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Der GOÄ-Kommission des BDC ist ein bemerkenswertes Berufungsurteil des Landgerichts Osnabrück vom 04.05.2012 (AZ 2S 418/11) zugängig gemacht worden. Dieses erkennt die GOÄ-Ziffer 2756 ‚Ausschälung der Nebenschilddrüse’ eindeutig auch für die intraoperative Freilegung und Darstellung an und bestätigt dementsprechend – bei gegebener medizinischer Indikation – eine bis zu viermalige Abrechnung! Fernerhin stellt das Gericht ausdrücklich fest, dass bei einer derart Mehrfach-Abrechnung kein Abzug der Eröffnungsleistung zu erfolgen hat!

Im Folgenden möchten wir zunächst den Fall schildern:

Im vorliegenden Fall war bei der Patientin ein primärer Hyperparathyreoidismus diagnostiziert worden. Die präoperative Lokalisationsdiagnostik hatte keinen Hinweis auf die Lokalisation des ursächlichen Adenoms ergeben. Dementsprechend wurde eine konventionelle Halsexploration durchgeführt und alle vier Nebenschilddrüsen freigelegt. Dabei war die vierte und letzte dargestellte Nebenschilddrüse vergrößert und wurde entfernt.

Bei der Liquidation wurde die GOÄ-Ziffer 2756 viermal zum Ansatz gebracht. Dies wurde von der Krankenversicherung nicht akzeptiert, mit dem Hinweis, dass nur die Entfernung einer Nebenschilddrüse medizinisch notwendig gewesen sei und alle anderen Maßnahmen dem Zielleistungsprinzip unterzuordnen seien. In erster Instanz war das Amtsgericht – und auch der Gutachter! – dieser Auffassung gefolgt.

Der Operateur hat dies nicht akzeptiert und ist in die Berufung gegangen. Mit Erfolg, denn das Landgericht hat geurteilt, dass der Kläger berechtigt war, die GOÄ-Ziffer 2756 insgesamt viermal abzurechnen und zwar einmal für die Resektion einer Nebenschilddrüse sowie dreimal für die erfolgte Freilegung der übrigen drei Nebenschilddrüsen, da deren Präparation und Darstellung medizinisch notwendig war. Auch müsse der Kläger für den anerkannten zusätzlichen dreimaligen Ansatz der GOÄ-Ziffer 2756 jeweils keine Eröffnungsleistung – GOÄ-Ziffer 2751 analog, wie vom Gutachter vorgeschlagen – abziehen, da sich in der GOÄ kein Hinweis darauf finde, dass bei mehrfachen Eingriffen am Hals jeweils der Vergütungssatz für die Eröffnungsleistung abgezogen werden müsse.

Die Begründungen zu diesem insgesamt aus Sicht der GOÄ-Kommission erfreulichen Urteil möchten wir im Folgenden analysieren und versuchen entsprechende Argumentationshilfen für ähnliche Situationen zu formulieren:

1. Mehrfach-Abrechnung der GOÄ-Ziffer 2756:

Im vorliegenden Fall wurden bei der Operation zunächst drei Nebenschilddrüsen (NSD) freigelegt und dann die letzte, adenomtragende Nebenschilddrüse reseziert. Somit war jede Präparation und Freilegung der vorhergehenden Nebenschilddrüsen mit dem Ziel erfolgt, das vermutete Adenom zu finden und zu entfernen. Damit war die medizinische Indikation klar gegeben und die Freilegung nicht aus methodischen Gründen erfolgt.

Die Abrechnung der resezierten Nebenschilddrüse stand nicht in Zweifel sondern die Darstellung/Freilegung der übrigen Epithelkörperchen. Dazu argumentiert das Gericht wie folgt:

Eine Freilegung der Nebenschilddrüse sei vom operativen Aufwand her durchaus mit einer Resektion/Entfernung gleichzusetzen, da letztere nur das Setzen eines Clips auf die Gefäße und einen Scherenschlag zum Absetzen bedeute. Der eigentliche operative Aufwand hingegen liege in der Präparation und Freilegung der bzw. des Epithelkörperchens. Da es für die reine Freilegung der Nebenschilddrüse keine eigene Leistungsziffer gibt, sei es bei praktisch identischem Aufwand nur sachgerecht diesen Leistungsinhalt durch die aufgeführte GOÄ-Ziffer 2756 ‚Ausschälung der Nebenschilddrüse’ zu vergüten.

