01.03.2020 Politik
Grußwort zum 60. Jahrestag des BDC

Seit der Gründung des Berufsverbandes der Deutschen Chirurgen e.V. (BDC) am 23. April 1960 in München hat sich das Gesundheitssystem in Deutschland ganz wesentlich verändert. Das gilt auch für die Chirurgie. Nahmen an der Gründungssitzung des BDC noch 40 Chirurgen teil, hat der Berufsverband heute mehr als 17.000 Mitglieder und ist Europas größte Chirurgenvereinigung. Die Aktivitäten und das Engagement des BDC reichen weit über in engerem Sinne berufspolitische Belange hinaus. So bietet der Verband ein umfangreiches Fort- und Weiterbildungsprogramm an, das wesentlich dazu beiträgt, die chirurgische Versorgung in Deutschland kontinuierlich weiterzuentwickeln und innovative Operationsverfahren in die Routineversorgung zu bringen. Der BDC leistet damit einen wesentlichen Beitrag, die Qualität der chirurgischen Versorgung in Deutschland zu sichern.
Die Zahl der ärztlich Tätigen in Deutschland ist so hoch wie nie zuvor. Seit dem letzten runden Geburtstag des Berufsverbandes im Jahr 2010 ist die Zahl der Chirurginnen und Chirurgen in Deutschland mit ärztlicher Tätigkeit um gut 21 Prozent auf mehr als 37.000 gestiegen. Das ist ein überproportionaler Zuwachs im Vergleich zur Gesamtzahl aller Mediziner mit ärztlicher Tätigkeit, die um 18 Prozent zugenommen hat. Der Frauenanteil in der Chirurgie steigt ebenfalls an, auch wenn es mit 21 Prozent Chirurginnen im Jahr 2018 gegenüber 47 Prozent Frauen bei allen ärztlich Tätigen noch Aufholpotential gibt. Das ist im Hinblick auf die chirurgische Versorgung der Zukunft vor allem deshalb wichtig, weil aktuell etwa zwei Drittel der Studierenden im ersten Fachsemester Humanmedizin Frauen sind. Für die Sicherung des Nachwuchses in der Chirurgie wird es deshalb entscheidend sein, auch für Frauen noch attraktiver zu werden. Dass das möglich ist, zeigt zum Beispiel die Kinderchirurgie, wo der Frauenanteil aktuell bereits bei 39 Prozent liegt. Meines Erachtens braucht es in der Breite der chirurgischen Spezialgebiete mehr Frauen in Führungspositionen, die der nachwachsenden Ärztinnengeneration als Orientierung und Vorbilder dienen können.
Der BDC hat in den 60 Jahren seiner Geschichte bewiesen, dass er sich veränderten Rahmenbedingungen hervorragend anpassen kann. So hat er mit der BDC|Akademie und der eAkademie früh mit digitalen Fort- und Weiterbildungsangeboten, Webinaren und Fortbildungsvideos kreativ auf neue kommunikationstechnische Entwicklungen reagiert. Auch bei der Motivation von Studierenden zur Entscheidung für das Fach Chirurgie hat der BDC durch Projekte mit Studierendenvertretern und Initiativen wie „Nur Mut! Kein Durchschnittsjob: ChirurgIn“ wichtige Akzente gesetzt.
Für die kommenden Jahre möchte ich das Augenmerk vor allem auf zwei weitere Herausforderungen lenken. Zum einen wird nach meiner Einschätzung die Bedeutung von ärztlichen Assistenzberufen auch in der Chirurgie zunehmen. Es gilt, die fachlich-medizinischen Abgrenzungsfragen im Sinne einer pragmatischen und am Patientenwohl orientierten Zusammenarbeit zu lösen. Hier sollten primär berufspolitisch geprägte Perspektiven in einigen Bereichen kritisch hinterfragt und innovative Kooperationsmodelle weiterentwickelt werden.
Zum anderen wird nach meiner Einschätzung das Thema der Angemessenheit ärztlich-chirurgischen Handels im Hinblick auf den Nutzen und die Patientenorientierung eine zunehmende Rolle spielen. Die Diskussion über sehr unterschiedliche Operationshäufigkeiten innerhalb Deutschlands und im internationalen Vergleich sollte aus meiner Sicht durch die chirurgische Profession selbst aktiv gestaltet werden. Als Beispiel möchte ich hier auf die „Choosing Wisely“-Initiativen in der Medizin verweisen, die ärztliche Fachgesellschaften selbst auf den Weg gebracht und damit die ärztliche Verantwortung für das Thema einer angemessenen Versorgung im Sinne einer professionellen Selbstregulierung aufgegriffen haben. Entscheidend ist, dass es sich hier um einen Bottom-Up-Prozess handelt, in dem es die Berufsgruppen selbst in die Hand nehmen, orientiert am medizinischen Nutzen für die Patientinnen und Patienten eine kritische Selbstreflexion und -vergewisserung über die Sinnhaftigkeit von Operationen auf den Weg zu bringen. Die Debatte über eine „Ökonomisierung“ der Medizin greift meines Erachtens zu kurz, wenn sie die Rolle der ärztlichen Profession bei der Indikationsstellung und eine in manchen Bereichen starke Orientierung am medizinisch Machbaren außer Acht lässt.
Die medizinische Wissenschaft und die Versorgung sind im stetigen Wandel begriffen. Ich wünsche dem Berufsverband der Deutschen Chirurgen für die kommenden Jahre weiter viel Glück und Erfolg. Das wird auch den Menschen zugutekommen, die auf professionelle chirurgische Kompetenz angewiesen sind.
Diesen Beitrag haben wir für die BDC-Jubiläumsausgabe angefragt und freuen uns sehr, dass Frau Dr. Pfeiffer vom GKV Spitzenverband die Zeit gefunden hat, eine Würdigung zu schreiben.
Pfeiffer D: Grußwort zum 60. Jahrestag des BDC. Passion Chirurgie. 2020 März, 10(03): Artikel 03_05.
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