06.12.2018 Politik
Chirurgen-Präsident fordert Widerspruchslösung in der Organspende
“Deutschland profitiert in unangemessener Form von seinen Nachbarländern”
Die doppelte Widerspruchslösung sieht vor, dass automatisch jeder als Spender gilt – sofern er nicht zu Lebzeiten ausdrücklich „Nein“ gesagt hat. Im Sinne einer doppelten Schranke sind zudem die Angehörigen zu befragen, die eine Organentnahme bei fehlendem Widerspruch immer noch ablehnen können. Diese Regelung wird nach Auskunft der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung europaweit bisher in Belgien, Estland, Finnland, Litauen und Norwegen praktiziert. In Deutschland sind Organentnahmen derzeit nur bei ausdrücklicher Zustimmung erlaubt.
Die radikalere Form der Widerspruchslösung ist stärker verbreitet. Sie gilt in Bulgarien, Frankreich, Irland, Italien, Lettland, Liechtenstein, Luxemburg, den Niederlanden, Österreich, Polen, Portugal, der Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechien, der Türkei, Ungarn und Zypern. In der Praxis werden bei fehlendem Widerspruch aber auch in den meisten dieser Länder vor einer Organentnahme erst einmal Angehörige befragt.
„Überall dort, wo Organspende auf der gesetzlichen Grundlage der sogenannten Widerspruchslösung geregelt ist, sind die Organspendezahlen deutlich höher als in Ländern mit Zustimmungs- oder Entscheidungslösung“, erläutert Anthuber. Der DGCH-Präsident geht davon aus, dass sich die Menschen in Deutschland durch die Gesetzesänderung in einem höheren Maße als bisher mit Fragen der Organspende und -transplantation auseinandersetzen und in der Folge die Spende-Raten ansteigen würden. In diese Richtung weisen auch Umfrage-Ergebnisse. „Circa 80 Prozent der Deutschen stehen der Organspende positiv gegenüber, aber nur circa 20 Prozent haben dies auch in Form eines Organspendeausweises unmissverständlich dokumentiert“, berichtet Anthuber, der als Direktor der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie am Klinikum Augsburg tätig ist.
Als weiteren Vorteil einer Gesetzesneuregelung führt der DGCH-Präsident den Umstand an, dass mit einer Widerspruchslösung Druck von den Angehörigen genommen wird. „Im Augenblick müssen Hinterbliebene in einer denkbar schwierigen Situation den vermuteten Willen des Verstorbenen hinsichtlich der Organspende zum Ausdruck bringen“, so Anthuber. „Das kann als sehr belastend empfunden werden.“
Dass die doppelte Widerspruchslösung einen Eingriff in die Freiheit des Einzelnen darstellen würde, wie von Kritikern angeführt, kann der Augsburger Chirurg nicht nachvollziehen. „Niemand wird zur Organspende im Sinne einer Organabgabepflicht gezwungen“, betont Anthuber. „Die Bürgerinnen und Bürger werden jedoch zur aktiven Entscheidung aufgefordert. Damit bleibt die individuelle Freiheit, ob man nun Organspender sein will oder nicht, vollumfänglich erhalten.“
Beispielgebend für ein mögliches Vorgehen bei der Implementierung der Widerspruchslösung in Deutschland könnte der Nachbarstaat Holland sein. „Zuletzt haben die Niederlande eine Gesetzesinitiative auf den Weg gebracht, die nach umfangreicher und stufenweiser Information der Bevölkerung zum Ziel hat, ab 2020 die Widerspruchslösung einzuführen“, berichtet Anthuber.
Eines der zentralen Argumente für die doppelte Widerspruchslösung besteht für den DGCH-Präsidenten in der Beseitigung eines innereuropäischen Ungleichgewichts. „Wir müssen in Deutschland anerkennen, dass wir unter den derzeit bestehenden gesetzlichen Regelungen bei uns und in unseren Nachbarländern in unangemessener Form von den gesetzlichen Regelungen der Organspende um uns herum profitieren“, sagt Anthuber. „Deutschland importiert viel mehr Organe aus dem Ausland, als es in das solidarisch getragene System von Eurotransplant einbringt, und verschlechtert somit die Transplantationschancen von Patienten auf ausländischen Wartelisten.“ Ein Organspender kann über seinen eigenen Tod hinaus bis zu sieben Menschen helfen und damit insgesamt mehr als 60 neue Lebensjahre schenken.
Darüber hinaus sei es richtig, betont Anthuber abschließend, die Rolle der Transplantationsbeauftragten in den Kliniken zu stärken, wie es Bundesgesundheitsminister Jens Spahn plant.
Quelle: Deutsche Gesellschaft für Chirurgie e.V., Luisenstraße 58/59, 10117 Berlin, www.dgch.de, 05.12.2018
Weitere Artikel zum Thema
09.03.2018 Politik
Gesucht: Digitale Ideen für die Zukunftspraxis
„Es gibt tausende von Apps und digitalen Anwendungen rund um das Thema Gesundheit. Doch der Nutzen für Patient und Arzt ist oft unklar. Daher ist es unser Ziel, diejenigen Anwendungen und digitalen Dienste zu identifizieren und zu fördern, die die Arbeit und Abläufe in den Praxen der niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen verbessern“, sagte der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Dr. Andreas Gassen, zum Start der KBV-Zukunftspraxis.
08.03.2018 Politik
Resolution: Zukunftssichere Versorgung nur mit der Selbstverwaltung
Mit Befremden haben die Delegierten der Vertreterversammlung der KBV auf aktuelle Bestrebungen der Gesundheitspolitik, in die Selbstverwaltung einzugreifen, reagiert. In einer heute verabschiedeten Resolution fordern sie die Politik auf, die bewährten Prinzipien der Freiberuflichkeit und den notwendigen Spielraum für die Selbstverwaltung zu erhalten.
07.03.2018 Politik
6. Chirurgische Woche für Studierende
Zum sechsten Mal findet dieses Jahr die Chirurgische Woche des Universitätsklinikum Tübingen statt – initiiert durch die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie und den Berufsverband der Deutschen Chirurgen.
06.03.2018 Politik
Finanzreserven der Krankenkassen steigen auf Rekordwert
Die gesetzlichen Krankenkassen haben im Jahr 2017 einen Überschuss von rund 3,15 Milliarden Euro erzielt. Dieser Überschuss lag damit nahezu doppelt so hoch wie im Vorjahr (2016: 1,62 Milliarden Euro). Die Finanzreserven der Krankenkassen stiegen damit bis Ende 2017 auf rund 19,2 Milliarden Euro. Die durchschnittliche Finanzreserve sämtlicher Krankenkassen beträgt etwa eine Monatsausgabe und liegt damit viermal so hoch wie die gesetzlich vorgesehene Mindestreserve.
Lesen Sie PASSION CHIRURGIE!
Die Monatsausgaben der Mitgliederzeitschrift können Sie als eMagazin online lesen.