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In der Financial Times Deutschland (FTD) erschien 2007 ein Artikel zum Thema „Delegation ärztlicher Tätigkeiten“ mit der provokanten Überschrift „Wenn die Schwester operiert“. Eine begleitende Karikatur zeigte zwei Frauenhände beim Einfädeln eines Fadens in eine Nähnadel, untertitelt mit „Schwestern-Lehrgang Teil 1: Chirurgisches Nähen“. Berichtet wird in dem FTD-Artikel über den Einsatz von nichtärztlichen Chirurgieassistenten, der in Deutschlands Operationssälen längst Realität ist.

Derzeit gehen bei Arzthaftungsjuristen und klinischen Risikoberatern vermehrt Anfragen von Krankenhäusern ein, welche die Vertretbarkeit einer Delegation ärztlicher Tätigkeiten im OP zum Thema haben. Dieser Beitrag wirft einen Blick auf die Hintergründe des momentanen „Delegationstrends“ am Beispiel der OP-Assistenz. Sowohl Risiken hinsichtlich Patientensicherheit und Haftungsrecht, die mit einer Aufgabenumverteilung verbunden sind, als auch Chancen, die darin liegen, werden hier beschrieben.

Die modernen Rahmenbedingungen im Gesundheitswesen bringen seit einigen Jahren Initiativen mit sich, welche die Neuordnung ärztlicher Tätigkeiten zum Inhalt haben. Auf internationaler Ebene entstehen neue Berufsbilder (so genannte „paramedizinische Berufsgruppen“), z.B. „Physician Assistent“ oder „Nurse Practitioner“. Auch in Deutschland wurden erste Ausbildungsstrukturen und Qualifizierungsmaßnahmen für neue Berufsgruppen geschaffen, z.B. „Operationstechnischer Assistent“ (OTA) oder „Chirurgisch Technischer Assistent“ (CTA). Mit der Etablierung von Pflegestudiengängen und Weiterbildungsmaßnahmen an Hochschulen streben Absolventen mit großer Motivation in den klinischen Bereich, um verantwortungsvolle Tätigkeiten mit hohem Spezialisierungsgrad zu übernehmen, welche die Schnittstellen zu ärztlichen Tätigkeiten undeutlich und schwer abgrenzbar werden lassen.

In diesem Wandel gilt es, das Einsatz- und Tätigkeitsfeld für neue Berufsgruppen und hochspezialisiertes, nichtärztliches Personal im klinischen Alltag zu umschreiben. Dazu müssen Verantwortlichkeiten und rechtliche Verhältnisse (z.B. Direktionsrecht, Anordnungs- und Durchführungsbefugnisse) klar definiert werden.

Neben der zunehmenden Spezialisierung im Gesundheitswesen ist ein weiteres Motiv für die vermehrte Delegation ärztlicher Tätigkeiten die Absenkung von Personalkosten als Beitrag zur Effizienzsteigerung im Gesundheitswesen. Mit anderen Worten: Ziel ist die Einsparung von personellen und finanziellen Ressourcen. Die Tätigkeiten der einzelnen Berufsgruppen sind auf dem Prüfstand und damit auch die optimale Verteilung der bereitgestellten Mittel.

Laut den Aussagen des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen aus 2007 entspricht die Verteilung der Tätigkeiten in Krankenhäusern nicht mehr den demografischen, strukturellen und innovationsbedingten Anforderungen. Schon jetzt sehen sich viele Kliniken mit einem gravierenden Nachwuchsproblem im ärztlichen Bereich konfrontiert, eine kontinuierliche Besetzung von Stellen kann nicht mehr gewährleistet werden. Die Übernahme der ersten OP-Assistenz durch Hilfskräfte ist tägliche Praxis. Der Einsatz von Medizinstudenten, Pflegekräften und Arzthelferinnen im OP geht mittlerweile weit über das „Hakenhalten“ hinaus.

Ist die Aufgabenumverteilung deshalb ein Allheilmittel zur Bewältigung dieser kritischen Rahmenbedingungen? Bisherige Berechnungen weisen nicht die erhofften Einsparungen auf (FTD), da der Aufwand für die Reorganisation der OP-Abläufe und die Schulung des nichtärztlichen Personals nicht zu unterschätzen ist.

In Anbetracht der Risiken ist eine strategische Planung der Aufgabenumverteilung zwingend notwendig. Bei der Übertragung ärztlicher Tätigkeiten im OP können sich Risiken manifestieren, etwa eine Gefährdung der Patienten. Denkbar ist auch eine erhöhte Anfälligkeit des Krankenhauses, mit Vorwürfen eines Organisationsverschuldens und der daraus resultierenden Haftung konfrontiert zu werden – sofern die Patientenschädigung durch den Einsatz eines Arztes anstelle eines nichtärztlichen Chirurgieassistenten hätte vermieden werden können.

Aufgrund des Ärztemangels hat sich die Aufgabenumverteilung aus der personellen Not heraus ohne strukturierte Schulung des nichtärztlichen Personals in den Alltag eingeschlichen. Kliniken, die ohne strategische Konzeption und Umsetzung der Aufgabenumverteilung dem Problem begegnen, laufen im Falle eines Behandlungszwischenfalls im Rahmen einer Operation Gefahr, sich nicht erfolgreich gegen den Vorwurf der mangelnden Sorgfalt und des Nichteinhaltens von Facharztstandards wehren zu können.

