01.04.2025 Politik
Krankenhausplanung und -finanzierung anhand von Leistungsgruppen – wird nun alles besser?

Eine Analyse zum Systemstart in NRW am 01.04.2025
Krankenhausplanung ist eine Teamleistung. Das auf Leistungsgruppen basierende Planungsverfahren in NRW wurde in einem mehrjährigen Prozess durch das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales NRW unter einer intensiven Beteiligung des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft NRW, der Verbände der Krankenkassen, der kommunalen Spitzenverbände, der Ärztekammern in NRW, der Pflegekammer NRW, der Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen, der Katholischen Kirche, der Evangelischen Landeskirche, des Verbandes der privaten Krankenversicherung, der Landschaftsverbände in NRW und der Psychotherapeutenkammer NRW entwickelt. Neben einer hohen zweistelligen Anzahl von Gremiensitzungen durch die oben genannten Institutionen und ergänzenden schriftlichen Abstimmungen, wurden in regelmäßigen Abständen umfangreiche Auswirkungsanalysen unter Zuhilfenahme des Datensatzes nach § 21 KHEntgG, detaillierter Strukturdaten zu allen Krankenhausstandorten in NRW und Statistiken der Ärztekammern in NRW zu den Fachärztinnen/Fachärzten durchgeführt sowie die medizinischen Fachgesellschaften in einem Stellungnahmeverfahren angehört. Dieses partizipative und datenbasierte Vorgehen war und ist die Grundlage für einen gemeinschaftlich getragenen und im April 2022 veröffentlichten „Krankenhausplan Nordrhein-Westfalen 2022. Die Strukturen müssen für die Menschen da sein, nicht die Menschen für die Strukturen!“.
Die insgesamt 60 somatischen und vier psychiatrisch-psychosomatischen Leistungsgruppen ermöglichen einen evolutionären und unbürokratischen Systemumstieg in NRW, weg von einer Bettenplanung hin zu einer Leistungsgruppensystematik, die den regionalen Versorgungsbedarf der Bevölkerung sowie landeseinheitliche Qualitätskriterien sorgfältig und angemessen berücksichtigt. Der hiermit einhergehende Transformationsprozess soll qualitätsgesicherte und etablierte Versorgungsstrukturen bewahren und dort, wo Verbesserungspotentiale bestehen, zu strukturierten Veränderungen führen.
Die Auswahl der Leistungsgruppen orientierte sich an der jeweiligen Behandlungsschwere, der Behandlungshäufigkeit und dem hiermit einhergehenden strukturellen und finanziellen Ressourcenbedarf. Im Ergebnis konnten sich die Prozessbeteiligten auf die dringlichsten stationären Versorgungsaufgaben in NRW verständigen und diese in Leistungsgruppen überführen. Die für jede Leistungsgruppe definierten Qualitätsmerkmale verfolgen nicht den Ansatz einer allumfassenden Abbildung von der initialen Diagnostik bis hin zur idealerweise vollständigen Genesung/Heilung der Patientinnen und Patienten, sondern fokussieren sich auf die jeweiligen stationären Kernprozesse.
Die Definition der Leistungsgruppen, das heißt die Beschreibung der leistungsgruppenspezifischen Patientenkollektive führte zu einer realitätsnahen Balance aus allgemeinen und spezifischen Leistungsgruppen. Die Leistungsgruppen der „Allgemeinen Inneren Medizin“, der „Allgemeinen Chirurgie“ und die anderen allgemeinen Leistungsgruppen ergeben sich aus den Weiterbildungsordnungen für Ärztinnen und Ärzte der Ärztekammern in NRW. Spezifische Leistungsgruppen richten sich nach den Operationen- und Prozedurenschlüsseln nach § 301 SGB V, der International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems der Weltgesundheitsorganisation und anderen geeigneten Merkmalen (zum Beispiel das Alter der Patientinnen und Patienten). In diesem Zusammenhang waren die Versorgungsqualität, der Erhalt der ärztlichen und pflegerischen Aus- und Weiterbildung, die Mobilität der Mitarbeitenden sowie die Wirtschaftlichkeit, aber auch die Erkenntnis einer mangelnden Abgrenzbarkeit zahlreicher Behandlungsfälle (unter anderem welcher Fall gehört in die Leistungsgruppe „Allgemeine Innere Medizin“ oder in die Leistungsgruppe „komplexe Gastroenterologie“, welcher Fall gehört in die Leistungsgruppe „Allgemeine Chirurgie“ oder in die Leistungsgruppe „Kinder- und Jugendchirurgie“) und die Pseudo-Genauigkeit einer strengen Fallzuteilung über OPS- und ICD-Kodes handlungsleitend.
