01.10.2023 Ambulant
BDC-Praxistest: Fit statt schlapp – präoperative Sporttherapie
Vorwort
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
gerade ältere Patienten weisen bei operativen Eingriffen, wie z. B. Gelenk-, Herz- oder viszeral-onkologischen Operationen, sowohl ein erhöhtes Morbiditäts- als auch Mortalitätsrisiko auf. Dabei stehen uns mittlerweile verschiedene Optimierungsmaßnahmen zur Verfügung, insbesondere die sogenannte Prähabilitation; i. e. der Aufbau von Kraft, Beweglichkeit und Ausdauer vor einer Operation.
Entsprechend gilt es zunehmend, Patent:innen präoperativ im Sinne einer Prähabilitation vorzubereiten, da die körperliche Leistungs- und Funktionsfähigkeit einen wesentlichen prognostischen Faktor darstellt. Die Anforderungen an die Prähabilitation sind jedoch sehr hoch, dass angepasst an den Zustand des Patienten und die bis zur Operation verbleibende Zeit ein möglichst effektives Training durchgeführt werden sollte.
Welche Patienten profitieren denn von einer präoperativen Sporttherapie? Wie lange sollte die Prähabilitation dauern? Passt diese Form der Therapie in ein möglicherweise multimodales onkologisches Therapiekonzept? Oder reden wir schon von „Standardtherapie“?
Nach unserer Meinung gibt der aktuelle Artikel genau den richtigen Überblick über den Stellenwert des prähabilitativen Trainings in unserem klinischen Alltag.
Erhellende Lektüre wünschen
Prof. Dr. med. C. J. Krones |
und |
Prof. Dr. med. D. Vallböhmer |
Warum brauchen wir Prähabilitation?
Es kann davon ausgegangen werden, dass die Fitness von Patienten und Patientinnen zum Zeitpunkt der Operation eine Rolle für den postoperativen Verlauf hat, sodass sie mit einer geringeren Fitness ein höheres Risiko für postoperative Komplikationen haben. Dies hat zur Frage geführt, inwieweit die Fitness und im Weiteren die funktionelle Kapazität präoperativ verbessert werden können. Eine Verbesserung der Fitness der Patient:innen vor einem operativen Eingriff ist anzustreben, dies gilt vor allem für Patient:innen, die aufgrund ihrer eingeschränkten Fitness ein erhöhtes perioperatives Risiko haben. Dies kann durch den klassischen Ansatz der Rehabilitation, der auf die postoperative Verbesserung/Wiederherstellung der Fitness bzw. funktionellen Kapazität zielt, nicht erreicht werden. Die Rehabilitation setzt zu spät ein, daher hilft sie nicht, den direkten postoperativen Verlauf und das perioperative Komplikationsrisiko zu reduzieren. Für den perioperativen und direkten postoperativen Verlauf sollte die individuelle Fitness der Patient:innen bereits vor der Operation verbessert werden, um so das Komplikationsrisiko zu reduzieren und den postoperativen Verlauf positiv zu beeinflussen. Dies hat zum Ansatz der Prähabilitation geführt. Der Prähabilitationsansatz ist dabei nicht nur auf das körperliche Training beschränkt, es handelt sich vielmehr um einen multimodalen Behandlungsansatz, bei dem weitere Komponenten, wie z. B. Ernährungsintervention und psychologische Intervention eingeschlossen werden, um die Fitness und mehr noch weitere Mechanismen der funktionellen Kapazität der Patient:innen zu steigern. Bisher gehört die Prähabilitation jedoch noch nicht zum allgemeinen Behandlungsstandard in Deutschland, auch wenn zunehmend deutlich wird, welche Bedeutung sie bei der Versorgung im Rahmen von chirurgischen Eingriffen haben könnte. Dies hängt vor allem an den heterogen Prähabilitationsansätzen und den heterogenen Ausgangsbedingungen. Es sind eine Reihe von Fragen zu adressieren, um die Effizienz der Prähabilitation darzustellen und mehr noch zu optimieren. Zu diesen gehören die Bedeutung der Ausgangsbedingungen, die Patientengruppen, die Erkrankung und die Art des operativen Eingriffs.
