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PASSION CHIRURGIE – Ausgabe 10-2020 

Die Geschichte der Transplantationsmedizin ist weltweit im Grunde eine Erfolgsgeschichte. Die ständige Weiterentwicklung von Operationsmethoden, Organkonservierung und Therapien sorgte in der Vergangenheit und mit aktuellen Entwicklungen auch in der Gegenwart dafür, dass theoretisch immer mehr schwer kranken Patienten durch eine Transplantation das Leben gerettet werden könnte. Allein in Deutschland wurden in den letzten 60 Jahren mehr als 139.000 Organe verpflanzt. Doch könnten diese Fortschritte noch viel mehr bewirken, wenn mehr Spenderorgane zur Verfügung stünden. Immer noch sterben hierzulande jährlich etwa 1.000 Patienten, während sie auf ein passendes Organ warten. In Deutschland herrscht seit vielen Jahren Stillstand statt Bewegung.

Denn obwohl 2012 das Transplantationsgesetz gleich zweimal novelliert wurde, sank die Zahl der postmortalen Organspender bis 2017 auf den niedrigsten Stand der letzten 20 Jahre. Hier existierte gleich doppelter Gegenwind: zum einen die öffentliche Diskussion um Manipulationen der Daten von Patienten auf der Warteliste, um Vorteile bei der Zuteilung von Organen zu erhalten zum anderen bestehende strukturelle und organisatorische Schwachstellen in den Rahmenbedingungen der deutschen Organspende und Transplantation. Während Ersteres in der öffentlichen Diskussion sehr viel Beachtung gefunden hat, stand Letzteres lange völlig im Hintergrund. Allerdings hatten wir schon vor dem sogenannten Transplantationsskandal das Organspendepotenzial in den Kliniken analysieren lassen mit dem Ergebnis, dass primär strukturelle und organisatorische Schwachstellen eine elementare Ursache für Erkennungs- und Meldedefizite möglicher Organspender waren. Andere Studien kamen nachfolgend zum selben Fazit: Es muss sich grundlegend an den strukturellen Rahmenbedingungen und der Umsetzung in den Kliniken etwas ändern, um die Kehrtwende bei der Organspende zu schaffen.

Endlich kam nun auf politischer Ebene erneut und umso stärker Bewegung in dieses Thema, sodass das vergangene Jahr aus Sicht der Organspende und Transplantation zu Recht als Meilenstein bezeichnet werden kann: Dank eines sehr engagierten Bundesgesundheitsministers trat bereits zum 1. April 2019 das Gesetz zur Verbesserung der Zusammenarbeit und der Strukturen bei der Organspende in Kraft. Kurze Zeit später folgte im Sommer mit Unterstützung des Gesundheitsministeriums der Gemeinschaftliche Initiativplan Organspende, der die Umsetzung des neuen Gesetzes in die Praxis erleichtern soll. Zeitgleich stieß Jens Spahn die Diskussion um die Neuregelung des Gesetzes zur Organspende an: Die Entscheidungslösung, die seit 2012 galt, sollte durch die doppelte Widerspruchslösung abgelöst werden. Ein klares Signal für die Organspende und ein starker Anreiz für Jeden, sich aktiv mit dieser wichtigen Frage auseinanderzusetzen und eine informierte und selbstbestimmte Entscheidung zu treffen – so die Vision vieler, die die Widerspruchslösung präferierten.

Nach ausführlicher, kontroverser Diskussion entschied sich der Bundestag im Januar 2020 dann allerdings gegen diesen Vorschlag: Im März 2022 wird stattdessen das Gesetz zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft bei der Organspende in Kraft treten. Es handelt sich um eine Fortführung der bestehenden Zustimmungslösung mit einem nochmaligen Versuch, die Aufklärung der Bevölkerung zu fördern, in der Hoffnung, dass möglichst viele Bundesbürger zu Lebzeiten eine Entscheidung bezüglich der Organspende treffen, nicht nur im Sinne der Organspende, sondern insbesondere auch zur Entlastung der Angehörigen, die immer noch zum Zeitpunkt tiefster Trauer mit der mitunter schwierigen Frage nach der Organspende konfrontiert werden. Es kommt nun aus unserer Sicht darauf an, dieses Gesetz zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft bestmöglich umzusetzen, damit es seine Wirkung auch nachhaltig entfalten kann. Das betrifft sowohl die Ansprache der Bevölkerung als auch die praktische Anwendung: So sollte die ärztliche Einsichtnahme in das geplante Online-Organspenderegister, im Sinne der gerade verabschiedeten, neuen Richtlinie zur Spendererkennung der Bundesärztekammer möglich sein, wenn vermutet wird, dass der irreversible Hirnfunktionsausfall bereits eingetreten ist oder unmittelbar bevorsteht. Diese rechtzeitige Erkundung des Patientenwillens zur Organspende ist Voraussetzung dafür, dass der Wunsch des Verstorbenen für eine mögliche Organspende tatsächlich umgesetzt werden kann.

