01.04.2010 BDC|Spektrum
Ausblick und Zukunft des BDC – Quo Vadis?
Verfolgt man die 50-jährige Geschichte des Berufsverbandes, so muss man feststellen, dass seine Sorgen und Kämpfe um den Beruf der Chirurginnen und Chirurgen sich immer um die selben Themen bewegten und bewegen. Alle gefundenen Lösungen waren eher kurzlebig, eine dauerhafte scheint es nicht zu geben.
Warum ist das so?
Die Zukunft der Chirurgie und damit das zukünftige Berufsbild und Berufsumfeld der Chirurginnen und Chirurgen wird durch drei Faktoren bestimmt:
- den Fortschritt der Medizin
- den Wandel unserer Gesellschaft
- die staatliche Gesundheitsgesetzgebung.
Fortschritt der Medizin
Der Einfluss des Fortschritts der Medizin auf unseren Beruf hängt von den Antworten auf folgende Fragen ab:
- Wie viele der chirurgischen Verfahren werden zukünftig durch andere – konservative – ersetzt werden?
- Welchen Einfluss hat die älterwerdende Bevölkerung auf die chirurgischen Leistungszahlen?
- Wird es mehr oder weniger Indikationen zu chirurgischen Handlungsverfahren geben?
- Wie werden sich die verschiedenen Behandlungsmethoden in neuen Behandlungsverfahren entwickeln und werden sie im Leistungsbereich der Chirurgie verbleiben?
- Wie wird sich die Spezialisierung und Sub-Spezialisierung entwickeln?
Diese Fragen beantwortet, ist zu prüfen, ob das Fach Chirurgie dementsprechend auch in der Approbationsordnung berücksichtigt ist.
Wandel unserer Gesellschaft
Gerade die weltweite Finanzkrise hat die Mehrzahl der Bürger daran zweifeln lassen, dass die Selbstregulierungsmechanismen des Marktes besser sind als staatlicher Dirigismus. Eine ausgeweitete staatliche Fürsorge scheint von einer Mehrheit (über
70 %) der Bürgerinnen und Bürger in unserem Land gewünscht. Alle seriösen demoskopischen Untersuchungen zeigen, dass eine stete Abnahme passiven und aktiven Interesses an der Politik in allen Bevölkerungs- und Altersschichten besteht. Aus der Altersgruppe bis 30 halten nur noch 6 % es für wichtig, politisch aktiv zu sein.
Seit einigen Jahren verändert sich das Interessenspektrum der jungen Generation langsam aber stetig. Sie zieht sich immer mehr von Themen und Diskussionen zurück, die sich mit der Gesellschaft, den politischen Möglichkeiten, der Wirtschaft aber auch den sozialen Fragen oder kulturellen Themen beschäftigen. Das Interesse an Wissenschaft und Forschung liegt heute in der Altersgruppe bis 30 um 20 % unter dem Stand, der etwa vor zehn Jahren zu beobachten war, das Interesse an Kunst und Kultur sogar um 35 %. Deutlich zugenommen hingegen hat das Interesse an der Kommunikationstechnologie (Computer, Handy, digitales Fernsehen und Fotografie).
Angestiegen ist auch die Neugier auf psychologischen Themen, auf Gesundheitsinformationen und auf berufliche Weiterbildung. Letzteres ist durchaus positiv zu bewerten.
Fast alle Themen, die zum einen mit dem klassischen Bildungskanon und zum anderen mit der gesellschaftlichen Entwicklung verbunden sind, haben an Aufmerksamkeit verloren. Informationen jedoch, die unmittelbar auf den Alltag übertragen werden können und zur Optimierung von Berufs- und Privatleben führen, genießen in dieser Alltagsgruppe zunehmendes Interesse. Erfolg im Beruf, ein hohes Einkommen, ein gepflegtes Aussehen, aber auch eine eigene Familie, Kinder zu haben, sind den jungen Menschen bis 30 heute wichtiger als vor einem Jahrzehnt, gesellschaftliche Ziele dagegen haben an Wichtigkeit verloren (Institut für Demoskopie Allensbach).
Hieraus erklärt sich auch der hohe Anteil (-40 %) der Examenskandidaten in der Medizin, die letztendlich nicht eine patientennahe ärztliche Tätigkeit aufnehmen. Dies hat nicht nur mit regelhaft besserer Bezahlung in anderen Gesundheitsberufen zu tun, sondern ist geprägt durch den generellen Wandel in unserer Gesellschaft. Aber dies ist die Altersgruppe, aus der die chirurgischen Fachärzte der nächsten 5 bis 10 Jahre zu rekrutieren sind.
