01.02.2017 Politik
Berufspolitische Überlegungen zur Weiterentwicklung der Viszeralchirurgie

Viszeralchirurgie früher und heute
Wer heute Viszeralchirurgie betreibt, sieht sich mit einem Umfeld konfrontiert, das sich über die letzten 15 Jahre gravierend geändert hat. Wer vor 15 bis 20 Jahren „Viszeralchirurgie“ machen wollte, wurde zunächst Facharzt für Chirurgie, eine Ausbildung die relativ breit war und immer auch mindestens ein Jahr Rotation in der Unfallchirurgie und ggf. auch eine Rotation in der Herz-/Thorax/Gefäßchirurgie erforderte. Damit waren im Laufe der Ausbildung vielfältige Möglichkeiten gegeben, sich noch umzuorientieren – und auch sich später niederzulassen, z. B. wenn man sich relevante unfallchirurgische Kenntnisse angeeignet hatte.
Der heutige „Viszeralchirurg“ ist hingegen wesentlich fokussierte und spezialisierter: Er hat während seiner Ausbildung in den meisten Fällen nie intensiveren Kontakt zur Unfallchirurgie oder zur Gefäßchirurgie gehabt und ist damit sehr viel eingeschränkter in seinem Wissen und seinen chirurgischen Möglichkeiten. Insbesondere die Option einer Niederlassung ist für den Viszeralchirurgen de facto nicht mehr gegeben, da sein Erfahrungsspektrum keine ökonomisch tragfähigen Möglichkeiten im rein ambulanten Bereich erlauben. Somit bleibt dem Viszeralchirurgen nur die Option einer dauerhaften Tätigkeit in einem Krankenhaus – oder die einer späten „Umschulung“.
Es sind vermutlich
- die notwendige sehr frühe Festlegung auf das Fach „Viszeralchirurgie“,
- die relativ begrenzten Langzeit-Perspektiven (nur Klinik!) und
- die insgesamt hohe Arbeitsbelastung in chirurgischen Fächer insgesamt, die die Zahl der inländischen Interessenten für dieses Fach über die letzten zehn Jahre deutlich hat abfallen lassen.
Während in Universitätskliniken in der Regel die meisten Stellen noch mit inländischem Nachwuchs – oft auch mit eigenen Doktoranden – besetzt werden können, ist es mit abnehmender Größe der Kliniken (und auch mit zunehmender Entfernung von einer größeren Stadt) immer problematischer viszeralchirurgischen Nachwuchs zu gewinnen, sodass hier zunehmend oft auf ausländische Bewerber zurückgegriffen werden muss.
Frauen in der Viszeralchirurgie
In der Viszeralchirurgie findet sich – wie in den meisten anderen medizinischen Fachrichtungen – eine zunehmende Zahl von weiblichen Kollegen, bedingt durch die seit einigen Jahren und auch sicher weiterhin deutliche Mehrheit von weiblichen Medizinstudenten. Dadurch wird es zunehmend notwendig sein, neue Arbeitszeitmodelle zu entwickeln, die in der Viszeralchirurgie sinnvolle Teilzeitarbeit ermöglichen, einerseits um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu fördern und andererseits um die Potenziale der oftmals schon gut ausgebildeten weiblichen Chirurgen auch nach einer Familiengründung und den damit im Zusammenhang stehende Belastungen weiter zu nutzen. Wie dies in der Viszeralchirurgie in der Breite optimal umgesetzt werden kann, ist allerdings noch nicht klar.
Am ehesten gelingen Teilzeitarbeits-Modelle an kleineren oder mittleren Kliniken, an denen schwerpunktmäßig eher kürzere und planbaren sowie sehr standardisierten allgemein- und viszeralchirurgischen Eingriffen durchgeführt werden (z. B. Leistenhernien, Cholezystektomien, Hemikolektomien, Schilddrüsenoperationen etc.). In diesem Setting können gut ausgebildete Chirurginnen auch in Teilzeitmodellen hervorragend „eingeplant“ werden, sodass einerseits ihre chirurgischen Qualifikationen im OP genutzt werden können und andererseits eine verlässliche Zeitplanung für die Mitarbeiterinnen resultiert (z. B. für Abholen von Kindern etc.). Wesentlich schwieriger ist dies z. B. an Universitätskliniken umzusetzen, insbesondere an Kliniken, die sich vorwiegend auf komplexe „high-end“ Chirurgie spezialisiert haben. Hier gibt es viel mehr kurzfristig geplante und komplexe, lange Eingriffe, die für Teilzeit- Mitarbeiter(innen) wesentlich schwieriger zu organisieren sind. Da die Chirurginnen während ihrer Ausbildung an solchen Kliniken natürlich vor allem diese „große Chirurgie“ gelernt haben – und dies dann auch sehr gut und sehr gerne machen, resultiert aus diesem Dilemma häufig Frustrationen bei einer späteren Teilzeit-Tätigkeit. Diese Teilzeit-Chirurginnen dann vorwiegend für (planbare) Stationsarbeit, Konsile und Ambulanzen einzusetzen, entspricht sicher nicht deren Wünschen und auch nicht ihren chirurgischen Qualifikationen.
Schließlich ist im universitären Bereich die wissenschaftliche Karriere – zusätzlich zu der klinischen Tätigkeit – für viele Chirurginnen initial ein wichtiges Thema, weshalb sie sich zur Ausbildung an eine Universitätsklinik gegangen sind. Allerdings ist diese wissenschaftliche Tätigkeit dann später in Kombination mit der Familienplanung und ggf. einer Teilzeit-Tätigkeit praktisch nicht mehr weiterzuführen. Das ist sehr schade, da viele der Chirurginnen initial oft mit sehr viel Engagement (experimentell-) chirurgische Forschung mit großem Erfolg betreiben. Letztlich bedeutet dies, dass sich Chirurginnen unter Berücksichtigung ihrer Familien-Planungs-Intentionen schon zu Beginn ihrer Karriere sehr genau überlegen müssen, wie die klinische (und ggf. wissenschaftliche) Ausbildung und auch die längerfristige Perspektive in der Viszeralchirurgie für sie aussehen soll.
