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Etwa zwei Drittel der europäischen Ärzte haben Facharzttitel. Das genaue Verhältnis von Spezialisten zu Allgemeinärzten variiert von Land zu Land. Laut UEMS-Daten, die aus europäischen und OECD-Statistiken und von nationalen Registern stammen, ist Irland das Land mit dem kleinsten (38 %) und die Slowakei das Land mit dem größten (91 %) Anteil. In fünf großen Ländern (Frankreich, Deutschland, Italien, Spanien, Polen) sind 51-81 % Spezialisten. Unterschiede in der Definition eines „Facharztes“ machen direkte Vergleiche zwischen Ländern sehr schwierig. Darüber hinaus wird die traditionelle Unterteilung von Fachärzten und Allgemeinärzten immer unklarer, weil in vielen Ländern der Hausarzt tatsächlich ein Spezialist in „Familienmedizin“ ist.

Die Fachärzte gründeten als erste Gruppe einen europäischen Berufsverband, der allen Fachrichtungen offenstand. 1958 gründeten Ärzte aus den sechs Ländern, die den Vertrag von Rom unterzeichnet hatten, die Union Européenne des Médécins Spécialistes (UEMS). Das Ziel war, die Berufsinteressen der Fachärzte auf europäischer Ebene zu vertreten. Die UEMS-Mitglieder sind Facharztorganisationen in den EU-Ländern. Jedes Land wird durch eine, und zwar die repräsentativste, Organisation vertreten. Diese Organisationen sind Ärztekammern oder Dachorganisationen von Berufsverbänden. Länder mit vielen Berufsverbänden wie Frankreich oder Deutschland werden durch letztere vertreten.

Über 57 Jahre entwickelte sich die UEMS zu einer sehr großen und sehr komplexen Organisation. Jede Fachrichtung, die in Anhang 5 der Direktive 2005/36 über fachliche Qualifikationen anerkannt wird, kann in der UEMS eine eigene Sektion bilden. Gegenwärtig gibt es 42 solcher Facharzt-Sektionen. Fachrichtungen, die interdisziplinäre Zusammenarbeit erfordern, bilden Multidisciplinary Joint Committees (MJC). Es gibt 12 solcher Komitees. Die UEMS richtet auch Arbeitskreise, Komitees, Task Forces usw. ein. Zusammengenommen haben diese Gremien eine große Anzahl aktiver Teilnehmer (über 1.000). Jedes von ihnen hat einen eigenen Vorstand, ein eigenes Budget, eigene Meetings und andere Aktivitäten. Die Koordinierung einer so großen und komplexen Organisation stellt eine große Herausforderung dar.

Die UEMS entwickelte ihre Expertise hauptsächlich in der postgraduierten Weiterbildung und in Continuous Medical Education (CME). Die Sektionen und MJCs legen die europäischen Weiterbildungsanforderungen in ihren Fachrichtungen fest. Diese Dokumente werden gewöhnlich in Zusammenarbeit mit europäischen wissenschaftlichen Gesellschaften vorbereitet. Die Sektionen und MJCs bieten in 27 Fachrichtungen europäische Examen an, die freiwillig sind und für erfolgreiche Kandidaten als Nachweis ihrer beruflichen Exzellenz dienen. Dazu gibt es in einigen Fachrichtungen ein Programm zur Begutachtung von Weiterbildungszentren, das darauf abzielt, die Qualität der Weiterbildung von postgraduierten Fachärzten zu verbessern.

Auf dem Gebiet der CME entwickelt die UEMS europäische Akkreditierungen für Live-Veranstaltungen und e-Learning-Material. Der European Accreditation Council for Continuous Medical Education (EACCME) der UEMS bietet im Jahr etwa 1.500 internationale Weiterbildungsveranstaltungen an und dient dank Übereinkommen mit nationalen Zulassungsstellen als allgemeine Plattform für nationale Akkreditierungsgremien in Europa. Übereinkommen mit der American Medical Association und dem Royal College of Physicians and Surgeons in Canada sichern die gegenseitige Anerkennung von Fortbildungspunkten für Teilnehmer an internationalen Veranstaltungen in der EU, in den USA und in Kanada.

