Zurück zur Übersicht

BGH stärkt Rechte von Patienten

Die präoperative Positionierung und sachgemäße intraoperative Lagerung des Patienten während der Operation ist eine interdisziplinäre, interprofessionelle Aufgabe und eine gemeinsame Rechtspflicht. Eine sachgemäße Lagerung dient der Sicherstellung der Patientensicherheit und Vermeidung lagerungsbedingter Schäden. Zudem bestimmen korrekte Lagerungsposition und -manöver die Sicht des Operateurs auf den Situs des Patienten und bieten den Anästhesisten sichere Zugangswege. Doch trotz klar definierter Leitlinien und entsprechend umfangreichen Lagerungsmaßnahmen kommt es in der Praxis zu operationsbedingten Lagerungsschäden. Diese sind Ursache von etwa vier Prozent aller bejahten Behandlungsfehler der Gutachterkommissionen der Landesärztekammern und daher auch von besonderer forensischer Bedeutung. [1]

Beweislastumkehr bei objektiv beherrschbarem Risiko

Bei einem Aufklärungs- oder Behandlungsfehler wendet sich ein Patient in der Regel mit Schadenersatzforderungen an den behandelten Arzt oder das Krankenhaus. Er trägt dabei grundsätzlich die Beweislast für den Fehler, den dadurch entstandenen Schaden und den Ursachenzusammenhang zwischen Behandlungsfehler- und Schaden. Für den Patienten stellt die Beweislast oftmals eine enorme Hürde dar, von der die Rechtsprechung nur dann eine Ausnahme macht, wenn ein grober Pflichtenverstoß der Behandelnden vorliegt. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit Beschluss vom 26.09.2017 (Az. VI ZR 529/16) – erneut – entschieden, dass eine solche Beweislastumkehr auch dann in Betracht kommt, wenn ein objektiv beherrschbares Risiko vorliegt. [5]

Der BGH begründet seinen Beschluss zum Fallbeispiel wie folgt: „Kann das Risiko von Verbrennungen durch atypischen Stromfluss dadurch verhindert werden, dass der Patient auf einer dauerhaft nicht leitfähig bleibenden Unterlage gelagert wird, handelt es sich um ein Risiko, das von der Behandlungsseite voll beherrscht werden kann und muss; mit der Folge, dass sie beweisen muss, alle erforderlichen organisatorischen und technischen Vorkehrungen ergriffen zu haben, um dieses Risiko zu vermeiden.“ [6]

Danach sind die technisch richtige Lagerung des Patienten auf dem OP-Tisch und die Beachtung der dabei zum Schutz vor Lagerungsschäden einzuhaltenden Regeln allesamt Maßnahmen, die dem Risikobereich des Krankenhauses und dem ärztlichen Bereich zuzuordnen und von diesen voll beherrschbar sind.

Diese Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist im Patientenrechtegesetz von 2013 in § 630 h Abs. 1 BGB kodifiziert: „Ein Fehler des Behandelnden wird vermutet, wenn sich ein allgemeines Behandlungsrisiko verwirklicht hat, das für den Behandelnden voll beherrschbar war und das zur Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit des Patienten geführt hat.“ [3]

Nach dieser Vorschrift wird von einem Fehler, also einer Pflichtverletzung des Behandelnden ausgegangen, wenn sich ein voll beherrschbares Risiko verwirklicht; jedoch nicht die Kausalität zum Gesundheitsschaden.

Ein Fallbeispiel

Bei einem Patienten wird ein Prostata-Karzinom diagnostiziert. Zur Behandlung des Karzinoms wird unter Verwendung eines Hochfrequenzgeräts (Elektrokaulter) eine retropubische Prostataektomie durchgeführt. Am Folgetag klagt der Patient über starke Schmerzen. Der Arzt untersucht den Patienten und stellt eine Rötung mit Blasenbildung auf beiden Gesäßhälften fest. Im weiteren Verlauf bildet sich beim Patienten ein nekrotisierendes Entzündungsgeschehen, das zu erheblichen Beeinträchtigungen beim Patienten führt und unter anderem eine Entfernung von zwei Dritteln des Musculus gluteus maximus erfordert. Der Patient führt die Entzündung auf einen Behandlungsfehler zurück. Er geht davon aus, dass die Lagerung und/oder Durchführung der retropubischen Prostataektomie fehlerhaft erfolgt seien. Darüber hinaus sei aus Patientensicht postoperativ nicht rechtzeitig auf die Verletzung reagiert worden. Des Weiteren rügt der Patient, der Arzt hätte ihn nicht gesondert über das Risiko einer intraoperativen Verbrennung aufgeklärt.

