Auch nach Verfügbarkeit effektiver Impfstoffe zur Prophylaxe einer manifesten Infektion und eines schweren Verlaufs der Covid-19 Infektion befinden wir uns derzeit noch in der sogenannten dritten Welle der Pandemie. In der Chirurgie und den operativen Fächern hat in den letzten Monaten zwangsläufig eine Umstellung des operativen Managements, u.a. mit Verschieben zahlreicher Eingriffe und dann nur nach negativem Test, stattgefunden.
Trotzdem ergeben sich auch bei zunehmender Erfahrung mit SARS-CoV-2-Infektionen aktuell zwei Problemfelder. Erstens die Frage nach dem freien Intervall zwischen durchgemachter Infektion und geplantem operativen Eingriff sowie zweitens die Diskussion über die Möglichkeit einer präoperativen Impfung und den nachfolgenden Abstand zu einer Operation. Während für die erste Fragestellung schon relativ valide Daten vorliegen, trifft dies für die präoperative Impfung noch nicht zu. Es können daher nach derzeitigem Wissensstand lediglich Empfehlungen ausgesprochen werden, die abhängig von neuen Entwicklungen stetig aktualisiert werden müssen.
Die nachfolgenden Empfehlungen gelten für elektive operative Eingriffe. Notfalleingriffe und sehr dringliche Operationen sollen unabhängig vom Impfstatus durchgeführt werden.
Zeitpunkt eines chirurgischen Eingriffes nach Covid-19 Infektion
Daten einer prospektiven Kohortenstudie haben gezeigt, dass operative Interventionen und Eingriffe, unabhängig vom jeweiligen Schweregrad, bei vorliegender Covid-19 Infektion mit einer signifikanten Erhöhung der postoperativen Morbidität und Letalität einhergehen (1). In der nachfolgenden Studie wurde nun der optimale Zeitpunkt zwischen durchgemachtem Infekt und geplantem operativen Eingriff im Vergleich zu Patienten ohne frühere Covid-19 Infektion evaluiert, wobei als Ergebnisparameter die 30-Tage Letalität und pulmonale Komplikationen herangezogen wurden. Beide Parameter waren bei jeweils zweiwöchigem Intervall bis zur 5./6. postoperativen Woche gegenüber Patienten ohne Covid-19 Infekt deutlich erhöht. Erst bei einem operativen Eingriff ab der siebten Woche nach Infektionsbeginn und ohne fortbestehende Symptome waren Letalität und pulmonale Komplikationen mit 2,0% vs. 1,4% bzw. 3,5% vs. 2,7% gegenüber der Vergleichskohorte nicht mehr signifikant erhöht (2).
Empfehlung: Ein elektiver Eingriff sollte daher, wenn möglich frühestens sieben Wochen nach Symptombeginn einer stattgehabter Covid-19 Infektion und fehlender fortbestehender Symptomatik erfolgen (2).
Zum Nutzen der Impfung gegen Covid-19 vor elektiven Eingriffen
Diese Frage gewinnt zunehmend an Bedeutung, weil in absehbarer Zeit ausreichend Impfstoff vorhanden sein wird, um allen Menschen und damit auch allen Patienten ein Impfangebot machen zu können. Nach einer noch nicht veröffentlichten Studie der Universität Oxford kann dabei davon ausgegangen werden, dass bei den derzeit gebräuchlichen Impfstoffen bereits durch die erste Impfdosis nach einem Intervall von drei Wochen das Risiko einer Infektion mit dem Coronavirus um 65 Prozent, die Zahl der symptomatischen Infektionen um 72 Prozent gesenkt werden kann (3).
Empfehlung: Jüngst publizierte Daten weisen auf ein deutlich gesteigertes Komplikations- und Letalitätsrisiko bei perioperativ erworbener COVID-19 Infektion hin. Vor diesem Hintergrund erscheint eine – idealerweise vollständige – präoperative Immunisierung gegen Covid-19 vor elektiven Eingriffen sinnvoll und anzuraten (4,5,6). Dies gilt insbesondere für Risikopatienten (COPD, Diabetes, Hypertonus) sowie Patienten mit maligner Grunderkrankung (7).
