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Aus der Sicht eines Chirurgen/Unfallchirurgen als leitender Arzt eines Wundzentrums, eingegliedert in eine Dermatologische Klinik, möchte ich über unsere alltäglichen Erfahrungen berichten.

Sektorenübergreifende Versorgung

Sowohl im ambulanten Bereich als auch im Rahmen der DRG werden eine ausführliche Anamnese, die Zuwendung und das Kümmern um den Patienten nicht ausreichend honoriert, sind aber doch wesentliche Bestandteile einer erfolgreichen Wundbehandlung.

Die Patienten profitieren davon, dass der Hausarzt eine Problemwunde erkennt und rechtzeitig den nächsten Therapieschritt einleitet – hier die Vorstellung beim spezialisierten Wundtherapeuten zur Umsetzung der nun erforderlichen Maßnahmen. In etlichen Fällen ermöglicht ein bloßes chirurgisches Debridement die ambulante Fortsetzung der Therapie und eine stationäre Behandlung kann vermieden werden, was die Lebensqualität des Patienten steigert und Gesamtkosten des Behandlungsfalles reduziert.

Falls erforderlich, kann per zeitnaher Vorstellung beim Spezialisten aber auch eine stationäre Therapieintensivierung unmittelbar erfolgen, wovon wiederum der Patient profitiert, indem in der interdisziplinären Zusammenarbeit Wunde, Ursachen einer Wundheilungsstörung sowie Grunderkrankungen behandelt werden und zu einer verkürzten Liegedauer führen.

Im Rahmen der DRG bildet sich die frühzeitige Intervention kostentechnisch besser ab als langwierige Behandlungsverläufe bei sehr fortgeschrittenen Befunden. Präzedenzfälle hierzu sind zum einen der diabetische Fuß, dessen Dekompensieren bei einer guten Prophylaxe und Stoffwechsellage oft vermieden werden kann und zum anderen der Dekubitus, bei dem rechtzeitiges Erkennen und frühzeitiges Einleiten einer adäquaten Versorgung hinsichtlich Lebensqualität und Kostenaspekt eine entscheidende Bedeutung zukommt.

In unserer Region ist durch Erteilung einer personengebundenen KV-Ermächtigung für die Behandlung des diabetischen Fußes und von Patienten mit Problemwunden eine Vorstellung im Wundzentrum auf hausärztliche Überweisung hin möglich und wird auch sehr zeitnah umgesetzt.

Eingliederung des Wundzentrums in die Dermatologische Klinik

Eine Besonderheit ist die Eingliederung des Wundzentrums in die Dermatologische Klinik. Auch hiervon profitieren überweisender (Haus-)Arzt und Patient. Der Fokus ist streng auf Problemwunden (inkl. Dekubitus) und den diabetischen Fuß gerichtet, allerdings findet sich immer auch eine Schnittmenge an Hautveränderungen, die nicht den genannten Bereichen zuzuordnen ist.

Hier steht im Zweifelsfall im Rahmen der interdisziplinären Zusammenarbeit innerhalb der eigenen Klinik eine dermatologische Expertise zur Verfügung. Umgekehrt finden sich immer wieder Patienten mit rezidivierten Weichteilinfekten am Fuß, die letztlich auf eine chronifizierte Osteitis zurückzuführen sind und durch chirurgische Zuwendung, Diagnostik und Intervention erfolgreich saniert werden können.

Hinsichtlich des Dekubitus erfolgt im stationären Bereich eine zentrale Erfassung, Dokumentation und Therapiesteuerung. Unabhängig vom stationären oder ambulanten Bereich ist das frühzeitige Erkennen von gefährdeten Patienten wie auch das Entdecken von Befunden entscheidend, um zeitnah entsprechende Maßnahmen umsetzen zu können.

