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Zum Berufspolitischen Nachmittag hatte der Berufsverband Niedergelassener Chirurgen e.V. (BNC) am ersten Tag des Bundeskongresses Chirurgie (BCH) eingeladen, der am 10. und 11. Februar 2023 in Nürnberg stattgefunden hat. Der stellvertretende Vorsitzende des BNC, Dr. med. Frank Sinning, hielt die Einstiegsrede und führte kompetent und charmant durch die Veranstaltung. Zur Teilnahme an der Diskussionsrunde waren folgende Akteur:innen aus dem Gesundheitssektor eingeladen:

  • Dr. med. Wolfgang Bärtl, niedergelassener Orthopäde und Vorstand Bayerischer Fachärzteverband BFAV (Neumarkt)
  • Amelie Kraaz, Medizinstudentin im Praktischen Jahr (Nürnberg)
  • Hannelore König, Verband Medizinischer Fachangestellter VMF (Hammah)
  • Gerlinde Mathes, Patientenfürsprecherin am Klinikum Nürnberg
  • Dr. med. Tanja Baumgarten, Oberärztin am Klinikum Darmstadt und aktiv im Verein „Die Chirurginnen“ (Darmstadt)

Zu folgenden Fragen wurde Stellung genommen:

Was war in der Vergangenheit der größte Fehler in Ihrem Bereich?

  • Baumgarten: In der Klinik herrscht eklatanter Personalmangel. Grund: Die Klinik ist nicht attraktiv wegen der Arbeitsbedingungen, des Gehalts und des Klimas.
  • Bärtl: Wir haben uns gegen die Budgetierung des damaligen Bundesgesundheitsministers Horst Seehofer nicht gewehrt. Die Budgetierung muss abgeschafft werden. Wir haben die falsche GOÄ-Strategie gewählt. Und drittens war die Bereitschaftsdienstordnung in Bayern ein Fehler.
  • König: Die Versorgung ist schlecht: Es wurden viele Fehler gemacht und die demografische Entwicklung verpasst. Die Leistungen der Medizinischen Fachangestellten (MFA) in der Pandemie wurden nicht gesehen. Dabei wurden 90 Prozent aller Covid-Patienten ambulant versorgt, nicht stationär!
  • Kraaz: Was uns belastet: Student:innen werden wegen Personalmangels in der Pflege eingesetzt, es gibt keine Zeit für die Ausbildung.

Welche Stellschraube in der Politik müsste gedreht werden?

  • Baumgarten: Wir brauchen mehr Personal, mehr Geld, und wir müssen als Krankenhaus ein attraktiver Arbeitgeber werden.
  • Kraaz: Es braucht mehr Arbeitszeitmodelle, Modelle für Familienplanung, Freizeitmodelle. Eine vernünftige Ausbildung muss gewährleistet sein. Außerdem muss das Zulassungsverfahren für Studierende der Medizin geändert werden.
  • Mathes: Wir brauchen die Elektronische Patientenakte!
  • König: Digitalisierung ist wichtig. Es braucht ein gutes Entlass-Management. Notfalldaten retten Leben. Doch durch das geplante Opt-out-Verfahren bei der EPA werden die MFA wieder zusätzlichen medizinischen Aufwand haben. Wichtig: Die Gehälter der MFAs müssen angepasst werden. Wir brauchen mehr Netto vom Brutto.
  • Bärtl: Wir brauchen für die Patienten den Zugang zum Facharzt. Mindestens die chirurgische Grundversorgung muss aus dem Budget ausgenommen werden. Chirurg:innen, die sechs Jahre Weiterbildung haben, sollten davon auch ein Jahr in der Niederlassung arbeiten. Konservative Chirurgie, Orthopädie etc. lernt man nur in der Niederlassung. Das würde den Nachwuchs sichern.

Mit welchen Maßnahmen kann man nachhaltig eine Verbesserung erreichen?

  • Baumgarten: Wir benötigen mehr Medizinstudienplätze und einen besseren Zugang zum Studium. Sinnvoll wäre eine Vernetzung in der Facharztweiterbildung zwischen Krankenhausmedizin und ambulanter Medizin. Das System wird besser, wenn wir vernetzt arbeiten.
  • Kraaz: Das Zulassungsverfahren zum Medizinstudium ist nicht an den Beruf angepasst, Medizinstudienplätze sind Mangelware.
  • Mathes: Mehr Zeit in der Pflege für und mit dem Patienten durch mehr Personal.
  • Bärtl: Für die Patienten wichtig sind Zeit und Zuwendung. Wir müssen allerdings die grenzenlose Inanspruchnahme medizinischer Leistungen eindämmen. Daher brauchen wir eine sozialverträgliche Eigenbeteiligung.
  • König: Wir brauchen eine moderne, neue Ausbildungsordnung für medizinische Pflegeberufe. Es muss mehr berufliche Perspektiven, mehr Vielfalt und mehr Eigenverantwortung geben. Wir brauchen gute Angebote im Bereich Praxismanagement. Die Ausbildung muss akademisiert werden. Außerdem muss eine ausreichende Finanzierung der ärztlichen Regelversorgung gesichert sein, damit die Ärzt:innen angemessene Gehälter zahlen können. Wir fordern einen Inflationsausgleich von 1.500 Euro und 15 Prozent Lohnerhöhung.

Wenn wir uns in 2 bis 3 Jahren treffen, was wird erreicht sein?

  • Baumgarten: Wir wünschen uns medizinisches Personal in allen Berufsgruppen (MFA, Anästhesieassistenten, Ärzte), das in unserem Krankenhaus bleibt, und dass die Digitalisierung positiv weitergeht.
  • König: Es gibt jetzt schon ein Grundrauschen. Politisch sollen in allen Bundesländern die Rolle der medizinischen Fachangestellten gefördert werden. Die Zukunft der Praxis wird sein, dass das Team eine wesentliche Rolle einnimmt. Die Aufgaben werden clever aufgeteilt werden. Die Digitalisierung wird laufen müssen. Bestenfalls wird die Bundesregierung beim Vorhaben der Entbürokratisierung die MFA mit einbinden.
  • Kraaz: PJ-ler wünschen sich eine faire, gesicherte Bezahlung und eine gesicherte Ausbildung. Ärzt:innen sollen den Studierenden wieder mehr praxisnahe Tätigkeiten beibringen und die angehenden Ärzt:innen sollen weniger mit Bürokratie belastet sein.

Zum Abschluss der Veranstaltung hielt der Staatsminister des Landes Bayern und Vorsitzende der Gesundheitsministerkonferenz, Klaus Holetschek, eine kurze Ansprache, in der er unter anderem die Entbudgetierung der fachärztlichen Tätigkeit forderte.

Insgesamt wurden von den Teilnehmern auf dem Podium die bekannten berufspolitischen und aus der Sicht der eigenen Klientel nachvollziehbaren Positionen und Forderungen vertreten. Die Resonanz der Zuhörer hielt sich in Grenzen. Die Forderung nach einer grundsätzlichen Entbudgetierung fachärztlicher Leistungen fand lebhafte Zustimmung.

Päßler O: Berufspolitischer Nachmittag beim BCH mit Akteuren und Akteurinnen aus dem Gesundheitswesen. Passion Chirurgie. 2023 Juni; 13(06): Artikel 03_04.

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Olivia Päßler

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