Fachthemen. Daraus resultiert die Notwendigkeit einer differenzierten Außendarstellung.
  • Im Ausblick auf die Zukunft zeigt sich ein deutlicher Pessimismus gegenüber der DGCH, das Ziel einer Chirurgischen Einheit zu erreichen, beim BDC dagegen schon heute eine sehr gute Einschätzung, allerdings für die Zukunft etwas abgeschwächt.
  • Die DGCH wird (auch von den eigenen Mitgliedern) eher als Dachverband denn als Mitgliedergesellschaft gesehen.
  • Alle Befragten mit Ausnahme der Leitungsebene der DGCH sind beginnend enttäuscht vom bisherigen Fortschritt der Einheit Chirurgie.
  • Die Studie zeigt einen starken Unterschied in der Bewertung der Führungsebenen durch die jeweils eigenen Mitglieder. Der BDC wird dabei im Gegensatz zur DGCH positiv bewertet.

Fazit

Aus all diesen Aussagen folgerte Prof. Kruse, dass der BDC in Folge seines guten Standings gar kein Interesse haben könne, gemeinsam mit Partnern tätig zu werden.

Diese Aussage hat leider nicht ganz überraschend zu erheblichen Irritationen geführt, obwohl sie völlig aus der Luft gegriffen ist und nach Einschätzung des Vorstandes durch die Befragung nicht bestätigt wird.

Unseres Erachtens nach handelt sich eher um eine unzulässige Wertung bei nicht verwertbarer Datenlage, nach dem Motto: Wenn die keine Vorteile sehen, warum sollten sie dann zusammengehen?

Um auf das Bild der oben genannten Raumsonde zurückzukommen: Diese hat auf ihrer weiten Reise ins Unbekannte ein plötzliches Hindernis vor sich und droht daran zu zerschellen. Aber es ist gelungen, dieses Hindernis knapp zu passieren und jetzt wird sich zeigen, ob durch die Gravitationsablenkung am Ende eine Beschleunigung in Richtung eines neuen Ziels erreicht wurde.

Die Tatsache, dass nur eine gemeinsame Vertretung aller chirurgischen Verbände die Schlagkraft und damit die Bedeutung des Faches Chirurgie verbessern kann, bleibt ebenso unverändert wie die Erkenntnis, dass angesichts knapper werdender Ressourcen die wirtschaftliche Existenz aller Beteiligten nur in Gemeinsamkeit gesichert werden kann. Aber vielleicht ist es hilfreich, den direkten Weg durch eine Mauer mit Hilfe kleiner Umwege zielführender zu gestalten. Insofern sollte die Studie trotz aller Kritik als Treibsatz gewertet werden und nicht als Bremse. Die Verantwortlichen im BDC jedenfalls werden die notwendigen Konsequenzen ziehen und in Kürze hoffentlich wegweisende Entscheidungen treffen.

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Studienergebnisse „Projekt: Einheit der deutschen Chirurgie“, erste Ergebnisse aus Tiefeninterviews mit162 Mitgliedern von BDC, BVOU und DGCH sowie 17 Nichtmitgliedern

Rüggeberg J. / Seifert J. Aus der Bahn geschleudert – und beschleunigt: Ergebnisse des Gutachtens zur Einheit der Chirurgie. Passion Chirurgie. 2015 März, 5(03): Artikel 07_01.

Autoren des Artikels

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Dr. med. Jörg-Andreas Rüggeberg

Vizepräsident des BDCReferat Presse- & Öffentlichkeitsarbeit/Zuständigkeit PASSION CHIRURGIEPraxisverbund Chirurgie/Orthopädie/Unfallchirurgie Dres. Rüggeberg, Grellmann, HenkeZermatter Str. 21/2328325Bremen kontaktieren
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Prof. Dr. med. Julia Seifert

Zuständigkeit Hygiene im BDCLeitende Oberärztin der Klinik für Unfallchirurgie und OrthopädieUnfallkrankenhaus BerlinWarenerstr. 712683Berlin kontaktieren

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