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Gemeinsam ins Handeln kommen!

Das Thema ökologische Transformation im Gesundheitswesen findet zunehmend Beachtung in der deutschen Krankenhauslandschaft. Das wurde insbesondere auf dem größten deutschen Online-Kongress für nachhaltiges Einkaufen und Wirtschaften im Gesundheitswesen, dem ZUKE Green Health Kongress, im November 2022 deutlich. Auf dem Kongress diskutierten Gesundheitsvertreter:innen zwei Tage lang über die Notwenigkeit für mehr ökologische Transformation im deutschen Gesundheitssektor und präsentierten Best-Practises bzw. erste Erfolgskonzepte im Nachhaltigkeitsmanagement. [1]

Wesentliche Treiber für ein ökologisches Wirtschaften im Gesundheitswesen sind neben den sich anbahnenden regulatorischen Vorgaben wie dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LsKG) und der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD), die auch einen Großteil deutscher Kliniken voraussichtlich für das Kalenderjahr 2025 betreffen werden, die ansteigenden Entsorgungskosten bzw. das erhöhte Abfallaufkommen in den Kliniken [2]. Spätestens seit der Corona-Pandemie sind für jede(n) Klinikmitarbeiter:in das zunehmende Abfallaufkommen tagtäglich sichtbar. Hinzu kommt die intrinsische Motivation vieler Klinikmitarbeiter:innen, sich dieses Themas anzunehmen und für ein Umdenken bei allen Beteiligten zu werben. Insbesondere die Zulieferer der Kliniken wie Pharma- und Medizintechnikhersteller sind zunehmend gefragt, zukünftig Alternativen und erste Lösungskonzepte für ihre Produkte bzw. deren Verpackungen anzubieten, um Teil der Lösung und nicht des Problems zu sein. Im Fokus stehen dabei initial vor allem OP-Einweginstrumente, die teilweise aus hochwertigen Materialien bestehen und fast ausschließlich nach ihrer Benutzung den Weg in die Müllverbrennungsanlagen finden. Schätzungen gehen davon aus, dass allein in Deutschland etwa 8.000 Tonnen des Abfalls aus deutschen Krankenhäusern pro Jahr auf medizinische Einweginstrumente zurückzuführen sind. Dabei könnten laut der Weltgesundheitsorganisation ca. 85 Prozent der Krankenhausabfälle prinzipiell recycelt werden [3].

Genau das war der Ansatz des Medizintechnikherstellers Ethicon, einem Unternehmensbereich von Johnson & Johnson, der seit dem Jahr 2020 in einem Pilotprojekt mit sechs deutschen Kliniken und dem Hamburger Unternehmen Resourcify ein digital unterstütztes Rücknahmesystem für seine OP-Einwegprodukte aufgebaut, getestet und gemeinsam mit den Pilotkliniken sukzessive verbessert hat. Seit November 2021 bietet der Hersteller dieses innovative Recyclingverfahren für sein gesamtes Klammernaht- und Energy-Portfolio an. Mithilfe dieser Pionierarbeit wurden allein in 2022 europaweit ca. 7,5 Tonnen OP-Einweginstrumente recycelt, was in einer ungefähren CO2e*-Einsparung in Höhe von 18,5 CO2e Tonnen resultiert. Laut Daniel Unger, Nachhaltigkeitsmanager für Ethicon Deutschland, ist das jedoch die erste sichtbare Spitze eines gigantischen Eisbergs. „Man möge sich vorstellen, wie viel Emissionen und wertvolle Ressourcen eingespart und wieder in den Kreislauf rückgeführt werden könnten, wenn das Recycling von medizinischen Einweginstrumenten zur Pflicht und Standard in Deutschland werden würde. Damit ein solches Konzept jedoch herstellerübergreifend seinen Weg in Deutschland findet, bedarf es noch einiger Überzeugungsarbeit bei Behörden, potenziellen Kooperationspartnern und einer immensen politischen Unterstützung, die ich aktuell leider noch vermisse“, gibt Unger nachdenklich zu bedenken. „Aktuell ist das Thema Nachhaltigkeit im Gesundheitswesen salonfähig geworden und erfreut sich hoher Popularität auf beinahe jedem medizinisch ausgerichteten Kongress. Wenn es jedoch um die konkrete Umsetzung von Lösungskonzepten geht, bleibt nur eine handlungswillige Minderheit übrig“, so Unger.

