01.03.2025 Aus-, Weiter- & Fortbildung
Chirurgie im Wandel: Für lebensfreundliche Arbeitsbedingungen

Ein Aufruf zur Veränderung
Die Arbeitsbedingungen in der Chirurgie unterliegen einem stetigen Wandel, der durch gesellschaftliche Entwicklungen und demografische Veränderungen geprägt ist. Um den aktuellen Herausforderungen zu begegnen, müssen alternative Beschäftigungsverhältnisse und lebensfreundliche Arbeitsbedingungen in den Fokus rücken. Die Ursachen für den Nachwuchsmangel in der Chirurgie sind vielfältig – dazu zählen Arbeitsverdichtung, ungünstige Arbeitszeiten und unzureichender Ausgleich für Bereitschaftsdienste. [3]
Die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben
Die Diskussion um die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben ist zentral für die Anwerbung und Bindung junger Ärztinnen und Ärzte. Die anstehenden Herausforderungen erfordern, bestehende Modelle neu zu denken und die eigene Berufstätigkeit sowie die Aufgabenverteilung in der Partnerschaft neu zu interpretieren. So können wir der neuen Generation gerecht werden und die Attraktivität der chirurgischen Fächer steigern.
Die Möglichkeit während der Elternzeit in Teilzeit zu arbeiten, ist ein Schritt in die richtige Richtung. Diese Regelungen in der medizinischen Realität umzusetzen, scheitert jedoch noch allzu oft an den festgefahrenen Strukturen in Kliniken. Das Fortbestehen der medizinischen Versorgung hängt jedoch davon ab, dass wir auch die Teilzeitkräfte erfolgreich in den Alltag integrieren und ein Arbeitsumfeld schaffen, das sowohl die Gesundheit als auch das Wohlbefinden unserer Ärztinnen und Ärzte fördert.
Bedürfnisse der neuen Generation
Die Generation der heutigen Mediziner hat andere Ansprüche an die Arbeitswelt als ihre Vorgänger. Viele junge Ärztinnen und Ärzte streben eine ausgewogene Work-Life-Balance an. Die unflexiblen Arbeitsbedingungen, die in vielen Kliniken herrschen, stehen im Widerspruch zu diesen Wünschen. Eine Veränderung der Arbeitskultur, die auf Flexibilität und Verständnis für private Belange setzt, ist notwendig, um die Attraktivität des Berufs zu erhöhen.
Ein weiteres Problem ist die ungleiche Verteilung der unbezahlten Sorgearbeit, die nach wie vor hauptsächlich von Frauen getragen wird. Um eine gerechte Aufteilung zu erreichen, müssen sowohl Männer als auch Frauen die Verantwortung für Haushalt und Erziehung gleichermaßen übernehmen.
10 geforderte Thesen der Sektion BerufsLEBEN des Jungen Forum O und U [adaptiert nach 1, 2]
- Elternzeit und Teilzeitarbeit sind für alle Arbeitnehmer selbstverständlich möglich.
- Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben erfordert das Einhalten von Arbeitszeiten und offene Kommunikation, auch für Vollzeitkräfte.
- Kliniken sollten Teilzeitkonzepte entwickeln, die klare Aufgabenverteilungen und Übergaben berücksichtigen.
- Teilzeitkräfte dürfen bezüglich Weiterbildung und Karrierechancen nicht benachteiligt werden und müssen operativ tätig sein können.
- Homeoffice-Möglichkeiten sind auszubauen.
- Die konsequente Umsetzung des Konsensuspapiers OPidS ist erforderlich.
- Während der Schwangerschaft muss eine Unterstützung des Teams für die Dienste gewährleistet sein.
- Temporär freiwerdende Stellen müssen umgehend durch neue Kolleginnen und Kollegen in Elternzeitvertretung nachbesetzt werden.
- Elternzeit kann für Fort- und Weiterbildung genutzt werden; das Fortbildungsbudget sollte auch dafür eingeplant werden.
- Klinikinterne Abläufe für den Wiedereinstieg nach und das Ausscheiden in die Elternzeit sollten entwickelt werden, um das Team zu entlasten.
Teilzeitmodelle als Lösung?
Im Fach Chirurgie stehen Fachkräfte vor besonderen Herausforderungen, die den Arbeitsalltag oft unvorhersehbar und belastend gestalten. Der oft schlecht planbare Verlauf eines OP-Tages, die Notwendigkeit, auf akute Notfälle schnell zu reagieren und die Unmöglichkeit, einfach „den Haken fallen zu lassen“, wenn die Arbeit nicht erledigt ist, erfordern ein hohes Maß an Flexibilität und Engagement.