Welche Patient:innen profitieren und wie lange muss Prähabilitation sein?
Welche Patientengruppen sich für eine Prähabilitation eignen, ist von besonderem Interesse, insbesondere, ob Patient:innen mit reduzierter Fitness überhaupt in der Lage sind, präoperatives Training durchzuführen und ob bei diesen Patient:innen mit erhöhtem perioperativem Risiko eine effiziente Steigerung der Fitness und funktionellen Kapazität erreicht werden kann. Gerade für diese Patient:innen, die ein erhöhtes perioperatives Risiko haben, ist eine Steigerung der Fitness und darüber hinaus der funktionellen Kapazität von Bedeutung. In diesem Zusammenhang erscheint es interessant, dass vor allem bei älteren Patient:innen im Rahmen der Prähabilitation vor kardiochirurgischen Eingriffen das pulmonale Komplikationsrisiko gesenkt werden kann [8]. Dies könnte dadurch erklärt werden, dass diese Patient:innen vielfach einem erhöhten Stress durch inflammatorische Reaktion auf eine Operation, erhöhte Belastung durch die perioperative Therapie (z. B. neoadjuvante Therapie, perioperative Beatmung und Intensivtherapie) sowie unzureichenden Ernährungsreserven und psychischen Belastungen ausgesetzt sind.
Die Widerstandsfähigkeit gegenüber dem perioperativen Stress ist bei diesen Patient:innen reduziert. Dies hängt nicht nur vom Alter ab, sondern auch von einer Reihe weiterer unveränderbarer Faktoren wie Geschlecht, Tumorbiologie, aber auch von veränderbaren Faktoren, wie Begleiterkrankungen, ungesunder Lebensstil (Bewegungsmangel, Rauchen, Übergewicht etc.), Unterernährung, schlechte psychologische Vorbereitung auf die Operation und körperliche Einschränkungen infolge der vorliegenden Grunderkrankung. Daher sind die veränderbaren Faktoren Ziel der Prähabilitation, da durch eine Beeinflussung dieser Faktoren eine Verbesserung der Fitness und darüber hinaus der funktionellen Kapazität geschaffen werden kann. Ein weiterer wichtiger Aspekt für die Prähabilitation ist der Zeitraum, der für eine erfolgreiche Prähabilitation notwendig ist. Ein Zeitraum von mehr als drei Wochen ist nach einer neueren Metaanalyse bei Patient:innen mit Kolon- und Rektumkarzinom für eine Reduktion des postoperativen Komplikationsrisikos effizient [2]. Inwieweit auch kürzere Zeiträume für eine Prähabilitation erfolgversprechend sind, ist noch nicht hinreichend geklärt, ist jedoch von großer Bedeutung, da häufig nur wenige Wochen Zeit bis zu operativen Eingriffen bleiben. Es lohnt sich daher ein Blick auf die Effekte, die durch eine präoperative Sporttherapie induziert werden können.
Mechanismen, die durch Prähabilitation angeregt werden
Inwieweit auch kürzere Prähabilitationszeiträume die Fitness bzw. die funktionelle Kapazität verbessern können, ist bisher unzureichend untersucht. Hier hilft es, auf die mechanistischen Faktoren zu schauen, die im Zusammenhang mit der Verbesserung der Fitness und funktionellen Kapazität stehen. Dabei ergeben sich Hinwiese, dass die Prähabilitation auch bei kürzeren Prähabilitationszeiträumen Effekte bringen kann. Die Effekte der Prähabilitation sind nicht nur auf leistungsphysiologische Parameter und damit die Fitness im engeren Sinn begrenzt, sondern in einem weiteren Sinn auf die funktionelle Kapazität, die sich auch auf den „Fitnesszustand“ von Organen und Geweben bezieht, wie im Folgenden an einigen Beispielen dargestellt wird.
