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Die Kodierung von Krankheitsdaten wurde bereits vor über 150 Jahren in die medizinische Dokumentation aufgenommen. So wurde 1855 von William Farr eine einfache Klassifikation von Erkrankungen auf dem Internationalen Statistischen Kongress vorgestellt [7]. Nach einer Weiterentwicklung von Jacques Bertillion wurde dann 1899 auf der Tagung des Internationalen Statistischen Instituts die Empfehlung zur Anwendung der International Classification of Diseases, kurz ICD, ausgesprochen. [3, 4]

Diente die ICD-Kodierung anfangs ausschließlich statistischen Zwecken und hier insbesondere der Todesursachenerhebung, so hat sich über das letzte Jahrhundert das Gewicht eindeutig verschoben hin zu Leistungserfassung und Abrechnung. Möglich wurde dies durch die von der WHO 1978 erstmals eingeführte International Classification of Procedures in Medicine (ICPM). Dieser Operationen und sonstige Prozeduren beschreibende Schlüssel wurde in Deutschland dann zum amtlichen Operationenschlüssel weiterentwickelt, dem heutigen OPS [5].

Seit 1996 ist der Einsatz des jährlich an die medizinische Entwicklung angepassten OPS im SGB V gesetzlich vorgeschrieben und zusammen mit dem ICD in der aktuellen 10. Fassung Grundlage der DRG Kodierung und damit der Abrechnung zwischen Krankenhaus und Krankenkasse. Mit der EBM Reform 2009 fand der OPS dann auch Einzug in das Vertragsarztsystem und muss bei jedem operativen Eingriff im ambulanten und belegärztlichen Bereich dokumentiert werden.

Angesichts der komplexen Struktur und des sowieso stetig zunehmenden Dokumentationsaufwandes im Krankenhaus und in der Praxis wird es für die Kolleginnen und Kollegen nicht gerade einfacher, neben den eigentlichen ärztlichen Aufgaben, auch den administrativen gerecht zu werden. Der sichere und korrekte Umgang mit der Kodierung aber ist von überragender Bedeutung, da die Verschlüsselung von Krankheiten und Prozeduren direkt mit dem Erlös gekoppelt ist, entweder in Form der DRG Pauschale oder der EBM-Ziffer.

Da die zu Grunde liegenden Klassifikationen komplex sind, bedarf es einer guten Einarbeitung und regelmäßigen Fortbildung, um den Anforderungen an die Kodierqualität zu genügen. Andernfalls drohen empfindliche finanzielle Abschläge („down-coding“) oder Rückforderungen der Krankenkassen nach MDK oder KV-Prüfung („up-coding“). In beiden Fällen liegt eine Fehlkodierung vor. Das down-coding ist in der Regel verursacht durch ungenügend geschultes oder auch unmotiviertes Personal, was sich in der komplexen Materie und Struktur der Klassifikationen nicht zurechtfindet. Beim „up-coding“ können finanzielle Aspekte unterstellt werden, da letztendlich eine Leistung höherwertiger vergütet wird als eigentlich vorgesehen. Wie in anderen Klassifikationssystemen auch gibt es für die richtige Kodierung aber nicht nur Schwarz und Weiß, sondern auch eine unterschiedlich breite Grauzone. Diese lässt dann durchaus unterschiedliche Interpretationen zu und öffnet somit auch die Tür zu sozialgerichtlichen Auseinandersetzungen. Um also einem angestrebten „right-coding“ gerecht zu werden, hat sich zwischenzeitlich ein profitabler Dienstleistungsbereich entwickelt, der für viel Geld Schulungen und individuelle Beratung anbietet.

Die Problematik des „up-coding“ in Krankenhaus und Praxis ist für den chirurgischen Bereich kürzlich vom BDC mithilfe einer Umfrage hinterfragt worden (vgl. C. Tonus in dieser Ausgabe). Im Ergebnis tendiert der Krankenhausbereich eher zu einem „up-coding“ als der ambulante Sektor. Warum dem so ist, kann nur spekuliert werden und hat vermutlich mit dem jeweiligen Kontrollmechanismus zu tun. Wird durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) im Rahmen der DRG Prüfung ein „up-coding“ festgestellt, so wird die Krankenkasse eine entsprechende Rückforderung an das Krankenhaus geltend machen. Erfolgt die Feststellung eines „up-codings“ im Vertragsarztbereich durch die Prüfinstanz bei der Kassenärztlichen Vereinigung (KV), so droht nicht nur eine Honorarrückforderung, sondern im Wiederholungsfall auch der Verlust der Genehmigung zur Erbringung der Leistung – eine durchaus existenzbedrohende Sanktion.

