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Aktuelles Interview mit Prof. Dr. H.-J. Meyer, BDC-Präsident und Generalsekretär der DGCH

Kongresszeitung: Eine Chefarztposition galt früher als Krönung des Arztberufs: Der Chefarzt war einflussreich, weitgehend unabhängig in seinen Entscheidungen und hatte in der Regel eine lebenslange Perspektive im Krankenhaus. Dieser komfortable Zustand hat sich bekanntermaßen bereits seit einigen Jahren grundlegend verändert: Chefärzte müssen sich heute zunehmend mit ökonomischen Zwängen und Finanzierungsproblemen auseinandersetzen. Welche Faktoren betrachten Sie als besonders belastend für chirurgische Chefärzte?

Prof. Meyer: Das sogenannte „klassische“ Selbstverständnis eines leitenden Krankenhausarztes mit vorrangigen Zielen einer optimalen Patientenbetreuung und -versorgung, exzellenter Weiterbildung der nachgeordneten Mitarbeiter sowie mangelnde Kenntnisse der aktuellen Kostenentwicklungen haben sich besonders in letzterem Punkt in den letzten Jahren ganz entscheidend verändert. Der Chefarzt besitzt zwar als direkter Leistungserbringer weiterhin hohe fachliche Autonomie, sieht sich allerdings in zunehmendem Maße ökonomischen Einflüssen ausgesetzt. Durch die Vorgaben der Klinikleitung wird auch von dem leitenden Arzt ein verantwortungsvoller Umgang mit den knapper werdenden finanziellen Ressourcen gefordert.

„Der leitende Arzt ist mittlerweile zu einem normalen Mitarbeiter geworden.“

Dies ist verständlich, denn mehr als die Hälfte aller Krankenhäuser weisen heute keine positiven wirtschaftlichen Entwicklungen auf – im Gegenteil ist eher davon auszugehen, dass die Zahl der von einer Insolvenz bedrohten Krankenhäuser in den nächsten Jahren nicht abnehmen wird. Es muss somit von allen Beteiligten, sowohl vom oberen wie auch mittleren Management die Balance zwischen ethisch-medizinisch Notwendigem und finanziell Möglichem angestrebt werden, ohne dass im Zeitalter des DRG-Vergütungssystems ökonomische Zwänge direkt das medizinische Denken entscheidend beeinflussen.

Kongresszeitung: Wie frei ist ein Chefarzt bei seiner Arbeit heute eigentlich noch?

OEBPS/images/Meyer_H-J_2015l.jpgProf. Meyer: Zweifelsfrei kann und muss der Chefarzt weiterhin die fachlichen Schwerpunkte seiner Klinik mitbestimmen und medizinische Entscheidungen bzw. Indikationsstellungen frei entsprechend des aktuellen Wissensstandes treffen können, ohne allein eine positive finanzielle Bilanz anzustreben. Das Hauptproblem stellt sich allerdings darin, dass der leitende Arzt mittlerweile zu einem normalen Mitarbeiter geworden ist, der in aller Regel nicht dem Vorstand des Klinikums angehört. Er ist lediglich ein weiterer Entscheidungsträger, der die Rentabilität eines Krankenhauses mitverantworten muss. In seiner Stellung gehört er somit inzwischen zum sogenannten mittleren Management und findet sich im Organigramm auf einer Stufe mit der Leitung des Personal- oder Rechnungswesens bzw. der Pflegebereiche. In dieser Position nimmt er zudem eine gewisse Pufferfunktion ein, in welcher die Vorgaben der Klinikleitung zu realisieren sind und von den nachgeschalteten Ebenen getragen und toleriert werden müssen.

Kongresszeitung: Immer häufiger werden von Seiten der leitenden Ärzte Konflikte mit der Geschäftsführung beschrieben, die von einer nicht dialogbereiten Kommunikationskultur, ja sogar Respektlosigkeit im persönlichen Umgang geprägt sind. Woher kommt das und was könnte man Ihrer Meinung nach konkret tun, um das Klima zwischen Ärzten und Geschäftsführung zu verbessern?

