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Die sektorenübergreifende Behandlung von Patienten ist schon seit vielen Jahren in aller Munde. Sie wird lautstark von Kassenseite und auch diversen politischen Parteien eingefordert – allein eine Umsetzung ist bis dato ausschließlich allenfalls sporadisch zu beobachten [2]. Der einfache Grund dafür ist, dass unser Gesundheitssystem so aufgebaut ist, dass eine Verschiebung von Patienten und Leistungen aus einem Sektor in den anderen zwangsweise zu einem Verlust von Erlösen führt. Hauptsächlich ist davon der stationäre Bereich betroffen. Verständlicherweise war so das Interesse der beteiligten Vertragspartner gering, hier große Änderungen herbeizuführen. Und damit belegt Deutschland unter den hochentwickelten OECD-Staaten bezüglich des ambulanten Operierens weiterhin einen der letzten Plätze [8]. Dies ist umso weniger nachvollziehbar, da in diesem Bereich genug Evidenz vorliegt hinsichtlich Sicherheit, Komplikationsarmut und Patientenzufriedenheit [1, 4]. Nach jahrelangem Stillstand deuten sich nun am Horizont Veränderungen an. So wurde im MDK-Gesetz aus 2020 festgelegt, dass eine Förderung und damit Besserstellung der Vergütung, kalkuliert auf aktuellen Kosten bei der Betreibung eines ambulanten OP-Zentrums, zu erfolgen hat. Darüber hinaus hatte der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen angemahnt, dass zusätzlich zum aktuell gültigen AOP-Katalog weitere operative Leistungen aus dem stationären Sektor herausgelöst werden sollen [9]. Dem folgte das BMG mit der Vergabe eines ersten Gutachtens zur Identifizierung von initialen Leistungsbereichen [11]. Von der KBV, dem GKV-Spitzenverband und der Deutschen Krankenhausgesellschaft wurde zur Konkretisierung ein weiteres Gutachten vergeben. So soll das IGES-Institut Vorschläge erarbeiten, welche der bisher hauptsächlich stationär erbrachten Eingriffe dafür in Frage kommen und wie diese zukünftig vergütet werden sollen. Im Endeffekt sollen also gesetzliche Rahmenbedingungen geschaffen werden, die unter dem Schlagwort intersektorale Versorgung eine Verbesserung der Versorgung, ketzerisch formuliert auch eine Reduktion der Kosten, zur Folge haben sollen. Abseits von Vergütungsformen wird dabei vergessen, dass eine solche sektorenübergreifende Behandlung von chirurgischen Patienten vielerorts schon gelebt wird, ja für eine patientengerechte Versorgung unabdingbar ist.

Kürzlich hatte das Referat Niedergelassene Chirurgen (RNC) zusammen mit Vertretern des Referates Leitende Krankenhauschirurgen einen Workshop zu diesem Thema veranstaltet. Dabei zeigte sich grundsätzlich der gute Wille, eine solche Versorgungsform zu etablieren. Gleichzeitig zeigte sich aber auch, dass insbesondere die Kolleginnen und Kollegen aus den Kliniken nur rudimentär darüber informiert waren, was tatsächlich heute im ambulanten Sektor an Leistungen erbracht wird. Daher wurde die Idee geboren, am Beispiel des MVZ Chirurgie Kiel die dort gelebte Versorgung der Patienten über die Sektorengrenzen hinweg zu beschreiben.

Das MVZ Chirurgie Kiel wurde am 01.10.2006 zugelassen, damals fachübergreifend als Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) mit fünf Fachärzten für Chirurgie und einer Fachärztin für Anästhesie. Nach dem ab Januar 2007 geltenden Vertragsarztrechtsänderungsgesetz (VÄndG) durfte ein MVZ auch von Ärzten einer einzigen Facharztgruppe betrieben werden und so entwickelte sich in den folgenden Jahren ein „reinrassiges“ chirurgisches MVZ, aktuell acht KV-Sitze umfassend. Die Gesellschaftsform ist unverändert eine vertragsärztliche GbR aktuell mit sechs gleichberechtigten Partnern, weitere sieben Kolleginnen und Kollegen sind angestellt tätig, manche in Teilzeit. Eine Beteiligung einer Klinik oder eines sonstigen Investors besteht nicht.

