Dass Behandlungsfehlervorwürfe, die Patientinnen und Patienten gegen medizinisches Personal erheben, kontinuierlich zunehmen und dass der finanzielle Aufwand zur Regulierung dieser Anspruchsstellungen stetig steigt, ist in Veröffentlichungen der Ecclesia Versicherungsdienst GmbH gut dokumentiert [1]. Bei Behandlungsfehlervorwürfen kann eine gute Kommunikation mit dem Patienten oder der Patientin helfen, eine drohende Anspruchsstellung abzuwenden. Gute Kommunikation heißt, dass die Behandelnden das persönliche Gespräch mit der behandelten Person suchen und deren Fragen vollständig und verständlich beantworten.
Die Erfahrung lehrt: Viele Menschen nehmen Abstand von einer in Erwägung gezogenen Klage, wenn sie ausreichende Erklärungen erhalten und die Folgen des Behandlungsfehlers für ihre Gesundheit verstanden haben, vor allem, wenn sie zudem das Gefühl haben, dass ihre Sorgen ernst genommen wurden, eventuell sogar eine Lösung besprochen wurde.
Um dem steigenden Bedarf nach einer guten Patientenkommunikation zu begegnen, sind in den vergangenen Jahren mehrere Ratgeber erschienen, die mit praxisnahen Hinweisen die essenziellen Bausteine für eine gelungene Kommunikation nach einem Behandlungszwischenfall darlegen. Dieser Artikel gibt einen Überblick über die wichtigsten Kommunikationsregeln bei Behandlungszwischenfällen.
Anspruchsstellungen
Betrachtet man die Gesamtschadenmeldungen, ist die Anzahl der nach Abschluss einer Behandlung erhobenen Behandlungsfehlervorwürfe höher als die Anzahl der während der Behandlung offenbar gewordenen und monierten Schäden. Gründe für Anspruchsstellungen, die erst erhoben werden, wenn die (vermeintlich) fehlerhaft behandelte Person bereits aus der Krankenhausbehandlung entlassen worden ist, können sein
- physiologische Befunde, z. B.
- anhaltende Schmerzen
- Verschlechterung des Gesundheitszustands nach Entlassung aus der Behandlung
- neue Befunde, die bei weiteren Behandlungen oder bei der Rehabilitation erhoben wurden, z.B.
- die Entdeckung von Implantat-Fehlstellungen
- die Entdeckung von Frakturen oder Tumoren, die der oder die Erstbehandelnde bei der Eingangsdiagnostik augenscheinlich übersehen hat
Solche Befunde können bei einem Patienten oder einer Patientin den Verdacht aufkommen lassen, dass die ursprüngliche Behandlung fehlerhaft war oder dass Behandlungsfolgen verheimlicht wurden. Um die Mutmaßung zu bestätigen – oder auch zu widerlegen –, holt sich die Patienten- bzw. Angehörigenseite dann nicht selten anwaltlichen Beistand.
Nachträgliche Anspruchsstellungen treffen die Behandelnden oft unvermutet und unvorbereitet. Die schlichtende Wirkung einer direkten Kommunikation mit dem betroffenen Patienten oder der betroffenen Patientin lässt sich nun nicht mehr nutzen. In der Regel wird dann anhand von Stellungnahmen und Gutachten geklärt, inwieweit dem Behandlungsfehlervorwurf stattgegeben werden muss, oder ob er entkräftet werden kann. Streitbare Ergebnisse werden bei den Schlichtungsstellen oder letztendlich vor Gericht entschieden.
Bei Patientenschäden indes, die erkannt werden, während sich die behandelte Person in der Obhut des klinischen Personals befindet, kann eine sofortige Konfrontation mit dem Patienten oder der Patientin erfolgen. Hier gilt es, Wege und Worte zu finden, die das Passierte und das Ausmaß des Schadens patientengerecht beschreiben. Verläuft die Kommunikation mit der betroffenen Person positiv, lassen sich etwaige Anspruchsstellungen mitunter abwenden.
