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Am 01.01.2021 trat die novellierte Mindestmengenregelung (Mm-R) für resezierende komplexe Eingriffe am Organsystem Ösophagus für Erwachsene des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) in Kraft (§136b Abs. 1 Nr. 2 SGB V für nach §108 zugelassene Krankenhäuser nach Anlage Nr. 3). 26 statt bisher zehn Eingriffe je Standort und Jahr sind nun – nach einer Übergangsphase – ab 2023 erforderlich. Das weitere Vorantreiben der Zentralisierung von Speiseröhrenoperationen birgt die Chance einer weiteren Steigerung der Versorgungsqualität. Allerdings wird die Auswirkung auf die Kliniklandschaft und die Versorgungsrealität gravierend sein. Viele Fragen sind noch ungeklärt. Die Krankenhäuser, Krankenhaus-Träger und Versorgungsstrukturen sind aktuell noch weitestgehend unvorbereitet auf die Anpassung des G-BA. Zur Zeit des Gesetzesentwurfs waren die Parallelentwicklungen einer Covid-19 Pandemie und die gravierenden Personallücken v.a. im Intensivpflege- und Operationsfachkräftebereich nicht im derzeitigen Ausmaß vorhersehbar.

Operationen an der Speiseröhre sind hochspezialisierte, seltene und v.a. – da es sich zu über 80% um Karzinome als Eingriffsdiagnose handelt ¬– planbare Eingriffe. Deshalb sind sie mindestmengenfähig. 3.697 solcher Eingriffe wurden 2015 bundesweit durchgeführt.

An „High Volume Zentren“ werden Tumoroperationen nicht nur mit niedrigerer Mortalität durchgeführt. Auch Behandlungskosten und Krankenhausverweildauer sinken bei hohen Fallzahlen signifikant. Ein erfahrener Ösophagus-Chirurg mit signifikanter Überschreitung der „Lernkurve“, erzielt im Vergleich zu einem Operateur mit geringerer Erfahrung, eine um bis zu 50 % reduzierte Klinikmortalität. Betrachtet man die Anzahl der Operationen pro Abteilung, konnte man bei gleicher Morbidität eine signifikante Abnahme der Mortalität von 16 % bei weniger als sechs Ösophagektomien pro Klinik, auf 4,8 % bei mehr als sechs Ösophagektomien pro Jahr nachweisen. Dies liegt v.a. in der strukturellen Abrufbarkeit von interdisziplinärem Komplikationsmanagement an Zentren begründet.

Nimptsch und Mitarbeiter analysierten anhand von Abrechnungsdaten 22.700 Behandlungsfälle von 2010 – 2015 in Deutschland anhand der Abrechnungsdaten. Es fand sich eine signifikant geringere Mortalität (6,8 %) in Kliniken mit median 62 Fällen pro Jahr als in Kliniken mit nur zwei Fällen pro Jahr (12,2 %). Die Autoren ermittelten einen erforderlichen Schwellenwert von 26 Operationen pro Jahr bei dem die im Beobachtungszeitraum bundesweit durchschnittliche Mortalität von 9,5 % bei Ösophagektomien unterschritten wird.

Das Fahrzeitenproblem

Mit Modellberechnungen und Umverteilungsalgorithmen wurde vom IQTIG (Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen) ermittelt, dass Patientinnen bislang zum Ort Ihrer Ösophagus operierenden Klinik 20 Minuten Fahrzeit und 17 km Wegstrecke zurückzulegen hatten. Bei der zu erwartenden Zentralisierung durch Anhebung der Mindestmenge auf 26 pro Klinik und Jahr würde sich die mittlere Fahrzeit pro Patient auf 31 Minuten und die Wegstrecke auf 36 km verlängern.

Aktuell noch weitgehend fehlende Kooperationsverbünde

Erstdiagnostik des Ösophagus-Karzinoms, Staging, Risikoevaluation, Tumorboardvorstellung, interventionelle Resektion von Frühkarzinomen oder die multimodale Behandlung und Prähabilitation vor der kurativen Resektion: All dies kann in der Fläche und Gesamtheit nur durch leistungsfähige und in der Zusammenarbeit erprobte Kooperationspartner erfolgen. Ansonsten entstünde ein immenser Mehraufwand für die Zentren. Die Notwendigkeit eines Kooperationsnetzwerkes ergibt sich aber auch bezüglich des Komplikationsmanagements und der Tumornachsorge. Dass bis dato in der Fläche kaum Kooperationsverbünde vorliegen, liegt an der bisherigen Wettbewerbssituation der Kliniken, welche der Ausbildung solcher Kooperationen eher abträglich war.

