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PANORAMA
Dem Leben auf der Spur. Das neue Medizinhistorische Museum der Charité

Die Charité hat Rang und Namen in der Welt. Vor dem Hintergrund einer reichen und bewegten Geschichte und im Ausklang einer lebensbedrohlichen Pandemie denkt sie gegenwärtig Gesundheit neu: lokal, national und auch global. Sie entwickelt Strategien für die Medizin der Zukunft und plant hierzu, mit einem Zeithorizont bis 2050, ihre Standorte in Berlin baulich neu.

Zu den Investitionen in die Zukunft der Charité gehört das neue Medizinhistorische Museum. Über die letzten drei Jahre hinweg entstand es auf dem historischen Campus Charité Mitte. Maßgeblich gefördert durch den Bund und das Land Berlin, wurde das historische Museumsgebäude grundlegend baulich ertüchtigt. Mit einer neuen Fassadengestalt, zusätzlichen Räumen und einer modernen museumstechnischen Infrastruktur bildet es ab Anfang 2023 eine einzigartige Schnittstelle zwischen Medizin und Öffentlichkeit.

Das neue Museum bietet der Charité vielfältige innovative Möglichkeiten, Menschen aus den internen Einrichtungen der Charité, aber vor allem auch von extern, aus allen Schichten der allgemeinen Öffentlichkeit, unter den Stichworten Medizin, Gesundheit und Gesellschaft zusammenzuführen. Es fungiert künftig als eine Stätte der Begegnung, des Austauschs und der Vermittlung, als ein Ort der Identifikation und Repräsentation, vor allem jedoch als ein Forum von Reflexion und Diskussion.

Geschichte und Bestand

Grundlage und Ausgangspunkt aller künftigen Aktivitäten des neu gestalteten Museums sind seine eigene Herkunft und die einschlägigen, daraus erwachsenen Sammlungsbestände. Gegründet 1899 als Pathologisches Museum durch Rudolf Virchow (1821-1902), firmiert es seit 1998 als Berliner Medizinhistorisches Museum (BMM) der Charité. Mit zuletzt rund 100.000 Besucher:innen pro Jahr ist es heute das größte und bekannteste universitäre Medizinmuseum in Deutschland mit europa- und weltweiter Ausstrahlung. Als Museum erfüllt es mit seinen rund 50.000 Depot- und Schauobjekten (siehe Abbildungsseite mit 10 exemplarischen Exponaten) entlang der Koordinaten Sammeln, Erfassen, Erhalten und Erschließen alle museumstypischen Kernaufgaben. Als zentrale Einrichtung der Medizinischen Fakultät der Charité – Universitätsmedizin Berlin macht es seine vornehmlich aus der wirkmächtigen Charité- und Berliner Medizingeschichte stammenden Sammlungsgegenstände in Forschung, Lehre und öffentlicher Vermittlung nutz- und sichtbar.

Ein neues Gesicht

Das Berliner Medizinhistorische Museum der Charité empfängt seine Besucher:innen künftig mit einem neuen Eingang, mehr noch, mit einer gänzlich neuen Eingangsfassade (s. S. 72/73). Die sieben Fenster im Erd- und ersten Obergeschoss, die zum Charité-intern gelegenen Virchowweg hin weisen, wurden herausgebrochen und die Fensterlaibungen über beide Etagen hinweg zu hochgeschossenen Vitrinenkörpern mit geringer Tiefe ausgebaut. Die Idee für diese Fenstervitrinen stammt aus dem Museum in seiner ursprünglichen Bestimmung. Bis heute zeigt das einstige Pathologische Museum Virchows zahlreiche, in klinischen Sektionen gewonnene Lehrpräparate von meist krankhaft veränderten Organen und Gewebestrukturen des menschlichen Körpers in weitgezogenen, voll verglasten Präparatevitrinen. Transparenz für eine ungetrübte Einblicknahme war das Programm von Beginn an. Mit den Schmalseiten ragen diese Virchowschen Präparatevitrinen nun gewissermaßen durch die gewaltigen Fensterschlitze des BMM nach außen und geben einen unverstellten Blick in das Museumsinnere frei. Die starre, oft hermetisch wahrgenommene Gebäudewand wirkt dadurch transparent und transluzent. Dieses neue architektonische Element versteht sich als Einladung, offen und ohne Berührungsängste einzutreten, um sich mit Geschichte, Bedingungen und Zielen einer ambitionierten Medizin vertraut zu machen, die noch viele Rätsel von Mensch, Gesundheit und Krankheit zu klären hat, die sich jedoch auch selbst – die Corona-Pandemie hat es deutlich gezeigt – öffentlich erklären will und zu verantworten hat.