Angesiedelt ist das MVZ im Haus einer ehemaligen Praxisklinik auf dem Ostufer von Kiel, einem Stadtgebiet geprägt durch Hafen und Schiffbau, das traditionell medizinisch schlecht versorgt war. So befinden sich sämtliche Kliniken (Universitätsklinikum, zwei Schwerpunktversorger und diverse Belegarztkliniken) auf dem Westufer. Das Einzugsgebiet des MVZs umfasst die Regiopolregion Kiel, also die Großstadt mit den benachbarten Kreisgebieten, mit etwa 650.000 Einwohnern. Abgedeckt wird das klassische chirurgische Spektrum mit den Facharztbezeichnungen Chirurgie, Unfallchirurgie, Orthopädie, Handchirurgie, Viszeralchirurgie und Gefäßchirurgie. Vier D-Ärzte sind vom Landesverband Nordwest der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) zugelassen, darüber hinaus besteht eine Beteiligung im Rahmen des Modellprojekts Handchirurgie.

Pro Jahr werden etwa 30.000 Patienten ambulant behandelt, davon etwa 4.000 Schul- und Arbeitsunfälle. Gemeinsam mit einer im gleichen Haus ansässigen Gemeinschaftspraxis für Anästhesie wird ein ambulantes OP-Zentrum betrieben. Hier werden etwa 3.500 Patienten pro Jahr operativ versorgt. Weitere 1.000 Operationen werden jährlich belegärztlich stationär in zwei verschiedenen Kliniken durchgeführt.

Bei der belegärztlichen Versorgung handelt es sich um eine seit Jahrzehnten bewährte Behandlungsform, die von Beginn an die beiden Sektoren stationär und ambulant in der Person des Belegarztes vereinte. Per definitionem handelt es sich also um intersektorale Versorgung. Damit bräuchte man diese auch nicht neu zu erfinden. Leider befindet sich dieses System aber auf dem absteigenden Ast, in erster Linie bedingt durch eine nicht auskömmliche Vergütung [6]. Weiter sind belegärztliche Kliniken in der Regel nicht mit einer 24/7 Notaufnahme und einer Intensivstation ausgerüstet, daher müssen Akutpatienten natürlich in einer chirurgischen Hauptabteilung behandelt werden. Dies gilt auch für Patienten im Rahmen des stationären berufsgenossenschaftlichen Heilverfahrens. Daher besteht zwangsläufig die Notwendigkeit der Zusammenarbeit mit stationären Einrichtungen, um eine Versorgung dieser Patienten zu gewährleisten.

Wie gestaltet sich nun konkret die Zusammenarbeit über die Sektorengrenzen hinweg?

Bereits im Jahr 2010 wurde im MVZ Chirurgie eine Indikationssprechstunde der Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH) in Kiel eingerichtet. Dazu wurde der leitende Oberarzt in Teilzeit angestellt. In der Sprechstunde werden diesem stationär behandlungsbedürftige Patienten und Patientinnen vorgestellt. Dabei wird nicht nur die Indikation gestellt, sondern auch der Aufnahme- bzw. OP-Termin festgelegt, ebenso wie eventuell zusätzlich notwendige Untersuchungen. Gleichzeitig bietet sich für die Klinik die Möglichkeit, ihre operierten Patienten nachzusorgen, inklusive der Anfertigung von Röntgenkontroll-Aufnahmen, was im normalen Klinikgeschäft mit Ausnahme von Privat- und BG-Patienten nicht möglich ist. Ähnliche Modelle wurden in der Zwischenzeit auch mit zwei Schwerpunktversorgern auf den Gebieten endovaskuläre Gefäßchirurgie und Wechselendoprothetik etabliert. Hier verhält es sich nur umgekehrt, das heißt, Vollzeit im MVZ tätige Chirurgen operieren in Teilzeit angestellt in den auswärtigen Kliniken.

