01.03.2015 Chirurginnen
Es muss nicht immer Vollzeit sein… „Working Moms“ in Teilzeit aus Sicht einer Chefärztin
„Teilzeit“ in der Chirurgie. Unvorstellbar als ich 1992 meine operative Ausbildung begann. Auf eine Weiterbildungsstelle kamen gleich mehrere Stapel (!) Bewerbungen unterschiedlichster Qualifikationen. Heute, 23 Jahre später, haben sich die Rahmenbedingungen verändert. Ein Umdenken fand statt: Teilzeit-Mitarbeiter* können unsere Arbeitsmodelle nachweisbar entlasten, ja sogar bereichern.
Inwieweit dieses Faktum dem Mangel versierter Mediziner oder dem Selbstverständnis der Generation Y geschuldet ist, sei dahingestellt.
Ich möchte über meine persönlichen Erfahrungen berichten, beginnend im Jahr 2006. Mit 39 Jahren war ich gerade Chefärztin der Abteilung für Allgemein- und Viszeralchirurgie eines kirchlichen Trägers in einer ländlich geprägten Region Osthessens geworden. Ärztliches Personal in der Fläche – außerhalb von Großstädten – war schon zu damaliger Zeit Mangelware. Insbesondere im Assistentenbereich schneidender Fächer. Der innovative Geschäftsführer vor Ort propagierte konstruktives Querdenken. Also lautete die Devise, neue Wege gehen. Wir stellten gemeinsam die Frage: Wie wollen und können Chirurgen, auch in der Weiterbildung, arbeiten?
Das Abfragen der persönlichen Belange brachte uns auf folgende Idee: Zwei junge Mütter teilen sich einen vollen Weiterbildungsplatz! Ich stellte damals nur eine einzige Bedingung. Bei fachlichen Nachfragen durfte es nicht entschuldigend heißen: „Das weiß ich nicht; ich war nicht da.“ Die Zeiteinteilung hatte ich den „Working Moms“ in Gänze eigenverantwortlich überlassen. Halbe Tage arbeiten, Tage oder Wochen im Wechsel, gerne auch flexibel, wenn der Nachwuchs kränkelt. Entstandene Überstunden sollten wechselseitig ausgeglichen werden. Umfassende zeitnahe Kommunikation an das Team und mich stellte die tragfähige Basis der vorgenannten Arbeitsteilung dar.
Dieses Konzept hat hervorragend funktioniert. Ich war selten von derart motivierten Mitarbeiterinnen umgeben. Die Freude an der klinischen Arbeit war nicht zu übersehen. Die Ärztinnen befanden sich in Folge umfassender Übergaben immer auf dem neuesten Stand. Manchmal beschlich uns Vollzeitler das Gefühl, die beiden empfanden im Krankenhaus ein wenig „Urlaub“ von den häuslichen Pflichten. Die Teilzeit-Damen wurden schnell als vollwertige Mitglieder des chirurgischen Teams akzeptiert. Zudem leisteten sie in Summe mehr Bereitschaftsdienste als ein einzelner Weiterbildungsassistent in Vollzeit. Ausfallzeiten gingen gegen Null, denn der komplementäre Part sorgte stets für Vertretung. Das Fair-Play untereinander hielten die beiden Protagonistinnen unaufgefordert und selbstverständlich ein. Ein weiteres hervorzuhebendes Merkmal war die beispiellose Flexibilität und das erfrischende Element dieses Tandems im arbeitsverdichteten Alltag. Unter dem Strich ein Erfolgsmodell für alle Beteiligten.
Freude an der chirurgischen Arbeit, Weiterbildung, flexible Unterstützung und Entlastung der Assistentenschaft, zufriedene Patienten in Folge motivierter Ärzte und last but not least Planungssicherheit für die Chefärztin.
Doch wo liegen die Probleme im operativen Alltag? Nicht jeder, insbesondere anspruchsvolle, chirurgische Eingriff lässt sich minutiös planen. Deshalb sind Teilzeitmitarbeiter nicht in jedem schneidenden Fach operativ uneingeschränkt einsetzbar. Häufig habe ich zum Beispiel „Working Moms“ in abteilungsinternen Nischen erlebt. Die stringente Weiterbildung – insbesondere im praktischen Segment – steht bei den jungen Absolventen oft zugunsten der Termintreue im konservativen Bereich zurück. Deshalb favorisiere ich für den Einsatz im OP tageweise Lösungen. Andererseits genießen Teilzeitmitarbeiter keinen Sonderstatus. Für die Akzeptanz im Team sind 100 Prozent persönlicher Einsatz, die konsequente Übernahme von Verantwortung, ehrliche Identifikation mit der eigenen Abteilung und ein Wir-Gefühl zu fordern. Ich habe arbeitende Eltern häufig als sehr gut strukturiert und organisiert erlebt. Wie Sie sehen handelt es sich bei Teilzeitmodellen in der Chirurgie um ein lernendes System! Derzeit beschäftigen wir einen Oberarzt im Rahmen einer Dreiviertelstelle.
Allerdings möchte ich es abschließend nicht versäumen, aus der täglichen Praxis einen Wehrmutstropfen in den Wein zu gießen. Um ein allgemeingültiges Patentrezept handelt es sich trotz aller Weiterentwicklung des Projektes leider nicht. Ein ähnliches Angebot für Mütter in Teilzeit, mittlerweile in einem Haus der Schwerpunktversorgung in Hamburg, scheiterte. Eine Kollegin wurde innerhalb der Elternzeit wieder schwanger, die andere fühlte sich mit einer Halbtagsstelle und drei Kindern praktisch überfordert.
Mit diesen Situationen konstruktiv und emotionsarm umzugehen, stellt eine Herausforderung an die Führungskräfte von Morgen dar. Soll heißen, es ist immer wieder zeitgerechtes, flexibles Querdenken gefragt. Das Leben und auch die Personalführung bedeuten Veränderung.
*Die Verwendung dieses oder vergleichbarer Begriffe erfolgt geschlechtsneutral.
Tonus C. Es muss nicht immer Vollzeit sein… „Working Moms“ in Teilzeit aus Sicht einer Chefärztin. Passion Chirurgie. 2015 März, 5(03): Artikel 02_05.
Autor des Artikels
Prof. Dr. med. Carolin Tonus
Vorsitzende des BDC-Landesverbandes HamburgÄrztliche Direktorin und Chefärztin Allgemein- und ViszeralchirurgieAsklepios Klinik St. GeorgLohmühlenstraße 520099Hamburg kontaktierenWeitere Artikel zum Thema
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