Der Nutzen einer präoperativen Impfung gilt dabei insbesondere für Eingriffe mit signifikantem Morbiditäts- und Letalitätsrisiko, also typischerweise für Patienten, für die man einen postoperativen Aufenthalt auf der Intensivstation plant. Jüngste Publikationen bestätigten, dass die Letalität bei Patienten nach Operationen und gleichzeitiger COVID-19-Infektion mit zunehmendem Alter steigt und bei Personen über 70 Jahren am höchsten ist. Diesen potentiellen Patienten sollte bereits jetzt aufgrund ihres Alters eine Impfung ermöglicht werden.
Zur Frage des Intervalls zwischen Covid-19 Impfung und operativem Eingriff
Vergleichsweise wenig Daten liegen vor zur Frage des notwendigen Intervalls zwischen einer stattgehabten Impfung und der nachfolgenden Durchführung des elektiven Eingriffs vor. Elektive Operationen können grundsätzlich auch nach Empfehlung der UK Surgical Royal Colleges bereits kurz nach der Impfung durchgeführt werden (8). Allerdings kann der Impfstoff selbst innerhalb von 1 bis 2 Tagen nach Applikation zu systemischen Ereignissen wie Fieber, grippeartigen Symptomen und Schüttelfrost führen, die jedoch bald darauf – normalerweise innerhalb einer Woche – vollständig abklingen.
Empfehlung: Zwischen Impfung und Operation sollte daher ein Intervall von mindestens 1 Woche eingehalten werden, u.a. um eventuell auftretende Symptome wie Fieber oder Schüttelfrost korrekt als Folge der Impfung und nicht einer möglichen Komplikation der Operation zuordnen zu können. Zudem sollte die entsprechende kompetente Immunantwort nach Impfung eingetreten sein (9). Vor diesem Hintergrund ist ein Intervall von mindestens 2 Wochen nach erfolgter vollständiger Immunisierung anzustreben.
Literatur
- COVIDSurgCollaborative: Mortality and pulmonary complications in patients undergoing surgery with perioperative SARS-CoV-2-infection: an international cohort study, Lancet 2020; 396: 27-38
- COVIDSurg Collaborative and GlobalSurg Collaborative: Timing of surgery following SARS.CoV-2-infection: an international prospective cohort study, Anaesthesia 2021. doi: 10.1111/anae.15458
- www.tagesschau.de: Meldung vom 23.04.2021 15:25:46, Studie: Erste Impfdosis verringert Infektionsrisiko um 65 Prozent
- M. Lenzen-Schulte: SARS-CoV-2: Nicht ohne Impfung in den Op-Saal, Deutsches Ärzteblatt 2021; 16: B692-693
- COVIDSurg Collaborative, GlobalSurg Collaborative: SARS-CoV-2 vaccination modelling for safe surgery to save lives: data from an international prospective cohort study, BJS. doi: 101093/bjs/znab 101
- Patients should receive COVID-19 vacccine before surgery to reduce risk of post-operative death-study: https://www.birmingham.ac.uk/news/latest/2021/03/vaccine-before-surgery-reduces-risk-of-death.aspx
- Hierarchisierung von Risikofaktoren für schwere COVID-19 Erkrankungsverläufe im Kontext der COVID-19-Schutzimpfungen – Eine gepoolte GKV-Routinedatenanalyse basierend auf 30 Millionen Versicherten, RKI: Epid Bull 2021;19:3 -12 | DOI 10.25646/8405.2
- Statement of the UK Surgical Royal Colleges: For surgeons and surgical teams treating patients during COVID-19-endorsement of the Academy statement. 22 January 2021
- Limper, U., Defosse, J., Schildgen,O and F. Wappler: Perioperative risk evaluation in patients scheduled for elective surgery in close relation to their vaccination, BJA. doi: 10.1016/j.bja.2021.03.007