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Theodor Billroth (1829 – 1894), einer der bedeutendsten Chirurgen des 19. Jahrhunderts, war der festen Überzeugung: „Der Chirurg, der jemals versuchen würde, eine Wunde am Herzen zu nähen, kann sicher sein, dass er die Achtung seiner Kollegen für immer verlöre.“ Erst zwei Jahre nach Billroths Tod gelang Ludwig Rehn (1849-1930) die erste erfolgreiche Naht einer Stichwunde im menschlichen Herzen. Sein Patient war der 22-jährige Gärtnergeselle Wilhelm Justus, der am 6. September 1896 bei einer Messerstecherei im „Nizza“, einer Grünanlage am Frankfurter Mainufer, eine Verletzung des rechten Ventrikels erlitt [1].

Aktuelle Situation

Mittlerweile ist es unstrittig, dass penetrierende Verletzungen des Herzens und der großen herznahen Gefäße grundsätzlich beherrschbar sind. Sie stellen die Notfallteams, insbesondere in Kliniken ohne Kardiochirurgie, jedoch vor besondere logistische, diagnostische und vor allem operationstechnische Herausforderungen.

In Deutschland kommen penetrierende Herzverletzungen relativ selten vor.

Am häufigsten ist mit 40 Prozent der vorne liegende rechte Ventrikel betroffen, in 30 Prozent der linke Ventrikel. Die übrigen Verletzungen befinden sich zu etwa gleichen Teilen im Bereich der Vorhöfe oder der großen Gefäße, bzw. beschränken sich auf das Perikard. In fünf Prozent sind die Koronararterien involviert. Die Letalität, meist in Folge eines massiven Blutverlustes, ist in allen Fällen sehr hoch. Weniger als zehn Prozent der Betroffenen erreichen lebend die Klinik [2] und von diesen versterben noch etwa die Hälfte [3].

Die Prognose hängt im Wesentlichen von folgenden Faktoren ab [4]:

  • Die hämodynamische Situation: Eine Kreislaufinstabilität des Patienten, besonders die Notwendigkeit einer Reanimation, verschlechtert die Prognose.
  • Die Art des Traumas: Schusswunden haben eine höhere Letalität als Stichverletzungen.
  • Die Rettungszeit: Je länger der Patiententransport in die Klinik dauert, desto schlechter ist die Prognose.
  • Ein massiver Hämatothorax ist ein prognostisch schlechtes Zeichen.
  • Die Notfall-Thorakotomie. Wird der Brustkorb im Schockraum eröffnet, ist die Letalität hoch.
  • Eine Perikardtamponade. Sie wirkt sich überraschenderweise günstig auf den weiteren Verlauf der Behandlung aus.

Ob eine Brustkorberöffnung im Schockraum zu einer Prognoseverschlechterung führt, oder ob dieses ultima-ratio-Vorgehen im Sinne einer „Verzweiflungstat“ mehr Folge als Ursache einer ausweglosen Situation ist, lässt sich anhand der vorliegenden Daten nicht ableiten. Eine Perikardtamponade kann vor allem in der präklinischen Phase einen starken Blutverlust verhindern und wirkt sich daher positiv aus; solange sie nicht zu einem Herzstillstand führt.

Zur Behandlung einer Messerstichverletzung ohne Herzlungenmaschine

Eine Messerstichverletzung wurde von den Autoren bereits erfolgreich ohne Verfügbarkeit einer Herzlungenmaschine beherrscht. Folgende Empfehlungen können hierfür ausgesprochen werden:

  • Penetrierende Stichwerkzeuge wie Messer sollen in situ belassen und erst intraoperativ am freiliegenden Herzen entfernt werden.
  • Es sollte in der Klinik eine Standardarbeitsanweisung für die Massivtransfusion etabliert und mit der Blutbank abgestimmt werden (SOP Massivtransfusionsprotokoll).
  • Die nächstgelegene Kardiochirurgie sollte sofort informiert werden; die Einsatzbereitschaft einer mobilen Herzlungenmaschine (HLM) braucht Vorlauf.
  • Häufig werden Patienten mit einer zunächst schützend wirkenden Perikardtamponade in das Krankenhaus eingeliefert. Diese führt im weiteren Verlauf aber oft zum Pumpversagen. Eine alleinige Punktion ist in der Regel frustran, da das Blut überwiegend geronnen ist. Bei relevanter Tamponade empfehlen wir deshalb, die Entlastung bereits im Schockraum vorzunehmen. Die Entlastung sollte über eine kleine anterolaterale Thorakotomie links, alternativ über eine subxyphoidale Inzision erfolgen.
  • Eine weiterreichende Brustkorberöffnung sollte im Schockraum vermieden werden, da die Gegebenheiten dort oft nicht optimal sind.
  • Überraschungseffekte für das versorgende Team müssen vermieden werden. Plant der Chirurg die unvermeidbare Thorakotomie im Schockraum, muss dies rechtzeitig kommuniziert werden. Nur so können alle Kräfte gezielt konzentriert werden.
  • Zur optimalen Exposition aller relevanten Regionen empfehlen wir (idealerweise) im OP die Sternotomie. Je nach Verletzungsmuster kann diese dann zu einer Clamshell- oder Hemiclamshellinzision erweitert werden.
  • Anschließend wird das Perikard eröffnet. Eine Herzverletzung kann oftmals erstaunlich gut digital komprimiert werden, sodass die Blutung steht.
  • Die Blutungskontrolle ist für das versorgende Team ein entscheidender mentaler und stressreduzierender Schritt, sodass nun die weitere Strategie durchdacht werden kann. Die Vorhöfe und die rechte Kammer können in der Regel ohne HLM versorget werden. Für Koronararterienverletzungen und meist auch für den linken Ventrikel wird die HLM benötigt.
  • Für die Naht von Myokard ist aufgrund der Gefahr des Ausreißens des sich kontrahierenden Muskels, der nur wenig Nahtlager bietet, zwingend eine Nahtverstärkung erforderlich (zum Beispiel mit Filzfliegen, siehe Abb. 1 und 2). Eventuell kann zusätzlich ein chirurgischer Gewebekleber appliziert werden. Es wird monofiles, nicht resorbierbares Nahtmaterial verwendet, meist 3/0 oder 4/0.

