01.09.2025 Orthopädie/Unfallchirurgie
Die strahlenfreie Frakturdiagnostik im Kindes- und Jugendalter wird Bestandteil der Regelversorgung

Ultraschall als sichere, schnelle, strahlenfreie und gesundheitsökonomisch relevante „Point-of-Care-Diagnostik“ ist zur Diagnostik von Frakturen langer Röhrenknochen bis zum 18. Lebensjahr bereits seit August 2024 mit den gesetzlichen Unfallversicherungen besser abrechenbar als das Röntgen. An Ober- und Unterarm bis zum Ende des 12. Lebensjahrs wird der Frakturultraschall nun auch als Kassenleistung erstattungsfähig.
Hintergrund
Mit der zunehmenden Verfügbarkeit von mobilen und kostengünstigen Ultraschallgeräten mit adäquater Bildqualität ist es möglich, eine „Point-of-Care-Diagnostik“ (POCUS) in Notaufnahmen, Ambulanzen und Praxen zum Ausschluss von Frakturen bei Kindern und Jugendlichen durchzuführen. Durch die Ultraschall-Bildgebung zur Frakturdiagnostik im Kindes- und Jugendalter ist eine im Vergleich zur Röntgendiagnostik nebenwirkungsarme (keine Anwendung von Röntgenstrahlen), schnellere (keine Wartezeiten zur radiologischen Diagnostik) und schmerzärmere Untersuchung möglich. Breite und aktuelle Evidenz stützt die Knochensonografie bei bestimmten Indikationen als Ersatz bzw. komplementäre Ergänzung der Röntgenuntersuchung [1, 2].
AWMF-Leitlinie „Fraktursonografie“
Im Februar 2023 wurde erstmalig eine S2e-Leitlinie Fraktursonografie durch die AWMF veröffentlicht. In Zusammenarbeit der beteiligten Fachgesellschaften aus den Bereichen Kinderchirurgie, Unfallchirurgie, Radiologie, Kinder- und Jugendmedizin, Handchirurgie und Ultraschall in der Medizin wurde die vorliegende Evidenz zusammengestellt und für alle Regionen des Bewegungs- und Stützapparats, die dem Knochenultraschall zugänglich sind, bewertet und in eine AWMF-Leitlinie umgesetzt. Die nun vorliegende Leitlinie zeigt sowohl das Potential als auch die Grenzen dieser Untersuchungsmethode auf und bietet damit eine sehr gute Handlungsempfehlung für die tägliche klinische Arbeit. Deutschland ist somit das erste Land, das über eine nationale Leitlinie zu dieser Methodik verfügt.
Beratungsverfahren über die Erstattungsfähigkeit durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA)
Parallel dazu wurde 2022 ein Beratungsverfahren zur Bewertung der Fraktursonografie zur Diagnosestellung bei Kindern mit Verdacht auf Fraktur eines langen Röhrenknochens der oberen Extremitäten durch den GBA hinsichtlich der Erstattungsfähigkeit eingeleitet. In diesem Rahmen wurde durch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) ein wissenschaftliches Gutachten zur Methodenbewertung erstellt. Im Verlauf des Verfahrens wurden sowohl die betroffenen Fachgesellschaften als auch Patientenvertreter durch schriftliche und mündliche Stellungsnahmen miteinbezogen. Als Einschränkung wurde im Rahmen des Verfahrens u. a. durch die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendchirurgie (DGKJCH) und durch die Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU) ein Mangel an belastbarer Evidenz für die Anwendung der Ultraschalldiagnostik bei Schaftfrakturen des Unter- und Oberarms formuliert.
Schlussendlich hat der GBA im Oktober 2024 die Fraktursonografie der langen Röhrenknochen der oberen Extremität in die Richtlinie „Methoden vertragsärztlicher Versorgung“ (MVV-RL) und in die Richtlinie „Methoden Krankenhausbehandlung“ (KHMe-RL) aufgenommen. Nachdem dieser Beschluss vom Bundesgesundheitsministerium (BMG) nicht beanstandet wurde, war nun der Bewertungsausschuss aufgerufen, den einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) entsprechend anzupassen.
Was ändert sich nun in Praxis und Klinik hinsichtlich der Erstattungsfähigkeit des Frakturultraschalls bei Kindern und Jugendlichen?
Wurde bisher das Röntgen in zwei Ebenen bei einem Kind mit Verdacht auf eine distale Radiusfraktur nach EBM mit 11,81 € vergütet, konnten ersatzweise für eine Sonografie von Strukturen des Bewegungsapparats (EBM 33050) nur 8,12 € abgerechnet werden. Mit dem GBA-Beschluss vom 17. Oktober 2024 wird nun der Frakturultraschall an Ober- und Unterarm bei Kindern bis zum vollendeten 12. Lebensjahr als eigene Leistung eingeführt. Nun können für den Frakturultraschall von Humerus, Radius oder Ulna 103 Punkte oder 12,77 € (EBM 33053) außerhalb der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung abgerechnet werden. Damit ist nun auch bei Kassenpatienten die Fraktursonografie besser abrechenbar als das Röntgen in 2 Ebenen.
