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PASSION CHIRURGIE: Herzlichen Glückwunsch, Herr Fuhrmann, Sie haben den Vorsitz der Geschäftsführung der Bereiche Strategie und Standards, Recht und Finanzen der gematik übernommen – wie fühlen Sie sich?

Florian Fuhrmann: Ich bin überzeugt davon, dass es sinnhaft und notwendig ist, unser Gesundheitswesen weiterzuentwickeln. Dafür bin ich auch bereit, Verantwortung zu übernehmen. Natürlich ist mir nach so vielen Jahren im Gesundheitswesen bewusst, dass dies keine leichte Aufgabe ist. Deswegen habe ich mir auch viel Zeit genommen, sie gründlich zu überdenken. Jetzt freue ich mich sehr, diesen Aufbruch im Geschäftsführungstrio, mit dem gematik-Team und mit allen Stakeholdern gestalten zu können. Denn die digitale Transformation im Gesundheitswesen ist der Schlüssel für eine patientenzentrierte Versorgung. Und auch für viele strukturelle Herausforderungen.

PC  Was sind Ihre wichtigsten Ziele?

FF  Gerade erreichen wir beim Großprojekt ePA für alle einen entscheidenden Meilenstein. Die bundesweite Einführung steht bevor – das ist natürlich sehr spannend und zugleich fordernd für das ganze Team. Die ePA wird viele neue Möglichkeiten in der Versorgung und in damit verbundenen Prozessen mit sich bringen, das halte ich für sehr relevant.
In den letzten Wochen haben sowohl ich als auch die gesamte Geschäftsführung viele Antrittsbesuche bei den Gesellschaftern der gematik, bei unseren Partnern und anderen Akteuren im Gesundheitsbereich gehabt. Dabei ging es darum, uns einander vorzustellen, auszutauschen und so die anstehenden Projekte und Planungen gemeinsam weiterzuentwickeln. Diesen Kurs des Dialogs und des Miteinanders wollen wir fortführen und intensivieren. Denn von zentraler Bedeutung bei den bereits vorhandenen und den kommenden TI-Anwendungen ist die Nutzerorientierung. Dafür brauchen wir die Perspektive und das Commitment aller.
Inhaltlich ist es mir wichtig, die ärztliche Kompetenz in der gematik zunächst in Form einer ärztlichen Stabsstelle und eines ärztlichen Beirats weiter auszubauen. So wollen wir in einen noch breiteren Austausch mit den medizinischen Anwenderinnen und Anwendern gehen. Technologisch werden wir uns darüber hinaus mit den Möglichkeiten der KI für die Versorgung und unsere Arbeit beschäftigen.

PC  Inwiefern planen Sie die gematik inhaltlich und strukturell neu auszurichten?

FF  Die Stärke der neuen Geschäftsführung der gematik liegt in den verschiedenen Expertisen, die Brenya Adjei, Dr. Florian Hartge und ich mitbringen und die sich sinnvoll ergänzen. So haben wir die Chance, uns intensiver als zuvor mit wichtigen strukturellen und inhaltlichen Fragestellungen auseinanderzusetzen und selbst zu gestalten. So werden wir die Weiterentwicklung der gematik gemeinschaftlich mit vollem Engagement weiter auf den Weg bringen. Die vereinbarten Roadmaps für die Anwendungen werden wir fokussiert weiterverfolgen. Das ist eine anspruchsvolle Aufgabe, und wir gehen sie mit Tempo und Leidenschaft an.

PC  Welche Anwendungen innerhalb der Telematikinfrastruktur sind Ihnen besonders wichtig und wo sehen Sie besonderen Entwicklungsbedarf?

FF  Eine oder mehrere Anwendungen besonders „herauszupicken“, ist nicht nur schwierig, sondern wird der TI nicht gerecht. Denn gerade jetzt, wo die ePA für alle ins Rollen kommt, wird immer deutlicher werden, wie eng verzahnt die einzelnen TI-Anwendungen sind bzw. in Zukunft sein werden. So fließen E-Rezept-Daten beispielsweise in die ePA ein und bilden eine wichtige Grundlage für die Medikationsliste.
Es ist wie ein Puzzle, das sich immer weiter zusammenfügt und in dem jedes einzelne Teil eine wichtige Rolle spielt. Natürlich wird die ePA als eine Art Bindeglied für die verschiedenen Anwendungen und auch die verschiedenen TI-Nutzergruppen eine besondere Funktion haben und auch behalten.
Es ist aber ein großer Fortschritt, dass nach Jahren des infrastrukturellen Aufbaus nun die Anwendungen der TI mehr und mehr an Versorgungsrelevanz gewinnen und weitere Potenziale erschlossen werden können.