Nicht erst seit der Verabschiedung der neuen kompetenzbasierten Weiterbildungsordnung werden immer mehr Weiterbildungsinhalte im ambulanten Sektor erbracht [7]. Dies deutete sich schon vor Jahren an und so wurde bereits 2015 ein bundesweit viel beachtetes Modellprojekt zur strukturierten chirurgischen Weiterbildung etabliert [10]. Es besteht eine gemeinsam ausgeübte Verbundweiterbildung des ärztlichen Leiters des MVZ und des Klinikleiters Unfallchirurgie am UKSH Kiel. Stationär in der Klinik angestellte Kolleginnen und Kollegen in der Weiterbildung haben dabei die Möglichkeit, ohne Nachweis einer Anstellung im MVZ Kompetenzen bei häufig im ambulanten Bereich durchgeführten operativen Eingriffen zu erwerben, also zum Beispiel Arthroskopien, Materialentfernungen, Hand- und Fußchirurgie unter anderem. Dieses Modell wurde von der Ärztekammer Schleswig-Holstein begleitet und dient nun als Blaupause für eine hoffentlich in der Zukunft geregelte finanzielle Förderung der Weiterbildung. Aktuell besteht auf Antrag bei den zuständigen KVen die Möglichkeit auf Zuschussgewährung analog der Förderung in der Allgemeinmedizin.

Eine weitere Form der intersektoralen Zusammenarbeit besteht in der Versorgung schwer verletzter Patienten im Rahmen des berufsgenossenschaftlichen Heilverfahrens. In den letzten Jahren wurden von der Akademie für Unfallchirurgie (AUC) Kliniken im Rahmen von Trauma-Netzwerken zertifiziert [3]. Dies ist für Praxen derzeit nicht vorgesehen. Gleichwohl besteht die Möglichkeit, als „Kooperierende Praxis“ an einem TraumaNetzwerk© angedockt zu werden. Hilfreich ist dabei auch der Anschluss der Praxen über das Teleradiologienetzwerk (TKmed©). So ist die Versorgung schwerverletzter Patienten auch nach der stationären Versorgung gesichert. Gleichzeitig dient dieses Konstrukt auch der Koordinierung der Behandlung von Patienten im SAV oder VAV-Verfahren (Schwerstverletzungsartenverfahren oder Verletzungsartenverfahren), auch im Rahmen mit von den BGen gemeinsam abgehaltenen Reha-Plan-Sprechstunden [5].

Natürlich ist nicht alles rosa in einer langjährigen Beziehung. Trotz der zuvor dargestellten intensiven Zusammenarbeit zwischen der Praxis und den stationären Hauptabteilungen bestehen wie überall anders auch Probleme. Bekanntermaßen gibt es an der Schnittstelle Vertragsarztpraxis/Hauptabteilung Reibungs- und Informationsverluste. Der Grund ist oftmals die schlechte telefonische Erreichbarkeit eines Ansprechpartners auf der Gegenseite bei Einweisung oder Entlassung und damit eintretende unnötige Verzögerungen im Heilverfahren bis hin zu Qualitätsverlusten. Wir haben daher kürzlich mit Hilfe eines medizinischen Messengers (Siilo©) das Netzwerk „Orthopädie und Unfallchirurgie Kiel“ eingerichtet. Damit besteht nun die Möglichkeit, einen Patienten mit relevanten Befunden über eine hochgesicherte App in die Gruppe der an der Behandlung beteiligten Fachärzte zu stellen. Da heute jeder in der Regel sein Smartphone dabei hat, erreicht diese Meldung zum Beispiel auch den diensthabenden Oberarzt in der Klinik, der dann umgehend Kontakt aufnehmen oder direkt die Operation anmelden kann. Analog soll bereits vor der Entlassung das weiterbehandelnde MVZ über den Patienten informiert werden, um Informationsverluste an der Schnittstelle stationär-ambulant zu minimieren.

Konkret in Planung sind derzeit weitergehende Kooperationen in Fort- und Weiterbildung und die gemeinsame Entwicklung von Standard Operating Procedures (SOPs). Auch die Teilnahme an Klinikkonferenzen (M und M, Tumorboard) ist heute mit Zoom©, Teams© und GoTo Meeting© kein Problem mehr. Das vorläufige Endziel der Zusammenarbeit ist die Entwicklung einer gemeinsamen Fallakte – dies wird aber insbesondere wegen datenschutzrechtlicher Aspekte wohl noch eine Weile dauern.