Abb. 1 [5]: Technik der Herzmuskelnaht über Nahtverstärkungen. Dies verhindert ein Durchschneiden der Fäden durch den Herzmuskel. 1) Filzpatcharmierte U-Naht, 2) Naht in unmittelbarer Nähe einer Koronararterie, 3) Patchverschluss eines Defekts der Herzwand

Abb. 2: Technik der Herznaht über dem komprimierenden Finger (© Caroline Kelch), nach erfolgreicher Herznaht müssen Begleitverletzungen ausgeschlossen werden (Pneumothorax, Hämatothorax, Lungenverletzung, Verletzung von Intercostalarterien, Zwerchfellverletzungen mit ggf. intraabdomineller Ausdehnung etc.).

Schlussfolgerungen

  • Penetrierende Herzverletzungen sind zwar selten, jedoch meist sehr dramatisch. Daher müssen sich Chirurgie, Anästhesie und Schockraumteams im Vorfeld mit dieser Problematik beschäftigen. Wir empfehlen, das Vorgehen innerhalb der Klinik zu thematisieren und idealerweise auch zu trainieren. Idee ist „Be prepared, not scared.“
  • Massivtransfusionsprotokolle sollten als SOP vorliegen, die Blutbank muss vorbereitet sein.
  • Vorteilhaft sind Thorakotomie-Siebe im Schockraum.
  • Die Alarmierungswege (Leitstelle, Schockraumteam, OP-Pflege) müssen geregelt sein, genauso die jeweiligen Verantwortlichkeiten.
  • Dem Chirurgen muss die Herzanatomie vertraut sein.
  • Die Technik von Herznähten sollte beherrscht werden, zumindest sollte das Prinzip mit Nahtverstärkungen bekannt sein.
  • Möglichst frühzeitig sollte die nächstgelegene Kardiochirurgie involviert und ein Herzchirurg angefordert werden. Einige Verletzungen sind ohne HLM nicht beherrschbar. Diese kann bei Bedarf von außerhalb in den OP gebracht werden, sofern dies zeitlich möglich ist.
  • Das sichere Beherrschen außergewöhnlicher Notfallsituationen im interdisziplinären Team erfordert von allen an der Behandlung beteiligten einen kollegialen Umgang, der geprägt ist von Achtsamkeit, gegenseitigem Respekt und sorgfältiger Arbeitsweise.

Literatur

[1] Werner OJ1, Sohns C, Popov AF, Haskamp J, Schmitto JD. Ludwig Rehn (1849-1930): the German surgeon who performed the worldwide first successful cardiac operation. J Med. Biogr. 2012 Feb; 20(1): 32-4. doi: 10.1258/jmb.2011.011002.

[2] Campbell NC, Thomson SR, Muckart DJ, Meumann CM, Van Middelkoop I, Botha JB. Review of 1198 cases of penetrating cardiac trauma. Br J Surg 1997 Dec; 84(12): 1737-40

[3] Tyburski JG, Astra L,Wilson RF,Dente C, Steffes C (2000) Factors affecting prognosis with penetrating wounds of the heart. J Trauma 48: 587–590.

[4] Arafat S, Alsabek MB, Ahmad M, Hamo I, Munder E. Penetrating abdominal injuries during the Syrian war: Patterns and factors affecting mortality rates. Injury. 2017 May; 48(5): 1054-1057.

[5] J.-P. Stahl, W. A. Stertmann, T.Zimmermann, U. Horas, F.W. Hehrlein, R. Schnettler. Messerstichverletzung des Herzens. Unfallchirurg 2003 · 106: 176–181

Busemann A, Diedrich S: Safety Clip: Notfallmanagement penetrierender Herzverletzungen ohne Kardiochirurgie. Passion Chirurgie. 2018 Dezember, 8(12): Artikel 04_10.

Autoren des Artikels

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PD Dr. med. Alexandra Busemann

Klinik und Poliklinik für Allgemeine Chirurgie, Viszeral-, Thorax- und GefäßchirurgieUniversitätsmedizin GreifswaldFerdinand-Sauerbruch-Straße17475Greifswald kontaktieren
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Dr. med. Stephan Diedrich

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