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Gleich von mehreren Seiten wird geklagt, dass in Deutschlands Krankhäusern eine Mengendynamik ohne Qualitätsdynamik vorherrsche. Und tatsächlich betonen die im aktuellen DRG-System gesetzten Leistungsanreize eine Konzentration auf das Volumen im Gegensatz zu einer Konzentration auf die Qualität der Ergebnisse. Dabei werden die Dimensionen der Qualität in Abhängigkeit von den jeweiligen Diskutanten m. E. unterschiedlich interpretiert. Mit dieser Diskussion steht Deutschland nicht alleine, sondern ganz unterschiedliche Gesundheitssysteme setzen sich mit der Frage der optimalen Allokation von Kosten im Verhältnis zum erzielten medizinischen Nutzen auseinander.

Vor diesem Hintergrund wird eine Neuausrichtung des Gesundheitswesens durch eine Orientierung an dem für den Patienten erreichten Nutzen als eine vereinheitlichende Definition des Wertes medizinischer Leistungen diskutiert („value-based-medicine“). In der Tat ist die Fokussierung auf den Patientennutzen als übergeordnetes Ziel aller Akteure im Gesundheitswesen naheliegend.

Hochspezialisierte Behandlung in Integrierten Behandlungseinheiten

Derzeit viel Beachtung findet eine von M. E. Porter vorgeschlagene Verbindung des wirtschaftstheoretischen Wertkettenansatzes auf Systemebene mit der Frage der (medizin-)strategischen Positionierung individueller Krankenhäuser. In seiner bereits 2005 vorgestellten Adaptation des Wertkettenansatzes für das Gesundheitswesen definiert er als einziges Ziel die Maximierung des Nutzens für den Patienten, wobei Porter den individuellen Nutzen als „erreichte Behandlungsergebnisse pro ausgegebenem Euro“ operationalisiert. Seine Überlegungen sind von dem Grundgedanken getragen, die Faktoren des Erfolges nichtmedizinischer Unternehmungen nun auch auf Kliniken zu übertragen. Tatsächlich zeigt sich, dass Kliniken mit hohem Spezialisierungsgrad d. h. Fokussierung auf ganz bestimmte Erkrankungen oder Krankheitsbilder, guter Qualität und hohem Nutzen für Patienten, nachweislich die besten Marktchancen haben.

Was Nutzen ist, wird deshalb zuallererst aus Patientensicht definiert und soll die gesamte Behandlungskette im Blick haben, d. h. den gesamten Behandlungszyklus, der erforderlich ist, um das gewünschte medizinische Ergebnis zu erreichen und langfristig zu erhalten. Dafür ist eine Organisation der medizinischen Leistungen und der Personen dafür erforderlich, die den Modellen der Integrierten Versorgung oder den DMP ähnlich ist. Bei Porter wird diese Organisationsform als integrierte Behandlungseinheit (im englischen Original als „Integrated Process Unit, IPU“) bezeichnet. IPU sind damit als multiprofessionelle Teams charakterisiert, welche über alle für die Behandlung des Krankheitsbildes erforderlichen Ressourcen und Interventionsmöglichkeiten verfügen. Idealerweise arbeiten diese Teams immer zusammen – an einem Ort und unter einer administrativen Leitung in interdisziplinären Ambulanzen und Stationen. IPUs sind demnach fokussiert arbeitende Teams von Spezialisten, welche mit an Leitlinien orientierten und verbindlich festgelegten Behandlungsplänen arbeiten; ihre Ergebnisse mithilfe von versorgungs- und patientenrelevanten Endpunkten konsequent messen und die erzielten Ergebnisse den Kosten bzw. den eingesetzten Ressourcen gegenüberstellen.

Wie funktionieren solche spezialisierten Behandlungseinheiten?

Auch in Deutschland gibt es in den großen operativen Fächern zahlreiche Beispiele für eine Fokussierung auf bestimmte Leistungen. Vor fast 20 Jahren starteten erfolgreiche Beispiele in der Orthopädie, speziell dem Gelenkersatz oder in der Urologie, speziell der Behandlung des Prostatakarzinoms. Aber auch in der Allgemein- und Viszeralchirurgie sind hochspezialisierte Einheiten entstanden z. B. in der Hernienchirurgie, der bariatrischen Chirurgie oder in der endokrinen Chirurgie.