Im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherungen ist die Fraktursonografie aller langen Röhrenknochen bis zum 18. Geburtstag schon seit August 2024 besser abgebildet als das Röntgen. So kann man für das Röntgen in zwei Ebenen (allgemeine Heilbehandlung) 40,12 € abrechnen, für den alternativen Ultraschall jedoch zusätzlich zur Ziffer 410 (17,81 €) auch die Ziffer 411 (38,30 €), sodass der Ultraschall mit 56,11 € um 15,99 € besser abgebildet ist. Diese zusätzliche Ziffer 411 konnte vormals nur bei Frakturkontrollen abgerechnet werden, ist aber seit August 2024 auch bei der initialen Frakturdiagnostik abrechenbar, sofern am selben Tag kein Röntgen durchgeführt wird.
Wann die gesetzlichen Krankenkassen dem Beispiel der Unfallversicherungen folgen und die Abrechenbarkeit vom Frakturultraschall auf weitere Körperregionen und auf Patienten zwischen 12 und 18 ausweiten, ist derzeit noch nicht absehbar. Klar ist aber heute schon, dass nach EBM ab dem 01.10.2025 die Fraktursonografie am selben Tag zeitlich nur vor einer Röntgenuntersuchung durchgeführt und entsprechend abgerechnet werden darf. Diese sind beispielsweise bei der erhöhten Wahrscheinlichkeit intraossärer Zysten am proximalen Oberarm oder bei nachgewiesenem Erguss im Ellenbogengelenk im Screening-Ultraschall weiterhin klinisch wichtig, richtig und sogar allgemein gefordert. Schließlich ist es wichtig zu wissen, dass die GOP 33053 ausdrücklich nicht zur Verlaufskontrolle von Frakturen abgerechnet werden darf.
Regulatorische Grundlagen
Der § 83 Absatz 5 Strahlenschutzgesetz fordert: „Die Exposition durch eine Untersuchung mit ionisierender Strahlung oder radioaktiven Stoffen ist so weit einzuschränken, wie dies mit den Erfordernissen der medizinischen Wissenschaft zu vereinbaren ist.“ Der § 119 der Strahlenschutzverordnung konkretisiert: „… die verfügbaren Informationen über bisherige medizinische Erkenntnisse heranzuziehen, um jede unnötige Exposition zu vermeiden.“ Auch die Strahlenschutzkommission (SSK) erklärte bereits in ihrer Orientierungshilfe vom 27. Juni 2019 die Sonografie zur Diagnostik von Extremitätenverletzungen zum anerkannten Spezialverfahren, in einigen Indikationen sogar zu einem Primärverfahren. Obwohl das Röntgen einer Extremität in 2 Ebenen eine sehr niedrige Strahlenbelastung mit sich bringt, die teilweise im Bereich eines längeren Spaziergangs in Mittelgebirge liegt, gilt dennoch uneingeschränkt das sogenannte ALARA-Prinzip als die gesetzlich geforderte Begrenzung des Röntgeneinsatzes auf „as low as reasonably possible“. Da es nun bei der AWMF auch eine belastbare klinische Leitlinie zur Fraktursonografie gibt, ist deren Anwendung jetzt auch evidenzbasiert und hinreichend „rechtssicher“.
Die „letzte Meile“ in die Versorgung ist geschafft:
Die Abrechenbarkeit ist eine notwendige Rahmenbedingung
für den klinisch-sinnvollen Einsatz.
Voraussetzungen für die Abrechenbarkeit
Bisher galt im Bereich der kassenärztlichen Versorgung für die Abrechenbarkeit von Ultraschalldiagnostik die sogenannte „Ultraschallvereinbarung“ (letztmalige Überarbeitung 01.04.2025). Hier ist als technische Voraussetzung ein Ultraschallgerät mit Linearschallkopf von mindestens 5MHz und weiteren Spezifikationen, die nahezu jedes in den letzten 20 Jahren vermarktete Gerät erfüllt, gefordert. Der Untersucher musste bei Vorliegen einer anderen Qualifikation im B-Modus-Ultraschall (wie allgemein in den einschlägigen Weiterbildungsordnungen betroffener Facharztweiterbildungen enthalten) zusätzlich 200 Sonografien des Bewegungsapparats nachweisen können. Laut GBA-Beschluss gilt nun für den Frakturultraschall der Qualifikationsnachweis, wenn eine mindestens 6-stündige Schulung absolviert wurde. Näheres soll in der nächsten Novellierung der „Ultraschallvereinbarung“ konkretisiert werden. Bis dahin kann die KV befristete Genehmigungsbescheide auf Antrag erteilen.