PC  Mit welchen Ansätzen wollen Sie dazu beitragen, die Patientenversorgung zu verbessern?

FF  Wie gesagt: Der Nutzen der Anwendungen muss für alle Nutzerinnen und Nutzer spürbar und erlebbar sein. Dafür ist es wichtig, die Bedarfe aller Beteiligten zu kennen und den Zugang zu digitalen Anwendungen so sicher wie nötig, aber so handlich wie möglich zu gestalten. Unsere regelmäßigen Austauschformate mit den Partnern und Stakeholdern in der Versorgung dienen dazu, dieses Ziel zu erreichen. Nicht zuletzt bieten auch die Testerfahrungen aus den beiden gematik-Modellregionen einen großen Mehrwert bei der Betrachtung der Praxistauglichkeit von Anwendungen.
So können wir erreichen, dass die Patientenzentrierung Wirklichkeit wird und Effizienzen, die in der heutigen Organisationszentrierung schwer zu heben sind, erschlossen werden.

PC  Welche Anwendungen können aus Ihrer Sicht insbesondere dazu beitragen, Ärztinnen und Ärzte als Anwender von Bürokratie zu entlasten?

FF  Das ist der Anspruch aller digitalen Anwendungen. Bei der Einführung dieser Anwendungen kann dies auch mit anfänglichen Schmerzen verbunden sein, aber langfristig lohnen sich diese. Ähnlich wie bei einem chirurgischen Eingriff.

PC  Auf welche Anfangsschwierigkeiten beim bundesweiten Rollout der elektronischen Patientenakte (ePA 3.0) sollten sich Ärztinnen und Ärzte schon jetzt vorbereiten?

FF  Der Zeitplan für die Einführung der ePA war und ist ambitioniert. In den letzten Wochen und Monaten haben die gematik und alle beteiligten Partner mit großem Einsatz daran gearbeitet. Es ist großartig zu sehen, dass die Gesellschafter der gematik, die Industrie und alle darüber hinaus Beteiligten hier an einem Strang ziehen. Alle wollen das gemeinsame Ziel, die ePA für alle zum Laufen zu bringen, unbedingt erreichen.
Natürlich gibt es bei einem Projekt dieser Größenordnung immer Herausforderungen. Denn bei der Einführung der elektronischen Patientenakte für alle handelt es sich um das größte IT-Projekt im deutschen Gesundheitswesen, wenn nicht darüber hinaus. Es ist technisch hochkomplex und fußt auf dem Zusammenspiel vieler verschiedener Komponenten, wie beispielsweise den verschiedenen Praxisverwaltungssystemen, die in der Praxis funktionieren müssen.
Wir standen und stehen mit unseren Partnern in der Industrie und den zuständigen Dienstleistern deshalb im intensiven Austausch, damit die neue ePA bestmöglich funktioniert. Es wird aber auch auf den letzten Metern der Einführung immer wieder Bereiche geben, in denen nachgebessert werden muss. Da helfen uns die Ergebnisse aus den Modellregionen Hamburg, Franken und NRW, in denen die ePA für alle vor der bundesweiten Umsetzung zunächst unter realen Bedingungen getestet wird.
Und wie bereits gesagt, lohnen sich die Investitionen in die digitale Transformation.

PC  Welches sind die wichtigsten Inhalte der ePA 3.0 und welche müssen dringend ergänzt werden?

FF  In der ePA können Ärztinnen und Ärzte grundsätzlich alle wichtigen medizinischen Dokumente und Daten im Zuge einer Behandlung speichern. Die standardmäßige künftige Befüllung der ePA beinhaltet: Medikationsdaten, E-Arztbriefe, Befundberichte, Krankenhaus-Entlassbriefe, Laborbefunde und Bildbefunde.
Ebenso werden insbesondere die „Medikationsinformationen“ aus verordneten und eingelösten E-Rezepten auf einen Blick einsehbar; künftig können darüber hinaus „Pflegedokumente“ wie etwa der Pflegeüberleitungsbogen in die ePA hochgeladen werden. Aus Versichertensicht kann die ePA auch genutzt werden, um „Abrechnungsdaten“ oder auch „elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen“ digital vorliegen zu haben.
Die ePA ab 2025 startet zunächst mit der elektronischen Medikationsliste (eML). Der digitale Medikationsplan folgt in einem späteren Schritt.

PC  Grundvoraussetzungen für die Nutzung von Anwendungen ist eine stabile Telematikinfrastruktur. Wie wollen Sie Verbesserungen erreichen?

