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Der chirurgische Goldstandard zur Rekonstruktion von großen Gesichtsdefekten – wie nach einer ablativen Tumorchirurgie oder Traumata – ist die Verwendung von freien mikrovaskulären Transplantaten. Obwohl ein erheblicher Verlust an Weichgewebe und Knochen auftritt, können die meisten Patienten wieder zufriedenstellende anatomische und physiologische Funktionen erreichen [1]. Für dieses operative Verfahren sind gute chirurgische Kenntnisse in der Mikrochirurgie essenziell. Eine große Gefahr bei den Rekonstruktionen besteht in dem Transplantatverlust aufgrund von Gefäßthrombosen. Der Verlust des Transplantats bedeutet für die Patient:innen eine extreme physische und psychische Belastung; die Transplantatverlustrate wird in der Literatur mit 1-5 % angegeben [2, 3].

Um diese Verlustrate zu minimieren, werden zum Teil hochwertige optische Systeme und die neuesten medizinischen Technologien eingesetzt. Durch den technologischen Fortschritt konnten die Morbidität und Mortalität der Patient:innen schrittweise gesenkt werden. Kopplersysteme für die venösen Anastomosen können die Transplantatverlustrate und die Revisionsrate bei mikrochirurgischen Transplantaten reduzieren [4]. Für die arteriellen Anastomosen ist bisher jedoch keine suffiziente Alternative zur chirurgischen Naht entwickelt worden. Somit ist die Mikrochirurgie für eine sichere Anastomose weiterhin notwendig.

Ein bedeutender technischer Fortschritt in der Medizin war die Entwicklung der Roboterchirurgie. Insbesondere hat sich die roboterassistierte Chirurgie in den letzten Jahrzehnten rasant weiterentwickelt und ist zum neuen Standard für viele Operationsverfahren geworden. Vor allem die Einführung des da Vinci-Systems hat die minimalinvasiven Methoden auf ein neues Niveau der Chirurgie gehoben [5]. Speziell für die Mikrochirurgie wurde das „Symani® Surgical System“ (Medical Microinstruments, Pisa, Italien) entwickelt und konnte bereits interdisziplinär erfolgreich für freie Gewebetransplantationen angewendet werden [6]. Der OP-Roboter Symani verfügt über zwei Arme, an denen drei Millimeter kleine Mikroinstrumente platziert werden können. Darüber hinaus ermöglicht eine 7- bis 20-fache Bewegungsskalierung eine Tremorfreiheit, die Instrumente garantieren sieben Freiheitsgrade. Der Chirurg/die Chirurgin operiert von einer Konsole aus, die aus einem Stuhl, zwei Joysticks und einem Fußschalter besteht. Die Assistenz sitzt unmittelbar am Patienten und sorgt für gute Operationsbedingungen. Die Operation kann hierbei vom Operateur/von der Operateurin steril oder unsteril durchgeführt werden. Die Sterilität hat den Vorteil, bei Komplikationen unmittelbar an den Situs heranzutreten und am Patienten direkt operativ tätig zu werden. Gefäße und anatomische Strukturen, wie Nerven oder Lymphgefäße, mit einem Durchmesser von weniger als 0,8 mm (Supermikrochirurgie) können mit dem Roboter im Vergleich zur Freihandtechnik unter dem Mikroskop schnell und präzise genäht werden [7, 8].

Abb. 1: Abgebildet sind die 3 mm Instrumente des Symani Operationsroboters bei der Nahtversorgung einer Arterie eines freien Transplantates mit Prolene 9-0.

Lymphovenöse Anastomosen

Die Inzidenz bösartiger oraler Tumore ist tendenziell steigend und nach wie vor ist ein radikales chirurgisches Verfahren mit der Neck Dissection zur Entfernung von potenziellen Lymphknotenmetastasen der Goldstandard bei diesen Tumorentitäten [9]. Denn auf Grund der potenziellen Gefahr der Metastasierung in die Halslymphknoten, vor allem bei einem Plattenepithelkarzinom, empfiehlt sich die Entfernung der Lymphknoten in der oralen Tumorchirurgie [10]. Zudem schließt sich, abhängig vom Tumorstadium, häufig eine Bestrahlungsbehandlung der Tumorregion und der Lymphabflusswege an. Durch die Entfernung von Lymphknoten und der Unterbrechung von Lymphabflussgewebe kann es zu einem sichtbaren Lymphstau kommen, der die Patient:innen im täglichen Leben deutlich einschränkt. Durch die Ansammlung von Lymphflüssigkeit im Gewebe können starke Schmerzen auftreten oder die Funktionen, wie Bewegung, Sprechen und Schlucken, deutlich kompromittiert sein [11]. Gerade nach Operationen im Kopf-Hals-Bereich sind ausgeprägte Lymphödeme und deren Auswirkungen beschrieben, je nach Umfang der Therapie kann das interne Lymphödem zu signifikanten Einschränkungen führen [12, 13]. Selbst die Prävalenzrate von Lymphödemen und deren erheblichen Beeinträchtigungen im Alltag können nach der Entfernung von nur einzelnen Lymphknoten signifikant sein [14]. Die Wiederherstellung des Lymphabflussweges ist jedoch manuell-chirurgisch schwierig. Auch konservative Maßnahmen, darunter Physiotherapie, manuelle Lymphdrainage und Kompressionskleidung, die an den Extremitäten eingesetzt werden kann, führen oftmals nur zu einer vorübergehenden Verbesserung und müssen stetig wiederholt werden. In den letzten Jahren hat sich das Feld der lymphovenösen Operationen jedoch signifikant weiterentwickelt [15].

