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Das Behandlungsspektrum in der Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie (MKG) hat sich in den letzten Jahren dahingehend verändert, dass Behandlungen älterer Menschen zugenommen haben. Das liegt zum einen natürlich an der gestiegenen Lebenserwartung und der damit verbundenen steigenden Inzidenz mancher Erkrankungen. Diese sind im Wesentlichen die Malignome und Präcancerosen der Gesichtshaut und der Mundschleimhaut. Zum anderen werden die sogenannten „best ager“ zunehmend von der Konsumgüterindustrie als kaufkräftige Altersgruppe entdeckt. Die Werbeindustrie vermittelt ein verändertes Bild des älteren Menschen, der sich auch im hohen Alter Lebensqualität erhalten möchte. Hierdurch entsteht auch in der Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie eine zusätzliche Nachfrage nach medizinischen Leistungen. Das sind die Rehabilitation der durch Zahnverlust bedingten Erkrankungen des kaufunktionellen Komplexes und die Korrektur von Ästhetik und Funktion der durch Dermatochalasis der Gesichtshaut bedingten Veränderungen.

Viele Behandlungsmethoden sind durch verbesserte Diagnostik und Einführung neuer Techniken und Materialien deutlich effizienter, schonender und damit auch für ältere Menschen zugänglich geworden. Gleichzeitig steigt jedoch mit zunehmendem Alter auch die Zahl derjenigen Patienten, die auf Grund einer medikamentösen Therapie Indikationseinschränkungen bezüglich einer Operation unterliegen, oder aufwendig vorbereitet werden müssen. Antikoagulantien stellen bei entsprechender OP-Planung in der Regel keine wesentliche Einschränkung der Therapiemöglichkeiten in der MKG-Chirurgie dar. Dahingegen ist bei Bisphosphonaten eine kritische Bewertung des Risikoprofils in jedem Einzelfall bei Wahleingriffen in der dentalveolären Chrirugie und der Implantologie angebracht. Obwohl die Bisphosphonat-assozierte Kiefernekrose (BP-OMJ) zwar absolut gesehen eine eher seltene Komplikation ist, führt die Verordnung dieser Medikamente in der Onkologie und Orthopädie zu Indikationseinschränkungen in der MKG-Chirurgie.

Unabhängig von Aspekten der Ästhetik und des zunehmenden Anspruches älterer Menschen ihr Aussehen ihrem „gefühlten Lebensalter“ anzupassen, erfordert die Dermatochalasis der Gesichtshaut dann eine chirurgische Therapie, wenn es durch Brauenptosis und Blepharochalasis zu Gesichtsfeldeinschränkungen oder chronischer Konjunktivitis kommt. Blepharoplastik, Brauen- oder Stirnlift, offen oder endoskopisch, oder eine Kombination dieser Eingriffe sind zwar teilweise ambulant durchführbar, erfordern aber beim älteren Menschen wegen häufig vorliegender Allgemeinerkrankungen mit entsprechender Medikation unter Umständen einen stationären Aufenthalt. Da diese Eingriffe immer auch zu einer Veränderung des Aussehens führen, unterliegen sie in ihrer Ausführung auch kulturellen Einflüssen und dem Zeitgeist. Der Zeitgeist unterliegt einem ständigen Wandel und somit steigt auch die Nachfrage nach Facelift, Stirnlift, Faltenunterspritzung und Botoxbehandlung bei Patienten, die sich noch vor einigen Jahren niemals einer solchen Behandlung unterzogen hätten.

Die Malignome und Präcancerosen der Gesichtshaut nehmen weltweit insgesamt zu, jedoch ist der Anteil der älteren Menschen überproportional gestiegen. Zum einen mag das an den Summationseffekten der UV-bedingten Hautschädigungen liegen und der teilweise sehr unkritischen Einstellung zur Hautbräune Mitte des vergangenen Jahrhunderts, zum anderen sicher aber auch an veränderten Umweltbedingungen. Die gestiegene Lebenserwartung ist insofern ein wesentlicher Aspekt, als viele Patienten heute so alt werden, dass sie ihren Hautkrebs im wahrsten Sinne des Wortes „erleben“.