Interdisziplinäre Vernetzung: „Viszeralmedizin“
Schließlich muss in der Zukunft immer mehr der fachlichen Vernetzung zwischen der Viszeralchirurgie, der Gastroenterologie und der gastroenterologischen Onkologie, die in vielen Fällen für eine optimale Patientenversorgung notwendig ist, Rechnung getragen werden. Um eine bestmögliche Behandlung sicherzustellen, besteht hier zunehmend die Notwendigkeit, über die eigenen Fachgrenzen hinauszudenken und – im Idealfall – auch Erfahrungen in den angrenzenden Gebieten zu haben. Dies auch insbesondere, da das Durchschnittsalter von Patienten (mit zunehmender Lebenserwartung) ansteigt und damit die „internistischen“ Komorbiditäten zunehmen. Um solche interdisziplinären Strategien im Alltag umzusetzen, wurden bereits an einigen Kliniken innerhalb von „Viszeralzentren“ interdisziplinäre Stationen gegründet, die gemeinsam von Chirurgen und Internisten geleitet werden. Alternativ wäre es allerdings auch vorstellbar, dass im Rahmen der Ausbildung die Fächergrenzen etwas aufgebrochen werden und verschiedene Ausbildungsinhalte eines Nachbarfaches als „Module“ – je nach Interessen – mit in die Ausbildung des Viszeralchirurgen eingebracht werden. Hieraus könnte in Zukunft dann u. U. ein „Viszeralmediziner“ resultieren, der sich mit einem Spezialbereich übergreifend befasst: z. B. Schwerpunkt „Entzündliche Darmerkrankungen“ mit entsprechenden Operationen, aber auch inklusive der Koloskopie und koloskopischer Interventionen sowie medikamentöser Behandlungsverfahren, oder z. B. Schwerpunkt „Gastro-Ösophageale Erkrankungen“ mit den entsprechenden Operationen incl. der oberen Intestinoskopie sowie interventioneller endoskopischer Verfahren in diesem Bereich und medikamentöser Behandlungen. Hier sind durchaus weitere Schwerpunktbereiche vorstellbar (Leber-/Gallenwege, Pankreas, Schilddrüse/Nebenschilddrüse etc.), die so abgebildet werden könnten. Neben der Versorgung der Patienten „aus einer Hand“ würde sich mit solchen Modellen für den Vizeralchiurgen/Viszeralmediziner auch wieder die Möglichkeit einer Niederlassung ergeben, die derzeit dem Viszeralchirurgen praktisch verwehrt ist.
Dies ist sicher ein heikler Bereich, da es innerhalb der derzeitigen Facharzt-Schienen sicher zu sehr intensiven Diskussionen führen wird. Ähnliches betrifft aber nicht nur die Viszeralmedizin, sondern auch eine Reihe anderer Bereiche, bei denen sich neue Konzepte entwickeln werden. Ähnliche Probleme und Entwicklungen finden sich z. B. auch in der „Gefäßmedizin“ mit Überlappungen zwischen der Gefäßchirurgie, der Angiologie und der interventionellen Radiologie: Hier ist es ja bereits jetzt schon so, dass viele Gefäßchirurgen angiologische Diagnostik betreiben und dass Angiologen therapeutische Katheter-Interventionen an Gefäßen durchführen. Eine ähnliche Entwicklung wäre auch für die Viszeralmedizin sicher attraktiv. Hierzu müssen jedoch intensive Abstimmungen zwischen den verschiedenen Disziplinen und den Berufsverbänden stattfinden, damit sich keines der „Fächer“ benachteiligt fühlt.
Ausblick
Zusammenfassend zeigt sich, dass die Viszeralchirurgie ein Fach ist, das sich über die letzten zehn bis 20 Jahre deutlich verändert hat und das derzeit mit vielen Problemen kämpfen muss. Eine Entwicklung mit fachübergreifenden Perspektiven hin zu einer integrierten „Viszeralmedizin“ bzw. von Spezialbereichen innerhalb der Viszeralmedizin ist aus vielerlei Hinsicht ein sinnvoller und (sowohl für Ärzte wie auch für Patienten) attraktiver Ansatz, der intensiv verfolgt werden sollte. Eine solche Entwicklung würde das Fach auch für den weiblichen Nachwuchs mit deutlich verbesserten Teilzeit-Möglichkeiten sowie auch mit vielfältigeren Entwicklungsperspektiven für den Einzelnen bzw. die Einzelne (z. B. Schwerpunkt-Spezialisierung innerhalb der Viszeralmedizin, Möglichkeiten der Niederlassung etc.) wieder interessanter machen.
Die Meinung des Verfassers muss nicht mit der Ansicht des Herausgebers übereinstimmen.
Schlitt H. J. Berufspolitische Überlegungen zur Weiterentwicklung der Viszeralchirurgie. Passion Chirurgie. 2017 Februar, 7(02): Artikel 05_02.
Autor des Artikels

Prof. Dr. med. Hans Jürgen Schlitt
BDC|Referatsleiter ViszeralchirurgieKlinik und Poliklinik für Chirurgie, Universitätsklinikum RegensburgUniversitätsklinikum RegensburgFranz-Josef-Strauss-Allee 1193053Regensburg kontaktierenWeitere aktuelle Artikel
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