Unverzichtbar dafür ist allerdings, dass der Verstorbene eine Entscheidung getroffen und diese dokumentiert hat. Unsere Daten zeigen, dass mehr als 40 Prozent der Ablehnungen einer Organspende von Angehörigen getroffen werden, die meist nicht wissen, was der Verstorbene wollte, und die sich so dagegen entscheiden. Ich wünsche mir daher sehr, dass die monatelangen Debatten um die Organspende in der Bevölkerung dauerhaft zu einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Thema und letztlich zur schriftlichen Willensbekundung führen. Dann kann das neue Gesetz womöglich einen positiven Effekt auf die Organspende in Deutschland erzielen – denn alle Umfragen zeigen, dass die Mehrheit der Bevölkerung hinter der Organspende steht!

Elementarer für die Situation der Transplantationsmedizin sind jedoch die strukturellen Maßnahmen, die das Gesetz vom letzten April in Gang gebracht hat. Diese verbessern maßgeblich die Rahmenbedingungen in den rund 1.200 Entnahmekrankenhäusern, insbesondere durch die Freistellung der Transplantationsbeauftragten und die damit verbundene Stärkung ihrer Position sowie durch eine bessere, dem Aufwand entsprechende Finanzierung der Organspende in den Kliniken.

Darüber hinaus freut uns, dass die Angehörigenbetreuung, die schon immer Bestandteil unsere Arbeit war, den Weg in das Gesetz gefunden hat. Endlich ist zudem auch der Austausch anonymer Dankesbriefe zwischen Organempfänger und den Angehörigen der Organspender gesetzlich geregelt. Die Transplantationszentren und wir von der DSO sind damit enge und wichtige Partner bei der Übermittlung der tief empfundenen Dankbarkeit, die viele Transplantierte den Familien der Spender zukommen lassen möchten. Stolz sind wir auch auf die kürzlich gestartete Website www.dankesbriefe-organspende.de, die das Thema Wertschätzung von Organspendern noch präsenter und öffentlicher macht.

Vieles bewegt sich also seit April 2019, vieles wird nun nach und nach umgesetzt – wobei einige bereits den großen Sprung nach oben mit den Jahreszahlen 2019 erwartet hatten. Diese blieben mit 932 postmortalen Organspendern ungefähr auf dem Niveau von 2018. Wer sich mit Krankenhausstrukturen auskennt, den überrascht es dagegen nicht, dass die im April 2019 angestoßenen Neuerungen noch keine große Wirkung bis Jahresende entfaltet haben. Umso gespannter warteten wir als Koordinierungsstelle daher auf die ersten Halbjahreszahlen 2020, die so langsam die Trendwende bringen sollten. Sie lagen 7,3 Prozent über denen vom Vorjahreszeitraum. Wir können nur spekulieren, ob wir ohne die Corona-Pandemie durchgängig höhere Zuwachsraten an Spendern in den Krankenhäusern gesehen hätten. Wie Sie wissen, kamen wir dank unseres Gesundheitssystems nicht an den Rand der Belastbarkeit wie z. B. Italien oder Spanien, wo die Organspendezahlen stark einbrachen.

COVID-19 wird uns noch einige Zeit beschäftigen und möglicherweise einschränken. Dank des Engagements in den Kliniken der letzten Monate schauen wir, was die Organspende und Transplantation betrifft, trotzdem optimistisch auf die kommende Zeit. Die gesetzlichen Änderungen aus 2019 haben Bewegung in das Thema gebracht, es liegt nun an uns allen, in unserem Engagement für die Organspende nicht nachzulassen. Nur so können wir gemeinsam den Patienten auf den Wartelisten zu einem neuen Organ und damit zu einem neuen Leben verhelfen.

Rahmel A: Editorial: Transplantationsmedizin in Bewegung. Passion Chirurgie. 2020 Oktober; 10(10): Artikel 01.

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