Vor dem Gebäude können sich die Besucher:innen fortan – einzeln oder als Gruppe – auf einem gänzlich neu gestalteten Vorplatz versammeln. Ein topografisches Bronzemodell des Campus Charité Mitte am Zuweg zum Museum bietet die Gelegenheit zur Orientierung auf dem geschichtsträchtigen Krankenhausgelände.

Im innen gelegenen, erweiterten Eingangsbereich sind für die Gäste des Museums an der Kasse Monitore installiert, die über alle aktuellen Ausstellungen und Veranstaltungen des Museums informieren. Eine künstlerisch gestaltete Gallensteinvitrine stimmt die Besucher:innen in einer Ruhezone thematisch ein. Ein Shop neben der Museumskasse bietet Gelegenheit, Kataloge, typische Museumsartikel und Merchandising-Produkte der Charité zu erwerben.

Eine Reise durch die Medizingeschichte

In seiner Dauerausstellung lädt das BMM seine Besucher:innen zu einer einzigartigen Reise ein. Auf rund 800 m² Ausstellungsfläche folgen die Museumsgäste der Herausbildung und Ausgestaltung der naturwissenschaftlich begründeten Medizin westlicher Prägung durch verschiedene einschlägige Aktionsräume hindurch: Anatomisches Theater, Anatomisches Museum, Krankensaal, Labor, Seziersaal, Lehr- und Studiensammlung. Im Zentrum steht das wissenschaftliche Erbe Rudolf Virchows. Mehr als 700 ausgestellte humanpathologische Feucht- und Trockenpräparate verweisen auf das zentrale Anliegen der Medizin bis heute: Krankheiten zu erkennen und zu verstehen sowie Menschen, die an diesen Krankheiten leiden, zu heilen. Kontextualisiert wird der Virchowsche Präparatesaal durch Einblicke in die laborgestützte Klinik und in einen historischen Krankensaal mit 10 Fallgeschichten von ausgewählten Charité-Patienten. Gesundheit und Krankheit werden darin in ihren gesellschaftlichen Bedingungen und Bezügen vorgestellt. Diese Präsentation folgt Virchows Diktum, dass Politik letztlich auch denkbar ist als Medizin mit anderen Mitteln.

Für die Ausrichtung der Dauerausstellung im neuen Charité-Museum ist es wesentlich, dass sie in doppelter Weise ethisch argumentiert. Zum einen erkennt sie die besondere Sensibilität der gezeigten Präparate als sogenannte „Menschliche Überreste“ an und zielt auf eine würdevolle Präsentation. Zum anderen verweist sie in einem eigens gestalteten Ausstellungselement zur „Medizin im Nationalsozialismus“ explizit auf die Fallstricke und Schattenseiten einer streng biologistisch ausgerichteten Medizin.

Die verbindende Klammer der Dauerausstellung bildet eine ausführliche Darlegung der Geschichte der Charité, die sich über beide Ausstellungsetagen erstreckt. Im neuen Museum wird hier auch die jüngere Vergangenheit des Berliner Universitätsklinikums mit seinem Beitrag zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie und die Rezeption der Einrichtung in der historischen Charité-Serie thematisiert.

