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Der Redaktionsplan dieser Zeitschrift wird aus organisatorischen Gründen in der Regel etwa ein Jahr vor Veröffentlichung des Themenhefts oder der angeforderten Publikation erstellt. Zu diesem Zeitpunkt ging die Redaktion davon aus, dass die Krankenhausreform, wenn nicht implementiert, so doch zumindest eine klarere Kontur angenommen hätte. Zum Zeitpunkt Anfang März 2024 aber ist die Ausgestaltung der Zukunft der stationären Versorgung noch nicht viel weitergekommen. Folglich wissen wir nicht konkret, wie sich das ambulante Operieren in dem neuen Setting darstellen wird. Da sich aber in der jüngeren Vergangenheit ganz erhebliche Veränderungen für die ambulant tätigen Operateure ergeben haben, gilt es an dieser Stelle den Ist-Zustand darzustellen – dieser ist komplex genug.

Das ambulante Operieren führt in Deutschland seit Jahrzehnten ein Schattendasein, auch wenn diese Art der Versorgung immer wieder von den Krankenkassen, den Vertragsärzten und nicht zuletzt den Patientinnen und Patienten nachgefragt wird. Der einfache Grund dafür ist, dass unser Gesundheitssystem so aufgebaut ist, dass eine Verschiebung von Patienten und Leistungen aus einem Sektor in den anderen zwangsweise zu einem Verlust von Erlösen führt. Hauptsächlich wäre davon der stationäre Bereich betroffen. Verständlicherweise war so das Interesse des beteiligten Vertragspartners DKG als Vertreter der Krankenhäuser gering, hier große Änderungen zu unterstützen. Dies wird weiter gehemmt durch die föderal bestehenden Zuständigkeiten in der Gesundheitspolitik. Welcher Landrat oder Oberbürgermeister ließe es zu, dass ganze Krankenhäuser oder zumindest Teilbereiche schließen als Folge einer Ambulantisierung – damit macht man sich in der Bevölkerung nicht beliebt. Und damit belegt Deutschland unter den hochentwickelten OECD Staaten bzgl. des ambulanten Operierens weiterhin einen der letzten Plätze [6]. Dies ist umso weniger nachvollziehbar, da reichlich Evidenz vorliegt bezüglich Sicherheit, Komplikationsarmut und Patientenzufriedenheit beim ambulanten Operieren [1, 3, 4]. Andere entwickelte Länder um uns herumhaben gezeigt, wie man das ambulante Operieren mittels Incentivierung unterstützen und ausbauen kann [2].

Nach jahrelangem Stillstand ist vor einigen Jahren eine grundlegende Änderung angeschoben worden und nun überschlagen sich die Ereignisse förmlich. So wurde noch von der vorherigen Bundesregierung im MDK-Gesetz aus 2020 festgelegt, dass eine Förderung und damit Besserstellung der Vergütung beim ambulanten Operieren, kalkuliert auf aktuellen Kosten bei der Betreibung eines ambulanten Op.-Zentrums, zu erfolgen hat. Darüber hinaus hatte kurz zuvor der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen angemahnt, dass zusätzlich zum aktuell gültigen AOP-Katalog weitere operative Leistungen aus dem stationären Sektor herausgelöst werden sollen [8]. Das Zauberwort ist hier die einheitliche sektorengleiche Vergütung.

Was haben diese beiden Entwicklungen nun für Auswirkungen auf das ambulante Operieren?