Staatliche Gesundheitsgesetzgebung
Die in den letzten Jahren durchgeführten Gesundheitsreformen in Deutschland haben bereits jetzt zu gravierenden Änderungen in Struktur und Leistung geführt. Allen voran hat das DRG-System – das Entgeltsystem für stationäre Leistung – zu einer Industrialisierung der Behandlungen und damit der ärztlichen Tätigkeit geführt. Immer neue Modelle werden vor- und eingeführt (Konzepthospital, Teleportalklinik, Modulares Krankenhaus, usw.).
Dies alles berücksichtigend und wissend, dass die Bundesrepublik ein sozialer Rechtsstaat ist, zeigt uns eine bestimmte Entwicklungsrichtung an. Das staatlich soziale Fürsorgeprinzip findet mehrheitlich Anklang in der Bevölkerung. In der Relation der Steigerung der Möglichkeit zur Finanzierbarkeit wird stets ein Defizit bleiben. Dies führt mangels echtem Wettbewerb unter den Leistungsanbietern zu zunehmendem Dirigismus.
Was bedeutet dies für die Chirurginnen und Chirurgen?
Der medizinische Fortschritt führt zu zunehmenden ambulanten Behandlungen anstelle bisher stationärer Therapieformen, zur vermehrten Spezialisierung und zur Beseitigung bisheriger Fachgrenzen. Der ökonomische Druck führt zu Fallzahlkonzentration durch Verweildauerverkürzung. Diesem Szenario muss sich der zukünftige Chirurg flexibel anpassen. Patentlösungen wird es nicht geben.
Jetzt zeigt sich, dass die kleineren wendigen Boote – die freiberuflich tätigen Kollegen – schon heute die größere Flexibilität beweisen. Sie sehen die Kooperation als Zukunftschance. So wollen sich nach der gemeinsamen Umfrage der „Ärztezeitung“, „Wirtschafts-Tipp“ und „PVS“ bereits 40 % vernetzen und 50 % sehen in der notwendigen Kooperation mit anderen Fachkollegen die Perspektive für die unmittelbare Zukunft.
Die Frage ist, ob auch die heranwachsende Generation diese Herausforderung der Selbstständigkeit annehmen wird oder lieber als angestellter Chirurg mit festem Dienstplan im MVZ oder in der Praxis beschäftigt sein will.
Der im stationären tätige Arzt wird primär ein Dienstleister sein. Daher ist es von besonderer Bedeutung zu verhindern, dass der Chirurg zum operativen Dienstleister degradiert wird. Wenn der Chirurg nicht mehr für die Indikation zum operativen Eingriff und die operative Nachsorge Verantwortung trägt, kann die Operation selbst auch von einem nichtakademisch ausgebildeten Mitarbeiter durchgeführt werden.
In der Diskussion mit den Entscheidungsträgern in Politik und Selbstverwaltung stoßen wir trotz, wie wir meinen, gewichtiger Argumente für unsere Forderungen immer häufiger auf ein grundsätzliches Problem: Das fehlende Vertrauen – ja oft direkt Misstrauen – in unserer Gesellschaft.
Nicht nur der Bürger hat kein Vertrauen in die Politik und die Politik in die Fachberatung der Berufsvertreter, leider auch die Selbstverwaltungsgremien untereinander.
Erinnern wir uns an Camus´ Worte: „Wer die Dinge falsch benennt, verstärkt das Unglück dieser Welt.“
Deshalb sollten wir Ärzte die Dinge beim rechten Namen nennen. Besonders die Chirurginnen und Chirurgen wissen, dass alle ärztliche Kunst auf dem Vertrauen des Patienten in uns und unsere Fähigkeiten beruht. Vertrauen kann nur durch Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit aufgebaut und erhalten werden. Versprechungen allein helfen hier nicht. Deshalb ist es von großer Wichtigkeit bei aller Berechtigung zu Protesten gegen schlechte und/oder falsche Entwicklungen im Gesundheitswesen, die richtigen Maßnahmen und Mittel zu wählen. Nur wenn wir die besseren Argumente haben, werden wir uns grundsätzlich mit unseren Vorstellungen durchsetzen können, auch wenn dieser Weg häufig sehr mühsam ist. Dass dieser Weg jedoch zum Erfolg führen kann, kann vielfach nachgewiesen werden bis hin zur fast wirklichen Übernahme unserer Vorstellung in Landesgesetze.
Patienten jedoch dürfen niemals für eine noch so berechtigte Forderung der Ärzte instrumentalisiert werden. Auch wenn viele anderer Meinung sind und viele andere Berufe mit Neid auf uns schauen. Das höchste Gut des Arztes ist das Vertrauen der Patienten.