Ressourcensteigerungsproblem der bestehenden Zentren

Verteilte man 4.000 Ösophagus-Eingriffe auf 69 Kliniken in Deutschland – dies entspricht der Prognose des IQTIG bei Anhebung der Mindestmenge auf 26 pro Klinik und Jahr – so bedeutete dies etwa 60 Eingriffe pro Jahr und Klinik. Dies ist kapazitiv und personell anspruchsvoll unter den gegebenen Rahmenbedingungen. Über 50 Ösophagektomien pro Jahr bedeutet bereits einen hohen personellen und strukturellen Aufwand, der nicht „on top“ zu leisten ist, sondern eine signifikante Leistungsausdehnung der jeweiligen Klinik bedeutet.

Keine angepassten Weiterbildungscurricula

Auf der einen Seite kann an High Volume Zentren Weiterbildung und Forschung effektiv gestaltet werden. Aktuell sind aber die meisten Weiterbildungscurricula z.B. der speziellen Viszeralchirurgie der Landesärztekammern mit der geplanten Zentralisierung in der Ösophaguschirurgie keineswegs abgestimmt.

Engagement der Kliniken aber auch der Länder gefragt

Nun ist insbesondere das Engagement derjenigen Kliniken gefragt, welche bereits jetzt Ösophagus-Chirurgie in signifikantem Volumen betreiben. Sie müssen neue Netzwerke bilden und bestehende ausbauen, welche eine leitliniengerechte Versorgung bis in die Peripherie gewährleisten. Allentscheidend für den Erfolg der Umsetzung des G-BA Beschlusses wird jedoch die Investition von Mitteln durch Länder und Träger sein, um die Leistungsausdehnung zu finanzieren. Denn die künftigen Zentren müssen sich personell und strukturell darauf vorbereiten, die Anzahl der Ösophagus-Eingriffe um den Faktor zwei bis vier zu erhöhen.

Literatur

[1] Hölscher AH. Ösophaguskarzinom – Operative Therapie in Zentren. Dt. Ärztebl 2001; 98: A 1890 – 1894 (Heft 28 – 29)
[2] Patti MG, Corvera CU, Glasgow RE, Way LW: A hospital’s annual rate of esophagectomy influences the operative mortality rate. J Gastrointest Surg 1998; 2: 186–192.
[3] Nimptsch U., Haist T, Krautz C et al. Fallzahl, Krankenhaussterblichkeit und Komplikationsmanagement in der Ösophaguschirurgie. Analyse deutschlandweiter Krankenhausabrechnungsdaten. Dtsch Ärztebl Int 2018; 115: 793 – 800. DOI: 10.3238/arztebl.2018.0793
[4] Metzger R, Bollschweiler E, Hölscher AH et al. High volume centers for esophagectomy: what is the number needed to achieve low postoperative mortality? Dis Esophagus. 2004; 17: 310–4.
[5] Hölscher AH, Fetzner UK. Paraconduit hiatal hernia after esophagectomy. Prevention-indication for surgery-surgical technique. Dis Esophagus. 2021. PMID: 33912913

Fetzner UK, Gerdes B: Anpassung der Mindestmenge Ösophagus: Jetzt Handeln der Zentren, Träger und Länder erforderlich. 2021 Dezember; 11(12): Artikel 04_07.

Autoren des Artikels

Profilbild von Ulrich Klaus Fetzner

Dr. scient. med. Ulrich Klaus Fetzner

Geschäftsführender OberarztKlinik für Allgemeinchirurgie, Viszeral-, Thorax-, Kinder und Endokrine ChirurgieJohannes Wesling Klinikum Minden Universitätsklinikum der Ruhr Universität BochumHans-Nolte-Straße 132429Minden kontaktieren
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Prof. Dr. med. Berthold Gerdes

ChefarztJohannes Wesling Klinikum MindenKlinik für Allgemeinchirurgie, Viszeral-, Thorax- und Endokrine ChirurgieHans-Nolte-St. 132429Minden kontaktieren

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