Mit Wirkung 01.01.2023 wurde nach zweiseitigen Verhandlungen ein Beschluss des Bewertungsausschusses erwirkt, der die Kassen verpflichtet zusätzliches Geld in Höhe von 60 Mio € pro Jahr den ambulant tätigen Operateuren zur Verfügung zu stellen. Dies führte zwar zu einer geringen Abwertung von einigen operativen Eingriffen der EBM Kategorie 1 und 2, befriedete aber einen von Kassenseite bereits im Jahr 2013 erwirkten Beschluss, dass aufgrund von reduzierter Schnitt-Naht-Zeit bei hauptsächlich ambulant erbrachten Eingriffen der ärztliche Anteil der GOP und damit auch die Vergütung gemindert werden sollte. Im Ergebnis haben die Chirurginnen und Chirurgen profitiert durch Zuschläge bei komplexeren Operationen, die teilweise bis zu 30 % Mehrerlös zur Folge haben. Dies betraf im Besonderen die Hernienchirurgie, die Arthroskopien, die Vorfußchirurgie und ausgewählte Eingriffe aus der Proktologie und Handchirurgie. Als weitere Förderung des ambulanten Operierens wird es perspektivisch noch in diesem Jahr einen seit Jahren vom BDC geforderten Hygienezuschlag geben, ebenfalls erwirkt über den Bewertungsausschuss und ebenfalls in einer Höhe von 60 Mio. € pro Jahr. Aktuell hapert es noch bei der Umsetzung. Dies wird aber nun durch Zuschläge in Abhängigkeit von Kritikalität und auch der Komplexität des Eingriffes geschehen. Berechnungen der KBV zufolge darf ein ambulant operativ tätiger Chirurg durchschnittlich eine Verbesserung der Vergütung in Höhe von 8,2 Prozent erwarten.

Auch der Paragraph 115b wurde weiterentwickelt. Nach dreiseitigen Verhandlungen gilt ab 01.04.2023 der neue AOP-Vertrag. Er beinhaltet unter anderem die Aufnahme zusätzlicher Prozeduren und für Chirurginnen und Chirurgen wichtig einen Zuschlag für Rezidiveingriffe. Die eigentliche Brisanz aber liegt in der Einführung sogenannter Kontextfaktoren zur Begründung einer stationär erforderlichen Behandlung. Grundsätzlich gilt, dass jede der im Anhang 1 des AOP-Vertrages gelistete Prozedur ambulant zu erbringen ist – und dies betrifft eine große Zahl von Eingriffen, z. B. fallen auch die Kreuzbandersatzplastik und die laparoskopische Hernien Versorgung darunter. In der Vergangenheit hatten sich Krankenhausgesellschaft und die Krankenkassen auf die sogenannten G-AEP Kriterien verständigt, die eine stationäre Leistungserbringung begründen konnten. Diese wurden nun ersatzlos gestrichen und durch insgesamt nur drei Kontextfaktoren ersetzt. Eine stationäre Versorgung wäre für eine laparoskopische TAPP oder TEP demnach nur dann möglich, wenn der Patient ein Säugling ist, einen Pflegegrad von 4 oder 5 hat oder beatmet wird. Dies hat zu erheblichem Unmut besonders bei den verantwortlichen Chirurginnen und Chirurgen in den Krankenhäusern geführt, die nachvollziehbar dies für nicht vereinbar mit Patientensicherheit oder anderen medicolegalen Aspekten sehen. Bis dato sind nach Kenntnis des BDC wegen fehlender Kontextfaktoren vom MD noch keine Prüfungen in größerem Ausmaß erfolgt. Es steht aber zu befürchten, dass genau dieses mit Implementierung der sektorengleichen Vergütung und Einführung von Hybrid-DRGs zukünftig passieren wird.

Der AOP-Vertrag hält aber nicht nur Zumutungen bereit. Mit Datum 01.01.24 wurden Zuschläge für eine ganze Reihe von Osteosynthesen und Repositionen eingeführt. Diese finden sich in der Anlage 3 und führen im Schnitt zu einem Mehrerlös von 20 %.

Das schon angesprochene Sachverständigengutachten aus 2018 führte zur Implementierung einer speziellen sektorengleichen Vergütung, verankert im Krankenhauspflegeentlastungsgesetz vom 02.12.2022. Die Vertragsparteien werden darin aufgefordert innerhalb eines Zeitraumes von gut drei Monaten eine Einigung herbeizuführen bzgl. Festlegung der Eingriffe, Höhe der Vergütung, Abrechnungsmodalitäten usw. Ein solches Mega-Projekt mit Umstellung der Finanzierung im Gesundheitssystem auf einen dritten, gemeinsamen Sektor aber ist unmöglich in der Kürze der vorgegebenen Zeit zu verhandeln. Nun sollte eine Rechtsverordnung (RVO) aus dem BMG es richten. Nachdem ein erster Entwurf der RVO aus dem September 2023 wegen rechtlicher Bedenken aus dem Justizministerium zurückgezogen wurde, kam dann kurz vor Weihnachten der Paukenschlag mit Einführung von Hybrid-DRGs (h-DRG) mit Geltung wenige Tage später ab 01.01.2024. Es wurden zwar insgesamt 12 h-DRGs aus fünf Leistungsgruppen vom InEK kalkuliert und bepreist, die Ausführungsbestimmungen aber sollen nun wieder von den drei Vertragsparteien ausgehandelt werden. Damit ist Stand Anfang März 2024 so gut wie nichts geregelt – außer der Benennung der in Frage kommenden OPS und der Höhe des Erlöses.