Dass eine nicht gelingende Kommunikation aber auch das Gegenteil bewirken kann, belegen folgende Beispiele aus der Praxis.
Zwei Beispiele ungünstiger Kommunikationsverläufe
- Eine 95-jährige Patientin stürzt nach einer endoskopischen Untersuchung aus dem Klinikbett und zieht sich Gesichtsfrakturen zu. Weil sie chirurgisch versorgt werden muss, wird die Patientin von der internistischen in die chirurgische Klinik verlegt. Dort stirbt sie wenige Tage später.Ein ausführliches ärztliches Angehörigengespräch im Vorfeld der Verlegung die Patientin hinterlässt eine Tochter –findet nicht statt. Die Tochter hat deshalb das Bedürfnis, nach dem Tod ihrer Mutter noch einmal mit einem Arzt oder einer Ärztin zu sprechen. Nach zwei Wochen sucht sie daher den Kontakt zum Behandlungsteam der internistischen Klinik, in der sich der Sturz ereignet hat. Anstatt Gesprächsbereitschaft zu signalisieren, verweisen die Internisten auf die Chirurgen und diese wiederum auf die Internisten – allesamt mit der Begründung, sie seien nicht die behandlungsführende Abteilung gewesen.Die Tochter bekommt so das Signal, dass keine Abteilung die Behandlungsverantwortung übernehmen will. Vor diesem Hintergrund reicht sie mit Hilfe eines Anwalts einen Vorwurf auf Aufsichtspflichtverletzung und Fehlbehandlung ein.
- Nach Beendigung eines ambulanten Eingriffs stürzt der Patient, ein vierjähriges Kind, vom OP-Tisch, nachdem sowohl der Anästhesist als auch die Anästhesiepflegekraft sich ohne Absprache zeitgleich vom Kind abgewandt haben, um die Narkoseausleitung vorzubereiten. Das Kind bleibt, bis auf eine äußerliche kleine Kopfverletzung, unbeschadet. Es wird aber zur weiteren Überwachung stationär aufgenommen.Den Eltern wird der Vorfall unmittelbar nach Beendigung der OP mitgeteilt. Dabei bringen die Behandelnden ihr Bedauern zum Ausdruck und weisen darauf hin, dass das Kind über Nacht auf der Station unter Überwachung bleiben soll, um weitere Verletzungen auszuschließen. Die Eltern bedanken sich für die Offenheit des Anästhesisten und bekunden zunächst, dass sie „kein Aufhebens“ machen werden. Am nächsten Tag wird der kleine Patient ohne weitere Auffälligkeiten aus der stationären Behandlung entlassen.
Einige Wochen später wird der Krankenhausleitung ein anwaltliches Schreiben der Eltern mit der Bitte um Aushändigung der Krankenunterlagen vorgelegt. Neben der Aufforderung, das Sturzereignis abzuklären, enthält das Schreiben den Vorwurf eines Behandlungsfehlers sowie einer Aufsichtspflichtverletzung. Es stellt sich heraus, dass der Vater des Kindes, der privat versichert ist, sich über die Rechnungsstellung geärgert hat, die nicht die erwartete Abrechnung des ambulanten Eingriffs, sondern die vollen Kosten für die stationäre Behandlung auswies – aus Sicht der Eltern zu Unrecht, da der „Fehler“ auf Krankenhausseite zu suchen sei.
Im ersten Beispiel findet aufgrund der Gesprächsverweigerung der Ärzteseite überhaupt keine Kommunikation mit der Angehörigen der Verstorbenen statt. Im zweiten Beispiel funktioniert die krankenhausinterne Kommunikation nicht. Hier hätte ein Hinweis der Behandelnden an die Verwaltung unter Umständen eine andere Rechnungsstellung und damit das Ausbleiben des Rechtswegs bewirkt.
