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Diese Ausgabe der Passion Chirurgie beschäftigt sich mit der Nachwuchsförderung. Es werden die zahlreichen Projekte des BDC zur Nachwuchsgewinnung vorgestellt. Der BDC versteht sich als Vertreter aller chirurgischen Disziplinen und betreibt demnach eine allumfassende Nachwuchsförderung.

Erwarten Sie bitte kein Rezept für die Nachwuchsförderung von mir. Ich möchte ihnen vielmehr meine ganz persönliche Sicht zur Nachwuchsförderung in der Chirurgie als Editorial zu dieser Ausgabe der Passion Chirurgie mitteilen.

Nach der Allensbacher Berufsprestige-Skala zählen 82 % der Deutschen den Arzt zu den Berufen, vor dem sie am meisten Achtung haben. Wer das Medizinstudium erfolgreich beendet, dem stehen bei nahezu Vollbeschäftigung, nicht nur in der kurativen Medizin alle Türen, sondern in allen Bereichen des Gesundheitswesens, offen.

Es muss demnach nicht verwundern, dass sich die jungen Absolventen ihren zukünftigen Arbeitgeber genau aussuchen. Die Chirurgie konkurriert mit anderen Arbeitsbereichen nicht nur um die Jahrgangsbesten, sondern überhaupt um jeden Absolventen. Dies mag den einen oder anderen Chefarzt betrüben und verzweifeln. Da das Fach Chirurgie nichts an seiner Faszination über die Jahre verloren hat, müssen es andere Umstände und Bedingungen sein, warum die Chirurgie ein Nachwuchsproblem hat.

Es scheinen die Rahmenbedingungen zu sein, die die Attraktivität der Chirurgie zu mindern vermag. Andere Bereiche bieten attraktivere Arbeitsbedingungen und Verdienstmöglichkeiten bei gleichbleibenden oder besseren Karrierechancen.

Die Frage muss erlaubt sein: Warum soll eine junge Absolventin oder ein junger Absolvent seine berufliche Perspektive in der Chirurgie sehen?

Die alleinige Faszination des Faches kann es und wird es auch in Zukunft nicht mehr sein! Die gesellschaftlichen wie soziodemographischen Rahmenbedingungen und die ganz speziellen klinikinternen Strukturen werden darüber entscheiden, ob die zukünftige Absolventengeneration den Weg in die chirurgischen Kliniken Deutschlands findet. Hier müssen wir in Zukunft ansetzen.

Der Lebensarbeitsplatz Krankenhaus, dem man alles andere unterordnet, ist nicht nur antiquiert, sondern führt zu vielen falschen Vorstellungen und einem überzogenen Anspruchsverhalten an den Nachwuchs. Wir müssen es zwar nicht akzeptieren, sollten aber verstehen, dass wir scheinbar im Kampf um die Besten die schlechteren Karten haben. Dies muss aber nicht so bleiben, wenn wir die richtigen Fragen stellen und darauf die richtigen Antworten parat haben. Ich gehe sogar noch viel weiter, wenn ich einen grundlegenden Wandel in der medizinischen Versorgung und damit auch in den deutschen Kliniken vorhersage, der mit der jetzigen Struktur nichts mehr gemein haben wird. Die Chirurgie wird sich entscheiden und von liebgewordenen Traditionen sowie Besitzstandswahrungen trennen müssen. Dieser Prozess wird schmerzhaft sein und einigen der jetzigen Protagonisten nicht gefallen. Er ist aber alternativlos. Dem Strukturwandel muss nun endlich auch ein Wertewandel folgen. Das deutsche Gesundheitssystem ist an die Grenze der Umwandlungsmöglichkeit angelangt. In der Systemtheorie nennt man dies Bifurkationsphase, also einen Punkt, wo es so wie bisher nicht mehr weitergehen kann. Dieser Bifurkationspunkt rückt näher, an dem sich ein System entscheiden muss, ob es zusammenbricht und verschwindet oder ob es sich auf einer neue Ebene reorganisiert und restrukturiert. Letzteres müssen wir anstreben.