Mittlerweile weitet der Hersteller das Programm auf andere Produktkategorien aus. Seit November letzten Jahres bietet Ethicon zusätzlich ein Recyclingprogramm für hochwertige Produktverpackungen an. In einem ersten Schritt liegt hier der Fokus auf Sterilverpackungen von resorbierbarem chirurgischem Nahtmaterial. Diese sind mit einem Anteil von ca. 80 % Aluminium besonders recyclingwürdig, finden aber im OP-Alltag zumeist den Weg in die Abfalltonnen für infektiöse Abfälle, obwohl sie nicht kontaminiert sind und somit sehr gut recycelt werden könnten. Wenn man bedenkt, dass beim Recycling von Aluminium lediglich 5 % der Energie, die zur Herstellung von Primär-Aluminium benötigt werden, eingesetzt werden muss, so erscheint ein Recycling aluminiumhaltiger Verpackungen aus ökologischer Sicht mehr als sinnvoll [4]. Der Sammelprozess ist dabei denkbar einfach. Ethicon stellt in Kooperation mit seinem Partner Resourcify die Sammelbehälter für die aluminiumhaltigen Verpackungen bereit. Mithilfe einer von Resourcify betriebenen App oder einem Webportal mit klinikindividuellem Zugang kann die Klinik die gefüllten Behälter zur Abholung beauftragen. Anschließend werden diese per DHL Green zu einem spezialisierten Recyclingunternehmen in der Nähe von Hamburg transportiert, mit dem das Unternehmen auch für seinen Produktionsstandort in Norderstedt langjährig zusammenarbeitet. Dort werden die gesammelten Folien der Kliniken zentral weiterverarbeitet und das enthaltene Aluminium extrahiert und als Sekundärrohstoff am Rohstoffmarkt verkauft. Inwieweit das recycelte Aluminium wieder für die lokale Produktion neuer Verpackungen herangezogen werden könnte, prüft das Unternehmen aktuell noch. Leider erschweren die aktuellen Vorgaben der europäischen Medical Device Regulation (MDR) die Verwendung von sogenannten Sekundärrohstoffen im Produktionsprozess für Medizinprodukte [5]. Hier wünscht sich das Unternehmen dringend eine Nachbesserung seitens der Politik und der Regulierer auf europäischer Ebene.

Die Einnahmen aus dem Verkauf der aluminiumhaltigen Verpackungen werden dabei in Absprache mit Resourcify am Jahresende an die medizinische NGO Operation Smile [6] gespendet. Mit Smile kooperiert Johnson & Johnson seit Jahren.

Das Recyclingkonzept für aluminiumhaltige Sterilverpackungen läuft unter anderem am Universitätsklinikum Bonn seit Anfang Dezember 2022 und stößt seitens der Klinikbelegschaft auf Begeisterung. Michael Schmitz, Abteilungsleiter Infrastrukturservice, Stabsstelle Nachhaltigkeit und Abfallbeauftragter des Uniklinikums Bonn, war von diesem Ansatz von Anfang an begeistert. Als Experte für Abfallmanagement im klinischen Umfeld und als passionierter Nachhaltigkeitsmanager weiß er um den Mehrwert solcher dringend benötigten Recyclingkonzepte. Neben dem Recyclingansatz für hochwertige Sterilverpackungen implementierte das Universitätsklinikum 2022 weitere Nachhaltigkeitskonzepte am Standort mit Leuchtturmcharakter im deutschen Gesundheitswesen.

Um die Vision des klimaneutralen Klinikums in Bonn bis 2035 zu realisieren, werden am UKB bereits umfangreiche Projekte umgesetzt und geplant. Großes Potenzial hat man in Bonn auch im Bereich der Krankenhausentsorgung erkannt und hierzu 2020 eine innovative Kooperation mit dem Hamburger Startup-Unternehmen Resourcify gestartet [7].

In der erfolgreichen Zusammenarbeit ist es gelungen, gemeinsam ein digitales Wertstoffmanagementsystem als Branchenlösung für medizinische Einrichtungen zu entwickeln.

Das Universitätsklinikum Bonn nimmt hierbei bundesweit eine führende Rolle ein und die gemeinsame Vision „Zero Waste“ rückt täglich ein Stück näher.