Die Versorgungspartner in NRW waren und sind sich einig, dass zunächst die 60 somatischen und vier psychiatrisch-psychosomatischen Leistungsgruppen in regionalen Planungsverfahren in einem größtmöglichen Konsens eingeführt und deren Wirkung auf die Versorgung zeitnah evaluiert werden sollen. In diesem Zusammenhang können bedarfsnotwendige und nicht zeitlich befristete Ausnahmen zur Anwendung kommen. Ein starres, theoretisch-algorithmisches Verfahren würde eine passgenaue Ausrichtung der Versorgungsstrukturen an die regionalen Bedarfe und Möglichkeiten verhindern. Die im Rahmen der konkreten Umsetzung des Krankenhausplans gewonnenen Erkenntnisse sollen für eine kontinuierliche Weiterentwicklung der Leistungsgruppen im Sinne eines „Lernenden Systems“ genutzt werden. Auch hierbei soll nicht das abstrakte Ziel einer möglichst kleinteiligen und hochdifferenzierten Systementwicklung, die an einer Maximierung der Anzahl der Leistungsgruppen orientiert ist, angestrebt werden, sondern versorgungsnotwendige Entwicklungen im Vordergrund stehen.
Die Planungsverfahren wurden mittlerweile mit dem Versand der Feststellungsbescheide am 16.12.2024 beendet. Der Systemstart ist auf den 01.04.2025 datiert. Für zehn Leistungsgruppen (EPU/Ablation, Interventionelle Kardiologie, Kardiale Devices, Bauchaortenaneurysma, Carotis operativ/interventionell, Endoprothetik Hüfte, Endoprothetik Knie, Wirbelsäuleneingriffe, Bariatrische Chirurgie, Stroke Unit) besteht eine Übergangsfrist bis zum 31.12.2025.
Relevante Abweichungen von diesem Vorgehen führen zu nicht kalkulierbaren Risiken für die stationären Versorgungsstrukturen in den Bundesländern, da diese weder mit den in den Bundesländern Versorgungsverantwortung tragenden Institutionen abgestimmt sind noch diesbezüglich aussagekräftige und umfassende Auswirkungsanalysen vorliegen.
Eine deutliche Veränderung der Leistungsgruppen-Systematik aus NRW ergibt sich aus den unrealistischen Anforderungen des KHVVG an die Anzahl der Fachärztinnen/Fachärzte in den jeweiligen Leistungsgruppen, geänderten Mindestmerkmalen der NRW-Leistungsgruppen, fünf ergänzenden Leistungsgruppen, deren Sinnhaftigkeit sich nicht unmittelbar erschließt, den sogenannten onkochirurgischen Fallkonstellationen (Indikationsbereiche) und den Mindestvorhaltezahlen des KHVVG.
Die beiden letztgenannten Instrumente können als eine neue Form der Mindestmengen, die üblicherweise in einem streng reglementierten und wissenschaftlich fundierten Verfahren beim Gemeinsamen Bundesausschuss entwickelt werden oder als verdeckte zusätzliche Leistungsgruppen, die sich ausschließlich an der Fallzahl orientieren, verstanden werden. Das Ziel ist eine Zwangsverlagerung dieser Behandlungsfälle durch eine finanzielle Sanktionierung (Unterschreitung der Grenzzahl der onkochirurgischen Indikationsbereiche = Verlust der Rest-DRG, Unterschreitung der LG-spezifischen Mindestvorhaltezahlen = Verlust der Vorhaltefinanzierung). Das KHVVG liefert keinerlei wissenschaftliche Begründung für dieses Vorgehen, das erheblich in die Planungshoheit der Bundesländer eingreift.