Abb. 1: Dekubitus-Workflow

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Im Alltag ist, abgesehen von der konkreten Behandlung des Patienten, die Kommunikation zwischen Hausarzt, Wundzentrum und weiteren Beteiligten ein wesentlicher Bestandteil des erfolgreichen Konzeptes – allerdings ist diese an die zeitgleiche Verfügbarkeit der Gesprächspartner gebunden.

In diesem Zusammenhang sind Überleitungs-, Einweisungs- und Entlassungsmanagement ebenfalls wesentliche Bestandteile einer erfolgreichen Therapie chronischer Wunden, werden aber finanziell weder im ambulanten noch im stationären Bereich auch nur annähernd in den gegebenen Rahmenbedingungen abgebildet.

Interdisziplinäre Zusammenarbeit

In der eigenen Klinik finden an der Wunde die Dermatologie und die Chirurgie zueinander als unmittelbares Team vor Ort am Patienten. Von dieser Zusammenarbeit profitiert zunächst der Patient, der insgesamt betrachtet und in der Gänze seines Organes Haut untersucht wird. Je nach Krankheitsbild werden dann folgend Schwerpunkte gesetzt; so wird dem Patienten unmittelbar eine große Versorgungsbreite angeboten und auch zeitnah umgesetzt (z. B. eine dermatologische Testung bei Problemen im Wundumfeld, eine Allergieabklärung wie aber auch ein chirurgisches Debridement inkl. tieferliegender Strukturen und Knochen).

Im Alltag profitieren alle Beteiligten von diesem System und letztlich ist die frühere Kluft zwischen der Chirurgie („alles, was unter Hautniveau nicht heilt“) und der Dermatologie („alles im und über Hautniveau“) abgeschafft.

Unter betriebswirtschaftlichen Aspekten hat jeder Patient seine individuellen Merkmale, die Unterschiede in der Liegedauer und im CMI sind daher erheblich. Letztlich werden die Kosten, die in jedem Schwerpunkt der Klinik entstehen, erfolgreich abgedeckt, was auch die interdisziplinäre Zusammenarbeit innerhalb der Klinik fördert.

Im Klinikum und nach extern insgesamt bestehen Kooperationen des Wundzentrums im Rahmen der Zertifizierung als Fußbehandlungseinrichtung der AG Diabetischer Fuß der Deutschen Diabetes Gesellschaft, aber weit darüberhinausgehend erfordern die Patienten mit Problemwunden eine größtmögliche Bandbreite an diagnostischen Optionen und therapeutischen Möglichkeiten. Insbesondere die Zusammenarbeit mit den Angiologen und Nephrologen steht weit vorne, jedoch auch die Unterstützung durch die Pathologie und eine interdisziplinäre Tumorkonferenz. Soweit erforderlich, finden Konsile am Patienten statt und es wird dabei das Vorgehen gemeinsam unter Berücksichtigung von Wundsituation und Grunderkrankungen des Patienten abgestimmt.

Abb. 2: Ablauf Interdisziplinäre Fußbehandlung DFS

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Eine besondere Bedeutung kommt hinsichtlich des Extremitätenerhaltes der Zusammenarbeit mit Angiologen und Gefäßchirurgen zu. In unserem Haus mit zwei Standorten werden die Patienten des Wundzentrums zunächst angiologisch vorgestellt, weil vor Ort eine leistungsfähige Angiologie verfügbar ist; falls eine interventionelle Verbesserung möglich ist, wird diese fast immer einzeitig im Rahmen der Angiografie umgesetzt. Ergibt sich aus dem angiografischen Befund ein operativer Handlungsbedarf, erfolgt noch aus dem Katheterlabor eine Anmeldung in der Gefäßchirurgie.