Im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherungen gibt es derartige Qualifikationsnachweispflichten bisher nicht. Es gilt hier die Annahme, dass nur ein Leistungserbringer die Ziffern 410 und 411 abrechnen würde, der hier auch ausreichend kompetent ist.
Schulung und Zertifikate
Derzeit wird das Thema Frakturultraschall im Rahmen spezieller Seminare zum Beispiel durch die DEGUM oder durch unabhängige Anbieter sowie über das Zertifikat „Kindertraumatologie“ von DGU und DGKJCH vermittelt.
Empfohlen wurde vom GBA eine Weiterbildung innerhalb eines mindestens 6-stündigen Kurses. Nach aktueller Literatur können jedoch Schulungseinheiten von etwa 30 Minuten bereits ausreichen, um Anwenderinnen und Anwendern grundlegende Kenntnisse zur sicheren Anwendung des Verfahrens zu vermitteln. Um jedoch eine flächendeckende und nachhaltige Etablierung der Fraktursonografie in der klinischen Versorgung zu gewährleisten, sollte die Methode langfristig in die Weiterbildungsinhalte der Fächer Unfallchirurgie, Orthopädie und Kinderchirurgie aufgenommen werden.
Die „letzte Meile“ in die Versorgung ist geschafft: Die Abrechenbarkeit ist eine notwendige Rahmenbedingung für den klinisch-sinnvollen Einsatz. Durch die positive Beurteilung der Anwendung des Knochenultraschalls für den Arm durch den GBA ist nun die letzte Hürde genommen, dass diese unbestritten sinnvolle Technik in der Routineversorgung ankommen kann. Indirekt unterstützt dieser Beschluss die bereits vorhandenen Vorgaben der Strahlenschutzkommission.
Es braucht jetzt im ambulanten und im stationären Sektor eine „Marktdurchdringung“ dieser Technik, sodass die Anwender und Anwenderinnen vom Nutzen überzeugt und in der praktischen Anwendbarkeit geschult sind und der Frakturultraschall in die tägliche Routine dauerhaft Eingang finden wird.
Unter Berücksichtigung der obengenannten Einschränkungen sollte bei Verdacht auf Fraktur oder zum Ausschluss einer Fraktur der oberen Extremität primär ein Knochenultraschall erfolgen. Gerade bei der häufigsten Lokalisation am distalen Unterarm sollte dieser nach dem standardisierten und validierten Untersuchungsgang (Wrist-SAFE-Algorithmus) nach Ole Ackermann erfolgen. Bei subkapitalen Oberarmfrakturen sollte ein Röntgenbild in einer Ebene zum Ausschluss von Knochenzysten erfolgen. Am Ellenbogen ist der Elbow-SAFE-Algorithmus (ebenfalls nach Ole Ackermann) ein wertvolles Screening, um bei nicht vorhandenem Erguss zunächst auf ein Röntgenbild verzichten zu können.
Literatur
[1] Ole Ackermann, Christian A Fischer, Kay Grosser, Christina Hauenstein, Sebastian Kluge, Jörg D Moritz, Lars Berthold, Constantin V Kaisenberg, Christian Tesch. Fracture sonography-review of literature and current recommendations. Arch Orthop Trauma Surg. 2024 Jul;144(7):3025-3043. doi: 10.1007/s00402-024-05396-1.
[2] Peter J Snelling, Philip Jones, David Bade, Randy Bindra, Joshua Byrnes, Michelle Davison, Shane George, Mark Moore, Gerben Keijzers, Robert S Ware ; BUCKLED Trial Group Ultrasonography or Radiography for Suspected Pediatric Distal Forearm Fractures N Engl J Med. 2023 Jun 1;388(22):2049-2057. doi: 10.1056/NEJMoa2213883.
Weiterführende Links
- AWMF Leitlinienregister (S2e-Leitlinie Fraktursonografie): https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/085-003
- Fraktursonografie zur Diagnosestellung bei Kindern mit Verdacht auf Fraktur eines langen Röhrenknochens der oberen Extremitäten (§ 135 SGB V) – Gemeinsamer Bundesausschuss (g-ba.de):
www.bit.ly/g-ba-Fraktur-Kind
Korrespondierender Autor:
Dr. med. Ludger Tüshaus
Klinik für Kinderchirurgie
Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Lübeck
Ratzeburger Allee 160
23568 Lübeck
Dr. med. Jurek Schultz
Klinik für Kinder- und Jugendchirurgie und -urologie,
Klinikum Chemnitz
Klinik und Poliklinik für Kinderchirurgie
Universitätsklinikum C. G. Carus, Dresden
Fetscherstraße 74
01307 Dresden
jurek.schultz@uniklinikum-dresden.de
Chirurgie
Jurek Schultz, Ludger Tüshaus: Frakturultraschall: Die strahlenfreie Frakturdiagnostik im Kindes- und Jugendalter wird Bestandteil der Regelversorgung. Passion Chirurgie. 2025 September; 15(09/III): Artikel 03_02.
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