Die Verbesserung der funktionellen Kapazität schließt unter anderem das Wundheilungs- und Regenerationspotenzial ein. Dieses kann durch präoperative Trainingsinterventionen von weniger als drei Wochen verbessert werden. Hierzu gehört:
- die Mobilisierung von endothelialen Vorläuferzellen (EPC),
- die Anpassung des Immunsystems und
- die Aktivierung des skelettmuskulären Wachstumspotenzial [6].
Für die Wundheilung ist die Gefäßentwicklung ein wesentlicher Prozess und diese wird durch die endothelialen Progenitorzellen gefördert [7]. Eine Erhöhung der endothelialen Progenitorzellzahl vor einem operativen Eingriff kann daher die Neubildung von Gefäßen fördern, was von wesentlicher Bedeutung für die postoperative Wundheilung sein kann. Für das präoperative Training konnte bereits gezeigt werden, dass es zu einer Mobilisierung von EPC ins Blut kommt [5].
Das immunologische Gleichgewicht spielt auch eine wichtige Rolle für den peri- und postoperativen Verlauf, da das Immunsystem eine Rolle bei der Regulation der Wundheilung spielt. Das Immunsystem steuert den Heilungsprozess über Makrophagen und auch T-regulatorische Lymphozyten. In ersten tierexperimentellen Modellen und bei Sportlern wurde bereits gezeigt, dass es zu einer Anpassung des Immunsystems unter anderem durch eine Zunahme von Treg-Zellen in wenigen Tagen bis Wochen kommt [4, 9]. Es wurde im tierexperimentellen Modell gezeigt, dass prähabilitatives Training die postoperative Entzündungsreaktion reduzieren kann [4]. Kürzlich konnte darüber hinaus im tierexperimentellen Modell gezeigt werden, dass perioperative neurokognitive Dysfunktionen durch präoperatives Krafttraining reduziert werden können und dabei die Aktivierung der mitochondrialen Biogenese über PGC-1/BDNF im Bereich des Hippocampus eine Rolle spielt [3]. Die schnelle Wiederherstellung von Funktion und Masse der Skelettmuskulatur ist für den Wiederaufbau von Fitness und funktioneller Kapazität in der postoperativen Phase von Bedeutung. Dabei helfen Satellitenzellen (SC) bei der Skelettmuskelregeneration, und deren Zahl und Funktion sind von Bedeutung. Insbesondere bei älteren Patient:innen mit reduzierter SC-Kapazität kann eine Steigerung der SC-Zahl von Bedeutung sein. Trotz erster Studien, die die kurzfristige Erhöhung der SC-Kapazität zeigen und dies in Zusammenhang bringen mit verbessertem Regenerationspotential [1], besteht noch weiterer Klärungsbedarf, inwieweit das Skelettmuskelregenerationspotential unter anderem über die Aktivierung von SC gesteigert werden kann.
Eine weitere Abklärung der Effekte von Prähabilitation sollte daher neben der Steigerung der Fitness durch Prähabilitation weitere Effekte einschließen, die den peri- und postoperativen Verlauf beeinflussen können.
Prähabilitation auf dem Weg in die Standardversorgung
Prähabilitation kann die präoperative Fitness und darüber hinaus weitere Steigerungen der funktionellen Kapazität von Patient:innen vor einer Operation hervorrufen. Dies konnte in den letzten Jahren in einer Reihe von Studien gezeigt werden, auch wenn die Studienlage zur klinischen Effektivität von Prähabilitation noch präliminär ist und die Prähabilitation noch nicht zum Behandlungsstandard geworden ist. Es ist jedoch bereits deutlich erkennbar, dass die Prähabilitation ein hohes Potenzial zur Verbesserung der peri- und postoperativen Situation von Patient:innen hat und auch in vielen Fällen umsetzbar ist. Dabei geben die bisherigen Erkenntnisse aus klinischen Studien zum Effekt von prähabilitativem Training zumindest für Interventionsräume von mehr als drei Wochen hinreichend Evidenz.