Mit der Einführung der Morbiditätskomponente in die Vergütung im vertragsärztlichen Bereich im Jahr 2012 sind nun auch die Krankenkassen auf eine qualitativ hochwertige Kodierung angewiesen, die insbesondere auch die Spielräume nach oben Richtung „up-coding“ ausnutzt. Der Grund dafür liegt in dem veränderten Geldzufluss an die Krankenkasse. Konnte sie früher über die Beiträge ihrer Mitglieder bis auf einen Risikostrukturausgleich weitestgehend selbst verfügen, so werden die Einnahmen der Kassen aktuell ausschließlich über den Gesundheitsfonds geregelt. Der Verteilungsschlüssel ist dabei in erster Linie abhängig von der Krankheitslast der Versicherten einer bestimmten Krankenkasse. Es gilt die Regel: je kränker das Mitglied desto mehr Geld für die Kasse. Daher sind diese angewiesen auf das Liefern von möglichst vielen und vor allem schwerwiegenden Diagnosen durch die niedergelassenen Vertragsärzte.

Nach dem Scheitern der Einführung einer ambulanten Kodierrichtlinie im Jahr 2012 gehen die Kassen seitdem eigene und zuweilen recht ungewöhnliche Wege [2]. Diese reichen von Besuchsangeboten für die niedergelassenen Ärzte zwecks kostenfreier Schulung zur Kodierungsoptimierung bis hin zu vertraglichen Vereinbarungen mit Sondervergütung für die Ärzte. So wurde z. B. mit Wirkung zum 1.7.2016 ein Vertrag der AOK NordWest mit der KV Schleswig-Holstein geschlossen mit dem Namen „Erhöhung der Betreuungsintensität für Patienten mit gesteigertem Versorgungsbedarf“, kurz Betreuungsvertrag. Letztendlich geht es in der Vereinbarung darum, dass die Vergütung der Ärzte mit jeder zusätzlich kodierten Diagnose in Abhängigkeit vom Schweregrad der Erkrankung erhöht wird [1].

Dies ist auch zwingend erforderlich. Wie schon zuvor dargestellt erfordert eine sachgerechte Kodierung für den kodierenden Arzt oder die MFA nicht nur einen erheblichen Zeitaufwand, der bis dato in der EBM Kalkulation keine Berücksichtigung fand. Vielmehr fallen auch weitere Belastungen an in Zusammenhang mit regelmäßigen Schulungen für das Praxispersonal. Selbst wenn diese gebührenfrei angeboten werden, so fallen doch nicht unerhebliche Kosten an. Es müssen Praxisausfallzeiten kompensiert und Reisekosten den Mitarbeitern vergütet werden. Auch die entsprechende Literatur oder hilfreiche Kodierungs-Browser sind nicht zum Schnäppchenpreis erhältlich, ganz zu schweigen von einer leistungsfähigen EDV. Insbesondere für Einzelpraxen oder kleinere Gemeinschaftspraxen stellt dies eine erhebliche finanzielle Belastung dar.

Fazit

Zusammengefasst sind heute fundierte Kenntnisse und eine optimale Anwendung der Kodierung bei Diagnose und Eingriff von überragender Bedeutung, sowohl im Krankenhaus als auch in der Niederlassung. Nur so kann erwartet werden, dass der erbrachten Leistung auch das zustehende Honorar folgt. Speziell im Vertragsarztbereich gilt weiter, dass eine optimierte Kodierung von Diagnosen Voraussetzung ist für den finanziellen Mittelzufluss an die Krankenkassen. Daran gekoppelt ist wiederum auch das Honorar der niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen, da die Höhe der Gesamtvergütung unmittelbar in Zusammenhang mit der Einnahmesituation der Krankenkassen steht. Eine auskömmliche Kompensation der mit der Kodierung verbundenen Kosten ist dabei unumgänglich.

Literatur

[1]  Anlage zum Gesamtvertrag: Erhöhung der Betreuungsintensität für Patienten mit gesteigertem Versorgungsbedarf zwischen KVSH und AOK NordWest. www.kvsh.de – Praxis – Verträge – Betreuungsvertrag AOK.

[2]  Beerheide, R.: Kodieren in der Praxis. „Die ärztliche Sicht kommt zu kurz“, Deutsches Ärzteblatt, 2010, 113 A 970.

[3]  Bertillon, J.: Classification of the causes of death. In: Transactions of the 15th International Congress on Hygiene Demography, Washington, 1912.

[4]  Bulletin of the Institute of International Statistics, 1900, 12 S. 280.

[5]  DIMDI: Basiswissen Kodieren. Eine kurze Einführung in die Anwendung von ICD-10-GM und OPS, Köln, 2010.

[6]  InEK: Kodierrichtlinien 2016. www.drg.de – G-DRG-System 2016 – Kodierrichtlinien.

[7]  Registrar General of England and Wales: Sixteenth annual report, London, 1856, S. 73.

R. W. Schmitz. Medizinische Kodierung aus Sicht des niedergelassenen Vertragsarztes. Passion Chirurgie. 2016 November, 6(11): Artikel 02_02.

 

 

Autor des Artikels

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Dr. med. Ralf W. Schmitz

Vorsitzender Landesverband BDC|Schleswig-HolsteinMVZ Chirurgie KielSchönberger Str. 1124148Kiel kontaktieren

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