01.05.2011 Allgemeinchirurgie
Leserbrief
Zum Artikel „Zeitliche Verschiebung der Appendektomie bei gegebener Operationsindikation aus organisatorischen Gründen“ (J. Neu, H. Vinz, H. Richter) in Passion Chirurgie Q1–2011
Um es vorweg zu nehmen: in meiner Klinik wird ein Operationsablaufplan durchaus unterbrochen, um eine akute Appendizitis zu operieren. Trotzdem möchte ich zur Mitteilung kritisch Stellung nehmen:
Umgang mit Studienergebnissen
Die postulierte Zeitgrenze von 4 Std. wird auf die „allgemeine Bekenntnis zur Frühoperation der akuten Appendizitis“ auf dem Kongress der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie 1905 begründet. Die Evidenz dieser Erkenntnis ist GOBSAT („Good Old Boys Sitting Around a Table“).
Studien, die eine längere Wartezeit bis zur Operation für vertretbar halten, werden kritisiert und als nicht geeignet angesehen, die Indikation zur Operation innerhalb der 4-Std-Grenze zu widerlegen. Dies ist methodisch nicht korrekt. Die Evidenz der kritisierten Studien kann nicht niedriger sein, als die der Ausgangshypothese, welche IV ist.
Also ist der logische Schluss: Die 4-Std.-Grenze ist umstritten, weitere Studien sind notwendig. Aber es kann nicht per se ein Fehler postuliert werden, wenn eine historische Zeitgrenze nicht eingehalten wird.
Zur Praxis
Moderne Operationsprogramme sind manchmal organisatorisch sehr komplex, die Verfügbarkeit von Personal und Ressourcen nicht immer gleich.
Es gibt nicht nur Schwarz und Weiß – so manche Appendizitis ist „grau“. Ohne Zweifel wird eine akute Appendizitis bei einem kleinen Kind zeitkritisch diagnostiziert und operiert; da kommt der fachärztliche Hintergrund auch nachts um Mitternacht zur Indikationsstellung und ggf. Operation – und da unterbrechen wir auch jedes noch so ausgeklügelte Programm. Es gibt aber durchaus auch Fälle einer akuten Appendizitis, bei der das Op.-Team nicht um 2 Uhr Schnitt machen muss, bei der die Operation am Beginn des Op.-Programms am Morgen ausreicht, oder bei der die Herzschrittmacheroperation wegen der Verfügbarkeit des C-Bogens erst operiert werden kann.
Hier kommen wir zum Kernpunkt meiner Kritik: Es ist nicht dienlich, wenn unsere eignen Kollegen ihre persönliche Meinung zum Standard erheben und konkrete Vorgaben formuliert werden, die nicht ausreichend abgesichert sind.
Nach dem Artikel kann jetzt jeder Patient, der länger als 4 Stunden auf seine Operation unter der Diagnose akute Appendizitis gewartet hat, eine Schmerzensgeldklage begründen. Auch bei völlig unkompliziertem chirurgischen Verlauf – wegen „Angst und Schmerzen“!
Schmerzen sind behandelbar und Angst haben auch viele der Patienten, deren Operation wegen der hinzugekommenen Appendektomie verschoben werden muss.
Meine Bitte: Liebe Experten, vermeiden Sie bitte solche ungerechtfertigten, praxisfernen Vorgaben.
Ergo
- Eine akute Appendizitis sollte möglichst rasch operiert werden. Die Dringlichkeit entspricht der Schwere des klinischen Bildes.
- Präoperative Patienten mit Angst und Schmerzen sollten adäquat, ggf. auch medikamentös, betreut werden.
- Weitere Studien sind notwendig, um zu prüfen, ob feste Zeitgrenzen zur Operation einer akuten Appendizitis die Komplikationsrate und die Rate der negativen Appendektomien beeinflussen.
- Die Verzögerung einer notwendigen Operation kann auch haftungsrechtlich relevant sein.
- Feste Zeitvorgaben sind derzeit nicht gerechtfertigt.
Autor des Artikels
Wilhelm Krick
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