Um den Herausforderungen zu begegnen können verschiedene Teilzeitmodelle in Betracht gezogen werden. Das klassische Teilzeitmodell mit täglicher Stundenreduzierung bietet eine einfache Handhabung, stößt jedoch in der Praxis häufig an Grenzen. Die Einführung flexibler Arbeitszeitmodelle, die sowohl an den realistischen Arbeitsalltag als auch an die Bedürfnisse der Mitarbeitenden angepasst sind, können die Situation verbessern vgl. Tabelle 1. Essenziell ist, dass Teilzeitkräfte keine Benachteiligung erfahren, insbesondere in Bezug auf Weiterbildung und Karrierechancen. Ein weiteres Modell verteilt die wöchentliche Arbeitszeit auf variable Tage, was den Beschäftigten mehr Freiraum gibt. Auch innovative Ansätze wie Jobsharing und Teamarbeit könnten dazu beitragen, die Arbeitslast besser zu verteilen und gleichzeitig die Teamdynamik zu stärken vgl. Tabelle 1.
Tab. 1: Übersicht verschiedener Teilzeitmodelle, zur Verfügung gestellt von Dr. Lisa Rosch – AN: Arbeitnehmer; AG: Arbeitgeber, publiziert in [4]
Teilzeitmodell |
Beschreibung |
Pro |
Contra |
Classic |
Das klassische Modell mit täglicher Stundenreduzierung. |
regelmäßige Arbeitszeit, planbar für AG und AN |
keine Dienste möglich, kaum OP-Tage |
Classic Vario |
Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit auf 2 bis 5 Tage mit Variation der wöchentlichen oder monatlichen Stundenzahl. |
hohe Flexibilität für AN und AG |
begrenzte Integration in das Dienstsystem, wenig OP-Tage |
Jobsharing |
Zwei AN teilen sich eigenverantwortlich eine Stelle. Dies ist besonders für Führungskräfte geeignet. |
hohe Flexibilität für AN |
Vertrauensverhältnis nötig |
Team |
Es wird nur vorgegeben, wie viele Mitarbeiter anwesend sein müssen, die Arbeitszeiten werden im Team abgestimmt. |
sehr hohe Flexibilität, kann bei klaren Vorgaben zu hoher Zufriedenheit der AN führen |
Schnittstellenprobleme |
Invest |
Man arbeitet in Vollzeit und füllt sich damit ein Guthaben-Zeitkonto, um ein Sabbatical herauszuarbeiten. |
ermöglicht längere Auszeit/Sabbatical bei verlässlicher Bezahlung |
Umsetzung für AG im Stellenschlüssel schwierig |
Ein „Vorleben“ von Teilzeitmodellen, insbesondere durch weibliche Vorbilder in Führungspositionen, kann dazu beitragen, dass mehr junge Ärztinnen und Ärzte den Schritt in eine familienfreundliche Arbeitswelt wagen. Die positive Erfahrung, Beruf und Privatleben erfolgreich zu verbinden, wird nicht nur die Zufriedenheit der Mitarbeitenden erhöhen, sondern auch die Bindung an den Standort stärken.
Ausblick
Die Veränderungen der Arbeitsbedingungen sind nicht nur eine Herausforderung, sondern auch eine Chance für die chirurgische Disziplin, sich neu zu positionieren.
Es ist wichtig, den Kolleginnen und Kollegen zu vermitteln, dass die Einstellung von Teilzeitkräften nicht als Bedrohung für die Vollzeitkräfte betrachtet werden sollte, sondern vielmehr als Chance, offene Stellen zu besetzen und die Arbeitslast zu verteilen. Angesichts des massiven Chirurgenmangels ist es entscheidend, dass wir Teilzeitkräfte nicht als Konkurrenz sehen, die Vollzeitstellen blockieren, sondern als notwendige Ergänzung, um die bestehende Versorgung sicherzustellen. Oftmals sind Stellen unbesetzt, und die Realität ist, dass eine 100%-Kraft nicht alle Aufgaben allein bewältigen kann.