Der Gesichtshauttumor, mit der deutlichsten Steigerung bei älteren Menschen ist wohl das Basalzellkarzinom. Grundsätzlich unterscheidet sich die Therapie dieser Tumore bei älteren Menschen nicht von denen bei jüngeren. Die operative Behandlung mit Resektion und Defektdeckung durch Lappenplastiken, die ästhetischen Ansprüchen genügen, steht klar im Vordergrund. Kompromisse bezüglich der Radikalität sowie der funktionellen oder ästhetischen Resultate einer Rekonstruktion dürfen meiner Ansicht nach nur dann eingegangen werden, wenn der Eingriff ansonsten vital gefährdend wäre. Gerade das Gesicht dient durch die Mimik der Kommunikation, spiegelt durch Ausdruck die Emotionen des Menschen wieder, ist unverwechselbarer Teil der Persönlichkeit und kann im Gegensatz zu jedem anderen Körperteil bei Entstellung nicht verdeckt werden. Zum Erhalt der Würde des Menschen, zum Schutz vor Ausgrenzung und sozialer Isolation, gerade im Alter, ist auch der Erhalt dieser Funktionen von entscheidender Bedeutung.

Das trifft in ähnlicher Weise auch für die malignen Tumore der Mundschleimhaut zu, deren Therapie zusätzlich meist noch die Nahrungsaufnahme und Sprache erheblich beeinträchtigt. Die Problematik liegt hier weniger in der Therapie, die sich grundsätzlich nicht von der bei jüngeren Menschen unterscheidet. Die Früherkennung, die einen entscheidenden Einfluss auf die Prognose hat, ist bei älteren Menschen, die unter Umständen bei der Mundpflege auf fremde Hilfe angewiesen sind, allerdings häufig ein Problem. Ist eine Haut-TU im Gesicht noch für jeden leicht erkennbar, so bleiben Mundschleimhautkarzinome oft lange unentdeckt, zumal sie im Frühstadium kaum Beschwerden machen.

Ein weiterer Teilbereich der Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie, der sich in den letzten zehn Jahren quantitativ, aber auch qualitativ durch die demographische Entwicklung gewandelt hat, ist die kaufunktionelle Rehabilitation durch Implantate und die damit verbundenen Implantatprothetik. Immer mehr ältere Menschen wünschen sich eine Verbesserung ihrer Lebensqualität durch gut haltenden oder sogar fest eingesetzten Zahnersatz. Durch verbesserte Materialien und schonendere Operationstechniken, können wir heute auch bei stark atrophiertem Kieferknochen Lösungen anbieten, die auch einem alten Menschen mit reduzierter Belastbarkeit gerecht werden. Einer der entscheidenden Schritte war die Einführung der Digitalen Volumentomographie in die Implantologie, die es uns heute nicht nur ermöglicht, Augmentationen und Implantationen virtuell zu planen, sondern auch minimalinvasiv und navigiert zu operieren. Die Verkürzung der OP-Dauer, die Verringerung des OP-Traumas und die verbesserte Erfolgsprognose durch genauere Positionierung der Implantate, eröffnen auch alten Menschen den Zugang zur Implantatversorgung.

Neue oder weiterentwickelte Operationsmethoden, wie Bonesplitting, Sinusbodenaugmentation oder Membrantechniken, verbesserte Technik wie Piezochirurgie und OP-Mikroskop, erweitern zusätzlich den Indikationsspielraum. Die abschließende zahnprothetische Versorgung, die in aller Regel nicht vom MKG-Chirurgen, sondern in enger Abstimmung vom Zahnarzt durchgeführt wird, muss allerdings einen wesentlichen Punkt berücksichtigen: Implantatprothetik ist sehr pflegeintensiv. Alte Menschen, zumal, wenn sie pflegebedürftig werden, sind dabei unter Umständen auf fremde Hilfe angewiesen. Die Konzepte sollten deshalb so gestaltet werden, dass eine adäquate Mundhygiene und Pflege auch durch Dritte einfach und effizient durchgeführt werden kann.

Wunderlich S. Das Behandlungsspektrum in der Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie beim älteren Menschen. Passion Chirurgie. 2012 Dezember; 2(12): Artikel 02_07.

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