FF  Wir müssen die bestehende Telematikinfrastruktur, also die TI, gemeinsam mit allen Beteiligten auf das nächste Level heben. Gerade für Versorgungsprozesse wie das E-Rezept ist das essentiell. Wir haben bereits verschiedene Maßnahmen durchgeführt, um Stabilität zu gewährleisten, und werden das auch weiterhin tun. Dazu gehören beispielsweise Hochrechnungen zu Nutzungsannahmen, Lastenprognosen z. B. auf Dienstleisterseite oder auch so genannte „Change-Freezes“ während des Rollouts, um Störungen zu vermeiden. Und wir arbeiten eng mit den Dienstleistern zusammen, damit es künftig weniger manuelle oder prozessuale Schwierigkeiten gibt.

PC  Ab wann werden alle Player, vor allem alle Krankenhäuser, an die Telematikinfrastruktur angeschlossen sein?

FF  Die Krankenhäuser sind, ebenso wie die vertragsärztlichen Niedergelassenen oder die Apotheken, ja bereits an die TI angebunden. Der Pflegebereich kommt ab Mitte 2025 ebenfalls dazu. Andere Nutzergruppen können sich heute schon freiwillig anschließen, wie zum Beispiel Reha-Einrichtungen oder der Öffentliche Gesundheitsdienst, oder kommen in den nächsten Jahren hinzu, etwa die Gesundheitshandwerke.

PC  Wie wollen Sie zukünftig Unstimmigkeiten wie bei der Einführung von eAU und dem eRezept verhindern?

FF  Die gematik ist kein politisch agierendes Unternehmen, wir sind verantwortlich für die technische Umsetzung und den Betrieb. Wir kümmern uns dafür um die fristgerechte Bereitstellung der Konzepte und sind verantwortlich für die Erprobungen, die Zulassungen und die Kontrolle der Anwendungen. All dies tun wir in enger Abstimmung mit unseren Gesellschaftern, allen Playern im Gesundheitswesen und den für die technische Umsetzung zuständigen Industriepartnern.

PC  Welche Bedeutung schreiben Sie dem in der Entwicklung befindlichen TI-Messenger zu?

FF  Die TI-Messenger werden im Alltag zunehmend eine wichtige Hilfestellung in der Versorgung „auf die Schnelle“ leisten. Umso erfreulicher ist es, dass wir in den letzten Monaten bereits TI-Messenger verschiedener Anbieter für die Kommunikation zwischen Leistungserbringenden zulassen konnten.
Erste Auswertungen aus der Modellregion Hamburg und Umland zeigen, dass der TI-Messenger z. B. genutzt wird, um Fragen zu Verordnungen oder Medikationsplänen zu klären, sich bei nicht lieferbaren Medikamenten abzusprechen oder sich rasch zur Wundversorgung und bei organisatorischen Unklarheiten abzustimmen. Hier sind also schon Erleichterungen im Alltag der Versicherten und Leistungserbringenden spürbar.

PC  Wie planen Sie, insbesondere Ärztinnen und Ärzte sowie Krankenhäuser bzw. deren Vertreter zukünftig besser an den Entscheidungsprozessen zu beteiligen?

FF  Zum einen sind die maßgeblichen Interessensgruppen, auch aus der Ärzteschaft, Teil der Gesellschafter und Gremien der gematik. Aber das Miteinander soll nicht nur „qua Amt“ stattfinden, deshalb sind uns regelmäßige Arbeitsgruppen zu den Anwendungen, Dialogveranstaltungen oder auch der 1:1-Austausch mit unseren Partnern wichtig.
Die Mitarbeitenden der gematik sind außerdem regelmäßig bei Hospitationen in Praxen und in Krankenhäusern zu Gast und erleben hautnah, wie die Digitalisierung im „daily business“ vor Ort läuft bzw. woran es noch hakt. Diese Erfahrungen werden wiederum ins Haus zurückgetragen und ausgewertet, wenn es um die weiteren Entwicklungsschritte geht.
Wichtig sind dafür außerdem die beiden Modellregionen der gematik für digitale Gesundheit. Hier werden einrichtungsübergreifende Verfahren bzw. Vorgänge der TI mit einer bestimmten Anzahl von Arztpraxen, Zahnarztpraxen und Krankenhäusern, aber beispielsweise auch Pflege- oder Rehaeinrichtungen dem Realitätscheck unterzogen und bei Bedarf nachgebessert, damit sie den Anforderungen der Praktikerinnen und Praktiker entsprechen.
Die neue ärztliche Stabsstelle sowie der ärztliche Beirat sollen ebenfalls den Austausch mit Ärztinnen und Ärzten in Krankenhäusern und Praxen intensivieren.