Die Perspektive zu ändern und die Akzeptanz für Teilzeitarbeit zu fördern, ist von zentraler Bedeutung. Diese Veränderung erfordert einen kulturellen Wandel innerhalb der chirurgischen Gemeinschaft, in dem die Vorteile von Teilzeitmodellen und die Notwendigkeit, Personal angemessen zu planen, erkannt und geschätzt werden. Nur so können wir eine zukunftsfähige und nachhaltige Arbeitsumgebung schaffen, die den Herausforderungen der Chirurgie gerecht wird. Arbeitgeber sollten nicht nur den gesetzlichen Anforderungen nachkommen, sondern auch aktiv an der Schaffung lebensfreundlicher Arbeitsbedingungen arbeiten. Dass nachhaltige Qualität in der Patientenversorgung und eine gesunde Wirtschaftlichkeit nicht durch Überlastung und Ausbeutung erreicht werden können, versteht sich von selbst.
Die Chirurgie ist eine facettenreiche Welt, die es verdient, dass wir die Ressourcen und das Potenzial unserer Ärztinnen und Ärzte optimal nutzen – indem wir sie von zeitaufwändigen administrativen Aufgaben und überbordenden Überstunden entlasten und ihnen die Möglichkeit geben, sich auf ihre wesentlichen Aufgaben zu konzentrieren, um letztlich die Vereinbarkeit von Beruf, Privatleben und Familie zu fördern.
Literatur
[1] Samland M, Rosch L, Hofmann A, Rommelfanger G, Grimaldi G. Sektion Familie und Beruf: Das System läuft nicht rund. 10 provokante Thesen. Z Orthop Unfall. 2021 Jun;159(3):249-251
[2] Rommelfanger G, Samland M, Hofmann A. Es gibt auch noch ein Leben neben dem Beruf. Aus der JFOU-Sektion „Familie und Beruf“ wurde „BerufsLEBEN“. Orth Unfallchir 2023; 13 (2). 19-21.
[3] Rommelfanger G, Samland M. Gute Chirurginnen und Chirurgen brauchen einen „Ausgleich“. Die Unfallchirurgie / Ausgabe 4/2023. DOI: doi.org/10.1007/s00113-022-01273-x.
[4] Samland M, Hofmann A. Arbeitszeitmodelle – ein Wunschkonzert? Ärzteblatt Sachsen, Heft 11/2022, S. 16-19. Herausgeber: Sächsische Landesärztekammer.
Weiterführende Literatur
- Samland M; Junges Forum O und U. Spezialisiert in der Unfallchirurgie – kein einfacher Weg. Unfallchirurgie (Heidelb). 2024 Dec 9. German. doi: 10.1007/s00113-024-01509-y.
- Rommelfanger G, Hofmann A, Rosch L, Samland M. Was Familienplanung bedeutet. Checkliste Elternzeit in O und U. Orth Unfallchir 2024; 14 (1), S.38-39. doi: https://doi.org/10.1007/s41785-023-4313-1.
- Hofmann A, Samland M, Rosch L, Rommelfanger G. Quo vadis: New Work, Elternzeit, Wiedereinstieg und Teilzeit – Ergebnisse der Jahresumfrage des Jungen Forums O und U 2022. Z Orthop Unfall. 2023 Dec;161(6):599-602. German. doi: 10.1055/a-2151-7733.
- Samland M. Zeit für das Wesentliche. Checkliste für Teilzeitarbeitsmodelle. Orth Unfallchir 2023; 13 (5). S. 45-47. doi: https://doi.org/10.1007/s41785-023-3927-7.
- Rosch L, Rommelfanger G, Samland M, Hofmann A. Mit Struktur und Gelassenheit die Schwangerschaft planen. Neu veröffentlichte Checkliste der Sektion BerufsLEBEN des JFOU. Orth Unfallchir 2023; 13 (6). S. 42-43. doi: https://doi.org/10.1007/s41785-023-3981-1.
- Samland M. Mitarbeitergewinnung, Mitarbeiterpflege und Mitarbeiterbindung: ein Appell. Z Orthop Unfall. 2022 Dec;160(6):616-617. German. doi: 10.1055/a-1483-0132.
- Herbolzheimer M, Samland M, Hättich A. https://www.thieme-connect.com/products/ejournals/abstract/10.1055/a-1959-7378 Homeoffice in O und U – ein Versuch wert. Z Orthop Unfall. 2023 Feb;161(1):14-15. German. DOI: 10.1055/a-1959-7378.
Dr. med. Marie Samland
Ärztin in Weiterbildung
Orthopädie und Unfallchirurgie
Stellv. Landesvorsitzende BVOU und BDC|Berlin
Leitung Öffentlichkeitsarbeit Junges Forum O und U
Chirurgie
Samland M: Chirurgie im Wandel: Für lebensfreundliche Arbeitsbedingungen. Passion Chirurgie. 2025 März; 15(03/QI): Artikel 03_01.
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Autor des Artikels
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