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Im Dezember 2022 fand die Karrieremesse „Operation Karriere“ in Berlin statt, für die die Zielgruppe großes Interesse zeigte: Obwohl die Veranstaltung an einem Samstag stattfand, informierten sich bereits ab dem frühen Morgen Medizinstudierende und junge Ärzte und Ärztinnen über die Angebote der verschiedenen Aussteller. Der BDC zeigte nach zwei Jahren Zwangspause wieder mit einem Stand und zwei Vertreterinnen Präsenz. In zahlreichen Gesprächen konnten die BDC-Referentinnen für das Fachgebiet Chirurgie begeistern, sowie den Aus- und Weiterbildungsweg für Chirurg:innen darlegen. Für den BDC war die Teilnahme eine Möglichkeit, ein Stimmungsbild unter den Medizinstudierenden zu erhalten, was die Beliebtheit des Fachs Chirurgie angeht.

BDC-Mitglied Dr. Johanna Ludwig (oben im Bild rechts, li. Sylvia Joachimi/BDC) hielt bei der Veranstaltung einen sehr persönlichen Vortrag zum Thema Karriere in der Chirurgie, die eigene Motivation und den persönlichen Werdegang. Der BDC hat Frau Ludwig zu ihrer Motivation befragt, sich für den Nachwuchs in der Chirurgie einzusetzen.

Das Interview führte Olivia Päßler vom BDC.

Olivia Pässler: Warum halten Sie Vorträge bei Veranstaltungen für Studierende der Medizin und junge Mediziner?
Johanna Ludwig: Die Studierenden auf diesen Messen sind die Ärzteschaft von morgen, die unsere Versorgung der Patientinnen und Patienten zukünftig sichert und gestaltet. Diese Menschen werden auf die Gesundheit der Gesellschaft wahrscheinlich einen größeren Einfluss haben als ein neues Antibiotikum oder eine neue Hepatitistherapie. Als Beispiel: Innerhalb einer Lebensspanne von 85 Jahren unterzieht sich ein Mensch durchschnittlich 9,7 chirurgischen Eingriffen.

Die chirurgische Weiterbildung ist als Basis der Entwicklung chirurgischer Fähigkeiten eng mit der Qualität der chirurgischen Patientenversorgung verbunden. Mein Herzensthema ist daher die Medizin der Zukunft, mit den zwei großen Faktoren: sinnvolle Digitalisierung und Weiterbildung.

Außerdem: Ein Medizinstudium ist fordernd und wirklich anstrengend. Danach hat jeder es verdient, eine Aufgabe zu finden, die einen erfüllt. Wenn ich einzelne Denkanstöße und Fragen in die richtige Richtung stellen kann, freue ich mich.

OP  Was soll bei den Zuhörern und Zuhörerinnen hängen bleiben?
JL  Ich finde es wichtig, dass wir den Ärztinnen und Ärzte der Zukunft die richtigen und wichtigen Impulse mitgeben, die unsere Gesellschaft und unsere Medizin brauchen. Im Medizinstudium habe ich vor allem gelernt, in Schemata und Strukturen zu denken, die es schon gibt, und mich gefragt, wo ich am besten reinpasse. Wir treffen unsere Entscheidungen anhand von Strukturen und Gegebenheiten, wie sie heute sind. Davon sollten wir uns aber nicht einschränken lassen. Ich möchte junge Kolleg:innen dazu auffordern und motivieren, die Strukturen unserer Medizin so neu und umzugestalten wie es für uns, unsere Patient:innen und die Zukunft gut ist.

Als Beispiel erzähle ich über meinen eigenen Werdegang: Neben meiner klinischen Tätigkeit arbeite ich als Beraterin im Bereich Digital Health für die Bertelsmann Stiftung und für ein Start-up. Ich habe selbst zwei Start-ups für mehr Spaß im Medizinstudium und Gamification in der Medizin gegründet (www.KeineDiagnoseDurchHemdUndHose.de). Zusätzlich habe ich mit zwei Co-Autor:innen dieses Jahr das Buch „Wege aus der Klinik – Karrieren abseits des Krankenbetts“ (www.WegeAusDerKlinik.de) geschrieben und veröffentlicht. Darin geht es nicht nur um Karrierealternativen, sondern vor allem darum, eine persönliche Karriereentscheidung zu treffen. Viele möchten heute nicht mehr in der Klinik arbeiten oder sind nach einigen Jahren deprimiert von ihrer Arbeit. Ich selbst arbeite immer noch als Chirurgin, obwohl ich wie oben genannt die Alternativen kenne und schätze.