Die lymphovenösen chirurgischen Verfahren mittels Bypässen oder Anastomosen sind aufwendig und benötigen viel chirurgische Erfahrung [16]. Verfahren wie die lymphovenöse Anastomosen könnten allerdings eine dauerhaftere Lösung für chronische Lymphödeme bieten und das Leiden der Patient:innen nach einer Krebserkrankung mit einer Lymphknotenentfernung deutlich lindern [17]. Um dieses operative Verfahren zu beherrschen, muss die Supermikrochirurgie allerdings sicher beherrscht und umgesetzt werden können. Sie ist unter Umständen nur mit sehr feinem Nahtmaterial (bis 12-0) durchführbar, das mit dem bloßen Auge nicht oder nur sehr schwer zu erkennen ist. Eine Operation ohne entsprechende Hilfsmittel ist nicht möglich [18].

Abb. 2 a, b: Schemazeichnung der Neck Dissection. Der blaue Strich stellt die Schnittführung am Hals dar. Die Lymphknoten sind als gelbe Kreise dargestellt und im rechten Bild zum Großteil entfernt. Der Lymphabfluss über die gelben Pfeile ist durch die Schnittführung der Neck Dissection sowie der einhergehenden Entfernung der Lymphknoten gestört, es kommt zu einem Lymphstau im Kopf-/Halsbereich. Der Lymphstau stellt sich als Schwellung im Untergesicht und Halsbereich dar.

Abb. 3: Auf der linken Seite sind die lymphatischen Gefäße mit einem Durchmesser von 0,1-0,3 mm dargestellt. Das sichere Auffinden dieser Gefäße erfordert viel chirurgische Expertise. Auf der rechten Seite ist eine erfolgreiche präaurikuläre lymphovenöse Anastomose abgebildet. Ein kleines venöses Gefäß wird mit einem Lymphgefäß eines Lymphknotens chirurgisch vernäht.

In einzelnen Studien und Fallberichten ist die erfolgreiche Anastomose als mögliches und vielversprechendes Komplikationsmanagement beschrieben [19-21]. Grünherz et al. zeigten erstmals an 100 roboterassistierten lymphovenösen Anastomosen, dass die Roboterchirurgie auf dem Gebiet der Supermikrochirurgie eine suffiziente und sinnvolle Ergänzung im operativen Alltag darstellen kann und dadurch die Probleme des Lymphstaus langfristig behoben werden können [22]. Die Operationszeit ist bei diesem neuen Verfahren verlängert, da die Roboterchirurgie – vor allem im Bereich der Supermikrochirurgie – erst erlernt werden muss. Eine steile Lernkurve könnte jedoch bei ausreichendem Training und Übungsmodulen den standardmäßigen Einsatz im operativen Alltag ermöglichen [23]. Nichtsdestotrotz müssen die deutlich höheren Kosten durch die Anwendung der Roboterchirurgie bedacht werden. Eine Weiterentwicklung für eine sichere und routinemäßige Etablierung der Robotik im Bereich der Lymphabflusschirurgie ist essenziell.

Zusammenfassung und Ausblick

 

Die Robotik wird in der chirurgischen Medizin stetig weiterentwickelt und gerade im Zeitalter der künstlichen Intelligenz können innovative Systeme neue Operationsverfahren ermöglichen und langfristig etablieren. Mikrorobotische Systeme können die rekonstruktive Chirurgie im Kopf-Hals-Bereich unterstützen, Anastomosen freier Transplantate zuverlässig und sicher durchführen und auch bei schwierigen anatomischen Verhältnissen und sehr filigranen anatomischen Strukturen hilfreich sein. Weitere Operationsfelder, wie die lymphatische Chirurgie, könnten mit innovativen Robotersystemen zukünftig in den Kliniken flächig und standardisiert durchgeführt werden. Der Kosten-Nutzen-Faktor muss hierbei sicherlich bedacht und abgewogen werden. Langfristig müssten ausreichende Vergütungsmodalitäten erarbeitet werden. Patienten nach einer Neck Dissection und einem Lymphstau könnten erheblich profitieren und eine deutliche Verbesserung der Lebensqualität erhalten.

Die Literaturliste erhalten Sie auf Anfrage via passion_chirurgie@bdc.de.

 

Spille J, Wiltfang J, Wieker H: Evolution und Etablierung der robotischen Supermikrochirurgie in der rekonstruktiven Chirurgie der Kopf-Hals-Region. Passion Chirurgie. 2025 Juli/August; 15(07/08): Artikel 03_01.

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