Ratgeber zur Kommunikation nach einem Zwischenfall
In den Veröffentlichungen zu dem Thema [2, 3, 4] wird unterschieden zwischen folgenden Kommunikationsrichtungen:
- interne Kommunikation zwischen der Krankenhausleitung, dem/den Behandlungsverantwortlichen und dem/den Durchführungsverantwortlichen
- externe Kommunikation zwischen der Krankenhausleitung und dem öffentlichen Interesse
- Kommunikation mit dem Patienten oder der Patientin bzw. den Angehörigen
Interne Kommunikation
Um das Vorgehen im Schadenfall zu koordinieren, sollte zur Orientierung eine Verhaltens-Checkliste vorliegen. Im Behandlungsteam sollte, unter Involvierung der Krankenhausleitung, abgestimmt werden, wer nach einem Schadenfall die Gesprächsführung mit der Patienten- bzw. Angehörigenseite übernimmt – und zwar so bald wie möglich. Die Gesprächsführung sollte „Chefsache“ sein.
Im Nachgang ist eine retrospektive Fallanalyse mit entsprechender Dokumentation hilfreich, um bei zukünftigen Zwischenfällen auf eine Faktensammlung zu möglichen Ursachen zurückgreifen zu können. Der Blick sollte dabei nicht auf die augenscheinlich schadenverursachende Person („Schuldige/r“) gerichtet sein, sondern auf System- und Prozessmängel, die das jeweilige Ereignis mit bedingt haben. Sind erst einmal die Ursachen eruiert, ist es leichter, dem Patienten oder der Patientin den Sachverhalt zu erklären. Zur Management der internen Kommunikation gehören auch Kommunikationstrainings für Behandelnde, denn die Gesprächsführung im Schadenfall will geübt sein.
Externe Kommunikation
Wenn Medieninteresse an einem Fall besteht, muss die Kommunikation nach außen gesteuert werden. Hier gelten ähnliche Empfehlungen wie für die interne Kommunikation. Zur Vertiefung der Thematik wird die Veröffentlichung „Medienarbeit im Krisenfall“ empfohlen [2].
Kommunikation mit Patientinnen und Patienten bzw. Angehörigen
Unsere Beratererfahrung hat gelehrt, dass zwischen der Anzahl der eingehenden Beschwerden und Klagen und mangelhafter Kommunikation zwischen Behandelnden und Behandelten ein enger Zusammenhang besteht. Der direkten Kommunikation mit Patientinnen und Patienten kommt daher große Bedeutung zu. Allerdings lauern hier einige Fallen.
Mangelhafte Kommunikation der Ärzteseite (Patientensicht)
Die Erklärungen des Arztes oder der Ärztin zum Behandlungsverlauf werden nicht verstanden, da er oder sie sich hinter medizinischer Fachterminologie versteckt (etwa wenn sich die Erklärung eines Behandlungszwischenfalls anhört wie ein medizinischer Fachvortrag).
Der oder die Behandelnde bietet vorschnell weitere Vorgehensweisen an, ohne die Patientenseite in den Entscheidungsprozess einzubinden bzw. ohne beim Gegenüber um Akzeptanz zu werben (z.B. mit Äußerungen wie „Die beste Lösung wäre …“).
Mangelhafte Kommunikation der Patientenseite (ärztliche Sicht)
Annahmen werden als Fakten interpretiert (Äußerungen wie „Die Tatsachen sprechen dafür, dass …“ bergen die Gefahr, dass der Patient oder die Patientin Mutmaßungen für bare Münze nimmt).
Die Patientin oder der Patient lässt sich nicht beruhigen, ist uneinsichtig oder will die ärztlichen Erklärungen schlicht nicht verstehen (beschwichtigende Floskeln wie „Kommen Sie erst einmal wieder zu sich, bevor …“, oder „Was Sie wirklich brauchen, ist …“ zeigen oft nur die Hilflosigkeit der Ärzteseite).