Die UEMS ist auch auf anderen Gebieten aktiv wie z. B. der Vertretung der Berufsinteressen von Fachärzten auf europäischer Ebene durch politische Lobbyarbeit, die Überwachung von Curricula und Berufsausübung in der EU und der Zusammenarbeit mit europäischen wissenschaftlichen Gesellschaften. Die UEMS ist eine effektive Plattform für den Austausch von Ansichten und Erfahrungen unter Fachärzten und für die Einrichtung von europäischen Standards in ‚Postgraduate Training‘ (PGT) und CME.

Die Fachärztepraxis in der EU ist sehr unterschiedlich. Ob es sich nun um eine Beschäftigung in einer öffentlichen oder privaten Einrichtung oder in einer freien Praxis handelt, die Fachärzte wollen den Patienten immer eine hohe Qualität der medizinischen Versorgung gewährleisten. Die Aufrechterhaltung von Fähigkeiten, die für eine solche Versorgung erforderlich ist, ist das hauptsächliche Ziel der UEMS. Die Prinzipien, die den UEMS-Aktivitäten zugrunde liegen, sind berufliche Autonomie, Mobilität in Beruf und Weiterbildung, Selbstregulierung und Harmonisierung der Postgraduierten-Weiterbildung und der CME in der EU. Alle UEMS-Aktivitäten sind freiwillig und ein starker Beweis für die Bereitschaft des ärztlichen Berufsstandes, die Qualifikationen und die Qualität der Versorgung ständig zu verbessern.

Das Meiste, was die UEMS tut, hat für europäische Ärzte praktischen Wert. Die Arbeit konzentriert sich hauptsächlich auf die Ausarbeitung von Trainingscurricula für europäische Fachärzte, die Garantie hoher Standards von CME durch die Einrichtung und Anwendung von CME-Akkreditierungskriterien, Überprüfung der internationalen CME und die Organisation von europäischen Examen. Die UEMS kaufte ein Haus im europäischen Viertel von Brüssel, baute es komplett um und modernisierte es, um den European Medical Organizations (EMO) einen gemeinsamen Ort zur Verfügung zu stellen. Dieses Projekt ist sehr ambitiös, es kostet das Vierfache des Jahresbudgets, aber die UEMS unternimmt diese Anstrengung, um die Zusammenarbeit zu verbessern und die Sichtbarkeit und Bedeutung der EMOs zu stärken.

Die Beraterrolle der EMOs in der Verwaltung von Gesundheitssystemen ist begrenzt. Die Unterschiede zwischen den Systemen in den verschiedenen Ländern der EU sind beträchtlich. Die Ausgaben für Gesundheit und der Zugang zu medizinischen Dienstleistungen sind sehr unterschiedlich und der politische Wille, gemeinsame europäische Standards und Anforderungen einzuführen, ist sehr gering. Obwohl das Recht auf gleichen Zugang zur Gesundheitsversorgung auf hohem qualitativem Niveau zu einem grundlegenden Menschenrecht erklärt wurde, basiert die vorherrschende politische Herangehensweise auf dem Prinzip der Subsidiarität. In der Praxis bedeutet das, dass die EU-Mitgliedsländer ihre medizinische Ausbildung und ihr Gesundheitssystem unabhängig organisieren und das nur sehr wenige gemeinsame Standards angewandt werden. Für EU-Bürger und für Beschäftigte im Gesundheitswesen wurden einige Rechte eingeführt, die grundlegenden EU-Prinzipien der Freizügigkeit für Personen (Arbeitnehmer eingeschlossen), Güter und Dienstleistungen entsprechen. Um angemessene Bedingungen für die Ausübung dieser Rechte zu gewährleisten, mussten Mechanismen geschaffen werden, mit denen eine gemeinsame Herangehensweise in allen EU-Ländern zur Anerkennung von Berufsqualifikationen sichergestellt wird. Es gibt Bestrebungen, Standards für gute Qualität in der medizinischen Versorgung usw. einzurichten. Die EU erweitert sich und ihre Bürger werden mobiler und es wird immer offensichtlicher, dass eine einheitlichere, konsistentere und verlässlichere Qualität in der Ausbildung und der beruflichen Entwicklung der medizinischen Belegschaft, der medizinischen Dienstleistungen und der Patientensicherheit gebraucht wird. Die Fachärzte sehen seit vielen Jahren, dass solch eine Harmonisierung notwendig ist, weil es viele Belege für die riesigen Unterschiede zwischen „automatisch“ anerkannten Qualifikationen gibt.