PC  Welche Hoffnungen dürfen sich speziell die niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen machen, deren Bedarfe Ihnen aus langjähriger beruflicher Anschauung in besonderem Maße bekannt sind?

FF  Seit Kindesbeinen bin ich stark geprägt von der pragmatischen, kreativen und zugleich lösungsorientierten Herangehensweise eines Chirurgen. Dabei auch in zeitkritischen und komplexen Situationen den Überblick zu behalten und gelassen zu reagieren, sind die besonderen Fähigkeiten von Chirurginnen und Chirurgen. Mein Vater selbst war Chirurg im Krankenhaus und wünschte sich noch in meiner Jugend das Gleiche für meine berufliche Laufbahn. Diesen Gefallen konnte ich ihm leider nicht tun, da meine Talente an andere Stelle liegen. Den Überblick und die Gelassenheit eines Chirurgen kann ich in meinem Beruf aber ebenfalls gut gebrauchen.
Beruflich habe insbesondere Einblicke in die ambulante Versorgung bekommen. Von 2014 bis Ende 2022 habe ich im Auftrag der KBV die KV Telematik (seit 2019 kv.digital) aufgebaut. Aus diesen Jahren bringe ich natürlich viele Erfahrungen und Kontakte in meine aktuelle Tätigkeit ein. Aber ich habe, wie auch die gematik an sich, eine neutrale Position und war ja darüber hinaus auch für verschiedene andere Unternehmen im Gesundheitswesen tätig. Ich sehe also immer möglichst alle Perspektiven, und das ist ein Vorteil.

PC  Was wünschen Sie sich von Ärzten und Berufsverbänden?

FF  Die neue Patientenakte bietet für den medizinischen Versorgungsalltag viele Vorteile für die Behandlung und unterstützt die Anamnese. Es ist großartig, dass sich viele Ärztinnen und Ärzte in den vergangenen Monaten bei der Entwicklung der ePA für alle mit Rat und Tat eingebracht haben. Wir haben die Materialien, die wir bereitstellen, mit ihnen auf Herz und Nieren gegengecheckt.
Nicht nur die ePA, auch alle Anwendungen der Telematikinfrastruktur leben von dem Verständnis, dass die Digitalisierung im Gesundheitswesen von uns allen für uns alle gemacht wird. Das Miteinander bei der Einführung und Weiterentwicklung digitaler Anwendungen ist deshalb entscheidend.
Ein großer Wunsch an die Berufsverbände ist die wohlwollende Begleitung unserer Anstrengungen, die digitale Transformation im Gesundheitswesen real werden zu lassen. Berufsverbände sind wichtige Multiplikatoren für unsere Arbeit und tragen daher zum Erfolg maßgeblich bei.

» Zur Person

Dr. Florian Fuhrmann

Florian Fuhrmann ist seit dem 01.09.2024 Vorsitzender der Geschäftsführung der gematik. Im Unternehmen verantwortet er die Bereiche Strategie und Standards, Recht und Finanzen. Von 2014 bis Ende 2022 baute er im Auftrag der Kassenärztlichen Bundesvereinigung die kv.digital GmbH auf. Zuletzt war Herr Fuhrmann tätig als Mit-Gründer von Lillian Care und Geschäftsführer des Telematikanbieters Kosyma.

Vorherige berufliche Stationen umfassen u. a. eine Unternehmensberatung, einen bundesweiten Versorgungsträger und einen internationalen Softwarekonzern. Seine akademische Laufbahn schloss Florian Fuhrmann mit einer Promotion über Krankenhausprozesse ab.

Unter seiner Führung entwickelten seine Teams in den vergangenen Jahren Kommunikations- und Versorgungsplattformen für Arztpraxen, Krankenhäuser, Impfzentren und Organisationen, die mehrfach ausgezeichnet wurden. Dr. Florian Fuhrmann war und ist Mitglied bzw. Beisitzer in verschiedenen Jurys und Gremien in den Bereichen Versorgung und Digitalisierung.

Dr. Florian Fuhrmann

Vorsitzender der Geschäftsleitung

Leitung der Bereiche Strategie und Standards, Recht und Finanzen

Gematik GmbH

Gesundheitspolitik

Fuhrmann F: gematik: Digitale Transformation im Gesundheitswesen. Passion Chirurgie. 2025 Januar/Februar; 15(01/02): Artikel 05_02.

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