Der Patient bzw. die Patientin beurteilt einen (vermeintlichen) Behandlungsfehler vorschnell oder ist zu anspruchsvoll (kategorische Aussagen wie „Es stimmt nicht, dass, …“ erschweren das Gespräch).
Kommunikationsfallen wie die oben beschriebenen führen schnell zu gegenseitigen Missverständnissen und zur Verhärtung der Fronten. Der Schlüssel zu einem gelingenden gegenseitigen Verständnis und somit auch zu einer gemeinsamen, konstruktiven Bewältigung des Schadenfalls ist eine mitfühlende und ehrliche Patientenaufklärung. Die Empfindungen, Sorgen und Bedürfnisse der Patientenseite müssen bei gesprächsführenden Behandelnden Berücksichtigung finden [3].
Einige Vorkehrungen und Regeln können helfen, dass die Arzt-Patient-Kommunikation gelingt.
Aktives Risikomanagement
- Schaffen Sie eine ungestörte Gesprächsatmosphäre.
- Führen Sie die Gespräche mit Patientinnen und Patienten bzw. Angehörigen nicht alleine. Neben dem Chefarzt sollte eine Person bei dem Gespräch anwesend sein, die mit dem Patienten oder der Patientin den häufigsten Behandlungskontakt hatte und die ihm oder ihr vertraut ist.
- Gewähren Sie, wenn möglich, dem Patienten oder der Patientin die Möglichkeit, dass eine weitere (selbst erwählte) Person seines oder ihres Vertrauens bei dem Gespräch zugegen ist.
- Drücken Sie Ihr Bedauern aus.
- Erklären Sie dem Patienten oder der Patientin sachlich, was vorgefallen ist und wie dies in Zukunft vermieden werden kann. Dadurch wird ein gemeinsames Problemverständnis geschaffen.
Stellen Sie
- offene Fragen: „Was meinen Sie dazu?“
- reflektierende Fragen: „Ich will nochmal zusammenfassen: Habe ich richtig verstanden, dass …?“
- Suchen Sie gemeinsam mit dem Patienten oder der Patientin Lösungsansätze:
- „Was können wir tun?“
- „Haben Sie eine Idee, wie wir das wieder in Ordnung bringen können?“
- Seien Sie erreichbar für Rückfragen oder vereinbaren Sie einen weiteren Gesprächstermin.
- Organisieren Sie, falls nötig, die weiteren Vorgehens- oder Behandlungsschritte und kommunizieren Sie diese deutlich mit der Patientenseite.
Nicht vergessen: Auch einvernehmlich und einsichtsvoll verlaufende Gespräche über einen Zwischenfall können nicht gänzlich verhindern, dass es zu einer Anspruchsstellung kommt. Zum Management potenzieller Schadenfälle im Hinblick auf Schadensbegrenzung empfiehlt es sich daher generell, Schutzmaßnahmen einzuleiten:
- Sicherung von beteiligten Geräten/Medizinprodukten,
- Abstimmung mit dem Haftpflichtversicherer,
- Durchsicht der Akte auf lückenlose Behandlungsdokumentation,
- koordinierte Herausgabe von Krankenunterlagen,
- Anfertigung von Gedächtnisprotokollen, die für das Verfassen von Stellungnahmen zu einem späteren Zeitpunkt wichtig sein können.
Literatur
[1] Arzthaftung in Europa, 18.10.12 (ecclesia.de/index.php?id=383&type=98&tx_ttnews%5Btt_news%5D=19)
[2] Westphal, Georg, 2009, Medienarbeit im Krisenfall, riskolleg – das eLearning-Portal für Medizinrecht und Risikomanagement (riskolleg.de)
[3] Aktionsbündnis Patientensicherheit 2011, Reden ist Gold, Kommunikation nach einem Zwischenfall
[4] Patientensicherheit Schweiz, Schriftenreihe, Wenn etwas schief geht, Kommunizieren und Handeln nach einem Zwischenfall