Im Speziellen besteht Unklarheit bzgl. einer möglichen alternativen Abrechnungsmöglichkeit für Vertragsärzte über EBM, dies war im ersten Entwurf der RVO noch so enthalten. Der größte Knackpunkt aktuell ist eine fehlende Spreizung und eine Nicht-Berücksichtigung der Sachkosten im Vertragsarztsektor, die deutlich über Denjenigen vom InEK kalkulierten liegen. Im EBM sind die Eingriffe nach Komplexität differenziert und bewertet. In der h-DRG fallen z. B. in der Vorfußchirurgie einfache Knochenresektionen in die gleiche DRG wie auch komplexere Umstellungsosteotomien. Da in beiden Fällen aber die kompletten Sachkosten und alle ärztlichen Leistungen aus dem Erlös bezahlt werden müssen, führt dies unweigerlich zu einer Unterfinanzierung, die deutlich unter EBM liegen kann. Darüber hinaus gibt es noch zahlreiche weitere Probleme und Konflikte mit anderen Gesetzen, wie z. B. Entwicklung der zukünftigen Preisdynamik, Kalkulationsgrundlage des InEK, fehlende empirische Daten zu Sachkosten aus dem Vertragsarztbereich, mögliche Sozialversicherungspflicht, usw. Es steht zu befürchten, dass viele Unklarheiten letztendlich erst einer sozialgerichtlichen Klärung bedürfen.

Ungemach droht auch aus der Notwendigkeit sich den Erlös mit anderen Leistungserbringern zu teilen. Viele Kolleginnen und Kollegen hatten bis dato keine Erfahrungen mit Selektivverträgen und sind noch nie in die Bredouille gekommen mit ihrem Anästhesisten über die Vergütung der ärztlichen Leistung zu verhandeln. Von vielen Mitgliedern wurde daher eine Empfehlung zur Aufteilung des Erlöses aus der h-DRG von ihrem Berufsverband erbeten. Der BDC und der Berufsverband der Anästhesistinnen und Anästhesisten in Deutschland (BDA) haben Anfang Februar einen entsprechenden Rahmen konsentiert in Anlehnung an die Berechnung der ärztlichen Leistungsanteile aus der InEK-Kalkulation und auch aus dem EBM. Den Beteiligten war dabei klar, dass dies keineswegs eine Blaupause ist und schon gar keine Rechtsverbindlichkeit besitzt, dafür sind die individuellen Gegebenheiten vor Ort und die gelebte Beziehung zwischen Operateur und Anästhesist viel zu verschieden. Unabdingbar bei Verhandlungen zur Aufteilung des Erlöses aus der h-DRG ist es, dass alle Kosten transparent auf den Tisch kommen und im Konsens mit dem Anästhesisten vom Erlös abgezogen werden, erst dann kann über den Verteilungsschlüssel verhandelt werden.

Abschließend fällt es schwer für die Anwendung der h-DRG eine fundierte Empfehlung von Seiten des BDC auszusprechen. Wir sollten die sektorengleiche Vergütung mit all ihren momentanen Unzulänglichkeiten und Fehlern aber als Chance begreifen – schließlich ist sie das Ergebnis dessen, was wir schon seit 20 Jahren fordern, die gleichlangen Spieße zwischen Krankenhaus und vertragsärztlichem Sektor. Essenziell für jeden einzelnen Operateur ist es nun sich mit seinem Op.-Spektrum zu beschäftigen, die in Frage kommenden OPS zu identifizieren und für jeden einzelnen dieser Eingriffe eine Kostenkalkulation durchzuführen. Ohne dies wäre eine Beurteilung, ob ein Eingriff lukrativ oder defizitär ist, nicht möglich. Grundsätzlich ist bzgl. der OPS des aktuell vorliegenden Kataloges festzustellen, dass die Operateure bei einfachen Eingriffen der EBM-Kategorien 1 bis maximal 3 eigentlich nur gewinnen. Komplexe Eingriffe aber stellen eine Gefahr bezüglich der Sachkosten dar. Dies ist auch der Grund dafür, dass der BDC in Absprache mit den anderen chirurgischen und orthopädischen Berufsverbänden auf der Bremse steht bzgl. der für den 01.01.25 vorgesehenen Weiterentwicklung der h-DRGs.