Ein weiteres Risiko liegt in der haftungsrechtlichen Unklarheit. Problematisch ist, dass es weder eine gesetzliche Regelung zur Übertragung ärztlicher Tätigkeiten gibt, noch eine gefestigte Rechtsprechung zur Delegierbarkeit. Im Klagefall kommt es stets auf den Einzelfall an. Im Dienstverhältnis wird zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ggf. der Umfang der Tätigkeiten festgelegt. Jedoch betrifft dies nur die Rechte und Pflichten der Partner des Arbeitsverhältnisses, beschreibt aber keine fest umrissenen und allgemeingültigen Grenzen von Tätigkeitsfeldern einzelner Berufsgruppen.

Das Haftungs- und Strafrecht bestimmt die Grenze des Zulässigen gegenüber dem Patienten. Im juristischen Sinne wird Delegation als eine Organisation des Behandlungsgeschehens verstanden. Dabei stehen Risikodichte und Überwachungsverantwortlichkeit im Vordergrund, um Schädigungen am Patienten zu verhindern. Risiken, die durch die Delegation / Übernahme entstehen, müssen vollständig durch organisatorische Maßnahmen kompensiert werden.

Kann dies gewährleistet werden, liegen in der Aufgabenverlagerung auch Chancen zur Zeitersparnis und zur besseren Vernetzung der Berufsgruppen. Wird für spezialisierte und höchst routinierte Tätigkeiten nichtärztliches Personal eingesetzt, kann dies zu einer effizienteren Arbeitsgestaltung führen, die den arbeitsteiligen Prozessen im OP zugute kommt und diese weniger störanfällig macht. Voraussetzungen dafür sind aber, dass diese Tätigkeiten klar definiert, der Handlungsspielraum der Chirurgieassistenten eng umgrenzt und der Komplexitätsgrad der zu erfüllenden Aufgabe niedrig ist.

Im DKI-Bericht „Neuordnung von Aufgaben des ärztlichen Dienstes“ (April 2008) wird darauf hingewiesen, dass die Organisation der Chirurgieassistenz nur zu den mittelfristig übertragbaren Aufgaben zählen könne. Die Neuordnung verlangt in jedem Fall nach umfassenden Qualifizierungsmaßnahmen für Chirurgieassistenten.

Neben der Erstellung von Tätigkeits- und Prozessbeschreibungen für das OP-Geschehen, die das Einsatzgebiet der Chirurgieassistenten unmissverständlich regeln, ist die routinierte Zusammenarbeit nur durch Teamentwicklung zu erreichen. Stabilität in der Zusammensetzung von OP-Teams trägt wesentlich zur Risikoreduktion während des OP-Verlaufs bei. Nicht zuletzt müssen die Operateure die neue Arbeitsteilung mittragen und verantworten. Sind diese Voraussetzungen gegeben, kann der Einsatz neuer Berufsgruppen im Operationsbereich zu einer Qualitätssteigerung führen.

Risikomanagement

Wie kann sichergestellt werden, dass die Delegation ärztlicher Tätigkeiten im OP nicht, wie befürchtet, zu einer Beeinträchtigung der Versorgungsqualität und Patientensicherheit führt? Es muss gewährleistet sein, dass bei der Neuordnung von Tätigkeiten eine gut koordinierte, mit Sachverstand und Kompetenz ausgeführte Leistung für den Patienten entsteht. Oberstes Ziel einer Neuordnung von Tätigkeiten muss immer die Versorgungsoptimierung und die Risikoarmut für den Patienten sein, aber niemals einzig und allein die Einsparung personeller und finanzieller Ressourcen.

Für Kliniken, die den Weg der Neuordnung von Tätigkeiten im OP gehen wollen, sind aus Sicht des Risikomanagements folgende Empfehlungen beachtenswert:

  • Erstellung einer schriftlichen Konzeption für die Neuordnung ärztlicher Tätigkeiten
  • Bereitstellung von genügend Ressourcen für
  • die Erstellung eines Curriculums (Erklärung der Eingriffsarten, Instrumentenlehre, Umgang mit Geräten, Reaktion in Risiko- und Notfallsituationen)
  • die Schulung und Qualifizierung des nichtärztlichen Personals
  • die Reorganisation der arbeitsteiligen Prozesse
  • Erstellung einer Liste, welche die Eingriffe benennt, bei denen der Einsatz der Chirurgieassistenten vertretbar und sinnvoll ist (z.B. Routineoperationen)
  • Benennung von Ausschlusskriterien (z.B. Patientenzustand, Komplexitätsgrad der OP)
  • Eingrenzung und eindeutige Benennung der Tätigkeiten und Handlungsschritte des nichtärztlichen Personals (z.B. Anwendung von Knotentechniken, Unterstützung bei intraoperativer Blutstillung durch Elektrokoagulation, Saugertechniken, Bearbeitung von Gewebsstrukturen)
  • Festlegung der Operateure, unter deren Aufsicht die Chirurgieassistenten tätig werden
  • Klärung der Weisungsbefugnis gegenüber den Chirurgieassistenten
  • Klärung der Haftpflichtdeckung

Literatur

Financial Times Deutschland, 19.7.2007

Deutsches Krankenhausinstitut: Neuordnung von Aufgaben des ärztlichen Dienstes – Bericht des Deutschen Krankenhausinstituts (DKI), 2008

Herold A., Jaklin J., Delegation ärztlicher Tätigkeiten – OP-Assistenz.. Passion Chirurgie. 2011 Mai/Juni; 1(5/6): Artikel 03_03.

Autoren des Artikels

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Angela Herold

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Johannes Jaklin

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