Unvermittelt eingefügt in den Ausstellungsparcours öffnet sich eine Tür ins Depot, nicht ins reale des BMM, sondern in ein realistisch inszeniertes. Depotdinge, wie sie typischerweise im BMM einlagern – medizinische Geräte, Modelle, Instrumente, Lehrtafeln – zeigen sich hier eng an eng. An einem größeren Monitor finden Besucher:innen virtuell noch weitere Depotobjekte vor. Sie können sich diesen Stücken und den zugehörigen Kontexten nähern und letztlich eintauchen in den faszinierenden Kosmos der Objektgeschichten.

Die Chirurgie-Geschichte wird in der Dauerausstellung des BMM an verschiedenen Stellen in besonderen Objekten und Arrangements aufgerufen: Haarseilzange, Brenneisen und Aderlass-Messer verweisen auf die frühe Wundarzneikunst. Ätherflasche, Narkosemaske und Sterilisator markieren die Schwelle zur modernen Chirurgie Mitte des 19. Jahrhunderts. Am Beispiel der Augenheilkunde wird das feine Operationsbesteck und die ruhige Hand früherer Operateure beschworen. Chirurgische Zangen fanden sich bald schon an den Spitzen der ersten funktionstüchtigen Zystoskope. Der Erste Weltkrieg stellte Militärchirurgen vor allergrößte Herausforderungen. Dies bezeugt beispielhaft der Fall einer komplizierten Nasenrekonstruktion. Eine weitere sehr besondere Krankengeschichte verknüpft die jüngere Chirurgie-Geschichte mit Gegenwart und Zukunft: Ein 35-jähriger Patient mit Leberzirrhose überlebt eine 1990 durchgeführte Lebertransplantation.

Zielgruppen und Dienstleistungen

Hinsichtlich seines öffentlichen Auftritts zielt das neue Museum auf zwei große Gruppen. Nach außen wendet sich das Museum an alle Laien, die an gesundheitlichen und medizinischen Fragestellungen interessiert sind. Dabei kommt jungen Menschen in der Berufsfindungsphase eine besondere Bedeutung zu. Nach innen wendet sich das Museum ausdrücklich an alle Angehörigen der Charité, vornehmlich an die Studierenden und Auszubildenden.

Eine wesentliche Dienstleistung des BMM sind Führungen durch die Ausstellungen und über das historische Gelände der Charité. Neu hinzu kommen zielgenaue museumspädagogische Vermittlungsangebote für einzelne Gruppen. Hierfür gibt es im künftigen Charité-Museum im direkten Anschluss an das Eingangsfoyer einen eigens gestalteten Multifunktionsraum. Dieses „Virchow-Kabinett“ ist mit vermittlungsspezifischen Materialien und speziell gefertigtem Mobiliar ausgestattet.

Das generelle Interesse am Medizinhistorischen Museum speist sich aus seinen spezifischen Objekten und der Möglichkeit für die Besucher:innen, einen Blick hinter die Kulissen der Medizin werfen zu können. In unmittelbarer Nachbarschaft zum neuen Foyer, allerdings räumlich getrennt, befindet sich auf der gleichen Gebäudeebene das Museumslabor. Dort werden Beprobungen und vor allem aufwändigere restauratorische Arbeiten an Präparaten und Modellen durchgeführt. Ein assoziierter Vorraum fungiert als Schaulabor, in dem interessierte Museumsbesucher:innen der Präparatorin bei der Arbeit über die Schulter schauen können.

Im ersten Obergeschoss betreten die Besucher:innen des BMM die 400 m² große Wechselausstellungsebene. Sonderausstellungen sind das Kerngeschäft des BMM. Der gezielte Brückenschlag zwischen medizinischer Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft lässt sich für zahlreiche konkrete Themenfelder, wie etwa Chirurgie, Onkologie, Kardiologie oder Neurowissenschaften, aber auch für übergeordnete Aspekte, so beispielsweise Translation, Digitalisierung, Prävention oder Global Health, interessant, sachgerecht und spannend inszenieren. Die sich daraus ergebenden Fragen können auf neue partizipative Weise zusammen mit interessierten Besucher:innen diskutiert werden.