Durch die Etablierung des Wundzentrums mit einer kontinuierlichen, qualifizierten Wundtherapie und eine enge Zusammenarbeit insbesondere mit Angiologen und Gefäßchirurgen konnte in den vergangenen 15 Jahren im eigenen Patientengut die Amputationsrate an Ober- und Unterschenkelamputationen von etwa 15 Fällen pro Jahr auf aktuell vier pro Jahr reduziert werden. Die Indikation ergibt sich jetzt nur noch aus einer septischen Situation („limb for life“) oder aus einer maximalen Einschränkung der Lebensqualität in der letzten Phase einer pAVK durch Schmerzen oder alternativ die Begleiterscheinungen der Schmerztherapie, hier insbesondere die psychisch-sedierenden Veränderungen.

Durch minimalinvasive chirurgische Verfahren an Fuß und Zehen unter Resektion entzündeter Gewebeanteile inkl. osteitisch veränderter Knochen konnte die Minor-Amputationsrate fast gegen null abgesenkt werden; hier liegen allerdings keine belastbaren Zahlen eines historischen Kollektives vor.

Interprofessionelle Zusammenarbeit

Ein besonderes Augenmerk verdient auch die interprofessionelle Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Berufsgruppen ambulant und stationär, weil Patienten mit chronischen Wunden in vielen Bereichen der Unterstützung bedürfen: ärztlicher Dienst, spezialisierte Wundpflege, Pflegedienst, Physiotherapeuten, Sozialdienst, Ernährungsberatung, Orthopädietechnik und viele weitere Berufsgruppen mehr. Im stationären Bereich arbeiten die Berufsgruppen – auch durch den Rahmen eines gemeinsamen Arbeitgebers – weitgehend verzahnt miteinander. Im Übergang zwischen dem ambulanten und stationären Sektor hängt die Zusammenarbeit an Strukturen wie Wundnetzen und dem individuellen Engagement und noch mehr gilt dies für den ambulanten Bereich.

An sich sinnvolle Maßnahmen, wie z. B. ein gemeinsamer Verbandwechsel einer aufwändigen Versorgung vor der Entlassung aus stationärer Behandlung mit Übergabe an den nachfolgenden ambulanten Therapeuten, lassen sich allerdings in der Abrechnung nicht abbilden. Die Kontinuität in der Wundbehandlung durch wenige Therapeuten, die den jeweiligen Patienten und die Wundsituation hinreichend genau kennen und per korrekter Beurteilung der wesentlichen Parameter Exsudatmanagement und Entlastung überhaupt eine adäquate Therapie ermöglichen ist strukturbedingt – außerhalb des Wundzentrums – nicht immer konsequent umsetzbar. Wundmanager können die Wunden nur in gewissen Zeitabständen sehen und sind damit schon aufgrund der äußeren Umstände in Wahrnehmung und Beurteilung eingeschränkt.

Fazit

„Das chirurgische Debridement ist durch nichts zu ersetzen“ – das hat sich in den vergangenen Jahrzehnten nicht geändert und bleibt, von wenigen Ausnahmen abgesehen, eine wesentliche Zuwendung zum Patienten in Sachen Wundheilung, auch in Zeiten von modernen Wundauflagen.

Dem Wundtherapeuten fällt dabei insbesondere die Rolle des „Kümmerers“ zu, der den Patienten und Menschen als Ganzes sieht und über die bloße Wundtherapie weit hinaus Maßnahmen veranlasst und koordiniert.

„Die Zusammenarbeit ist durch nichts zu ersetzen“ – dies gilt in gleicher Weise. Für den Extremitätenerhalt letztlich ausschlaggebend ist die Gefäßsituation und insofern ist die Zusammenarbeit mit einer leistungsfähigen Angiologie und Gefäßchirurgie notwendig.

Literatur

[1] https://nrw.menschen-mit-diabetes.de/diabetes-mellitus/st-vincent-deklaration-1989-stand-heute

Riedel U. Die überwinden – sektorenübergreifende und interdisziplinäre Versorgung chronischer Wunden. Passion Chirurgie. 2016 Juni, 6(06): Artikel 02_01.

 

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