Nach Auffassung der GOÄ-Kommission kann man zusätzlich argumentieren, dass auch schon der Begriff „Ausschälung“ in der Legende von GOÄ-Ziffer 2756 eher auf die Präparation und Freilegung als wesentlichen Leistungsbestandteil hinweist, als auf die Entfernung selbst. Um deutlich zu machen, dass diese auch eingeschlossen ist, wird die „Ektomie“ nochmals explizit in der Legende als „Parathyroidektomie“ – in Klammern – hinzugefügt.

Weiterhin argumentiert das Gericht, dass die mehrfache Abrechnung der GOÄ-Ziffer 2756 nicht im Widerspruch zu dem aus § 4 Abs 2a GOÄ folgenden Zielleistungsprinzip stehe. Insbesondere, da das Zielleistungsprinzip nur dann greife, wenn zwei unterschiedliche Leistungsziffern abgerechnet werden, von denen die eine Bestandteil oder eine besondere Ausführung der andern sei. Da im vorliegenden Fall aber nicht zwei unterschiedliche, sondern viermal die gleiche Ziffer abgerechnet worden sei, könne vorliegend das Zielleistungsprinzip nicht greifen. Entscheidend sei vielmehr, ob es sich bei den erbrachten Leistungen um selbstständige Leistungen gehandelt hat. Dazu müsse – laut BGH – der jeweilige Leistungsumfang und dessen medizinische Notwendigkeit geprüft werden.

Nach nochmaliger Anhörung des Sachverständigen kommt das Gericht zur Auffassung, dass es – da bei der präoperativen Diagnostik die vergrößerte Nebenschilddrüse nicht habe identifiziert werden können – medizinisch notwendig war, in diesem Fall alle Nebenschilddrüsen darzustellen. Damit kann diese Leistung dann auch viermal abgerechnet werden.

Das Gericht hält auch fest, dass es für die Leistung ‚Entfernung einer Nebenschilddrüse’ nicht erforderlich sei, alle anderen Nebenschilddrüsen darzustellen. Sei das Adenom lokalisiert, dann reiche allein die Entfernung einer Nebenschilddrüse nur eine unklare Diagnostik mache es erforderlich auch weitere Nebenschilddrüsen aufzusuchen und darzustellen. Damit wird der Auffassung, die obligate Darstellung der übrigen Nebenschilddrüsen sei methodischer Bestandteil der GOÄ-Ziffer 2756 eine klare Absage erteilt.

Nach Auffassung der GOÄ-Kommission stellt dieses Urteil eine gute Argumentationshilfe dafür dar, dass neben der Resektion eines auch jede zusätzliche Freilegung von weiteren Epithelkörperchen beim primären Hyperparathyreodismus abgerechnet werden kann, wenn dafür eine eindeutige medizinische Indikation wie unklare präoperative Diagnostik, v. a. Hyperplasie oder Mehrfach-Adenom gegeben ist. Ebenso wie beim sekundären Hyperparathyreoidismus für die, in der Regel alle vier oder dreieinhalb entfernten Nebenschilddrüsen die GOÄ-Ziffer 2756 auch viermal angesetzt werden kann.

2. Abzug der Eröffnungsleistung (GOÄ-Ziffer 2751 analog):

Das Gericht weist darauf hin, dass in der GOÄ die Erforderlichkeit des Abzuges der Eröffnungsleistung nur für ( Mehrfach-)Eingriffe in der Brust- oder Bauchhöhle postuliert sei. Für den Halsbereich ergebe sich dafür kein Hinweis. Ausnahme sei lediglich die beidseitige Schilddrüsenresektion. Für sie wurde nach einem Beschluss der Bundesärztekammer der einmalige Abzug der GOÄ-Ziffer 2803 analog (Freilegung/Unterbindung eines Blutgefäßes am Hals ) bei zweimaligem Ansatz der GOÄ-Ziffer 2755 (Entfernung der Kropfgeschwulst oder Teilresektion der Schilddrüse) empfohlen.