Hörsaalruine und Objektlabor

Das Charité-Museum verfügt auch nach dem Umbau über einen einzigartigen Veranstaltungsraum: die historische Ruine des einstigen Museumshörsaals. Der auratische Saal bewährt sich vor allem als moderierender Reflexionsraum für wichtige medizinische, gesundheitspolitische, ethische, gesellschaftsrelevante und kulturgewichtige Themen. Ein gezieltes Veranstaltungsmanagement wird die Ruine für das Museum und die Charité zu einem zentralen Forum im Dialog mit der Öffentlichkeit werden lassen.

Direkt über der Hörsaalruine erhält das Museum einen gänzlich neuen Funktionsraum. Der dortige Dachstuhlbereich wird zu einem didaktischen Objektlabor ausgebaut. Ein integriertes medizinhistorisches Lehrkabinett versammelt an dieser Stelle rund 50 ausgewählte Objekte aus allen Themenfeldern, die das BMM in seinen Sammlungen abdeckt. Sichtbar in eine teilverglaste Hochvitrine eingestellt, regen diese Stücke Studierende in eigens konzipierten Lehrveranstaltungen zu historischen Objektstudien an. Die Objektübungen an den Sammlungsstücken finden direkt vor Ort statt. Außerhalb des Unterrichts wird das Objektlabor durch Wissenschaftler:innen für Forschungszwecke genutzt. Überdies können dort Seminarsitzungen, Teambesprechungen und Projektworkshops stattfinden. Das Museum verfügt damit in diesem Bereich über einen unikalen Thinktank, aus dem sich neue Ideen und Formate hinsichtlich Forschung, Lehre und öffentlicher Vermittlung entwickeln und erproben lassen.

Resümee

Mit dem neuen Medizinhistorischen Museum macht die Charité ab Anfang 2023 allen Besucher:innen ein einzigartiges Angebot. An der Schnittstelle zwischen Medizin und Öffentlichkeit können sich künftig alle Interessierte an diesem Ort über wichtige medizinische Themen informieren und die sich daraus ergebenden Fragen sachgerecht, seriös und zielorientiert erörtern. Damit wird letztlich auch die Charité ihrem selbst gesteckten Anspruch gerecht, über lokale Gegebenheiten und Notwendigkeiten hinaus die Zukunft der Gesellschaft auf gesundheitlichem Gebiet grundlegend und global entscheidend mitzugestalten. Die ausdrückliche historische Verankerung bietet dazu eine nachhaltig breite Argumentationsgrundlage und zugleich eine Folie, vor der sich die zentralen wissenschaftlichen, sozialen, kulturellen und ethischen Dimensionen einer künftigen Medizin ausbreiten, vermitteln und mit großem Gewinn konstruktiv und produktiv diskutieren lassen.


Short Facts

Berliner Medizinhistorisches Museum der Charité

Standort:

Das Berliner Medizinhistorische Museum liegt auf dem Gelände der historischen Charité in Berlin-Mitte.

Kontakt:

Berliner Medizinhistorisches Museum der Charité, Charitéplatz 1, 10117 Berlin, Tel. 030 450 536 156, [email protected], www.bmm-charite.de

Ausstellungen:

Für die Wiedereröffnung im ersten Quartal 2023 bereitet das Museum neben einer punktuellen Überarbeitung seiner Dauerausstellung zwei Wechselausstellungen vor: „Das Gehirn in Wissenschaft und Kunst“ und „Da ist etwas. Krebs und Emotionen“

Nähere Informationen und genauere Zeiten siehe unter www.bmm-charite.de.

Korrespondierender Autor:

Prof. Dr. med. Thomas Schnalke

Direktor des Berliner Medizinhistorischen Museums der Charité

[email protected]

Panorama

Schnalke T: Dem Leben auf der Spur. Das neue Medizinhistorische Museum der Charité. 2022 Dezember; 12(12): Artikel 09_01.

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