Unabhängig von den kurz skizierten medizinisch-inhaltlichen und methodischen Kritikpunkten am KHVVG, ist dieses vollkommen ungeeignet, die finanziellen Herausforderungen der Krankenhäuser kurz- bis mittelfristig zu lösen. Eine Brückenfinanzierung zum Ausgleich der inflationsbedingten Defizite der Krankenhäuser ist unverändert von einer elementaren Bedeutung. Parallel hierzu muss das System der Betriebskostenfinanzierung der Krankenhäuser vollständig überdacht und reformiert werden. Die Vorhaltefinanzierung des KHVVG führt zu keiner Existenzsicherung insbesondere kleiner Krankenhäuser, geht bei einer Fallzahlsteigerung bei größeren Einrichtungen zunächst mit einem Erlösverlust einher, ersetzt nicht die DRGs, stellt einen erneuten Aufwuchs erheblicher bürokratischer Lasten dar und setzt zusätzliche Fehlanreize [1]. Im Ergebnis handelt es sich bei der Vorhaltefinanzierung des KHVVG um eine fallzahlabhängige Finanzierungsform, die zudem noch hochkomplex und hochbürokratisch ausgestaltet ist.
Insofern sollten stattdessen für eine Übergangszeit aktuell bereits existierende fallzahlunabhängige Finanzierungsformen über eine Anhebung bereits bestehender Zuschlagssysteme (z. B. „Notfallstufenzuschläge“, „Sicherstellungszuschläge-Regelungen“, „Zentrumszuschläge“) erwogen und parallel hierzu durch die Selbstverwaltungspartner eine grundlegende Anpassung der Betriebskostenfinanzierung erarbeitet werden. Ziel sollte dabei eine deutlich fallzahlunabhängiger als bislang ausgestaltete Finanzierung apparativer und personeller Ausstattungen für die Patientenversorgung sein. Der regelmäßige Liquiditätsfluss an die Krankenhäuser unabhängig vom tatsächlichen Fallabrechnungs- und Fallüberprüfungsgeschehen, z. B. in Form fallunabhängiger Abschlagszahlungen auf das Krankenhausbudget, sollte ebenfalls in den Blick genommen werden. Dies würde im Übrigen auch zur Krisenresilienz der Krankenhäuser beitragen (Fallzahleinbruch in der Corona-Pandemie). Wichtig ist bei alledem, dass eine Anpassung der Betriebskostenfinanzierung in der praktischen Umsetzung einfach zu handhaben ist und keine neuen Bürokratie- und Meldepflichten ausgelöst werden.
Neben einer dringend notwendigen Reformierung der Betriebskostenfinanzierung durch den Bund besteht weiterhin eine nicht ausreichende Investitionskostenfinanzierung durch die Bundesländer. Die Länder haben dies erkannt und streben eine Erhöhung dieser zweiten Säule der Krankenhausfinanzierung an. Beispielhaft kann in diesem Zusammenhang angeführt werden, dass die Investitionsmittel in NRW in den letzten Jahren erhöht wurden. So stellt das Land NRW konkret zur Umsetzung des neuen Krankenhausplans bis zum Jahr 2030 insgesamt 2,5 Mrd. Euro zur Verfügung.
Schlussendlich darf nicht unerwähnt bleiben, dass die immer weiter steigenden Bürokratielasten einen entscheidenden Kostenfaktor im Gesundheitssystem darstellen. Trotz zahlreicher Ankündigungen des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG), durch das KHVVG maßgeblich zu einem Bürokratieabbau beizutragen, ist bedauerlicherweise das Gegenteil der Fall. Die 55 konkreten Vorschläge der Deutschen Krankenhausgesellschaft zu einer Entbürokratisierung der stationären Versorgung fanden leider keine Berücksichtigung durch das BMG und müssen zwingend durch eine neue Bundesregierung aufgegriffen und umgesetzt werden [2].
Literatur
[1] Hansis E., Dahnke H. (2024) Datenbasierte Folgenabschätzung Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG), https://www.vebeto.de/khvvg, letzter Aufruf am 07.01.2025
[2] Deutsche Krankenhausgesellschaft (2024) Drei verlorene Stunden für die Patientenversorgung – Bürokratie frisst Zeit und verschärft das Fachkräfteproblem, https://www.dkgev.de/dkg/presse/details/drei-verlorene-stunden-fuer-die-patientenversorgung-buerokratie-frisst-zeit-und-verschaerft-das-fachkraefteproblem/, letzter Aufruf am 07.01.2025
Peter-Johann May
Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen e. V.
Düsseldorf
Chirurgie
May PJ: Krankenhausplanung und -finanzierung anhand von Leistungsgruppen – wird nun alles besser? Passion Chirurgie. 2025 April; 15(04): Artikel 03_05.
Mehr über die Krankenhausreform auf BDC|Online (www.bdc.de) unter der Rubrik Politik.
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