„Umso wichtiger werden in Zukunft der Schulterschluss mit Herstellern und die Integration von Rücknahmesystemen. Wir begrüßen die Nachhaltigkeitsaktivitäten von Johnson & Johnson sehr, denn jedes Pilotprojekt und implementierte Rücknahmesystem erhöht unsere Recyclingquote. Wir freuen uns auf die noch intensivere Zusammenarbeit mit Johnsons & Johnson und auf die Ausarbeitung weiterer Recyclingleuchttürme in Bonn“, so Michael Schmitz vom Universitätsklinikum Bonn. Zahlreiche Projekte konnten bereits auch mit Unterstützung von Resourcify in den vergangenen zwei Jahren am UKB umgesetzt werden, wie beispielsweise jüngst das Recycling von chirurgischen Einweginstrumenten [8] sowie das Recycling von Atemkalk [9].

Die zwischenzeitlich erreichten Ergebnisse sprechen für sich. Beispielsweise konnte durch eine konsequente Optimierung die externe Entsorgungslogistik und somit die Verkehrsbelastung um 39 % gesenkt werden. „Wichtig für uns ist aber auch die Netzwerkarbeit und die Analyse des gesamten Lebenszyklus unserer verwendeten Medizinprodukte mit dem Hersteller. Nur mit Herstellern bzw. Lieferanten im Verbund können wir die zukünftigen Lieferketten so mitgestalten, dass möglichst viele Wertstoffe, die in den Produkten enthalten sind, erhalten bleiben und Kreisläufe auch in der Gesundheitswirtschaft sukzessive geschlossen werden. Die Herausforderungen sind gewaltig und hier müssen alle Entscheidungsträger inklusive der Politik die Rahmenbedingen dafür schaffen und deutlich an Geschwindigkeit zulegen“, so Michael Schmitz vom UKB.

Alle drei Partner vereint die Vision einer fairen, kreislauforientierten und signifikant emissionsreduzierten Gesundheitswirtschaft für eine gesunde und nachhaltige Gesundheitsversorgung in Deutschland und Europa. Sie wünschen sich, dass mehr Kliniken und Lieferanten ihrem Beispiel folgen und über Netzwerkplattformen wie ZUKE Green als Best-Practice-Beispiele teilen werden, um andere passionierte „Green Change Agents“ für diese Themen in den Kliniken gewinnen und inspirieren zu können.

Literatur

[1]   https://www.hcm-magazin.de/zuke-green-health-kongress-2022-nachhaltigkeit-321258/

[2]   https://corpgov.law.harvard.edu/2022/08/23/eu-corporate-sustainability-reporting-directive-what-do-companies-need-to-know/

[3]   https://www.ukbnewsroom.de/recycling-chirurgischer-einweggeraete/

[4]   http://www.aluinfo.de/recycling.html).

[5]   https://www.medical-device-regulation.eu/download-mdr/

[6]   https://www.operationsmile.org.uk

[7]   www.ukbnewsroom.de/gruen-smart-und-nachhaltig-universitaetsklinikum-bonn-digitalisiert-abfallmanagement-in-kooperation-mit-resourcify/

[8]   www.ukbnewsroom.de/recycling-chirurgischer-einweggeraete/

[9]   www.kma-online.de/aktuelles/klinik-news/detail/ukb-bonn-macht-gefaehrlichen-atemkalk-zu-duenger-recycling-einweg-op-instrumente-48962

*CO2e ist die Abkürzung für „Kohlendioxidäquivalent“. CO2e wird verwendet, um die Emissionen von Treibhausgasen zu messen und zu vergleichen, je nachdem, wie stark sie zur globalen Erwärmung beitragen. Metriken für CO2e zeigen, wie stark ein bestimmtes Gas zur globalen Erwärmung beitragen würde, wenn es Kohlendioxid wäre. Die CO2e Maßeinheit wird in der Regel in Millionen Tonnen angegeben.

Daniel Unger

Sustainability Manager Ethicon Deutschland

Johnson & Johnson Medical GmbH

Hummelsbütteler Steindamm 71

22851 Norderstedt

[email protected]

Michael Schmitz

Abteilungsleiter

GB6 – Facility Management – Infrastrukturservice

Abfallbeauftragter des Universitätsklinikum Bonn AöR

Stabstelle Nachhaltigkeitskonzept

[email protected]

Chirurgie

Unger D, Schmitz M: Universitätsklinikum Bonn und ETHICON/Johnson & Johnson Medtech starten weiteres Recyclingprogramm. Passion Chirurgie. 2023 März; 13 (03): Artikel 03_01.

Weitere Artikel zum Thema Nachhaltigkeit finden Sie auf BDC|Online (www.bdc.de) unter der Rubrik Wissen | Panorama | Nachhaltigkeit.

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