Eine weitere große Veränderung deutet sich am Horizont an – die Krankenhausreform. Auch wenn die Verhandlungen zwischen BMG und den Bundesländern aktuell stocken, ist zu erwarten, dass über die vormals vorgesehenen Level Ii – Krankenhäuser ein neuer Player in Erscheinung treten wird, der zwangsläufig zu einer weiteren Verlagerung von aktuell noch stationär erbrachten Leistungen in den ambulanten Sektor führen wird. Und dies wiederum hat erhebliche Auswirkungen auf die Weiterbildung [5]. Die zukünftigen Chirurginnen und Unfallchirurgen und Orthopäden werden einen Großteil der notwendigen Operationen nicht mehr unter stationären Bedingungen im Krankenhaus, sondern im ambulanten Sektor erlernen müssen. Hierzu hat der Marburger Bund am 14.02.2024 ein Positionspapier veröffentlicht [7]. Dazu mehr in einem Beitrag zu diesem Thema in dieser Ausgabe, Rubrik „Gesundheitspolitik“. [5] Und sobald sich die Krankenhausreform zukünftig klarer abzeichnet wird auch das Thema des ambulanten Operierens unter diesen neuen Bedingungen zu beleuchten sein.

Literatur

[1]   Chung, F., Mezei, G., Tong, D.: Adverse events in ambulatory surgery. A comparison between elderly and younger patients. Canadian Journal of Anaesthesia 1999 46 (4), S. 309. DOI: 10.1007/BF03013221
[2]   Eckhardt, H., Kreutzberg, A., Bussse, R.: Tageschirurgie – internationale Erfahrungen, Vergütungssysteme und finanzielle Anreize in England, Frankreich und Österreich. Arthroskopie. 2024 37 S. 3
[3]   Friedlander, D. F., Krimphove, M. J., Cole, A. P., Marchese, M., Lipsitz, S. R., Weissman, J.S. et al.: Where Is the Value in Ambulatory Versus Inpatient Surgery? In: Annals of Surgery. 2019 Online verfügbar unter https://journals.lww.com/annalsofsurgery/Fulltext/9000/Where_Is_the_Value_in_Ambulatory_Versus_Inpatient.94938.aspx
[4]   Gensior, T.J., Scheffler, S.: Ambulante rekonstruktive Kniegelenkschirurgie – wie weit kann man gehen? Arthroskopie 2024 37 S. 11
[5]   Ludwig, J., Schmitz, R.W.: Strukturierte intersektoraler Weiterbildungsverbund. Passion Chirurgie. 2024 zur Veröffentlichung vorgesehen
[6]   OECD (2020): Health care utilisation. Surgical Procedures. Paris. Online verfügbar unter https://stats.oecd.org/Index.aspx?DataSetCode=HEALTH_PROC.
[7]   Positionspapier Weiterbildung Marburger Bund vom 15.2.2024 Online verfügbar unter https://www.marburger-bund.de/sites/default/files/files/2024-02/MB-Positionen-aerztliche_Weiterbildung_%20Februar%202024_1.pdf
[8]   Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen: Bedarfsgerechte Steuerung der Gesundheitsversorgung. 2018 Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Berlin

Schmitz RW: Ambulantes Operieren in Zeiten der (anstehenden) Krankenhausreform. Passion Chirurgie. 2024 April; 14(04): Artikel 03_03.

Autor des Artikels

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Dr. med. Ralf Wilhelm Schmitz

Referatsleiter Niedergelassene ChirurgenMVZ Chirurgie KielSchönberger Str. 1124148Kiel kontaktieren

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