OP  Wen möchten Sie erreichen, beziehungsweise gewinnen?
JL  Alle, die Lust auf unseren Beruf haben. Noch viel mehr alle, die auf der Suche nach ihrem Weg zu einer Aufgabe sind, die sie erfüllt und in der sie ihre Talente ausleben können.

OP  Wie reagieren die Zuhörer:innen auf Ihren Vortrag?
JL  Mein Vortrag war im Vergleich zu meinen Vorredner:innen eher ungewöhnlich. Ich beschäftige mich mit der Frage, was man mit seiner Lebenszeit machen möchte – denn darum geht es eigentlich bei der Frage des Karrierewegs. Wir haben im Schnitt 80.000 Stunden Lebenszeit. Neben dem nächsten großen Ziel oder unserer Lebensvorstellung in 10 oder 15 Jahren ist es genauso wichtig, wie wir unseren Alltag gestalten wollen. Deswegen lege ich großen Wert darauf, dass man neben dem Erreichen des nächsten Meilensteins auf seinem Karriereweg nicht vergisst, dass es auch darum geht, im Jetzt zu leben.

In meinem Vortrag geht es auch darum, warum ich die Chirurgie gewählt habe, und was Chirurgin sein im Alltag bedeutet. Natürlich ist das handwerkliches Arbeiten, wie offensichtlich jeder sofort weiß. Es ist aber auch, kontinuierlich Entscheidungen zu treffen, Verantwortung zu übernehmen und vor allem im Team zu arbeiten. Die Zuhörerinnen waren aufgeweckt, haben sich aktiv Gedanken zu meinen Fragen gemacht und – am allerwichtigsten – an den richtigen Stellen gelacht.

OP  Was war Ihre Motivation, die Laufbahn der Chirurgin einzuschlagen?
JL  Ich mag die handwerkliche Arbeit, mich auf eine Sache für Stunden zu konzentrieren und sofort das Ergebnis zu sehen. Gleichzeitig mag ich das Adrenalin des Schockraums und die Herausforderung, schnell Entscheidungen zu treffen. Noch heute habe ich Momente, in denen ich im OP zu stehen und selbstständig eine Operation zu indizieren und diese durchzuführen einfach als riesiges Privileg und Verantwortung sehe. Als ich in der Chirurgie angefangen habe, haben mir erfahrenere Chirurgen, und ich glaube, dass sie es wirklich gut mit mir meinten, gesagt, dass ich für eine große Klinik nicht genug „Ellbogen“ hätte. Heute bin ich Fachärztin und angesehen in einer Unfallchirurgie an der BG Klinik und damit wahrscheinlich einer der anspruchsvollsten Unfallchirurgischen Kliniken in Deutschland. Meine Expertise möchte ich nicht mit Ellbogen nach vorne bringen und mein Team nicht mit Ellbogen führen, sondern mit Leidenschaft und Teamplay. Auch hier sehe ich die Aufgabe meiner und der folgenden Generationen, die Chirurgie umzudenken und ihr ein neues Image zu vermachen.

OP  Wo sehen Sie Verbesserungsbedarf in der Chirurgie, um den Nachwuchs zu gewinnen und zu halten?
JL  Gute Weiterbildung, zeitgemäße Arbeitsbedingungen und adäquate Bezahlung sind das A und O: Unsere Weiterbildung hat sich meines Erachtens in den letzten zwanzig Jahren im Vergleich zu unserem Gesundheitssystem, dem Anspruch der Patient:innen und der Medizin nicht maßgeblich verändert. Weiterbildung ist teuer, kostet Zeit und ist anstrengend. Gleichzeitig bringt sie weder Prestige noch wird sie adäquat kontrolliert. Der Mangel an Ärzten und Ärztinnen führt zu einem konkreten Bedarf an zeitgemäßer Weiterbildung, den wir unbedingt decken müssen. Wenn wir den Beruf für junge Menschen attraktiv halten wollen, müssen wir die Arbeitsbedingungen verbessern und individuelle Gestaltungsmöglichkeiten schaffen, auch wenn es eine Herausforderung ist und „wir das noch nie so gemacht haben“.

Der BDC wird am 9. Dezember 2023 in Berlin bei „Operation Karriere“ wieder mit einem Stand dabei sein.

Päßler O: Nachwuchsgewinnung bei Operation Karriere 2022. Passion Chirurgie. 2023 Januar/Februar; 13(01/02): Artikel 04_02.

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Olivia Päßler

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Dr. med. Johanna Ludwig

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