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Journalistenpreis der Deutschen Chirurgen für Lars Petersen

Im Rahmen des Bundeskongresses Chirurgie 2015 in Nürnberg wurde der Journalistenpreis des BDC an Lars Petersen verliehen. Der Preisträger wurde damit für seinen Artikel „Operationsprämien für Berliner Ärzte“ in der Berliner Tageszeitung (BZ) vom 30.11.2014 ausgezeichnet.

Bei der Übergabe des Preises würdigte der Vizepräsident des BDC, Dr. Jörg-A. Rüggeberg, den Journalisten für dessen ausgewogene Recherche zu einem durchaus problembesetzten Thema. „Wir haben uns bewusst für diesen Artikel entschieden, weil Herr Petersen nicht der Versuchung erlegen ist, den einfachen Weg zu gehen, die Leserschaft eines Boulevardblattes mit Anschuldigungen nur gegen die Ärzte zu bedienen. Stattdessen hat er nach guter Recherche in verständlicher Form die Problematik unterschiedlicher Abhängigkeiten dargestellt“, erklärte Dr. Rüggeberg in seiner Ansprache.

Der BDC sei sich der Problematik finanzgeleiteter Zwänge bei medizinischen Entscheidungen sehr wohl bewusst. Umso mehr sei es wichtig, diese Thematik nicht nur einseitig den Ärzten zuzuweisen, sondern gerade auch in einem der breiten Öffentlichkeit zugänglichen Medium alle Verantwortlichen zu benennen.

Kaum eine andere Berufsgruppe genießt in Deutschland so viel Vertrauen wie die der rund 357.000 Ärzte (in Berlin: 29.337). Vor allem in Krankenhäusern hinterfragen Patienten selten, warum medizinische Entscheidungen so und nicht anders getroffen werden.

Doch genau diese Gutgläubigkeit nutzen Krankenhäuser offenbar immer häufiger aus, wie Recherchen der BZ AM SONNTAG zeigen. Erstmals packt ein Berliner Arzt aus, wie Patienten unnötig operiert und länger behandelt werden. Neueste Studien und Auswertungen der Bundesärztekammer belegen außerdem, wie es wirklich um das Patientenwohl in Krankenhäusern bestellt ist. Das Ergebnis: alarmierend!

12. November, 15.55 Uhr, irgendwo in Berlin: Es hat drei Wochen gedauert, bis Andreas Treschke (51) sich zu einem Treffen bereit erklärt hat. Der schlanke, 1,80 cm große Mann arbeitet seit vielen Jahren in einem namhaften Berliner Krankenhaus als Chirurg. Seinen wahren Namen will er nicht nennen, zu groß die Sorge vor einem Rauswurf. Treschke bestellt einen Cappuccino, redet ruhig und strukturiert.

Das Grundproblem in Krankenhäusern, so der Arzt: Eigentlich soll der Hospital-Betrieb aus Krankenkassenbeiträgen finanziert werden, Investitionen in Operationssäle oder neue Betten dagegen aus Zuschüssen der Bundesländer. „Wie alle Länder stellt Berlin jedoch viel zu wenig Geld zur Verfügung.“ Allein in Treschkes Krankenhaus gebe es inzwischen einen Investitionsstau von rund 38 Millionen Euro.

Laut Berliner Krankenhausgesellschaft brauchen alle Einrichtungen jedes Jahr rund 200 Millionen Euro für nötige Investitionen. Effektiv gebe das Land jedoch nur 60 Millionen Euro aus. Um den finanziellen Druck zu mildern, folgen Krankenhaus-Manager offenbar häufig einer brisanten Logik: möglichst viele und für die Krankenkassen teure Patientenfälle erzeugen.

Dafür nutzen sie Fehlanreize im Vergütungssystem der Krankenkassen. Seit 2003 erstatten die Versicherer Behandlungskosten mit Fallpauschalen (DRG). Dahinter steckt ein komplexes System mit rund 1200 Fallgruppen, für dessen Entschlüsselung es einen eigenen Beruf gibt: klinischer Kodierer.