Die endokrine Chirurgie umfasst die operativen Behandlungen der Schilddrüse, der Nebenschilddrüsen, der Nebennieren und der neuroendokrinen Tumoren des Gastro-entero-pankreatischen Systems. Mit jährlich ca. 100.000 operierten Patienten ist der Leistungsumfang bedeutsam und der Anteil der Betroffenen mit einem komplexen Versorgungsbedarf ist hoch. Das Spektrum der personellen und strukturellen Komponenten ist überschaubar und die Behandlung hat eine über nationale und internationale Leitlinien abgesicherte, gute Evidenzbasiertheit. Darüber hinaus sind die patienten- und versorgungsrelevanten Endpunkte klar, sodass die Messung und Bewertung der Ergebnisse unproblematisch ist.

Tab. 1: Merkmale einer hochspezialisierten Behandlungseinheit (IPU) nach Porter

Integrierte Behandlungseinheiten – Konstituierende Merkmale nach M.E. Porter

Multiprofessionelles, multidisziplinäres, sektorfreies Behandlungsteam

Fokussiert auf die Behandlung definierter Entitäten

Administrative und räumliche Einheit

Leitlinienorientierung und verbindliche Behandlungspläne

Messung und Kommunikation der Ergebnisse

Patienten- und versorgungsrelevante Endpunkte

Konsequente Betrachtung der Kosten pro gewünschtem Ergebnis

An der eigenen Klinik wird seit einigen Jahren konsequent der Aufbau einer IPU für endokrine Medizin betrieben. Dem Gedanken der Value Based Medicinie folgend besteht die als „Endokrines Zentrum“ geführte Einheit aus einem Kernteam in dem die Klink für Endokrine Chirurgie mit dem bettenführenden Schwerpunkt Endokrinologie der Klinik für Innere Medizin und der Nuklearmedizin zusammen arbeiten. Die Basis bildet eine unter einer administrativen Leitung stehende gemeinschaftlich geführte Ambulanz und gemeinschaftlichen Stationen. Die ca. 1.800 stationären Patientinnen und Patienten werden auf den interdisziplinären Stationen betreut und das vollständige Spektrum der diagnostischen (auch PET-CT, SPECT) und interventionellen Möglichkeiten (MIC, RFA, HIFU) in der endokrinen Medizin vorgehalten.

In der Ambulanz finden regelmäßige Spezialsprechstunden statt in der andere Mitglieder der IPU zum Kernteam hinzutreten, z. B. in der Punktionssprechstunde, in der klinische Zytopathologen bei besonderen Fragestellungen tagesgleiche Ergebnisse ermöglichen oder die Spezialsprechstunden für perioperativ erkannte Stimmstörungen oder dem kraniopharyngealen Syndrom, welche zusammen mit einer spezialisierten Logopädie-Lehreinrichtung angeboten werden. Weitere Sprechstunden für Angehörige mit familiären Tumorsyndromen oder für die Komplexbehandlung bei hochaggressiven Neoplasien wie dem anaplastischen Schilddrüsenkarzinom, werden von unserer Studienzentrale, der Strahlentherapie sowie der Onkologie begleitet. Regelmäßige Treffen bringen alle Mitglieder des Endokrinen Zentrums zusammen (Endocrine Board Meetings). Bei den Treffen der Kerngruppe werden die in einem monatlichen Report aktualisierten medizinischen Ergebnisse und die Kostendaten diskutiert und die sich daraus ergebenden Fragen gemeinschaftlich weiterentwickelt.

Dies kann ohne zwei wichtige Komponenten einer IPU nicht umgesetzt werden: die strukturierte Erfassung der Behandlungsqualität und die konsequente Erfassung der Ressourcennutzung. Die Erfassung der Behandlungsergebnisse wird im Endokrinen Zentrum durch ein Datenmanagement Team sichergestellt. Dessen Aufgabe ist es, Daten aus dem Behandlungsprozess sowie nach sechs Wochen, sechs Monaten und einem Jahr auszuwerten – z. B. im Hinblick auf die nach einer Operation an der Schilddrüse möglichen Beeinträchtigungen des Kalziumstoffwechsels oder der Stimmqualität. Wir nutzen diese Daten zum internen Peer Review um z. B. Operationstechniken gegenseitig zu optimieren. Das Team kooperiert auch mit dem lokalen klinischen Krebsregister, sodass uns die Langzeitergebnisse der onkologischen Patienten zur Verfügung stehen. Diese Aktivitäten ermöglichen es uns, dass wir unsere Leistungsangebote an den Bedürfnissen der Patientinnen und Patienten orientiert über die gesamte Versorgungskette optimieren können. Das dieses optimierte Leistungsangebot sowohl von Patienten als auch unseren Partnern in Niederlassung zunehmend wahrgenommen wird, ist ein weiteres Zeichen der Wirksamkeit einer spezialisierten Behandlungseinheit.