Die Herangehensweise der UEMS an die Harmonisierung wie auch andere Aktivitäten beruht auf dem Prinzip der freiwilligen Selbstregulierung. Der medizinische Beruf besitzt eine lange Geschichte von effizienter Selbstregulierung. In vielen Ländern gibt es die Tendenz, die administrative Kontrolle der Ärzte zu stärken und strammer zu gestalten. Sehr oft ist das politisch motiviert und wird als Weg zur Verbesserung der Gesundheitssysteme angesichts zunehmender Anforderungen dargestellt. Diese sollen immer mehr Dienstleistungen erbringen trotz wirtschaftlicher Zwänge und wachsender Nachfrage, die durch technologische Fortschritte und demografischen Druck verursacht werden. Die Haltung der UEMS lautet, dass Berufsautonomie und Selbstregulierung die besten Garantien für die gute Versorgung der Patienten darstellen. Administrative Kontrolle und Druck haben die Tendenz, die Priorität auf wirtschaftliche Ziele zu legen und führen zu oft zu einer suboptimalen Versorgung.

Als machbare Alternative zur administrativen und häufig bürokratischen Kontrolle des medizinischen Berufsstandes müssen die Fachkräfte ihren Einsatz und ihre Kompetenz zur Verbesserung der Qualität auf jeder Stufe der Berufskarriere zeigen können. Die UEMS hat sehr erfolgreich gezeigt, dass auf den Gebieten ihrer hauptsächlichen Aktivitäten die europäischen Fachärzte kooperieren und dass sie durch interdisziplinäre Zusammenarbeit sehr befriedigende professionelle Standards etablieren können.

Ein gutes Beispiel für solche Aktivitäten sind die Dokumente mit der Überschrift „Training Requirements for…“, die für die verschiedenen medizinischen Spezialgebiete gelten. Diese Dokumente werden von fachärztlichen Sektionen oder fachärztlichen Gremien erstellt. Die UEMS bietet dabei eine Plattform zum Austausch von Ansichten darüber an, was ein adäquates Weiterbildungsprogramm ausmacht und ermöglicht den interdisziplinären Austausch von Meinungen und Erfahrungen. Die gegenwärtige Praxis in der fachärztlichen Medizin ist multidisziplinär. Deshalb ermöglicht der Beitrag von allen beteiligten Fachärzten, dass bessere, umfassendere und vielseitigere Weiterbildungsprogramme aufgestellt werden können. Die European Training Requirements der UEMS dienen als Basis für Curricula für die Weiterbildung von Fachärzten in vielen Ländern, auch außerhalb der EU.