Um möglichst viel Geld zu machen, verordnen Krankenhaus-Manager ihren Ärzten vor allem dreierlei:

1. Mehr Operationen: Verordnet der Arzt Krankengymnastik, vergüten das die Kassen mit lediglich rund 30 Euro pro Quartal. Für eine Operation dagegen gibt’s je nach Komplexität und Aufenthaltsdauer des Patienten bis zu 12.000 Euro.

Eine Folge: Ärzte untersuchen nicht nur häufiger (lukrativ: CT, MRT), sondern operieren mehr, als es medizinisch wirklich nötig wäre! So stieg die Zahl der Eingriffe laut Statistischem Bundesamt von 2005 bis 2013 bundesweit um rund 30 % auf 15,8 Millionen, im verschuldeten Berlin sogar um 40 % – von 524.000 auf 730.000. Ein jährliches Plus von rund 23 000!

Dagegen wuchs die Berliner Bevölkerung lediglich um 0,8 %. Zugleich verweist eine Studie des Hamburger Center for Health Economics und der TU Berlin darauf hin, dass die Menschen nicht kränker und damit behandlungsbedürftiger geworden sind. Immer dann, wenn sich eine Pauschale erhöhe, würden auch mehr Eingriffe durchgeführt, so die Forscher.

2. Besonders lukrative Operationen durchführen: Die Fallgruppen beinhalten Eingriffe, die sich für Krankenhäuser besonders lohnen: „Beliebt bei uns sind Hüft- und Knieoperationen, außerdem Katheter oder Blinddarm-Eingriffe sowie Kaiserschnitte“, so Treschke. Tatsächlich auffällig: Laut Statistischem Bundesamt stieg die Zahl der Operationen besonders bei diesen Fällen. So erfolgt in Berlin inzwischen jede dritte Geburt per Kaiserschnitt.

Ärzte haben bei solchen Fällen einen vergleichsweise weiten Beurteilungsspielraum. „Ist ein Eingriff objektiv nicht nötig, aber durchaus medizinisch begründbar, empfehlen Ärzte eine Operation“, sagt Treschke.

Brisant: Offenbar sorgen ausgerechnet die Krankenhäuser selbst, deren Kosten ja eigentlich minimiert werden sollen, dafür, dass sich bestimmte Operationen lohnen. So hatte die Chefin der bayerischen Betriebskrankenkassen, Sigrid König, Mitte des Jahres kritisiert, dass Krankenhäuser, die Leistungen oft und damit billiger anbieten, nicht ihre Kostendaten weitergeben. Die Folge: überhöhte Pauschalen. Anders als zum Beispiel in Großbritannien, sind deutsche Krankenhäuser nicht verpflichtet, ihre Kostendaten den Versicherungen zur Verfügung zu stellen.

3. Auslastung erhöhen: Gab es vor den Fallpauschalen den ebenfalls umstrittenen Anreiz, Patienten möglichst lange im Krankenhaus zu behalten, da jeder Tag abgerechnet werden konnte, lohnt es sich für Krankenhäuser nun, möglichst schnell viele Patienten durchzuschleusen. Werden die erforderlichen Zahlen nicht erreicht, machen die sogenannten Medizincontroller oder auch Geschäftsführer selbst Druck. Treschke: „Es gibt immer mal wieder Anrufe vom Krankenhaus bei der Rettungsstelle, dass Betten frei sind. Dann werden Menschen besonders häufig stationär aufgenommen, obwohl das eigentlich nicht zwingend nötig wäre.“

Habe die Auslastungsquote vor zehn Jahren in seinem Krankenhaus bei etwa 85 Prozent gelegen, sei sie heute bei etwa 95, sagt Treschke. Um das zu erreichen, müsse man jedoch mit den Hygieneanforderungen herunter. So werden Betten neben einem infektiösen Patienten eben nicht frei gehalten, sondern belegt. „Irgendwann ist das gefährlich“, so Treschke.

Das belegen auch Studien: Laut der Universität Köln steigt die Wahrscheinlichkeit, im Krankenhaus zu sterben, ab einer Auslastung von 92,5 % stark an.

