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Stellungnahme des Vorstandes der Deutschen Herniengesellschaft (DHG) zur Umsetzung der sektorenverbindenden Vergütung mit Hybrid DRG

Grundsätzlich begrüßt der Vorstand der Deutschen Herniengesellschaft (DHG) die Bemühungen zur sogenannten „Ambulantisierung“ auch der Hernienchirurgie. Diese Idee wurde schon vor nahezu 23 Jahren als ambulante DRGs erstmalig formuliert und seit vielen Jahren immer wieder thematisiert. Nach Scheitern der dreiseitigen Verhandlungen zwischen Gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) im April 2023 wurde im September 2023 ein erster Entwurf durch das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) vorgelegt. Dieser wurde danach nochmals überarbeitet und am 18.12.2023 beschlossen. Dieser Beschluss trat zum 01.01.2024 in Kraft ohne jedoch die Ausführungsbestimmungen dieses Gesetzes zu präzisieren. Diese derzeitige Rechtsverordnung für die Hybrid-DRGs soll am 31.12.2024 auslaufen.

Offensichtlich ist die Umsetzung der Hybrid-DRGs mit fehlenden Ausführungsbestimmungen erheblich zeitaufwändiger als vom BMG vermutet und bis heute mehr als drei Monate nach Einführung der Hybrid-DRGs noch in weiten Teilen unklar und viele Probleme sind bisher nicht gelöst.

Weder die Krankenkassen, die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) noch die Krankenhäuser bzw. chirurgischen Praxen waren auf diese Rechtsverordnung ausreichend vorbereitet.

Die Abrechnungen der seit 1. Januar 2024 erbrachten Leistungen stockt und es sind zunehmend erhebliche Zahlungsrückstände zu beobachten. Alle Chirurginnen und Chirurgen sowie alle beteiligten ärztlichen Kolleginnen und Kollegen gehen derzeit in eine nicht unerhebliche Vorleistung und eine weitere Verzögerung der Honorierung bedroht zunehmend die Existenz der Krankenhäuser und Praxen.

Des Weiteren mangelt es bisher an technischen Voraussetzungen für die Abrechnung der Hybrid DRGs sowohl in den Kliniken als auch in den Praxen. In den Kliniken scheint es möglicherweise zeitnah eine Lösung zu geben. In den chirurgischen Praxen und ambulanten OP-Zentren ist man jedoch von einer Honorierung der bereits erbrachten Leistungen noch weit entfernt. Ursprüngliches Ziel des Gesetzgebers sind 21 Tage bis zur Honorierung, dies ist derzeit jedoch völlig unrealistisch.

Die jetzige Umsetzung erfordert zudem eine erhebliche zusätzliche Bürokratie mit Einrichtung provisorischer DRG-Grouper als Interimslösung, wobei ein frei verfügbarer Grouper im Internet verfügbar ist:  Link zur Seite

Eine Abrechnung über Dritte, z.B. Managementgesellschaften ist ebenfalls vorgesehen, allerdings fehlen dazu seitens der Kassen noch die technischen Voraussetzungen zum Datentransfer, die nach derzeitigem Stand spätestens zum 1.1.2025 vorliegen sollen.

Fast täglich werden neue zum Teil verwirrende Nachbesserungen der Hybrid-DRGs vorgenommen, welche jedoch nur teilweise an die Leistungserbringer weitergeleitet werden. Der Informationsfluss über Veränderungen und Aktualisierungen der Hybrid-DRGs ist mangelhaft und trägt zu einer zunehmenden Verunsicherung und Unzufriedenheit bei den Chirurginnen und Chirurgen bei.

Inzwischen möchten auch die privaten Krankenversicherungen sich diesem Hybrid-DRG-System anschließen. Auch darüber wird bisher nicht vollumfassend informiert.

Ein orientierender Vorschlag über die Aufteilung der Hybrid-DRGs auf Chirurginnen und Chirurgen und Anästhesistinnen und Anästhesisten und den beteiligten OP-Zentren wurde seitens des BDC und BDA publiziert. Die DHG schlägt auch hierbei eine Nachjustierung mit Berücksichtigung persönlicher und lokaler Besonderheiten vor.

Offensichtlich ist allerdings, dass die Fachgesellschaften Deutsche Herniengesellschaft (DHG) und Chirurgische Arbeitsgemeinschaft Hernie (CAH) der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie (DGAV) in die Erarbeitung des Gesetzesentwurfs und deren jetzt notwendigen Nachbesserungen der Hybrid DRG bisher nicht einbezogen wurden. Dies stößt auf Unverständnis.

Folgende Problemfelder bei den derzeitig gültigen Hybrid-DRGs sollten aus unserer Sicht dringend angepasst werden:

