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Intensiv- und Notfallmediziner legen klinisch-ethische Entscheidungs-Empfehlungen vor

Deutschlands Notfall- und Intensivmediziner bereiten sich auf die schwerste aller Entscheidungen vor: Welchen Patienten im Fall der Fälle intensivmedizinisch behandeln und welchen palliativmedizinisch versorgen, wenn die Intensivbetten und Ressourcen knapp werden? Noch ist es nicht so weit. „Aber sollten wir in die schwierige Situation kommen, zwischen Patienten entscheiden zu müssen, dann wollen wir gewappnet sein“, sagt Professor Uwe Janssens, Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) und Chefarzt der Klinik für Innere Medizin und Internistische Intensivmedizin am St.-Antonius-Hospital in Eschweiler. „Wir wollen am Ende dieses schwierigen, schmerzlichen Prozesses sagen können: Es war eine fundierte, gerechte Entscheidung.“ Sieben Fachgesellschaften, die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI), die Deutsche Gesellschaft für Interdisziplinäre Notfall- und Akutmedizin (DGINA), die Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI), die Deutsche Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin (DGIIN), die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP), die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) und die Akademie für Ethik in der Medizin (AEM), legen deshalb heute gemeinsame klinisch-ethische Empfehlungen vor: Entscheidungen über die Zuteilung von Ressourcen in der Notfall- und der Intensivmedizin im Kontext der COVID-19-Pandemie.

Die Entscheidungen müssen medizinisch begründet sein. Und es muss gerecht zugehen. Als Kriterium soll die klinische Erfolgsaussicht gelten, also die Wahrscheinlichkeit, ob der Patient die Intensivbehandlung überleben wird. So heißt es in den Handlungsempfehlungen: Die Priorisierungen erfolgen ausdrücklich nicht in der Absicht, Menschen oder Menschenleben zu bewerten, sondern aufgrund der Verpflichtung, mit den (begrenzten) Ressourcen möglichst vielen Patienten eine nutzbringende Teilhabe an der medizinischen Versorgung unter Krisenbedingungen zu ermöglichen. Zehn Tage hat die Gruppe von 14 Autoren, darunter Fachvertreter aus Notfall- und Intensivmedizin, Medizinethik, Recht und weiteren Disziplinen, an dem Paper geschrieben und dieses sorgfältig geprüft. „Ein großer Kraftakt, den ich so in meiner Laufbahn auch noch nie erlebt habe“, erklärt Janssens – und meint dies durchaus positiv. „Die Handlungsempfehlungen sind aus meiner Sicht ein hervorragendes Resultat, absolut praxistauglich.“ Es sei erschütternd gewesen zu sehen, unter welchem Druck Kollegen in anderen Ländern bereits Entscheidungen dieses Ausmaßes hätten fällen müssen, ohne irgendeine Orientierung zu haben, so Janssens, nicht nur DIVI-Präsident, sondern auch Sprecher der DIVI-Sektion Ethik. „Die Kollegen in Italien und Spanien sind jetzt schon schwer traumatisiert. Das geht an niemandem spurlos vorbei. Daher ein solcher Kriterienkatalog auf jeden Fall eine Stütze sein!“

Kriterium ist die klinische Erfolgsaussicht – nicht das Alter!

Fair und medizinisch gut begründet zu entscheiden, in einem Team aus drei Experten mit unterschiedlichen Blickwinkeln – all das haben die Autoren festgelegt. Es gelte der Gleichheitsgrundsatz. Janssens erklärt: „So ist es nicht zulässig, nach dem kalendarischen Alter oder nach sozialen Kriterien zu entscheiden!“ In Deutschland werde nicht dem 80-Jährigen von vornherein die Behandlungsmöglichkeit verweigert. „Wir haben uns ganz klar gegen das Kriterium „Alter“ entschieden und wollen sehr viel differenzierter vorgehen.“ Dabei spielen der Schweregrad der aktuellen Erkrankung sowie relevante Begleiterkrankungen (z.B. schwere vorbestehende Organdysfunktion mit prognostisch eingeschränkter Lebenserwartung) eine wesentliche Rolle. Der Patientenwille (aktueller, vorausverfügter, zuvor mündlich geäußerter oder mutmaßlicher Patientenwille) ist naturgemäß fester und mandatorischer Bestandteil bei allen Entscheidungen.

Aus Gründen der Gleichberechtigung sieht das Paper zudem vor, dass eine Auswahl unter allen Patienten erfolgen sollte, die eine Intensivbehandlung benötigen, unabhängig davon, wo sie gerade versorgt werden (Notaufnahme, Allgemeinstation, Intensivstation) und ganz gleich, ob COVID-19-Infizierter, Schlaganfall-Patient oder Unfallopfer. „Aus ethischer Sicht sind solche Priorisierungen immer ein Dilemma und damit für das Personal sehr belastend“, mahnt Professor Georg Marckmann, Vorstand des Instituts für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin, Ludwig-Maximilians-Universität München und Präsident der Akademie für Ethik in der Medizin, der die Empfehlungen federführend mit Gerald Neitzke (Hannover) und Jan Schildmann (Halle) erarbeitet hat.

Autoren wünschen weitere Diskussion und Überarbeitung

Die vorliegende klinisch-ethische Empfehlung ist auf der Homepage der DIVI abrufbar. Die Autoren bitten ihre Kollegen explizit um Kommentare und eine lebhafte Diskussion, um in einem offenen Diskurs die Inhalte der Empfehlung weiter zu entwickeln. Auch könne sie so an neue Erkenntnisse und die jeweils aktuelle Situation angepasst werden. „Wir wollen eine maximale Transparenz herstellen“, sagt Janssens. „Und wir wollen Vertrauen schaffen in der Bevölkerung. Damit alle wissen: Selbst in dieser schwierigsten aller Situation wird nicht einfach nach dem Bauchgefühl entschieden.“ Man habe im Gegenteil jetzt einen roten Faden für Situationen, die in Deutschland rechtlich durchaus unterschiedlich bewertet werden. Es sei erschütternd gewesen zu sehen, unter welchem Druck Kollegen in anderen Ländern bereits Entscheidungen dieses Ausmaßes hätten fällen müssen. Die heute vorgelegten Handlungsempfehlungen geben deshalb jetzt verantwortlichen Akteuren durch medizinisch und ethisch begründete Kriterien und Verfahrensweisen eine Entscheidungsgrundlage.

Quelle: Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI)  e.V., Luisenstraße 45, 10117 Berlin,  www.divi.de, 26.03.2020

Entscheidungen über die Zuteilung von Ressourcen in der Notfall- und der Intensivmedizin im Kontext der COVID-19-Pandemie

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