Vom Gutachter war allerdings der dreifache Abzug der GOÄ-Ziffer 2751 analog (Tracheotomie) – entsprechend GOÄ-Kommentar Viszeralchirurgie; Kaden-Verlag 2005 – empfohlen worden. Dem ist das Gericht nicht gefolgt, da diese Leistung von ihrem Inhalt her nicht in der Ziffer 2756 enthalten sein könne. Insofern hat auch in diesem Fall ein Abzug nicht zu erfolgen.

Die GOÄ-Kommission schließt sich dieser Auffassung voll an, zumal wenn man die anatomischen Gegebenheiten des Halses genauer betrachtet. So besteht bei beidseitigem Vorgehen sowohl zur linken als auch zur rechten Schilddrüsenloge der gemeinsame Zugang zum Organ und damit die Eröffnungsleistung lediglich nur in der Durchtrennung der Haut, der Versorgung der Venenplexus und der Eröffnung der oberflächlichen Halsfaszie samt Platysma.

Die eigentliche Exploration der Schilddrüsenloge oder der Nebenschilddrüsen umfasst aber den besonders schwierigen Schritt der Abpräparation der geraden Halsmuskulatur vom Organ und zwar jeweils pro Seite. Daraus folgt natürlich, dass eine Eröffnungsleistung allenfalls nur in dem Haut-Platysmaschnitt für eine beidseitige Exploration anzusetzen ist, die weiteren Explorationen der Schilddrüsenlogen sind pro Seite voll gesondert abrechenbar.

Da bei der Tracheotomie als operativer Aufwand noch die Eröffnung der Trachea mit ggfs. Anzügeln der freien Lefzen und die Fixierung der Kanüle dazukommt, erscheint der Ansatz der Ziffer 2751 analog ebenfalls noch zu hoch gegriffen. Allenfalls könnte hier der Abzug einer Analogleistung wie Ziffer 2004A (Versorgung einer großen Wunde einschließlich Naht) in Frage kommen, wenn Nebenschilddrüsen auf beiden Seiten reseziert oder freigelegt werden müssen. Fernerhin wäre auch der Abzug der Eröffnungsleistung nur für das jeweils zweite Epithelkörperchen jeder Seite begründet, da ja nur in diesem Fall eine gewisse Vorpräparation zur Freilegung schon gegeben ist.

Das Urteil hat umso weitreichendere Bedeutung, weil es auch eine Indikation für die Abrechnung von beidseitigen Schilddrüsenresektionen nach sich zieht. Hier wäre allenfalls als Abzug für die Eröffnungsleistung, wenn dies überhaupt rechtlich anzusetzen ist, die GOÄ-Ziffer analog 2004 in Abrechnung zu bringen.

Insgesamt empfiehlt aber die GOÄ-Kommission unter Berufung auf das vorliegende Urteil den mehrfachen Ansatz der GOÄ-Ziffer 2756 für die Resektion und/oder medizinisch indizierte Freilegung der Nebenschilddrüsen bei Hyperparathyreoidismus ohne den Abzug einer Eröffnungsleistung vorzunehmen.

Erst bei Problemen sollte auf die oben angeführte Empfehlung zurückgegriffen werden.

Löhlein D. / Izbicki J. Aus der GOÄ- Kommission: Landgerichtsurteil zur Darstellung / Präparation aller Nebenschilddrüsen bei primären Hyperparathyreoidismus. Passion Chirurgie. 2012 Oktober; 2(10): Artikel 06_01.

Autoren des Artikels

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Prof. h.c. Dr. h.c. Jakob R. Izbicki

Allgem.-, Viszeral- u. Thoraxchir.Universitätsklinikum Hamburg-EppendorfMartinistr. 5220246Hamburg kontaktieren
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Prof. Dr.med. Dietrich Löhlein

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