  • Das Problem bei beidseitigen Leistenhernien ist wie im bisherigen DRG-System auch weiterhin nicht gelöst. Ein Aufschlag von weniger als 20% bei beidseitigen Eingriffen gegenüber der Vergütung einer einseitigen Hernie ist den Chirurginnen und Chirurgen nicht zu vermitteln. Es muss vermutet werden, dass diese Eingriffe, wenngleich medizinisch sinnvoll, zukünftig immer weniger als Simultaneingriff und stattdessen zweizeitig angeboten werden.
  • Zweiteingriffe wie z.B. simultane Operationen von Leistenhernie plus Nabelhernien werden in der Hybrid-DRG wirtschaftlich nicht abgebildet. Es ist anzunehmen, dass diese Eingriffe zukünftig überwiegend nur noch zweizeitig angeboten werden.
  • Der wirtschaftlich lukrativste Eingriff bei den Hybrid-DRG der Leistenhernien ist offensichtlich ein operativer Eingriff in Lokalanästhesie (ohne Narkose) und ohne Netz.
  • Endoskopische Operationen, teure Netzkosten und technische Innovationen mindern das Honorar der beteiligten Ärzte in einem nicht mehr zu vertretenden Maße.
  • Die Einbeziehung der Sachkosten in die Hybrid DRG wird dazu führen, dass an den Sachkosten zukünftig gespart wird. Die Frage nach der Qualität der ausgewählten Medizinprodukte stellt sich hiermit zeitgleich.
  • Hinzu kommen unterschiedliche Sprechstundenbedarfsregelungen in den verschiedenen KV-Regionen, die für einen Teil der Kosten in den beteiligten Ambulanten Op-Zentren gelten, nicht jedoch in den beteiligten Krankenhäusern.
  • Die Kosten für die Nutzung eines Operationssaals in den OP-Zentren sind in den letzten Jahren dramatisch gestiegen. Insbesondere die Tarifvereinbarungen des angestellten OP-Personals wurden in den letzten Jahren mehrfach erhöht und sind in den derzeit gültigen Hybrid DRGs ebenfalls nicht entsprechend abgebildet. Häufig wird in den OP-Zentren die OP-Zeit bzw. Säulenzeit bereits auf Minutenbasis abgerechnet… es besteht hier das Risiko einer zukünftigen Hernienchirurgie unter enormen Zeitdruck.
  • Für die Weiterbildung der jungen Chirurginnen und Chirurgen ist auch im neuen Hybrid DRG- System kein Platz.
  • Die privat zusatzversicherten Patientinnen und Patienten werden in der Honorierung der Hybrid-DRG nach derzeitigem Stand gegenüber den privatversicherten Patientinnen und Patienten offensichtlich bevorzugt.

Zusätzlich gibt es weitere Unklarheiten und gesundheitspolitische Fehlanreize.

Hervorzuheben ist hierbei vor allem die Sachkostenproblematik: Trotz der Hinweise der Gesellschaften und Berufsverbände vorab wurden im rechtsgültigen Beschluss die Sachkosten in die Gesamtkalkulation der Hybrid-DRG einbezogen und nicht herausgerechnet. Bei der Leistenhernien-Chirurgie wird dies jedoch zum erheblichen Problem, da erhebliche Material – und Sachkosten bei allen Eingriffen mit Netz insbesondere endoskopischen Eingriffen dazu führen werden, die Vergütung für die ärztlichen Kollegen (Chirurgen und Anaesthesisten) zu minimieren.

Kostenintensivere Innovationen haben unter diesen Bedingungen zukünftig keinerlei Chance für eine Umsetzung.

Hinzu kommen die Ungerechtigkeiten bezüglich der seitens der Industrie abgerufenen Preise beispielsweise für Netzmaterialien. Die Kalkulation der Hybrid-DRG durch das Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) beruht dabei auf den Zahlen aus dem Krankenhaussektor. Es besteht jedoch eine erhebliche Diskrepanz zum ambulanten Setting. Werden diese Materialien im Krankenhaus eingesetzt, gibt es für das identische Produkt eine Rabattierung, welche im ambulanten Setting jedoch wegfällt. Die Preisunterschiede betragen durchschnittlich über 100%. Somit ist die Idee einer Sektorenverbindung bereits an dieser Stelle gescheitert.

Eine Ausweitung der Hybrid DRGs auf weitere Bereiche der Hernienchirurgie ist offensichtlich bereits geplant. Dies erfolgt, obgleich viele Probleme der bisher umgesetzten Hybrid-DRGs noch nicht abschließend gelöst wurden.

Angedacht ist, dass sowohl Rezidiv-Leistenhernien als auch Narbenhernien in diese Hybrid-DRG-Kataloge einbezogen werden. Gerade bei diesen Eingriffen ist ein individualisiertes Vorgehen in der Regel zwingend notwendig. Bereits die zu kalkulierenden OP-Zeiten sind erheblich länger und lassen sich nicht pauschalieren. Zusätzlich bestehen gerade für diese Eingriffe nicht unerhebliche Kosten für Medizinprodukte, z.B. Netzmaterialien, die einen Umfang von 300 bis weit über 1500€ betragen können. Diese komplexen Eingriffe gehören nach unserer Ansicht definitiv nicht in ein ambulantes Setting.  Auch der BDC sieht bei einer Ausweitung der Hybrid-DRGs auf weitere Diagnosen und Prozeduren einen erheblichen Nachbesserungsbedarf und fordert nachdrücklich die Einbeziehung ausreichender Fachexpertise durch die Verbände.

Eine generelle Pauschalierung aller hernienchirurgischen Eingriffe ist aus Sicht der Fachgesellschaft nicht zu empfehlen.

gez. Vorstand und Erweiterter Vorstand der Deutschen Herniengesellschaft (DHG)

Autor des Artikels

Profilbild von Lorenz

Dr. med. Ralph Lorenz

1. Vorsitzender des BDC LV|BerlinHavelklinik Berlin3+CHIRURGENKlosterstr. 34/3513581Berlin kontaktieren

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