Zusammengefasst hat sich die vorgestellte intersektorale Kooperation zwischen dem MVZ Chirurgie Kiel und dem Maximalversorger UKSH Kiel durchaus gedeihlich entwickelt, dies zum Wohl des Patienten und verbunden mit einem deutlich verbesserten Zeitmanagement der beteiligten Ärztinnen und Ärzte. Lange Wartezeiten am Telefon sind passé und Informationsverluste bei Einweisung und Entlassung konnten deutlich reduziert werden. Zudem kennen wir nun den Ansprechpartner auf der anderen Seite auch persönlich, was einer Zusammenarbeit sehr zuträglich ist. Damit besteht tatsächlich eine Win-Win-Win-Situation – das heißt, Krankenhaus, Praxis und Patient profitieren gleichermaßen. Aus unserer Sicht kann daher der Aufbau ähnlicher Strukturen nur empfohlen werden. Wie viele andere Dinge auch, zum Beispiel das Qualitätsmanagement oder die Zertifizierung, bedeutet dies zunächst viel zeitaufwendiges Engagement – aber es lohnt sich.

Literatur

[1]   Chung, F., Mezei, G., Tong, D.: Adverse events in ambulatory surgery. A comparison between elderly and younger patients. Canadian Journal of Anaesthesia 1999 46 (4), S. 309. DOI: 10.1007/BF03013221
[2]   DGU: Weißbuch Schwerverletztenversorgung. 2019 https://dgu-online.de/q-s/schwerverletzte/weissbuch-schwerverletztenversorgung.html
[3]   Dittrich, S.: Schein und Sein der sektorenverbindenden und intersektoralen Versorgung. Chirurgenmagazin 2021 19 S. 18
[4]   Friedlander, D. F., Krimphove, M. J., Cole, A. P., Marchese, M., Lipsitz, S. R., Weissman, J.S. et al.: Where Is the Value in Ambulatory Versus Inpatient Surgery? In: Annals of Surgery. 2019 Online verfügbar unter https://journals.lww.com/annalsofsurgery/Fulltext/9000/Where_Is_the_Value_in_Ambulatory_Versus_Inpatient.94938.aspx
[5]   Kalbe, P.: Anpassungen der ambulanten D-Arzt-Versorgung. Passion Chirurgie. 2021 Oktober; 11(10): Artikel 04_06
[6]   Korzilius, H.: Belegärzte: die Letzten ihrer Art. Deutsches Ärzteblatt 2019; 116 S. 33
[7]   Ludwig, J.: Kompetenzbasierte Weiterbildung: Ursprünge, Inhalte und Erfahrungen. Passion Chirurgie. 2020 September, 10(09): Artikel 05_01
[8]   OECD (2020): Health care utilisation. Surgical Procedures. Paris. Online verfügbar unter https://stats.oecd.org/Index.aspx?DataSetCode=HEALTH_PROC.
[9]   Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen: Bedarfsgerechte Steuerung der Gesundheitsversorgung. 2018 Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Berlin
[10]  Schmitz, R.: Chirurgische Verbundweiterbildung in Kiel. Passion Chirurgie. 2015 August, 5(08): Artikel 02_08
[11]  Schreyögg, J., Milstein, R.: Identifizierung einer initialen Auswahl von Leistungsbereichen für eine sektorengleiche Vergütung. Gutachten im Auftrag des BMG Hamburg Center for Health Economics 26.03.2021

Schmitz RW, Müller M, Seekamp A: Intersektorale Versorgung von unfallchirurgischen Patienten. Passion Chirurgie. 2022 April; 12(04): Artikel 03_03.

Autoren des Artikels

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Dr. med. Ralf W. Schmitz

Vorsitzender Landesverband BDC|Schleswig-HolsteinMVZ Chirurgie KielSchönberger Str. 1124148Kiel kontaktieren
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Prof. Dr. Andreas Seekamp

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Dr. med. Michael Müller

Leitender OberarztKlinik für Orthopädie und UnfallchirurgieUniversitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel

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