Die Zukunft der Chirurgie wird davon abhängen, ob wir qualifizierten Nachwuchs gewinnen können. Nach einer aktuellen Studie von PriceWaterhouseCoopers zum Thema „Fachkräftemangel, stationärer und ambulanter Bereich bis zum Jahr 2030“ werden bis 2020 97.000 Ärzte und bis 2030 sogar bis zu 142.000 Ärzte in den Ruhestand treten. Es werden demnach im Jahr 2020 ca. 56.000 Ärzte fehlen. Laut dieser Studie werden im ambulanten Bereich im Jahr 2030 1.500 Chirurgen/Orthopäden und im Jahr 2030 sogar 7.300 Chirurgen/Orthopäden im stationären Sektor fehlen. Das medizinische Qualitätsmanagement inklusive des klinischen Risikomanagements, gepaart mit gut qualifizierten und motivierten Mitarbeitern, wird in Zukunft über den medizinischen wie wirtschaftlichen Erfolg einer Klinik entscheiden. Krankenhäuser werden wie Profit Center geführt. Die Mitarbeiter sollten nicht länger als Kostenfaktoren, sondern als Garanten für das wirtschaftliche Überleben von Gesundheitseinrichtungen begriffen werden. Dieses strategische Denken darf nicht kurzfristig, sondern muss in mehreren Dekaden erfolgen.

Die griechisch-amerikanische Philosophin, Biologin, Zukunfts- und Systemforscherin Elisabeth Sahtouris erkannte, dass junge Menschen nicht mehr in mechanisierten Befehls- und Kontrollmodellen, wie vielfach noch in den Krankenhäusern vorherrschend, arbeiten wollen. Sie wollen nicht wie Zahnräder funktionieren, sondern als intelligente Teilnehmer einer lebendigen Organisation behandelt werden. [1] Genau dies wird unsere Aufgabe sein!

Der alleinherrschende, selbstherrliche und zuweilen auch etwas selbstverliebte Chirurg wird keine Überlebenschance mehr haben. Wir verlangen von unserem Nachwuchs Teamfähigkeit. Dies setzt voraus, dass die Klinikchefs ebenfalls teamfähig sind und als Teamleader ihre Mitarbeiter motivieren können. Dies bedeutet nicht, dass sie als Animateure im Stile eines Robinson-Clubs auftreten. Nein, sie müssen den Nachwuchs und ihre Mitarbeiter für die chirurgische Arbeit begeistern können. Fördern und fordern!

H. W. Opaschowski stellte fest, dass die monetären Motivationsfaktoren immer weiter in den Hintergrund rücken. Motivations- und Begeisterungsfähigkeit wird zu einer sozialen Führungskompetenz von höchster Priorität. Die zunehmende Anzahl an weiblichen Kollegen will nicht nur Karriere machen, sondern auch erleben und sie verlangen von der Führungskraft eine Doppelkompetenz: sozial und fachlich. Der Faktor Geld als Belohnung wird nicht mehr ausreichen. Geld allein erscheint wertlos, wenn nicht gleichzeitig mehr Zeit ausgezahlt wird. Arbeit muss Spaß und Sinn machen. Es muss Aufstiegsmöglichkeiten geben. [2]

Sind alle leitenden Chirurgen und Kliniken darauf vorbereitet?

In Anlehnung an den aktuellen Telekom-Werbespot mit Christoph Waltz: „Wir richten uns nach tausend Dingen. Ist es nicht Zeit, dass sich endlich mal etwas nach uns richtet!“ Wir müssen dies in Zukunft beachten, wenn wir im Kampf um den Nachwuchs eine reale Chance haben wollen!

Ihr
Matthias Krüger

Literatur

[1] v. Lüpke, G.: Zukunft entsteht aus Krise. Riemann-Verlag, München 2009. S. 87.

[2] Opaschowski H. W.: Wir! Warum Ichlinge keine Zukunft mehr haben. Murmann Verlag, München 2010.S.148ff.

Krüger M. Editorial Nachwuchsförderung und BDC-Nachwuchskampagne. Passion Chirurgie. 2012 Januar; 2(1): Artikel 01_01.

Autor des Artikels

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Dr. med. Matthias Krüger

Leiter des Ressorts Zukunft, Ökonomie und Digitalisierung in der ChirurgieGesundheitsökonom, klinischer Risikomanager(DIOcert)ZB Proktologie/NotfallmedizinUnseburger Straße 739122Magdeburg kontaktieren

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