Prof. Meyer: Die Dissonanzen zwischen Klinikdirektoren oder Geschäftsführung und klinisch aktiven Chefärzten bestehen vor allem wegen der fachlich begründeten unterschiedlichen Denk- und Handlungsweisen ihrer Tätigkeitsgebiete, obwohl mittlerweile viele Mediziner eine betriebswirtschaftliche Zusatzausbildung durchlaufen haben. Durch streng kalkulierte Finanzierungsvorgaben kann entsprechender Druck auf die leitenden Ärzte hinsichtlich Personalkosten, Anstieg des CMI-Wertes, bessere Auslastung etc. ausgeübt werden, was dazu führt, dass sich die Chefärzte diszipliniert oder als Marionetten vorkommen müssen. Im Gegensatz zur Industrie können bekanntermaßen Patientenströme oder Notfalleingriffe nicht exakt geplant oder kalkuliert werden. Einforderungen von permanenten Leistungssteigerungen müssen dann zwangsläufig zu einer Mengen- oder Indikationsausweitung führen. Nach einer Umfrage des Berufsverbandes der Deutschen Chirurgen zum Spannungsverhältnis zwischen Chefarzt und Geschäftsleitung wurden bei einem Drittel der Befragten diese Konflikte und der mangelnde Respekt seitens der Verwaltung gegenüber den ärztlichen Leistungen als besonders belastend angesehen. Die eigenen Erfahrungen haben aber zeigen können, dass eine vernünftige Kommunikationskultur mit fairen Umgangsformen und sachbezogener Arbeit auf allen Ebenen eine solche Problematik gar nicht erst aufkommen lassen muss.

„Kämpfe um Machtstrukturen zwischen Geschäftsführung und Chefarzt lassen sich auch heute weitgehend vermeiden.“

Kongresszeitung: Auf welche Weise kann ein Chefarzt seine Eigenständigkeit zumindest in bestimmten Bereichen erhalten?

Prof. Meyer: Wie bereits angeführt, erscheint es auch heute noch ohne weiteres möglich, Kämpfe um Machtstrukturen zwischen Geschäftsführung und Chefarzt weitgehend zu vermeiden. Dazu ist allerdings das entsprechende Vertrauen auf beiden Seiten notwendig, genauso wie eine miteinander abgestimmte Strategieplanung in der jeweiligen Klinik.

„Der Chefarzt mus eine gewisse Unterordnung unter gemeinsame Ziele des Klinikums akzeptieren.“

Fachliche Schwerpunktbildungen, wie beispielsweise oberer Gastrointestinaltrakt in der Viszeralchirurgie, mit interdisziplinären Kooperationen und hoher Ergebnisqualität bei gleichzeitiger Berücksichtigung von allgemeinen Qualitätsvorstellungen der Patienten selbst stellen einen möglichen Weg dar, wobei allerdings der Chefarzt auch bereit sein muss, eine gewisse Unterordnung unter gemeinsame Ziele des Klinikums zu akzeptieren. Nur dann können Medizin und Ökonomie auf Augenhöhe zusammenkommen.

Kongresszeitung: Chefärzte stehen mittlerweile häufig unter massivem Druck, bestimmte Belegungszahlen an ihren Kliniken zu erreichen. Wer sein Soll nicht erfüllt, läuft Gefahr, dass sein Vertrag nicht verlängert oder vorzeitig aufgelöst wird – das zeigen zahlreiche Beispiele in der jüngsten Vergangenheit. Auf welche Weise kann der Berufsverband der Deutschen Chirurgen seine Mitglieder bei diesen berufsrechtlichen Problemen unterstützen?

Prof. Meyer: Die Freistellung aus Chefarztpositionen hat es bereits früher gegeben und wird auch zukünftig in allen Versorgungsstufen, bis hin zu universitären Einrichtungen zu beobachten sein. Die Argumente und Vorgehensweisen solcher Vertragsauflösungen durch den Klinikträger sind dabei oftmals nur schwerlich nachzuvollziehen. Durch seinen Justitiar bietet der Berufsverband der Deutschen Chirurgen natürlich berufsrechtliche Unterstützung an, die oftmals aber bereits lokal geregelt worden ist. Direkte Interventionen durch den Berufsverband oder gar wissenschaftlicher Fachgesellschaften gestalten sich in der Regel als schwierig; Gespräche mit Geschäftsführungen sind im Einzelfall zwar möglich, werden aber in den meisten Fällen mit Verweis auf einen laufenden Prozess oder interner Zuständigkeit des Konzerns abgelehnt.

Das Gespräch führte Carola Marx, Dr. Reinhard Kaden Verlag GmbH & Co. KG, beim 133. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie in Berlin.

Marx C. „Balance zwischen ethisch-medizinisch Notwendigem und finanziell Möglichem anstreben“. Passion Chirurgie. 2016 Juni, 6(06): Artikel 07_01.

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