Die UEMS und andere medizinische Organisationen auf europäischer wie auf nationaler Ebene werden sehr oft mit Fragen über die praktische Bedeutung ihrer Aktivitäten für den „gewöhnlichen Arzt“ konfrontiert. Die oben gegebene kurze Darstellung der UEMS-Aktivitäten gibt bereits einige Antworten auf diese Fragen. Der wahrgenommene Nutzen hängt stark von den Erwartungen ab. Fachärzte, die in der Mobilität der Weiterbildung und der Berufsausübung und im Austausch von Berufserfahrung unter europäischen Ärzten einen Vorteil sehen, werden europäische Aktivitäten als notwendig, nützlich und vorteilhaft einstufen. Diejenigen, die die medizinische Praxis als eine lokale oder nationale Aktivität ansehen, werden solchen Nutzen nicht sehen und europäische Aktivitäten eher als unzulässige externe Einmischung betrachten. Traditionell sehen Fachärzte mit akademischem Hintergrund im Erfahrungsaustausch zwischen vielen Ländern viele Vorteile und wollen Best Practices in Weiterbildung, medizinischer Behandlung und Wissenschaft voranbringen. Wegen des wachsenden wirtschaftlichen Drucks auf die medizinische Praxis würde ein bedeutender Teil der Fachärzte gern mehr greifbaren finanziellen Nutzen aus der Aktivität der medizinischen Organisationen sehen. Von diesem Standpunkt aus betrachtet, bringen die EMO-Aktivitäten keinen unmittelbaren Nutzen, können jedoch als eine langfristige Investition betrachtet werden.

Die Antworten der UEMS auf Fragen von Fachärzten nach der praktischen Bedeutung der europäischen Aktivitäten basieren auf starken Beweisen dafür, dass Fachärzte in jedem EU-Land durch Zusammenarbeit stärker werden, dass sie bei der internationalen Repräsentation der Fachärzte mit einer Stimme sprechen können, dass sie miteinander kooperieren können, um in relevanten Schlüsselgebieten der Medizin internationale Exzellenz zu erreichen und effektive Interaktion und gegenseitige Unterstützung zwischen nichtmedizinischen Gesellschaften (NMAs) und der UEMS, sowie zwischen individuellen Fachbereichen und der UEMS zu etablieren. Wenn man interdisziplinäre Fragen auf neu entstehende Fachgebiete der medizinischen Praxis aufgreift, die Grundlage für eine solide Akkreditierung von Weiterbildungsveranstaltungen legt, neue, harmonisierte Modelle für die Weiterbildung der nächsten Generation von Fachärzten entwickelt und hohe Standards für die klinische Praxis etabliert, dann führt das definitiv zu einer verbesserten medizinischen Versorgung von Patienten in ganz Europa.

Fachärzte in jedem Land haben immer vom internationalen Erfahrungsaustausch profitiert. Das war immer ein wirkungsvoller Mechanismus, der den Fortschritt in der Medizin und die Qualität der medizinischen Versorgung voranbrachte. Grundlegende Prinzipien der medizinischen Praxis müssen supranational bleiben. Für Spezialisten aus Ländern mit hervorragenden Bildungs- und Gesundheitssystemen schafft die internationale Zusammenarbeit die Gelegenheit, Kollegen aus weniger begünstigten Ländern helfen zu können. Diese wiederum können viel von solchen Kontakten lernen und entscheidend dazu beitragen, dass die besten Methoden in ihrem Land eingeführt werden. Gemeinsame europäische Anstrengungen und interdisziplinäre Zusammenarbeit schaffen solide Standards in der Postgraduierten-Weiterbildung und fortlaufender beruflicher Entwicklung. Diese Standards sind eine solide Grundlage für Mobilität in der Weiterbildung und im Beruf und bieten europäischen Fachärzten viele zusätzliche Möglichkeiten. In einigen Ländern kann die Beteiligung bei diesem gemeinsamen Einsatz bedeuten, dass man mehr gibt als man bekommt, in anderen sind die unmittelbaren Vorteile sichtbarer. Zusammengenommen schafft das unseren gemeinsamen, großen und reichen europäischen Raum.

Krajewski R. Die Union Européenne des Médécins Spécialistes (UEMS) und die Fachärzte in den EU-Ländern. Passion Chirurgie. 2015 April, 5(04): Artikel 02_02.

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Prof. Dr. Romuald Krajewski

PräsidentEuropean Union of Medical Specialists (UEMS) kontaktieren

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