Größtes Problem dabei: Krankenhauskeime! Pro Jahr stecken sich rund eine halbe Million Patienten im Krankenhaus damit an, schätzt das anerkannte Aktionsbündnis Patientensicherheit. Bis zu 180.000 Fälle davon könnten vermieden werden, wenn für Patienten mehr Zeit zur Verfügung stehen würde und Pflegepersonal sorgfältiger arbeiten könnte. Zwischen 10.000 und 15.000 Menschen sterben jedes Jahr an Keim-Infektionen.

Der Chef der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery kritisiert eine Ökonomisierung des Gesundheitswesens – weist aber dem Gesetzgeber und nicht den Krankenhäusern die Schuld zu: „Wir haben davor gewarnt. Jetzt ist sie da. Jetzt muss man mit den Folgen leben, aber nicht die Krankenhäuser an den Pranger stellen“, sagt der Radiologe. Doch warum machen die Ärzte da mit?

Krankenhäuser seien sehr hierarchisch strukturiert, so Treschke. Gerade junge Ärzte würden älteren Kollegen nicht widersprechen, hoffen sie womöglich auf eine teure Facharztausbildung. Grundsätzlich herrsche in schwierigen wirtschaftlichen Lagen auch die Angst vor einem Jobverlust.

Allerdings: Neben Druck arbeiten Krankenhäuser auch mit einem geschickten Anreizsystem. Sie schließen mit Chefärzten, Oberärzten und Fachärzten Zielvereinbarungen ab, in denen Boni gezahlt werden, wenn die geforderten Wirtschaftszahlen erreicht werden.

Dabei gilt, sogar gesetzlich vorgeschrieben: Finanzielle Anreize dürfen medizinische Entscheidungen nicht beeinflussen. Ein bislang vertraulicher Vermerk der Bundesärztekammerzeigt jedoch: Mehr als jede dritte Zielvereinbarung enthält gesetzeswidrige Anreize! Der BZ AM SONNTAG liegen mehrere solcher Zielvereinbarungen vor. So soll ein Chefarzt einen höheren Bonus bekommen, wenn die Schwere der Patientenfälle zunimmt. Dabei ist die Höhe des Bonus unbegrenzt. Ein anderer Arzt bekommt 20.000 Euro, wenn seine Abteilung 3.300 teilstationäre Dialysen schafft.

Eine Studie der Hochschule Aalen, die Klinikärzte befragte, zeigt, dass dieses Anreizsystem offenbar wirkt: Demnach sind für leitende Mediziner im Krankenhaus umsatzrelevante Steuerungsgrößen deutlich wichtiger als die Patientenzufriedenheit.

Wie sehr das Krankenhaus-System wirklich krankt, zeigt auch, dass eine wirksame Kontrolle der Krankenhäuser nicht möglich ist.

Zuständig dafür ist der Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK). Er überprüft personalbedingt allerdings bundesweit auch nur etwa jede zehnte Abrechnung im Jahr, in Berlin und Brandenburg sind das zusammen rund eine Viertelmillion Rechnungen.

Ergebnis der bundesweiten Überprüfungen, 40 % der Fälle werden falsch abgerechnet. Betrug stecke aber nicht zwangsläufig dahinter, so ein MDK-Sprecher: „Es ist ein komplexes System mit einem gewissen Interpretationsspielraum und regelmäßigen Änderungen.

Skurril jedoch: Finden sich keine Fehler, müssen die Kassen 300 Euro an die Krankenhäuser zahlen – angeblich eine Aufwandsentschädigung für deren Mühen. Ist jedoch die Rechnung tatsächlich falsch, muss das Krankenhaus nur den überhöhten Rechnungsbetrag erstatten. Laut Treschke gebe es zwischen Krankenhäusern und MDK ein Katz-und-Maus-Spiel.

Im Alltag spielen der wirtschaftliche Druck und die Folgen daraus kaum eine Rolle. „Kollegen reden selten darüber. Es herrscht Resignation.“

Dieser Artikel „Operationsprämien für Berliner Ärzte“ erschien in der Berliner Tageszeitung BZ vom 30.11.2014.

Journalistenpreis der Deutschen Chirurgen

Operationsprämien für Berliner Ärzte – Ein Beispiel aus der Tagespresse. Passion Chirurgie. 2015 September, 5(09): Artikel 02_06.

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Lars Petersen

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