Das Datenteam interagiert aber auch intensiv mit der Studienzentrale des Klinikums. So nutzen wir die sich aus der fortlaufenden Erhebung der Behandlungsdaten erbgebenden Forschungsmöglichkeiten. Als Folge dieser Infrastruktur und des hohen Patientenaufkommens sind wir Kooperationspartner forschender Universitätskliniken und der Medizinproduktehersteller sowie der pharmazeutischen Industrie. Damit sichern wir die Teilhabe an den neuesten Technologien und Therapien für unsere Patientinnen und Patienten. Effekte dieser Kooperationen sind u. a. Phase-II-Studien zur Immunmodulation beim Schilddrüsenkarzinom, der Aufbau einer Biomaterial- und Gewebebank für seltene Tumore des Neuroendokrinen Systems oder die Einführung der Robotik.

Das zweite strukturelle Merkmal ist die transparente Erfassung der mit der Ressourcennutzung verbundenen Kosten. Seit jeher ist es das Anliegen der Ärzte möglichst zielgerichtet zu therapieren und jedwede den Patienten belastende, überflüssige oder unnötige Aktivität zu vermeiden. Wie weit wir auf diesem Weg sind, kann durch konsequente Erfassung der Ressourcennutzung bzw. der Kosten bestimmt werden. Neben den üblichen Kennzahlen nutzen wir neuere Instrumente, wie z. B. die auf Zeit und Aktivitäten bezogene Kostenträgerrechnung (TD-ABC). Diese zusammen mit dem Controlling entwickelten Methoden setzen uns in die Lage optimale Behandlungen zu optimierten Kosten zu definieren und hierzu wissende Entscheidungen zu treffen. Bereits bei den ersten Erhebungen stellen wir fest, dass infolge Harmonisierung und Verschlankung der Prozesse und der hohen Operationsfrequenz im Verbund mit niedrigen Komplikationsraten Kosteneffekte entstehen, welche die Infrastruktur der integrierten Behandlungseinheit nachhaltig unterstützen. Insoweit können wir das ökonomische Potenzial anderer hochspezialisierter Einheiten nachvollziehen.

Was sind Barrieren beim Aufbau der spezialisierten Behandlungseinheiten?

Potenzielle Verhinderungsfaktoren können die Langfristigkeit der Umsetzung und die Notwendigkeit von Investitionen sein. Denn obgleich mittelfristig die Wirtschaftlichkeit hochspezialisierter Behandlungseinheiten nicht infrage steht, sind Aufbau und Zusammenlegung von verschiedenen Abteilungen und Bereichen zunächst mit Kosten verbunden. Ein möglicher Lösungsweg können integrierte Leistungsverbünde sein. Solche Leistungsverbünde stellen die entlang des Behandlungspfades organisierte Kooperation mit vor- oder nachgelagerten externen d. h. im ambulanten Bereich tätigen Leistungserbringern dar. Die Vorteile eines solchen Verbundes, ob als Kooperation, als MVZ oder ASV, liegen in der investitionsneutralen Steigerung des Komplexitätsgrades der Leistungserbringung. Aufgrund der Sektorierung der Vergütung ergibt sich kein monetärer Substitutionsbedarf der additiven Leistungen.

Ein weiterer Verhinderungsfaktor liegt womöglich im Selbstbild der beteiligten Chirurgen, denn die deutschsprachige Chirurgie versteht sich traditionell als eine alle Aspekte der Allgemein- und Viszeralchirurgie inkludierende Berufsgruppe. Dies steht im Gegensatz zu der Selbstverständlichkeit mit der sich in vielen OECD-Staaten die Spezialisierung in der Chirurgie weiter ausdifferenziert. Voraussetzung ist eine chirurgische Haltung, die geprägt ist von dem Willen zur engen technischen Fokussierung und der Bereitschaft zu einer konsequenten Leistungsentwicklung.