Das Urteil

Das Landgericht weist die Klage ab. Nach Begutachtung durch zwei Sachverständige (Urologen) sind keine Behandlungsfehler bei der Lagerung oder der Operation feststellbar. Das HF-Gerät ist nachweislich fehlerfrei. Behandlungsfehler aufgrund einer falschen Bedienung des Gerätes lassen sich ebenfalls nicht herleiten. Auf die Schädigung wurde lege artis reagiert und der Kläger über das Verbrennungsrisiko nachweislich hinreichend aufgeklärt. [4]

Der BGH (6. Zivilsenat, 26.09.2017, rechtskräftiger Beschluss) sieht es schließlich als gegeben an, dass der behandelnde Arzt das Risiko solcher Schäden durch die Ergreifung technischer und/oder organisatorischer Maßnahmen hätte vermeiden können. Ob es sich letztlich um Verbrennungen durch die fehlerhafte Verwendung einer leitfähigen Unterlage oder um einen Lagerungsschaden handelt, lässt der BGH allerdings offen. Diese Frage wird zur Klärung an das Berufungsgericht zurückgegeben. Klar ist, beide Risiken sind als voll beherrschbar anzusehen. Indem sichergestellt wird, dass zwischen dem Patienten und dem OP-Tisch keine elektrische Verbindung besteht und die Lagerung des Patienten technisch korrekt erfolgt, ist die Patientensicherheit garantiert.

Der BGH definiert jedoch eine Ausnahme. Demnach handelt sich um ein nicht mehr voll beherrschbares Risiko, wenn bei einem Patienten seltene und nicht mit vertretbarem Aufwand präoperativ feststellbare körperliche Anomalien vorliegen, die ihn gerade für den durch das verwirklichte Risiko eingetretenen Schaden anfällig gemacht haben. Eine solche Situation sah der BGH im nunmehr entschiedenen Fall nicht. [5]

Risikomanagement

Risikopräventive Maßnahmen können dabei helfen, Lagerungsschäden zu vermeiden. Je mehr Maßnahmen etabliert sind, umso unwahrscheinlicher ist ein Patientenschaden. Möglicherweise hätte die Schädigung aus dem Fallbeispiel vermieden werden können, hätte die Klinik folgende Maßnahmen implementiert:

Literatur

[1] DGGG – Leitlinienprogramm. AWMF Registernummer 015/077. Leitlinienklasse S1. Stand: Februar 2015
[2] BGH, Beschluss vom 26. September 2017 – VI ZR 529/16 –, juris
[3] Simon & Schubert Rechtsanwälte und Notare (2015): Schäden durch falsche Lagerung. http://www.simon-schubert.net/beitrag/schaeden-durch-falsche-lagerung.html (Stand: 25.05.2018)
[4] OLG Hamm, Urteil vom 04. November 2016 – 26 U 67/13 –, juris
[5] KQP Krämer Quel & Partner – Gesellschaft bürgerlichen Rechts – Rechtsanwälte (2017): BGH: Beweislastumkehr bei objektiv beherrschbarem Risiko. http://www.kqp.de/meldungen/arzthaftungsrecht/bgh-beweislastumkehr-bei-objektiv-beherrschbarem-risiko/ (Stand: 25.05.2018)
[6] Festhaltung BGH, 16. August 2016, VI ZR 634/15, VersR 2016, 1380). (Rn.9)

Kraft S: Safety Clip: Lagerungsschäden sind voll beherrschbare Risiken. Passion Chirurgie. 2018 August, 8(08): Artikel 04_05.

Autor des Artikels

Profilbild von Sabine Kraft

Sabine Kraft

Risiko-BeraterinGRB Gesellschaft für Risiko-Beratung mbHKlingenbergstr. 432758Detmold kontaktieren

Weitere Artikel zum Thema

PASSION CHIRURGIE

Passion Chirurgie 08/2018

im Fokus SCHILDDRÜSE Ein kleines, aber sehr wichtiges Organ steht

Passion Chirurgie

Lesen Sie PASSION CHIRURGIE!

Die Monatsausgaben der Mitgliederzeitschrift können Sie als eMagazin online lesen.