Bereits vor sieben Jahren berichtete das „New England Journal of Medicine“ über die schwierige Lage der Ärzte in fast allen Industrie-Nationen:
„Die Rolle der Ärzte hat sich radikal verändert. Sie werden heute von Managern unterwiesen und sind nicht länger Anwälte der Patienten. Das Ziel der Medizin ist eine gute Bilanz, statt einer gesunden Population. Der Schwerpunkt liegt auf Effizienz, Profitmaximierung, Kundenzufriedenheit, Zahlungsfähigkeit, Unternehmertum und Wettbewerb. Die Ideologie der Medizin wird ersetzt durch die Ideologie des Marktes. In dem Maße, in dem die Medizin zum Kapitalunternehmen wird, wird die medizinische Ethik durch die Geschäftsethik verdrängt.“
Solange die Mehrzahl der Mandatsträger in der Politik den Bürgern bezüglich der Krankenversorgung stets nur das allumfassende Versprechen machen:
„…zu jeder Zeit, wohnortnah, auf dem letzten Stand des medizinischen Fortschritts“ und nicht gleichzeitig auch den „Preis“ nennen, werden wir in unserer Gesellschaft keine offenen Diskussionen über die folgenden Fragen führen können:
- Wieviel Versorgung wollen wir?
- Wieviel können wir uns leisten?
- Was sind wir bereit, dafür zu zahlen?
Stattdessen wird, vom Misstrauen geschürt, der Eindruck erweckt dass die Akteure in der Krankenversorgung – die Leistungserbringer, Institutionen und Kostenträger – die zur Verfügung stehenden Finanzen ineffizient nutzen. Deshalb ist es ein kleiner Hoffnungsschimmer, wenn im Koalitionsvertrag von der schrittweisen Einführung einer sozialgerechten, transparenten, solidarischen Finanzierung des Krankenversicherungsschutzes gesprochen wird.
Über 70 % der Bundesbürger sind der Meinung, dass es in Deutschland nicht gerecht zugeht. Dazu trägt primär die politisch gewollte Unschärfe des Gerechtigkeitsbegriffs bei, aber auch die verbreitete Auffassung, dass die wichtigste Aufgabe des Staates die Umverteilung sei. Dies ist vorwiegend wahltaktisch motiviert und zeigt sich in den vielen irreführenden Formulierungen und Versprechungen. Es wird immer nur auf die Verpflichtung der solidarischen Absicherung der Krankheitsrisiken durch den Staat hingewiesen, ohne darauf hinzuweisen, dass in einem freiheitlichen Rechtsstaat die Solidarität bei der Eigenverantwortung des Bürgers für sein Leben und seine Zukunft beginnt. Alles andere ist eine einseitige Auslegung unserer Verfassung.
Dies soll nicht als „Schwarzmalerei“ verstanden werden. So wie wir unseren Patienten die Wahrheit über ihre Krankheit sagen, ohne die Hoffnung auf Heilung oder doch Besserung zu nehmen, so können wir uns um die primären Ursachen der Gefährdung unseres Berufes nicht drücken, ohne an der Hoffnung festzuhalten, dass die Gegenseite unseren Argumenten letztlich doch folgen wird.
Man kann auf Dauer Entscheidungen im Sozialbereich – und hierzu zählt das Gesundheitssystem – nicht ohne Einbindung der gesamten Bevölkerung in den Diskussions- und Entscheidungsprozess treffen. Ohne diese Einbindung bleibt der Bürger in den Fragen über die Verantwortung für seine Gesundheit unmündig. Es ist der Verdienst des Präsidenten der Bundesärztekammer, Prof. Hoppe, diesen Prozess angestoßen zu haben. Wir sollten ihn dabei unterstützen, auch wenn die Ärzte diese Diskussion nicht allein führen können.
Erinnern wir uns an einen Satz von Billroth aus einem Brief an Johannes Brahms aus dem Jahr 1872: „Ich habe übrigens seit vielen Jahren das Paradoxon aufgestellt, dass die steigende Vervollkommnung der ärztlichen Kunst wohl dem Individuum zu Gute kommt, die menschliche Gesellschaft aber ruinieren wird.“
Es ist unsere Aufgabe dieses zu verhindern. Beginnen wir heute mit dem schrittweisen Abbau des Misstrauens. Ich bin überzeugt, dass es sich lohnt, sich zum Wohle unserer Patienten und für die Attraktivität unseres schönen Berufes einer Chirurgin oder eines Chirurgen einzusetzen.
Autor des Artikels
Prof. Dr. med. Michael-J. Polonius
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