Weitere Studien müssen klären, ob und wie effektiv ein prähabilitatives Training für weniger als drei Wochen ist. Es ist auch wichtig, dass Patientengruppen, die besonders von Prähabilitation profitieren, besser identifiziert werden. Letztlich braucht es klare Empfehlungen für das prähabilitative Training und weitere zusätzliche Maßnahmen in der Prähabilitation, um möglichst hohe Effekte zu erzielen und die Prähabilitation in der Standardversorgung zu etablieren.
Literatur
[1] Dewi L, Lin YC, Nicholls A, Condello G, Huang CY, Kuo CH. Pax7+ Satellite Cells in Human Skeletal Muscle After Exercise: A Systematic Review and Meta-analysis. Sports Med. 2023; 53(2):457-480. doi: 10.1007/s40279-022-01767-z.
[2] Falz R, Bischoff C, Thieme R, Tegtbur U, Hillemanns P, Stolzenburg JU, Aktas B, Bork U, Weitz J, Lässing J, Leps C, Voß J, Lordick F, Schulze A, Gockel I, Busse M. Effect of home-based online training and activity feedback on oxygen uptake in patients after surgical cancer therapy: a randomized controlled trial. BMC Med. 2023; 21(1):293. doi: 10.1186/s12916-023-03010-6.
[3] Liu Y, Chu JMT, Ran Y, Zhang Y, Chang RCC, Wong GTC.Prehabilitative resistance exercise reduces neuroinflammation and improves mitochondrial health in aged mice with perioperative neurocognitive disorders. J Neuroinflammation. 2022; 19(1):150. doi: 10.1186/s12974-022-02483-1.
[4] Mussi RK, Camargo EA, Ferreira T, De Moraes C, Delbin MA, Toro IF, Brancher S, Landucci EC, Zanesco A, Antunes E. Exercise training reduces pulmonary ischaemia-reperfusion-induced inflammatory responses. Eur Respir J. 2008; 31(3):645-9. doi: 10.1183/09031936.00015607.
[5] Schier R, El-Zein R, Cortes A, Liu M, Collins M, Rafat N, Teschendorf P, Wu HK, Heymach J, Mehran R, Riedel B. Endothelial progenitor cell mobilization by preoperative exercise: a bone marrow response associated with postoperative outcome. Br J Anaesth. 2014; 113(4):652-60. doi: 10.1093/bja/aeu135
[6] Schier R, Alfitian J, Bloch W. Prähabilitation zur Vorbereitung auf eine schwere Operation – was können wir tun? DIVI 2023; 14: XXX–XXX DOI 10.53180/DIVI.2023.0XXX-0XXX
[7] Schmidt A, Brixius K, Bloch W. Endothelial precursor cell migration during vasculogenesis. Circ Res. 2007; 101(2):125-36. doi: 10.1161/CIRCRESAHA.107.148932.7
[8] Snowdon D, Haines TP, Skinner EH. Preoperative intervention reduces postoperative pulmonary complications but not length of stay in cardiac surgical patients: a systematic review J Physiother. 2014; 60(2):66-77. doi: 10.1016/j.jphys.2014.04.002.
[9] Weinhold M, Shimabukuro-Vornhagen A, Franke A, Theurich S, Wahl P, Hallek M, Schmidt A, Schinköthe T, Mester J, von Bergwelt-Baildon M, Bloch W. Physical exercise modulates the homeostasis of human regulatory T cells. J Allergy Clin Immunol. 2016; 137(5):1607-1610.e8. doi: 10.1016/j.jaci.2015.10.035.
Bloch W: BDC-Praxistest: Fit statt schlapp – präoperative Sporttherapie. Passion Chirurgie. 2023 Oktober; 13(10): Artikel 05_01.
Autor des Artikels
Prof. Dr. med. Wilhelm Bloch
Institut für Kreislaufforschung und SportmedizinDeutsche Sporthochschule Köln kontaktierenWeitere Artikel zum Thema
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