Auf der Seite der Administration eines Krankenhauses braucht es neben der Weitsicht solche Prozesse zu initiieren vor allem Durchhaltevermögen – denn es gibt keine „quick-wins“. Ideal ist es deshalb, wenn sich die für den Aufbau einer hochspezialisierten Einheit einsetzenden Personen langfristig an die Klinik binden. Angesichts der in dieser Ausgabe an anderer Stelle mitgeteilten, eher kurzen durchschnittlichen Verweildauern nicht-medizinischer Geschäftsführer kann auch dieser Umstand eine Herausforderung sein.

Nicht zuletzt sieht die Weiterbildungsordnung isoliert stehende, hochspezialisierte Behandlungseinheiten nicht vor, sondern interpretiert Weiterbildung immer im gesamten Kontext der Allgemein- und Viszeralchirurgie. Deshalb führen spezialisierte Abteilungen zu einer Fragmentierung der Weiterbildung, wenngleich sie in ihren Bereichen eine Begegnung auf einem besonders hohem Niveau und Volumen versprechen. Die Auswirkungen auf die Zukunft der Weiterbildung müssen jedoch zum gegenwärtigen Zeitpunkt offen bleiben.

Erfolgsmodell Hochspezialisierung?

Die aktuelle Gesundheitspolitik favorisiert die Fokussierung auf die Qualität und den Nutzen der medizinischen Behandlung und will eine Abkehr von der derzeitigen Mengenorientierung. Die neue Qualitätsorientierung wird deshalb nicht bei der prozedur- bzw. diagnosebezogenen und am stationären Sektor orientierten, d. h. bei der „klassischen Qualitätssicherung“ verharren, sondern an der Perspektive Patientenorientierung und des Nutzens ausrichten.

Mit dem Krankenhausstrukturgesetz sind die zukünftigen Erfolgsfaktoren in der Chirurgie vorgegeben: eine deutliche Zunahme der Spezialisierung, zunehmende Patientenorientierung und die transparente Kommunikation glaubwürdiger und relevanter Ergebnisdaten. Für die langfristig planbaren Eingriffe in der Allgemein- und Viszeralchirurgie wird dies absehbar die Orientierung auf hochspezialisierte, fokussiert arbeitende Behandlungseinheiten fördern, vor allem vor dem Hintergrund der möglichen Mengenbefreiung für qualitätsgesicherte stationäre Leistungen.

Der Ansatz der Value Based Medicine bietet insoweit die Chance die ökonomischen Auswirkungen medizinischen Handelns unter dem Gesichtspunkt des Nutzens für die Betroffenen neu zu überdenken. Dies ermöglicht es, die Perspektiven derjenigen, die zuerst an wirtschaftlichen Ergebnissen interessiert sind (Geschäftsführung) mit denen, die zuerst an medizinischen Ergebnissen interessiert sind (Ärzte), in einen für beide Seiten wieder bedeutungsvollen Kontext zu stellen und ihnen zu einer gemeinsamen Zielausrichtung zu verhelfen.

Für das Krankenhaus der Zukunft eröffnet sich damit die Chance sich zu einem bedarfsgerecht konzipierten und für die Versorgung von bestimmten Krankheiten oder definierten Populationen optimierten Versorgungsmodell weiter zu entwickeln. Der Autor ist davon überzeugt, dass diese Krankhäuser mit Hilfe ihrer hochspezialisierten Behandlungseinheiten die Herausforderung annehmen können, eine führende Rolle in der Gestaltung regionaler Leistungsverbünde zu übernehmen, mit der Konsequenz, dass ihre medizinischen Spitzenkompetenzen bis in die Praxen der regionalen Grundversorgung geleitet werden.

Voraussetzung für diesen Erfolg ist der vertrauensvolle und auf Langfristigkeit angelegte Dialog zwischen den medizinischen und den administrativen Experten eines Krankenhauses, die von einem gemeinsamen Grundverständnis getragen, konsequent die gemeinschaftlich entwickelten Konzepte umsetzen.

Literatur beim Verfasser

Zielke A. Spezialisierung fordert Wirtschaftlichkeit im Krankenhaus. Passion Chirurgie. 2016 November, 6(11): Artikel 02_03.

Autor des Artikels

Profilbild von Andreas Zielke

Prof. Dr. med. Andreas Zielke

ChefarztKlinik für Endokrine Chirurgie, Endokrines Zentrum StuttgartDiakonie-Klinikum StuttgartRosenberg Str. 3870176Stuttgart kontaktieren

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